Friedrich Merz und ein Schwank aus der Muppet Show

Wenn der ARD-Dokumentarfilm eines zeigt, ist es, dass die CDU eine Partei ohne Richtung, ohne Grundsätze ist, dass sie inhaltlich entkernt, dass sie weiterhin im Merkelsumpf steckt. Die CDU ändert nichts, sie wird nichts ändern, sie hält Kurs auf eine Koalition mit den Grünen.

Getty Images, Screenprint ARD - Collage: TE

Die ARD ist jeden Cent wert, den der Staat den Bürgern für den Sender abpresst. Jetzt hat sie unter raffinierter Umgehung der Urheberrechte die legendäre Die Muppet Show mit dem harmlos klingenden Titel „Die Merz-Strategie – Wohin steuert die CDU?“ als Dokumentarfilm auferstehen lassen. Stargast des Abends ist natürlich Friedrich Merz, der Tausendsassa aus dem Sauerland, um der Show vermeintlich Esprit zu geben und heiter über die verheerende Wahlniederlage von 2021 zu plaudern und darüber, wie die CDU als Phönix aus der Asche wieder Tritt fassen wird.

Denn an den Abendbrottischen der Republik, in den Städten, in den Dörfern und den Gemeinden, an den Stammtischen und den Tischen ohne Stamm, im Zuschauerraum oder vor den Fernsehern, in den Kitas und Grundschulen werden die Fragen unaufhörlich – mal lauter, mal leiser, zuweilen hinter vorgehaltener Hand – gestellt, ob es dem Friedrich gelingen werde, der Show neue Hoffnung zu geben.

Welch glückliche Idee, sich von der Muppet Show inspirieren zu lassen. Und getreu der Frauenquote, die Friedrich Merz kühn auf einem Parteitag als konservativstes aller konservativen Anliegen durchgesetzt hatte, besetzten die Filmmacher die Rollen von Waldorf und Statler mit Karin Prien und Johannes Fiolka, live aus Schleswig-Holstein und Sachsen. Wer Waldorf und wer Statler ist, ist schnell geklärt, denn als Kultusministerin fällt Karin Prien die exponierte Rolle des Waldorf zu. Statlers Beiträge waren übrigens so originell, dass ich sie schon vergessen, bevor ich sie gehört habe. Keinen besseren jedoch konnten die Macher des Films für die Rolle des Kermits in der Show – Applaus, Applaus – als Carsten Linnemann finden. Das ist nun einmal sein Ding, da sagt er auch öfter: „Ich bin, wie ich bin. Ich zieh’ mein Ding durch.“

Wie schön! Carsten Linnemann als Kermit und Friedrich Merz als Primus inter pares treten im Bühnenbild von Cadenabbia auf, der Villa von Konrad Adenauer am Comer See, das der Konrad-Adenauer-Stiftung als Tagungsstätte dient und wo Boccia eine große Rolle spielt.

Nach 5:20 Minuten rast die Show unvermeidlich auf ihren ersten Höhepunkt zu – Applaus, Applaus –, Carsten Linnemann verkündet: „Wir brauchen wieder eine tolle Erzählung für die CDU, eine brennende, eine fesselnde, eine ermutigende …“. Hier droht Carsten Linnemann allerdings aus der Rolle zu fallen, klingt stärker nach dem Prediger Billy Graham: „… eine Aufruferzählung und wir brauchen wieder Punkte, die uns von anderen unterscheiden“. Welch herkulische Aufgabe er zu schultern hat, denn im Schatten der Brandmauer sind alle Parteien grün.

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Und da kann auch Karin Prien sich in ihrer Loge nicht mehr zurückhalten, denn sie kennt all‘ die Punkte, die die CDU von allen anderen Parteien unterscheidet. Sie kennt sie, weil sie der parteientrückten Angela Merkel aufmerksam gelauscht hatte. In den Fragen der inneren Sicherheit und in der Flüchtlingspolitik hat Angela Merkel diesen von den Grünen ununterscheidbaren Ton angeschlagen, einen Ton stupender Modernität und Fröhlichkeit.

