Zum Andenken an Stefan Mickisch, den bedeutendsten Wagner-Kenner unserer Zeit - von Josef Bayer.
Wenn es in Wagners Ring plätschert, dann müsste es irgendwie im ersten Akt von Das Rheingold sein, schwimmen doch dort die Rheintöchter herum und ärgern den liebestrunkenen erbosten Alberich. Aber Bayreuth wäre nicht Bayreuth, wenn es nicht anders als erwartet käme. Am 29. Juli kam es pandemiebedingt ausnahmsweise zu einer Einzelaufführung der Ring-Oper Die Walküre, und zwar in einer nicht-szenischen Darstellung. Allerdings ging es auch nicht um eine konzertante Aufführung. Die nicht-szenische Darstellung war begleitet durch Aktionen des weithin bekannten, wenn nicht gar „berühmt-berüchtigten” österreichischen Aktionskünstlers Hermann Nitsch.
Ich war froh um die Eintrittskarte. Das Haus durfte trotz Impf- bzw. Testpflicht und permanentem Maskentragen nur unter Einhaltung von Abstandsregeln besetzt werden. Viele Wagner-Freunde dürften sich ob dieser Restriktionen schon gleich gegen den Festspielbesuch entschieden haben. Ich war dennoch voller positiver Erwartungen. Erstens war die Besetzung Weltklasse. Günther Groissböck wurde in der Rolle des Wotan durch Tomasz Konieczny hervorragend vertreten. Zweitens bestand hier die Aussicht, zur Abwechslung einmal nicht durch eine politisch korrekte Regie erzogen bzw. durch sinnfreie und unpassende Gags schlecht unterhalten zu werden. Zum Dritten dachte ich, Hermann Nitsch würde sich zu Wagners Musik beeindruckende Bilder einfallen lassen, die das Geschehen abstrakt kommentieren und das Musikerlebnis visuell überhöhen. Meine Rechnung ging leider nur eins zu zwei auf. Ja, die Sänger und die Musiker des Orchesters gaben alles. Auch wurden keine politischen Botschaften reingeschmuggelt. Der Rest aber war sowohl verstörend wie auch störend. Nitsch hatte nämlich eine Truppe von Assistenten mitgebracht, die seine bekannte Technik des Schüttens und Übergießens auf der anfangs weißen Bühne ausleben konnten. Die sechs Malergesellen machten sie über ein Arsenal von Farbtöpfen und Eimern her, um ab dem ersten Ton aus dem Orchestergraben von oben Farbe über die weißen Stellwände herablaufen zu lassen bzw. aus mitgebrachten Kübeln Farbe auf den ebenfalls weißen Bühnenboden zu schütten.
Da es sehr zum Nachteil der Textverständlichkeit keine eingeblendeten Übertitel gab, musste man sich ganz besonders auf den gesungenen Text konzentrieren. Wie jeder weiß, kann Operngesang und grade noch im Zusammenspiel mit einem gewaltigen Orchester, Textverständlichkeit kaum garantieren. An eine Konzentration auf Text und Musik war bei dieser Walküre aber nicht zu denken, denn hinter den in schwarze Roben gekleideten Sängern fuhrwerkte permanent die Nitsch’sche Gurkentruppe herum: Farbe tröpfeln, Eimer auf den Boden leeren. Gerade letzteres war natürlich mit Geräuschen verbunden, durch welche die Musik aufs empfindlichste gestört wurde. Pianissimo-Stelle – Platsch! Als der Boden schon durchgefärbt war, machten sie zwei Damen aus der Truppe auf, die Farbe auch noch mit den Händen zu verteilen. Das hielt die Herren nicht davon ab, weitere Eimer voll Farbe auf die Bühne zu kübeln. Die Handlungen der Aktionisten hatte – auch wenn in der Presse etwas von einer „Farbpartitur“ zusammengeraunt wurde – weder mit Wagners Musik noch mit dem Verlauf der Handlung auch nur das geringste zu tun. Die Tätigkeiten mit Schrubbern, Kübeln und Töpfen kollidierten in jeder Hinsicht mit den künstlerischen und ästhetischen Ansprüchen der Oper.
