Auf einem Wiener Mistplatz herrscht strenge Ordnung. Bis in der Sperrmüllwanne ein menschliches Knie gefunden wird. Weitere Leichenteile tauchen auf, die entgegen der Mistplatzordnung und zum Leidwesen der Müllmänner nicht korrekt eingeworfen wurden. Nur vom Herz des zerlegten Toten fehlt jede Spur.
Wohin gehört eigentlich ein menschliches Knie bei der Mülltrennung? Jedenfalls nicht in den Container oder wie der Wiener sagt: Wanne, also »Wanne 4, dort nur Sperrmüll«. Aber wohin gehört es dann? »Menschliches Knie wäre natürlich, wenn schon, Bio-Müll. Wanne 19. Oder zur Not, zur äußersten Not von mir aus Kompost. Wanne 12. Also abgesehen davon, dass ein menschliches Körperteil bei uns sowieso nichts zu suchen hat, das muss ich hoffentlich nicht extra sagen. Menschliche Körperteile: Magistratsabteilung 43, Friedhöfe. Und nicht Magistratsabteilung 48, Abfallwirtschaft. Aber rein von den Wannen her gedacht, sag ich: Wanne 12, Wanne 19, da lass ich mit mir reden, aber sicher nicht Wanne 4.«
Was also tun, wenn menschliche Körperteile in falschen Wannen auftauchen? Umsortieren oder ist mehr dahinter?
Wien hatte immer schon ein besonderes, ein makabres Verhältnis zum Tod. Nirgendwo wird er so inbrünstig besungen. Gut, das wusste man, literarisch und überhaupt. Es gibt aber durchaus kulturelle Veränderungen. Ist das der Fortschritt, von dem sie immer reden? Denn die Stadt ist mittlerweile auch führend in Fragen der Mülltrennung, pflegt eine Art „Müll-Buddhismus“, den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen, dessen Drehscheibe der Sortierplatz der Müllabfuhr ist. Die Frage nach dem menschlichen Knie in Wanne 4 ist freilich weniger Müll-analytisch oder religiös zu behandeln, sondern nur der Beginn eines turbulenten Krimis der in die neuen Abgründe Wiens führt.
Man erfährt allerhand Abseitiges, auch Wissenswertes über das Recyclingwesen, ist mit dem Ermittler wider Willen Brenner dem einzig nicht auf dem Mistplatz zu findenden Leichenteil auf der Spur und lernt einiges über gepflegtes Fremdwohnen, eine Art Mietnomadentum in vorübergehend ungenutzten Wohnungen, Airbnb für Mittellose gewissermaßen.
Bei Haas wundert man sich eher über die Feinheiten der städtischen Müll-Sammel- und Trennungsverordnung zum Recycling von Wertstoffen, die früher als Mist auf dem Feld gelandet sind oder im nächsten Bach respektive Waldstück. Die Hirnwindungen des ermittelnden Müllmanns sind komplex und kreisen um den Täter, kreisen in ein und führen hin zu einem furiosen Ende mit Auto – das anschließend auf einem bayerischen Recycling-Hof landet. Der wiederum im Wettstreit mit dem Wiener Mistplatz um die perfekteste Sortierleistung steht …
Für Spannung ist also gesorgt, auch für hintersinnige, makaber-ironische sowie scharfsichtige Sinniererei hinsichtlich des Fortgangs einer Entwicklung, die mit einem unkorrekterweise in Wanne 4 geworfen Knie beginnt und Ausgangs- wie Endpunkt des Geschehens bleibt.
Wenn sich beim Lesen der Schrecken über die ruchlose Tat mit lautem Lachen und Schmunzeln abwechseln – dann liest man einen Krimi von Wolf Haas! Dem ist mit »Müll« ein neuer spannender Plot gelungen, der auch vom Lokalkolorit lebt und ein grelles Licht in menschliche Abgründe wirft, wie auf alles, dessen sich der Mensch regelkonform oder regelwidrig entledigt. Leicht, hintersinnig und flott erzählt, immer mit einer Mischung aus Humor und Boshaftigkeit denkt er gekonnt um die Ecke, um dann wieder in den Hauptstrom einzubiegen – der zudem alle Elemente eines klassischen Krimis bietet.
Eine Empfehlung für alle Liebhaber makabrer und ironischer Geschichten – unbeschwerte Leselust und Spannung bis zum nächsten Mülltransport garantiert.
Wolf Haas, Müll. Hoffmann und Campe, Taschenbuch, 288 Seiten, 15,00 €.
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Ich war mal in Mülle beschäftigt, zu dem Thema kann ich etliche Abende füllen, danke für den Buchtip.
Zu der Frage wohin mit dem Knie: Das käme darauf an, ob es Implantat enthält. Wenn was drin, ist es Sondermüll, ansonsten „braune Tonne“, also Bio.
Wir hatten in der Mülle genug Ärger mit wohl totgeborenen Pferdeähnlichen und Katzen, menschenähnliches Material in Form von Gummipuppen, irgendwann langt es, also bitte: Menschenknie in die „schwarze Tonne“, Restmüll, nicht in den „gelben Sack“!