Vielmehr eine Geschichte als ein Ort: das Abendland

Paul Badde, römischer Weltbürger rheinischer Provenienz, gehört zu den Berufensten, die einen Streifzug durch die Kultur des alten Europas machen könnten. Er erzählt in seinem Buch »Abendland« von der Sehnsucht nach einer Idee, die diesen Kulturkreis einst ausgemacht hat und weit über das hinausweist, was heute die »EU« darstellt.

Für den renommierten Historiker und Journalisten Paul Badde ist das Abendland mehr als ein kleiner Erdteil im Westen der eurasischen Landmasse. Kenntnisreich und unterhaltsam schildert der ehemalige »WELT«-Korrespondent eine Geschichte, in der das Abendland als geistiger und geistlicher Kontinent erkennbar wird. Herausgekommen ist dabei ein absolut lesenswertes Buch.

Es gibt Bücher, die schreibt ein Autor nie zu Ende. Wer Pech hat, beendet sein Lebenswerk schon mit 18, wie Rimbaud, und versucht sich danach mit dubiosen Geschäften über Wasser zu halten. Oder er wird nie fertig, wie Goethe mit seinem »Faust«. Das gilt nicht nur für Dichter, sondern auch für Journalisten: »Als dieses Buch in seiner allerersten Fassung im Sommer 1999 in München erschien«, bekennt Paul Badde im 1. Kapitel, »war ich 51 Jahre alt und dieser Bericht dennoch eine Art Jugendwerk, oder eine Vorskizze für ein größeres Gemälde« – das er nun über 20 Jahre später vollendet hat.

In diesem Zusammenhang lohnt zu wissen, dass Badde bis 1999 für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« schrieb und ab 2000 als Korrespondent der »WELT« in Jerusalem und Rom tätig war, zwei Städte immerhin, die die Welt bedeuten. Noch immer Wahl-Römer wagt Paul Badde mit »Abendland« einen Blick zurück nach vorn. Es geht um das »Haus Europa«. Auf die Idee dieser Darstellungsweise brachte ihn Michail Gorbatschow, damals noch Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, der das Bild des »Europäischen Hauses« in mehreren Reden verwendete. Auch das ist längst Geschichte.

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Badde, römischer Weltbürger rheinischer Provenienz, gehört zu den Berufensten, die einen Streifzug durch die Kultur des alten Europas machen könnten. Badde schreibt voller Lebenslust mit dem Blick eines Liebenden. Seine Bücher sind eine gelungene Melange rheinischer Fabulierfreude mit dem Gestus katholischer Weltgewandtheit.

Die offenbart sich, wenn er mit der Gründlichkeit eines Historikers analysiert: »Ohne das Grab des Apostels Jakobus in dieser Kirche würde Spanien heute wohl am ehesten der Türkei gleichen. Europa aber hat sich um das Netz der Pilgerwege zu dieser Kathedrale herum entwickelt. Eine Brise vom Atlantik weht durch das Kellergewölbe, in das links und rechts zwei Treppen hinunterführen. Ein silberner Stern leuchtet aus einem Winkel hervor. ›Dreh dich um, Europa!‹, lese ich gegenüber auf einer bronzenen Inschrift: ›Von Santiago aus rufe ich Dir zu, altes Europa, in einem Schrei voller Liebe: Kehr um und begegne dir! Sei wieder du selbst!‹, steht dort auf Spanisch. Das hat Johannes Paul II. hier am 9. November 1982 Europa zugerufen.«

Sätze, die heute fast schon gefährlich sind; und ganz so, als wende sich das Blatt, zeigt er sein romantisches Gesicht: »Ich dreh mich wieder zu dem silbernen Sarg des Apostels Jakobus um… Dieses Grabes wegen gibt es dieses Haus, diese Stadt, und den Westen Europas so, wie er geworden ist. Hier ist das Ende der Milchstraße, auf der früher einmal die Götter zur Erde glitten, hier liegt ›Sankt Jakob im Sternenfeld‹«.

