Werbung und ihre Kommunikation sorgen für »das Gute« in der Welt und übernehmen »gesellschaftliche Verantwortung«. Deshalb werden Marken sensibel. Z-Saucen werden abgeschafft. Der Ben’s-Reis verliert seinen »Onkel«. Der »Weiße Riese« ist sowieso ein Nazi. Ein Buchauszug
Kommunikationswissenschaftler gehen davon aus, dass jeder Mensch Tag für Tag mindestens 3000 Werbebotschaften (einige gehen sogar von 8000 werblichen Signalen aus) wahrnimmt. Vom Aufdruck auf einem Kugelschreiber, den Plakaten im Bus oder der U-Bahn, den endlos erscheinenden 5-Sekunden-Werbeblöcken vor dem Youtube-Video, dem Werbefernsehen. Diese Botschaften wirken direkt, viel öfter aber latent auf uns ein.
Kaum etwas ist ebenso präsent wie sämtliche analogen und digitalen Formen bezahlter Kommunikation, der heute keiner entgehen kann. Zwar nimmt die Anzahl der Menschen, die Werbung vermeiden, stetig zu (man beachte nur die fast ausnahmslosen Beklebungen von Briefkästen mit dem Signet »Keine Werbung einwerfen«), und AdBlocker sind im Hochbetrieb, aber über neue Formen der Überzeugungsarbeit sind die Botschaften der Werbung keine soziale Nischenrealität, sondern vielmehr absolut und ständig wahrnehmbar in sämtlichen Lebensbereichen.
Damit aber ist Werbung mindestens ein ebenso beständiger und wirkungsvoller Teil der Wirklichkeit wie die vermeintlichen Träger der sozialen Wirklichkeit: Schulen, Medien, Museen, Theater oder ambitionierte Kulturinstitute.
Zeigt man Menschen zehn globale Markenlogos, so besteht in der Regel keinerlei Schwierigkeit, dass die größtenteils abstrakten Symbole den korrekten Namen zugeordnet werden. Zeigt man hingegen Blätter der in Europa verbreitetsten Bäume, so wird es spätestens nach Birke und Eiche äußerst still. Fünfjährige haben Dutzende von Werbeslogans parat – das Rezitieren von altbekannten Weihnachts- oder gar Volksliedern bricht abrupt nach der ersten Zeile ab. Das mag jeder wahlweise als Siegeszug der bezahlten Kommunikation oder aber als Niedergang der Kultur empfinden, es verdeutlicht jedoch, dass Werbung die Wirklichkeit, unser tagtägliches Denken, in einem entscheidenden Maße beeinflusst.
Werbung war nie Selbstzweck, sondern immer Mittel zum Zweck, nämlich zur Gewinnung des öffentlichen Vertrauens in eine Leistung, die unter einem bestimmten Namen erbracht wird: egal, ob es sich um ein Auto, eine Bohrmaschine, eine Pauschalreise, eine Partei oder eine Matratze handelte. Warum war dies wichtig? Um über lange Sicht den Aufwand zu verringern, den es braucht, um einen Menschen zum Kauf eines bestimmten Produktes zu bewegen. Das zu erzeugende Mittel dafür: Vertrauen. Senkung der Transaktionskosten nennt es der Ökonom etwas theoretischer.
Die Tatsache, dass Werbung heute gesellschaftliche Botschaften über die Leistungen einer Marke hinaus vermitteln will, hat seine Ursachen in der Festlegung genereller Bedürfnisse und Vorstellungen über die Welt, wie sie zu sein habe, durch ein äußerst eng vermessenes soziales Milieu der Werbe- und Kommunikationswelt. Gleichzeitig verstehen sich politische Parteien immer öfter als »Produkte« und arbeiten mit ausgewiesenen Konsumgüter-Werbeagenturen zusammen, die ihre Ausrichtungen und kreativen Lösungen frei wählbar im Sinne eines »Wo gewinnen wir am meisten Zuspruch« imaginieren und punktgenau kreieren.
Wie ist es dazu gekommen, dass die schöne, aufregende und ambitionierte Werbewelt und das normale Leben so gar nichts mehr miteinander zu tun haben? »Menschen kaufen schon längst keine Produkte mehr, sondern nur noch ein Image …« Im zeitgenössischen Marketing gilt die Auffassung, dass Produkte und Dienstleistungen leistungsspezifisch kaum noch unterscheidbar wären. Deshalb läge der Wert einer Marke nicht mehr in ihrer Leistung, sondern vor allem an gefühlten Werten und Zuschreibungen – also das Image mache Marken.
