Der Rechtschreib-Duden, das meist gekaufte Wörterbuch im deutschen Sprachraum, sozusagen ein Sprachinfluencer, erschien im August 2024 in 29. Auflage (Erstauflage 1880) sowie online. Laut Titelblatt handelt es sich um eine „völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage“.
Die Neuausgabe besteht – wie bisher – aus zwei Teilen: Einem allgemeinen Teil (Seiten 9-170), insbesondere zur „Rechtschreibung und Zeichensetzung“ (mit 168 Regeln), und dem „Wörterverzeichnis“ (Seiten 171-1326), von a = [Abkürzung für das Flächenmaß] Ar bis 365-Euro-Ticket (im Nahverkehr) – „Ziffern folgen [bei der Anordnung der Stichwörter] nach dem letzten Buchstaben des Alphabets“ (Seite 10).
Neue Wörter
Insgesamt hat der neue Duden 151.000 Stichwörter, darunter 3.000, die in der 28. Auflage (2020) noch nicht gebucht waren. Neu hinzugekommen sind zum Beispiel
- AfD-Fraktion, AfD-nah
- Chat-Bot (EDV Programm, das einen natürlichen Chat-Teilnehmer imitiert)
- 38 Wortzusammensetzungen mit Corona: Corona-App, Coronaauflage … Coronaimpfung, Coronainfektion … Coronawelle, Coronazeit
- Diversity ([als positiv wahrgenommene] Vielfältigkeit innerhalb einer Gruppe)
- Genderdebatte
- Klimaterrorist (abwertend für radikaler Klimaaktivist), Klimaterroristin
- Klimawende (Politik-Wandel hin zu mehr Klimaschutz)
- Remigration (Rückkehr in das Herkunftsland; verhüll. massenhafte Ausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte), remigrieren)
- Verschwörungsfantasie, Verschwörungsideologe, Verschwörungsideologin
- woke (in hohem Maß engagiert gegen Diskriminierung), Wokeness
Die Bedeutungserklärungen zeigen (außer bei Chat-Bot), dass die Duden-Redaktion „weltanschaulich gefestigt“ ist. Beim Wort Remigration – am 10. Januar 2024 veröffentlichte die Plattform Correctiv einen entsprechenden „Geheimplan“ – wurde die (absurde) zweite Bedeutungsangabe so kurzfristig eingebaut, dass die Bewertung verhüll. (= verhüllender Sprachgebrauch) nicht mehr ins Abkürzungsverzeichnis (Seiten 20-22) kam. Beim Stichwort Messer ließ sich die Duden-Redaktion mehr Zeit: Messerangriff, Messerattacke, Messerkriminalität, Messerproblem, Messerverbot sind noch nicht im Wörterbuch.
Die Neuwörter sind entweder aus dem vorhandenen Wortschatz gebildet oder aus anderen Sprachen, vor allem Englisch, übernommen. Wegen der praktisch unbegrenzten Wortbildungsmöglichkeit der deutschen Sprache sind weit mehr neue Wortbildungen belegt, als im Wörterbuch gebucht werden können.
Nach welchen Kriterien wählt die Duden-Redaktion die Neuzugänge aus? Beim Corona-Wortschatz fehlt zum Beispiel Corona-Demo: In der ZEIT (Jahrgang 2020-2023) kommt es 47-mal vor, nicht häufig, aber häufiger als die im Duden gebuchten Coronaauflage (22-mal) oder Coronaschutzverordnung (0-mal). Mit Klima sind von klimaaktiv bis Klimawechsel siebzig Wortbildungen aufgenommen, darunter Klimaangst (in der ZEIT 9 Belege), aber nicht Klimahysterie (15 Belege).
Fehlende Wörter
Wenn 365-Euro-Ticket im Duden steht, warum nicht auch das in Deutschland seit dem 1. Mai 2023 eingeführte und viel häufiger verkaufte 49-Euro-Ticket? Als Deutschlandticket (ein Nahverkehrsticket) kommt es übrigens vor.
Neuwörter, die im aktuellen Duden fehlen, können auch in die nächste Auflage kommen. Bei älteren Wörtern ist das schwieriger. Der Rechtschreibduden verzeichnet im Unterschied zum klassischen Bedeutungswörterbuch auch Eigennamen, weil hier die Benutzer über die „richtige“ Schreibung oft unsicher sind. So sind zum Bespiel die Personennamen Churchill (GB), de Gaulle (F), Roosevelt (USA) und Stalin (Sowjetunion) aufgeführt, die im 2. Weltkrieg (1939-1945) eine große Rolle spielten; bei zwei steckt der Name in weiteren Wörtern:
- Stalinismus, Stalinist, Stalinistin, stalinistisch
- Stalinorgel (früher für sowjetischer Raketenwerfer)
- Gaullismus, Gaullist, Gaullistin; gaullistisch fehlt
Und Hitler? Der Name steht im Duden 1934 (11. Auflage): Hitler (deutscher Reichskanzler, der „Führer“), ebenso Hitlergruß [Heil H.], Hitlerjugend (Abk. HJ), Hitlerjunge u. Ä. Diese Wörter, die in einem geschichtlichen Zusammenhang auch heute durchaus noch verwendet werden, kommen nach der 12. Auflage (1941) nicht mehr vor, ebenso wenig die Abkürzungen NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei), SA (Duden 1934: Sturmabteilung der NSDAP), SS (1934: Schutzstaffel der NSDAP) und der sonstige NS-Wortschatz.