Ein Blick durch das Kaleidoskop der Weltgeschichte über die Gräber der Kulturen hinaus. Eines der Geheimnisse Baddes besteht darin, dass er nicht distanziert berichtet, sondern sich selbst in seinen Berichten widerspiegelt. Egon Erwin Kisch oder der zu Unrecht kaum noch beachtete Georg Stefan Troller lassen grüßen; deren Kosmopolitismus ist auch Baddes treuer Begleiter.

Baddes Berichte sind wie kleine Filme, die einen Bilderreigen vor dem inneren Auge des Lesers ablaufen lassen, bewegte Bilder, die für den Betrachter zu Bildern werden, die ihn bewegen. Er berichtet, darin liegt die Kunst des Reporters, immer auch von sich selbst, indem er das Ganze ins Auge nimmt. Was er schildert, verbindet sich immer mit seiner Geschichte. Seine Geschichten sind hautnah erlebt, deshalb gehen sie auch unter die Haut. Badde schafft es, unaufdringlich zu bleiben, wo Distanz erforderlich ist und persönlich zu werden, wo Nähe am Platz ist. Das ist nicht nur die Frucht der Genauigkeit der Beobachtung, sondern auch der Genauigkeit der Sprache.

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Das äußere Bild, das Badde sucht und über das er so oft berichtet, ist zugleich sein inneres Bild. Der Bilderreigen ist Widerschein seiner Seelenbilder. So beschreibt er mit pastosen Pinselstrichen den Traum vom Himmlischen Jerusalem. »Gibt es ein schöneres Gebäude auf der Welt? Dreitausend Jahre haben in dem Komplex Platz… Kreuzgänge wechseln mit Gärten und Innenhöfen in ihm ab, Vorder- mit Hinterhäusern, Türmen, Bibliotheken, Hallen, Kammern, Kapellen, Erkern und Kerkern und Sälen voller Bilder. Aus Hunderten von Fenstern winken uns Personen zu. Und wenn die Fenster offenstehen, weht durch das Gebäude immer ein Hauch von Ewigkeit, vom Himmel und der Hölle her«.

Aber da, wo es wie ein Vexierbild autochtoner Erinnerungen aufscheint, wird es zum Nachbild der Seele: »So war es schon damals, als mich mein Vater erstmals als kleines Kind in den verzweigten Komplex mitnahm, und so ist es auch heute noch, wo es hier nur einer langen Leiter bedarf, um in jenen Festsaal im Gewölbe des Firmaments hochzusteigen, wo wir die Propheten im Gespräch über ihren Lieblingsort noch einmal zu Tisch bitten und ihnen lauschen wollen – bevor wir uns selbst in allen Zimmern des riesigen Gebäudes auf die Suche nach der Neuen Stadt machen werden.« Was dann folgt, das ist Schibboleth, das die Erinnerung aufschließt: „Auf einer kleinen Lichtung hinter meinem Elternhaus, die wir als Kinder den ›Abendplatz‹ nannten, lehnen wir die Leiter einfach an den Himmel. Der Morgenstern leuchtet funkelnd über dem Ort, wie ein Signale sendender Satellit.«

Ein reines Lesevergnügen, ist das was Paul Badde beschert. Der Leser kann seinen Reisebildern folgen wie ein Detektiv. Er kommt Dingen auf die Spur, deren Vorhandensein sich vielleicht ahnen lassen, die aber noch nie jemand gesehen hat. Dieses Buch wird eine Flut von Bildern freisetzen, die wohltuend auf die stressgeplagte Seele wirken. Und noch etwas: Jerusalem und Rom sind Städte, die die Welt bedeuten. Wer aber nicht weiß, dass auch Schaag Mittelpunkt der Welt ist oder naserümpfend darüber den Kopf schüttelt, sollte unbedingt eins tun: Paul Badde lesen.

Diese Besprechung von Burkhardt Gorissen erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

Paul Badde, Abendland. Die Geschichte einer Sehnsucht. Fe-Medienverlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 464 Seiten, 17,80 €.


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Wiener
2 Jahre her

Das Abendland ist eine Schöpfung der germanischen Stämme, die die europäischen Nationen geschaffen haben, aufgebaut auf dem griechischen, römischen und keltischen Erbe.