Wie liebevoll sich Angela Merkel um die Opfer des Terrorangriffs auf dem Breitscheidplatz in Berlin am 19. Dezember 2016 gekümmert hat, ist noch in aller Munde – um die Opfer, die aus aller Welt in das willlkommenskulturelle Deutschland strömten. Karin Prien bekennt dann auch in ihrer Loge, dass man sie „eher als Merkelianer bezeichnen würde. Wobei ich diese Bezeichnung heute nicht mehr für zeitgemäß halte.“ Na bitte, so viel Erneuerung war nie. Und ehe das Publikum in tiefes Nachdenken darüber verfällt und dem Fortgang der Show vor lauter Grübeln an falscher Stelle nicht mehr folgt, ob die Bezeichnung oder das Bezeichnete heute nicht mehr zeitgemäß sei, fügt Karin Prien schnell hinzu, dass sie sich darüber gefreut habe, „dass die Partei jemanden wie mir, die eher dem linken Flügel zugeordnet wurde, eine Chance gibt“. Das ist noch ein Höhepunkt der Show – Applaus, Applaus –, alles ändert sich und bleibt dennoch, wie es ist.

Die perfekte 360-Grad-Drehung ist der CDU, die sie von den Grünen wie vieles andere auch abgeluchst hat, geglückt.

Und da eine gute Show auch ein wenig ein Scary Movie sein muss, ein sanftes Gruseln erst die richtige Stimmung ergibt, legt sich nur der lange Schatten Angela Merkels auf die Bühne: Auftritt als Gast aus der Sesamstraße Bibo in der Rolle des Hendrik Wüst, umgekehrt natürlich. Der arme Bibo, er muss sich entscheiden, ob er in der Sesamstraße oder in der Muppet Show sein möchte. Und Miss Merkel ist nicht mehr da. Sie hat die Show bereits verlassen. Doch ihr Schatten, auf dem Bibo wie auf einer Thermik segelt, liegt brütend auf der Show. Hendrik Wüst besteht darauf, Angela Merkel zu folgen, denn er vertritt einen klaren Kurs der Mitte. Was für Karin Prien mit dem Binnenreim von der Loge aus „links“ in der Show ist, ist aus der Höhe, in der Bibo kreist, natürlich die Mitte. Die Welt sieht eben von vorn anders aus als von oben.

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Vom Schnürboden der Bühne aus ist es vollkommen klar, was Hendrik Wüst uns allen mitteilt: „Angela Merkel hat sich 16 Jahre lang um unser Land verdient gemacht, um Europa.“ Und: „Für die deutsche Kanzlerin war klar, Gewalt an innereuropäischen Grenzen darf es nicht geben. Die Grenzen bleiben offen. Außer Zweifel aber steht, es war eine Entscheidung aus Führung und Verantwortung und ein großer Akt der Humanität.“ Ohne diesen Akt der Humanität hätte auch nicht ein so offenes, ein so diverses, ein so folkloristisches Silvesterfest, bei der es keine Gewalt geben durfte, von 2015 zu 2016 auf der Domplatte in Köln stattgefunden. Der WDR, vor dessen Sitz dieses Merkelsche Fest der Humanität gefeiert wurde, war so begeistert, dass er ganz vergaß, darüber zu berichten.