Selbst die Auswahl der Farben war wohl nur ansatzweise an die Handlung der Walküre angepasst. Das ganze war exakt so, als würde man sich zuhause anspruchsvolle Musik anhören oder ein anspruchsvolles Buch lesen wollen, während permanent Kinder oder Haustiere mit Spielsachen durchs Wohnzimmer wirbeln. Etwas anderes als Störung konnte ich beim besten Willen nicht entdecken. Keine Ahnung, was die Sänger empfanden, die durch das direkt hinter ihnen stattfindende infantile Herumgeplatsche enorm gestört sein mussten. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der eine oder die andere von den Sängern ob des Krachs gerne ein paar Ohrfeige verteilt hätte.
Jeder Akt hub mit der weißen Bühne an und lief auf dieselbe Weise mit derselben langweiligen aber dennoch nervtötenden Schüttaktion ab. Lediglich zweimal bequemte sich das Malergesellen-Team zur Präsentation einer weiß verhüllten und rot beschütteten Figur am Kreuz.
Was der Gekreuzigte mit der völlig christlichkeitsabstinenten Walküre zu tun haben sollte, wird wohl das ewige Geheimnis dieser Vorstellung bleiben. Gekreuzigte gehören halt einfach zu Nitschs Orgien-Mysterien Theater wie das Bier zum Schweinsbraten. Um mehr dürfte es hier wohl nicht gegangen sein.
Am Ende der Oper erschien dann noch ein Assistent, der eine Art Monstranz empor hielt. Ein minimaler Bezug zum Geschehen sollte wohl sein, dass gegen Ende der Oper immer hysterischer und mit immer mehr roter Farbe herumgeschüttet wurde. Kenner wissen, dass es um Wotans Abschied und Feuerzauber („Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind“) geht, eine von Wagners erregendsten und faszinierendsten Erfindungen. Es bedarf erheblicher Anstrengungen, diese Momente so wie bei diesem Unterhaltungsklamauk in den Boden zu stampfen. Meine Vermutung ist, dass es aber genau darum geht, nämlich um die bewußte oder bewußte Entzauberung und letztliche Vernichtung des Werks.
In der TAZ vom 30.07.2021 konnte man lesen: „Die Maler*innen arbeiten, so heißt es, mit Knopf im Ohr und folgen, mit gewissen Freiräumen der Improvisation, Nitschs minutiösen Anweisungen, der offenbar so etwas wie eine Farbpartitur entworfen hat.“ Abgesehen davon, dass hier keine Maler*innen am Werk waren sondern allenfalls „Schüttende“, habe ich größte Zweifel daran, dass sich Nitsch hier was Tolles ausgedacht hat. Wenn er es getan hat, dann hat sich dem Publikum allenfalls das Gegenteil davon erschlossen. Ich sehe es eher so wie der Kölner Stadt-Anzeiger vom 30.07.2021, der schreibt: „Bei Nitsch wird der riesige Bayreuther Bühnenraum zu einer Außenstelle seines Ateliers.“ Übersetzt heißt das, dass es Nitsch einen Teufel gekümmert hat, wo er seine Aktion durchzieht. Hauptsache, es gibt wieder mal eine breite Öffentlichkeit (und vermutlich ein stattliches Honorar). Die Wagner‘sche Walküre hat bei diesem Spektakel bestimmt eine hintere Nebenrolle gespielt. Nitsch ist ganz ehrlich, wenn er sagt „Es ist nicht so, dass ich eine Inszenierung aufbaue, die der ‚Walküre‘ entspricht, sondern ich führe eine Malaktion durch, die wohl indirekt mit der farbenprächtigen, breit ausladenden Musik von Richard Wagner zu tun hat“. Das klingt nach einer Null-Auseinandersetzung mit dem Werk, dessentwegen die Musikfreunde nach Bayreuth reisen. Die Vokabeln farbenprächtig und breit ausladendend sprechen für nichts anderes als Banausentum. Insofern reiht sich das Nitsch-Spektakel in seiner Form als „Aktion“ ein in die Serie von unsäglichen Inszenierungen durch Musikbanausen, in denen der Bezug zum Wagner’schen Werk bis zur Unkenntlichkeit zurückgefahren oder im schlechtesten Sinn „verfremdet“ worden ist.