Warum? Der Duden, dessen Ausgaben 1934 und 1941 voll „auf Linie“ waren, hat sich nach dem Krieg in der 13. Auflage (Leipzig 1947) lexikalisch „entnazifiziert“. Politisch war das damals notwendig, aber gilt das noch 2024, fast 80 Jahre nach dem Ende des 3. Reichs (auch dieser Name wird nicht gebucht)?
Geblieben vom 3. Reich ist im Duden Nazi (kurz für Nationalsozialist). 1986 bedeutete es noch: verächtlich für Nationalsozialist und meinte ein ehemaliges Mitglied der NSDAP. Inzwischen sind diese Mitglieder gestorben oder über hundertjährig, und Nazi ist frei geworden für eine neue Verwendung, nämlich als politisches Schimpfwort gegen alle, die irgendwie „rechts“ sind, gerne mit verstärkendem Zusatz: Nazi-Abschaum, Nazi-Dreck u. Ä. Diese Bedeutungsentwicklung, die mit einem inflationären Gebrauch des Wortes (auch als Adjektiv: „das ist doch nazi“) einhergeht, wird im Duden-Eintrag überhaupt nicht vermerkt.
Gender
Das Genderthema beschäftigt die Duden-Redaktion intensiv: Hieß es 2020 noch unter Gender-Mainstreaming (Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau), geht es 2024 um „Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter“, also Mann + Frau + X.
Im allgemeinen Teil gibt es – wie 2020 – ein eigenes Kapitel „Geschlechtergerechter Sprachgebrauch“ (Seiten 130-132), das mit der Behauptung beginnt: „Um die Gleichstellung [der Geschlechter] zu realisieren, ist der Sprachgebrauch ein relevanter Faktor“. Und weiter: „Bei Bezeichnungen wie die Antragsteller, alle Schüler, Kollegen ist sprachlich nicht eindeutig, ob nur auf Männer referiert wird oder ob auch andere Personen gemeint sind.“
Es ist aber vom sprachlichen und sachlichen Kontext durchaus eindeutig, ob eine Personenbezeichnung im Maskulin Plural sich nur auf männliche Personen bezieht oder alle (sog. generisches Maskulinum): Wenn es heißt „Die Wähler haben entschieden“, dann sind heute Männer + Frauen gemeint, vor Einführung des Frauenwahlrechts (in Deutschland 1919) nur Männer. Es ist auch keine Beamtin bekannt, die jemals gegen die Erhöhung der Beamtengehälter protestiert hat, weil es „sprachlich nicht eindeutig“ sei, ob auch Frauen die Gehaltserhöhung bekommen.
Zum Vergleich: Das deutsche Pronomen sie „referiert“ auf Sachen oder Personen und bei Personen auf eine Frau (sie kommt) bzw. eine Anzahl Frauen, Männer oder Frauen + Männer (sie kommen), ohne dass die Deutschsprecher Schwierigkeiten haben zu verstehen, was gemeint ist.
Auch bei der Einschätzung der Sprachwirklichkeit in puncto Gendern kommt die Duden-Redaktion zu wissenschaftlich falschen Urteilen: Im Duden 2020 „beobachtete“ sie, „dass sich die Variante mit Genderstern in der Schreibpraxis immer mehr durchsetzt“ [Hervorhebung des Autors]; 2024 hingegen sind es „die Varianten mit Genderstern und mit Doppelpunkt“, die sich „weiter verbreiten“. Faktisch haben diese Schreibweisen (Lehrer*innen bzw. Lehrer:innen) außerhalb geschützter (und staatlich finanzierter) Milieus im freien Sprachgebrauch keine Chance.
Im Wörterverzeichnis leistet der Duden übrigens seit längerem einen eigenen Beitrag zur sprachlichen Gleichstellung. Bei Personenbezeichnungen wird jeweils die Maskulin- und Femininform gelistet: Arbeiter, Arbeiterin; Augsburger, Augsburgerin usw. Im Fall morphologisch unregelmäßiger Femininbildung (Arzt : Ärztin, Koch : Köchin) ist diese Doppelnennung lexikographische Tradition, bei regelmäßiger Bildung aber überflüssig und macht Tausende neuer Einträge nötig.