Eine Beobachtung, die unter dem Begriff »Higher Purpose« oder »Collective Purpose« zusammengefasst wurde. Unternehmen würden langfristig nur bestehen können, wenn sie übergreifende, am globalen Gemeinwohl ausgerichtete Ziele in den Fokus rücken würden. Unter dem Begriff des »Purpose« sollten Unternehmen vornehmlich dazu beitragen, die großen Herausforderungen der Zeit (vor allem Umweltschutz, Klimawandel, Rassismus, Gerechtigkeit, Gender) zu lösen. (…)
Werbung und ihre Kommunikation sorgen für »das Gute« in der Welt und übernehmen – so heißt es in Pressemitteilungen – vor allem »gesellschaftliche Verantwortung«. Deshalb werden Marken sensibel, auch in Bezug auf ihre Vorbildfunktion: Bahlsen hat sich dazu entschlossen, die Markenikone »Afrika« umzubenennen, da der schokoladige Keks allen Ernstes braun ist. Z-Saucen werden abgeschafft. Der Ben’s-Reis verliert seinen »Onkel«. Der »Weiße Riese« ist sowieso ein Nazi, und alle sind entsetzt, dass »Proper« ein »weißer Meister« ist. Er sollte aber wirklich umgehend seine ethnische Hegemonie aufgeben.
Auf Plakaten und Werbeanzeigen achtet man auf ein ausgeglichenes Verhältnis aller menschlichen Hautfarben und Schattierungen – vom Verhältnis Mann/Frau/Divers ganz zu schweigen. Alte Menschen scheinen nur noch Basecaps und Jeans zu tragen, haben riesengroße Kopfhörer auf und fahren den gesamten Tag auf ihren Skateboards unsagbar cool umher. Gaga-Rentner allenthalben. Man darf alles, aber bitte keine Würde mehr ausstrahlen. So viel Ausgeglichenheit, Anti-Klischee, Achtsamkeit und erzieherischer Wille war in Werbung und Unternehmenskommunikation noch nie. Die Welt, die wir kennen, wird bald eine andere sein … eigentlich sind wir bereits am Ziel, und Werbung war noch nie so wahr wie heute. (…)
Was ist aber, wenn diese Form der Werbearbeit eben die Akteure vernichtet, die überhaupt erst durch ihre schnöde Leistungserbringung gegen Geld das Budget erarbeiten, um – ganz sozial – Menschen ordentlich zu bezahlen oder anfallende Steuern, die unsere Straßen, Schulen und Sicherheit finanzieren, zu ermöglichen? Was ist, wenn viele Menschen von einer Marke gar nicht erwarten, dass sie ihnen über deren Leistung hinaus die Welt erklärt oder sogar verdeutlicht, was vermeintlich »richtig« und was vermeintlich »falsch« ist? Was ist, wenn sich viele Menschen ob so viel »Sinnhaftigkeit« entnervt abwenden, weil ihnen der Brotaufstrich, die Rasierklinge und das Spülmittel plötzlich aufzeigen möchten, welche »die beste aller Welten« sei … Und unter uns: Was so selbstlos und altruistisch daherkommt, ist perfider als die ehrliche Aussage, dass der primäre Sinn eines Unternehmens und seine Daseinsbedingung das möglichst lukrative Erzielen von Profiten ist.
Profite, die es möglich machen, Mitarbeiter auf allen Stufen anständig zu bezahlen und damit wahrhaft »sozial« zu agieren, und zwar vor allem für die, die nicht täglich im Bio-Markt einkaufen und ihren Yoga-Retreat auf Bali buchen können. Mit Profiten bezahlt man Löhne und Lieferanten. Mit Profiten kaufen sich Mitarbeiter Nahrungsmittel, vielleicht auch manchmal einen teuren Wein oder einen echten Schweizer Käse, sie finanzieren ihr Reihenhaus im Grünen und den Gitarrenlehrer ihrer Kinder oder eine wohlverdiente Massage. Was ist, wenn nicht der Sinn die Gier schlägt, sondern die Gier den Sinn nur benutzt? (…)
Unternehmen wirken erzieherisch und agieren als »Verkünder« des Lebens- und Lifestyles einer gut gestellten kosmopolitischen Elite. Ist das nicht wahrhaft böse? Die entscheidende Frage wird nicht gestellt: Erwarten Menschen von ihren Marken überhaupt ein gesellschaftliches Commitment – auch wenn sie es so von sich behaupten? Trägt gesellschaftliches Commitment überhaupt dazu bei, die Wertschöpfungskraft eines Unternehmens zu stärken? Das mögen profane, ja fast unerhörte Fragen sein angesichts der angegangenen Aufgabe der Weltenrettung. (…)
Immer wieder wird das Argument vorgebracht, dass Marken die Möglichkeiten, von sich selbst zu berichten, als ein verändertes Verständnis der Welt und ihrer Wichtigkeiten aufgreifen würden. Marken fungierten als Spiegelbild eines neuen, modernen, partizipativen, grünen und achtsamen Zeitgeistes. Auf den ersten Blick sicherlich nachvollziehbar und plausibel.