Ich bin bestimmt der letzte, der sich über die Kunst von Hermann Nitsch echauffieren würde. Seine Bilder haben für sich genommen ja durchaus eine eigene Ästhetik. Ich finde nur, dass man es sich mit einer Aktion wie der in Bayreuth vorgeführten zu leicht macht. Das wirklich Negative, das bleibt, und für das diese Produktion auch berechtigt ausgepfiffen wurde, ist die Rücksichtslosigkeit, mit der hier – möglicherweise zur Erheischung eines Skandälchens – etwas zusammenfabriziert worden ist, was in seiner Beliebigkeit sinnlos an Wagners Werk vorbeigeht.
(Hier ein Bericht des ORF: Nitsch-Farbräusche bei „Walküre“ in Bayreuth)
Josef Bayer ist Professor Emeritus für Allgemeine und Germanistische Linguistik an der Universität Konstanz
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In Bayreuths Wagnerzirkus ist ja schon lange der Bär los. Dass sie jetzt ausgerechnet den greisen Provo-Opa aus Niederösterreich für einen Garanten eines Inszenierungs-Weltniveaus halten, zeigt den intellektuellen und künstlerischen Verfall im Hause Wahnfried erschreckend deutlich. Mir tun nur die geplagten Musiker leid…
Bei Herrmann Nitsch vollzieht sich dasselbe wie bei Arnulf Rainer und vielen anderen. Ihre Kunst ist in Formalismen erstarrt. Sie wiederholen sich mit einst erfolgreichen Methoden ihrer Kunst, die inzwischen nichts anderes als fade Versatzstücke der Avantgarde von Vorgestern geworden sind.
„Das ganze war exakt so, als würde man sich zuhause anspruchsvolle Musik anhören oder ein anspruchsvolles Buch lesen wollen, während permanent Kinder oder Haustiere mit Spielsachen durchs Wohnzimmer wirbeln.“
So war es dann wohl auch gemeint. Im Zeitalter der infantilen Nervensägen von Antifa über BLM, FFF, XR bis Zentrum für politische Schönheit ist es eben schick, wenn nicht gar Pflicht des künstlernden Mitläufers, dies auf der Bühne wiederzugeben – am besten natürlich bei Wagner in Bayreuth, denn da ist der kulturelle Kontrast am größten.
Kurzum: Billig, fadenscheinig und oberflächlich wie ein Baerbock-Statement.
NICHT POLITISCH?
Wenn Wagner mit roter Farbe (die bekanntermaßen mit Sozialismus assoziiert wird) übergossen wird? Wer seine Biografie ansatzweise kennt, der wird wissen: wenn es etwas gibt, was man Wagner nie und niemals unterjubeln könnte, dann irgendwelche linken Tendenzen. Hätte ich dieser „Aufführung“ beigewohnt, dann hätte sich mir der Eindruck aufgedrängt, dass Wagner hier unter das Joch des „Roten“ gezwungen werden sollte.
Und das ist doch wohl sehr politisch, oder?
Diesen Zeitgeistheinis irgendwelche intelligenten Verfremdungspraktiken zu unterstellen wäre ihnen zu viel Ehre angetan. So schlau sind die nicht.
nun ja, immerhin stand er mal mit Bakunin auf den Barrikaden…
Tja, Zeitgeist und Frau Wagner fordern ihren Tribut. Die muessen wohl erst wieder weg. Wenn der Thielemann auch wieder dirigiert… ich vergass, der ist ja eher kuenstlerisch nicht auf dem Stand der naechsten Jahre. Zumindest nach der Meinung einer komplett kompetenzfreien Fachfrau aus Dresden, die ihn aus der dortigen Staatskapelle herausgekegelt hat. Wahrscheinlich zu raeeechts.
Man tausche das „N“ gegen ein „K“. Nach meiner Einschätzung nähert sich damit Wagner-Bayreuth seinem Ende.
Es gelingt ihnen gerade, jeglicher europäischer Kultur wegen eines Virus den Saft abzudrehen – dann also auch der auf dem Hügel.
Die Musik überlebt. Wo auch immer.