Zudem führt diese automatische Doppelnennung zu Fehlern: Eine Junghegelianerin – die Junghegelianer waren eine Gruppe (männlicher) deutscher Intellektueller, die um 1850 die Philosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) fortentwickelten – hat es nie gegeben, wohl aber gibt es die Deppin, die im Unterschied zur Idiotin nicht im Duden steht.
Fazit
Die angekündigte „völlig neu bearbeitete“ Auflage ist der Rechtschreib-Duden 2024 keineswegs. Es handelt sich um eine aktualisierte Fassung der 28. Auflage von 2020, und Nutzer, die diesen Duden besitzen, werden in den meisten Zweifelsfällen damit weiter auf dem Laufenden sein. Für die nächste Auflage des Duden wäre wegen seiner lexikographischen Schwächen – das Layout ist ausgezeichnet – eine völlige Neubearbeitung allerdings zu wünschen.
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„Um die Gleichstellung [der Geschlechter] zu realisieren, ist der Sprachgebrauch ein relevanter Faktor“
In meinen Augen kann es eine Gleichstellung von Frauen und Männern erst geben, wenn es keine separaten Regeln oder Gesetze für Frauen mehr gibt. Im Arbeitsschutz und auch an anderen Stellen gibt es sie aber nach wie vor. Zudem müssten selbstverständlich Frauen sowohl wie Männer zum Militärdienst eingezogen und an den Waffen ausgebildet werden – natürlich mit dem gleichen Gepäck!
Erst dann sind Frauen und Männer gleichgestellt.
Das schreibe ich als Frau, die es genießt nicht gleichgestellt zu sein!
Warum soll ich mir einen neuen Duden kaufen? Mein einziges Zugeständnis an die neue Rechtschreibung ist, auf das „ß“ nach kurzen Vokalen zu verzichten. Sonst benutze ich die Ausgabe von 1985, die ich mir für die Schule gekauft hatte.
Die Bäume, die hierfür (ebenso wie für das zu erwartende Machwerk der Hamburger Pfaffentochter) sterben müssen, können einem leid tun.
Die Definition von „woke“ ist inkorrekt.
Sie müsste lauten: „Übetrieben engagiert gegen echte und vermeintliche Diskriminierung zum Zwecke der eigenen Besserstellung“.
Ich habe mir vor einiger Zeit im Antiquariat den Duden „Die Rechtschreibung“ von 1980 und „Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen“ von 1968.gekauft. Ich bin auf meiner Penne zu stark in Deutsch gedrillt worden, um jeden Firlefanz mitzumachen.
„Das deutsche Pronomen sie „referiert“ auf Sachen oder Personen und bei Personen auf eine Frau (sie kommt) bzw. eine Anzahl Frauen, Männer oder Frauen + Männer (sie kommen), ohne dass die Deutschsprecher Schwierigkeiten haben zu verstehen, was gemeint ist.“
Der Plural ist im Deutschen immer weiblich, da es ohne Frauen keinen Plural gäbe – die Tätigkeit hingegen ist männlich und den normalen Menschen ist das Geschlecht beim Bäcker völlig egal – das Brot soll gut schmecken!
„weltanschaulich gefestigt“
Deutlicher war eine Nichtkaufempfehlung selten formuliert – Danke.
Bei „woke“ muss ich leider korrigieren, denn „(in hohem Maß engagiert gegen Diskriminierung)“ ist die Selbstsicht. Tatsächlich handelt es sich dabei um Menschen, die ihre eigenen Gefühle für absolut setzen und meinen sich durch „virtue signaling“ in ihrer Blase Ansehen verschaffen zu können.
Dummheit ist nicht zu überbieten:
„Fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder in der Apotheke. Schlimmer kann Diskriminierung nicht sein.
Apothekerinnen gibt es in der DDR 2.0 nicht.
Zu Dummheit ibt es einen interessanten Artikel im Cicero:
„Die Dummheit als moderne Epidemie„Wenn Dumme an die Macht gelangen, gefährden sie nicht nur sich selbst, sondern vor allem andere.
https://www.cicero.de/kultur/gefahr-fur-die-demokratie-epidemie-der-dummheit
Ich habe in meinem Bücherregal noch einen Duden aus dem Jahre 1968 stehen, also aus einer Zeit, in der man sich für das Beherrschen der Rechtschreibung noch nicht zu schämen brauchte. Heute überkommt mich die Fremdscham, wenn ich einen aktuellen Duden aufschlage und sehe, wie man unsere Sprache ohne Not verhunzt hat und dies auch immer weiter und in einer dem Zeitgeist hinterherhechelnden (ja, schreibt man heute auseinander) Geschwindigkeit fortführt. Der Duden ist in meinen Augen ein sprachwissenschaftlicher Zombie. Noch nicht ganz tot, aber auch nicht mehr so richtig lebendig.
Alles fest in Satans Hand. Mehr fällt mir zu diesem absolut bösartigen und idiologischen Wahnsinn in diesem Land nicht mehr ein. Egal ob Sportevents, Kitas, Filme, Kirchen, oder nun auch der Duden, alles wird ideologisiert.