Der große Friedrich, der als echter Entertainer einen unfehlbaren Sinn für Humor besitzt, setzte zielsichere Pointen, wie die, dass die Fehler in der Flüchtlingskrise aufgearbeitet worden seien. Und weil sie so schön aufgearbeitet sind, entschuldigt sich der große Friedrich bei der Truppe dafür, dass er gelegentlich extemporierte und sich nicht ans Textbuch hielt, und so beispielsweise den vollkommen unkünstlerischen Begriff „Sozialtourismus“ verwandte. Ein ganzer Akt der Show geht mit Merzens Zurückrudern in a row Mea Culpa, Mea Maxima Culpa ein wenig spaßtötend dahin. Doch allen, Waldorf und Statler, Kermit und dem eigentlich aus der Sesamstraße stammenden Bibo versichert er, dass der Ausdruck „Paschas“ gar nicht von ihm, sondern von zwei Lehrerinnen stammte. Nachdem sich der große Friedrich für alle seine Abweichungen vom Text entschuldigt hat, versichert er, dass die CDU wieder für wertkonservative Menschen eine politische Heimat werden muss. Für Wertkonservative wie Waldorf und Bibo.

Ach, Cadenabbia, endlich sind wir wieder in Cadenabbia, dem Wunderort am Comer See, in einer Landschaft, die geeignet ist für ein Schäferspiel, ein Schäferspiel, das in der Muppet Show natürlich eine Klausur für das neue Grundsatzprogramm ist, das im Geiste Merkels wertkonservativ und mittig sein wird. An der Tafel steht Linnenmann und spielt eine herrliche Parodie auf einen Motivationstrainer, wenn er Säulen zeichnet – Applaus, Applaus – und erklärt: „Da müssen auch unbequeme Wahrheiten rein.“ „Und“ – Applaus, Applaus – „dafür braucht man Mut.“ Jetzt wissen wir alle, Carsten Linnemann kann das Wort Mut richtig schreiben – Applaus, Applaus.

Nach der Show befragt, gibt Carsten Linnemann zu Protokoll: „Cadenabbia hat funktioniert, dass die Truppe“ – also die Führung der CDU – „zusammengeschweißt wurde.“ Zum ersten Mal nach der Bundestagswahl habe er gespürt, da wächst etwas zusammen. Muppet Show 2.0 sozusagen. Nächste Szene: Übergabe Staffellauf Generalsekretär – Scooter Szaja übergibt an Linnemann. Gratulation – Applaus, Applaus.

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Auch wenn Bibo nicht in die Sesamstraße zurückkehrt, sondern sich hoch oben im Schnürboden des Theaters für den eigentlichen Regisseur hält, der auch Regisseur von Deutschland werden möchte, wenn ganz Deutschland eine einzige Muppet Show geworden ist. Nur Waldorf fragt nachdenklich: „Wer ist der Richtige, um dieses Land in die Dreißiger Jahre zu führen?“

Es gibt in dem Film eine weitere sehr hübsche Szene. Der Interviewer befragt Hendrik Wüst nach seinem Verhältnis zu Friedrich Merz und berichtet ihm, dass Merz ihr Verhältnis als freundschaftlich charakterisiert. Wüst reagiert nicht. Er denkt an Bibo. Interviewer: „Er sagt sogar freundschaftlich.“ Wüst, etwas gequält: „Ja, auch das.“

Wenn dieser Film eines zeigt, ist es, dass die CDU eine Partei ohne Richtung, ohne Grundsätze ist, dass sie inhaltlich entkernt, dass sie merkeltot ist. Die CDU ändert nichts, sie wird nichts ändern, sie hält Kurs auf eine Koalition mit den Grünen. Deutlich wird auch in dem Film – und darin besteht sein Wert –, dass die CDU, will sie Politik nicht für Funktionäre, sondern für Deutschland machen, die Merkel-Zeit gründlich aufarbeiten muss, dass sie sich ihrer Verantwortung für die Massenmigration in die deutschen Sozialsysteme und für die Fehler in der Corona-Zeit zu stellen, dass sie die Grünen nicht als Partner, sondern als den politischen Hauptgegner auszumachen hat – und sich aus den Brandmauern befreit. Es bedarf einer Grenzöffnung ganz anderer Art, nicht von außen nach innen, sondern von innen nach außen. Die Mauern müssen fallen.

Im Theater heißt die Brandmauer übrigens Eiserner Vorhang.

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