Jedoch stellen sich Fragen: Geht es uns darum, ein gutes Bild von uns zu zeichnen – vielleicht gerade, um von den Realitäten abzulenken? Haben Unternehmen ein Interesse daran, eine (Werbe-) Wirklichkeit zu bespielen, um eben nichts an ihren realen Geschäftsmodellen ändern zu müssen, und bietet nicht auch der Mythos »veränderter Erwartungen« große Verkaufspotenziale für Agenturen, Berater und Analysten, um die Unternehmen wieder »auf Spur« zu bringen?
Ein genauerer Blick tut Not.
Leicht gekürzter Auszug aus:
Oliver Errichiello, Werbung für den Zeitgeist. Wenn bunte Kampagnen in Wirtschaft und Politik die Wirklichkeit ignorieren. LMV, Hardcover mit Überzug, 240 Seiten, 22,00 €.
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Die Werbung sendet schon lange keine Botschaften mehr. Es sind Provokationen der primitivsten Machart. Man fragt sich, wen sie damit erreichen wollen? Veggie-Burger, importierte Elektroautos, die von Farbigen gefahren werden, Männer, die Hausarbeit verrichten und irgendwelche Schoko Milchriegel, ist sexuell desorientiertes Wunschdenken.
Es ist weitgehend einfach….ich mache es so wie die „Kollegen“ in den USA….ich kaufe Produkte die „woke“ beworben werden nicht mehr. Das fällt zwar schwer….weil es immer mehr Produkte werden….aber es geht noch. Angefangen von Autos über Versicherungen, Banken bis zu Kleidung und Lebensmitteln. In den USA führt das so langsam zum umdenken. Siehe Bud-Light und Co. Wie so vieles aus den USA zu uns hinüberschwappte….POC, BLM, wokeness, LGBTQ2+….so schwappen auch die Gegenbewegungen irgendwann hinüber. Leider sind die großen Investement-Firmen….auch die ehemalige von Herrn Merz….sehr in diese Woke-ness involviert und fordern von den Firmen in die sie investieren zum Teil… Mehr
Super beschrieben und geschrieben.
„»Menschen kaufen schon längst keine Produkte mehr, sondern nur noch ein Image …«“
Also was meine Wenigkeit betrifft hat das schon sehr gewirkt. Ich kaufe inzwischen ausschließlich nach dem Preis. Geiz ist geil und das mit wachsender Begeisterung.
Aliexpress ist übrigens konkurenzlos günstig (gibt da natürlich nicht alles in der gewünschten Qualität).
Die sinnfreien Buchstabenreihungen wie „Bio“, „Nachhaltig“, „Fair“ und ähnlich erbrochenem führen bie mir automatisch zum Auslisten.
P.S.: Ich könnte schon im „Bio.Markt“ einkaufen, aber warum sollte ich? Ich bin doch nicht bescheuert. Und die gesparte Kohle investiere ich dann in einen größeren Boliden.
Man erinnere sich an die super schöne Langnese-Werbung:
https://www.youtube.com/watch?v=EQGgm1oK0GE
Sowas ist heute leider nicht mehr möglich.
Stimmt. Früher gab es echt coole Werbung die schon alleine für sich einen Unterhaltungswert darstellte. Heute ist das nur noch permanente und üble Belästigung. Aber so reagiere ich dann auch auf die beworbenen Produkte.
Im Lieblingsrestaurant – Chefkoch ist Balkanese, mutmaßlich stock-S-Wort – bestelle ich immer gern das Z-Wort-Schnitzel, das mir auch genau unter der herkömmlichen Bezeichnung empfohlen wird.
Serviert wird das dann von einer Kellnerin, reizende Person mit strahlendem Lächeln, deren blendendweiße Zähne sich klar von der Hautfarbe abheben. Man wird verstehen, was ich meine, „N-Wort“.
Anderer gern aufgesuchter Laden wird von einem S-Auge geführt. Bestimmt 5. Kolonne Pekings. Dort bestelle ich immer Jäger- oder Bauernschnitzel und beschwere mich dann lautstark, daß das Fleisch wohl eher vom Schwein sei, nicht vom Jäger oder Bauern.
Dazu dann ein Bier, Prost!
Also ich finde die „Neue Werbung“, falls ich das überhaupt über mich ergehen lasse, weil ich gerade mal zu müde oder faul bin, um mich vom Sofa zu erheben, idiotisch, dämlich, nervtötend, kindisch naiv – gequirlter Schwachsinn ist da noch gelobt. Oft frage ich meinen Mann: hast du überhaupt verstanden, was da beworben werden soll, um welches Produkt es da geht? Aber klar, jetzt geht mir gerade ’ne Stall-Laterne auf – es ist die verblödete Zeitgeist-Gesellschaft, die mir da gezeigt werden soll. Früher erklärte Frau Klementine, daß Ariel nicht nur sauber, sondern auch reinwäscht. Heute macht der Hausmann-Pappi die ganze… Mehr
Eine andere These: Je mehr die Politik durch Regulierungen und Subventionen zum wichtigsten Kunden wird, desto mehr richtet sich die Werbung an eben diesen Kunden. Der politischen Klasse und ihrem Umfeld möchte man im vorauseilenden Gehorsam gefallen.