Frankreich im Jahr 2022: Nach Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen im Vorfeld der Wahl verbünden sich Frankreichs linke und bürgerliche Parteien PS, UDI und UMP mit der Bruderschaft der Muslime, um einen möglichen Wahlsieg der Rechten um Marine LePen zu verhindern. Statt François Hollande übernimmt der Kandidat der muslimisch-liberalen Partei, Mohammed Ben Abbas, die Präsidentschaft des krisengeschüttelten Landes – mit erstaunlichen Folgen: Unter Berufung auf historische Ideen von Beloc und Chesterton, selbst auf die Papst-Enzyklika »Quadragesimo Anno« von Pius XI. wird Bildung privatisiert, staatliche Förderung für Wirtschaft und Eliten auf ein Minimum zusammengestrichen, die Arbeitslosigkeit reduziert (dank der Tatsache, dass Frauen zuhause bleiben.) Präsident Ben Abbas etabliert in kürzester Zeit eine neue Gesellschaftsordnung, die auch den Abschied von sozialstaatlichen Prinzipien bedeutet: Die Verringerung der Sozialausgaben um 85% wird schönfärberisch mit dem Schlagwort »Soziale Solidarität« und einer Verlagerung der Verantwortlichkeit ins Private, in die Familie verbrämt.
Die Wirtschaft boomt, quasi über Nacht scheint das von Anschlägen und Unruhen gebeutelte Frankreich befriedet, die bürgerkriegsähnlichen Zustände beendet. Aus der erzählerischen Perspektive von François, einem Universitätsprofessor mittleren Alters, beschreibt Houellebecq die tiefgreifende Veränderung einer Gesellschaft. Hinter der gebildeten, kultivierten Fassade des Akademikers, den intellektualisierenden Gesprächen in universitären Zirkeln verbirgt sich ein Abgrund der Leere, Bindungs- und Haltlosigkeit, der einzig durch gelegentliche sexuelle Abenteuer unterbrochen wird. Längst überfordert den Roman-Protagonisten die komplexe, konfliktträchtige gesellschaftliche Realität in Frankreich, er zieht sich in ein weitgehend freudloses privates Leben zurück. Darin besteht die Parallele zum wenig bekannten Romancier Joris-Karl Huysmans (1848 – 1907), den Houellebecq als Spezialgebiet des Literaturprofessors der Sorbonne beschreibt und damit quasi zu dessen historischem Alter Ego stilisiert. Ebenso saturiert, orientierungs- und in gewisser Weise intellektuell und sozial heimatlos wie François, unterwarf sich Huysmans der Religion – nur eben dem Katholizismus, über 100 Jahre früher.
François nimmt den tiefgreifenden Wandel einer liberalen Gesellschaft eher beiläufig zur Kenntnis: Seine junge jüdische Geliebte, deren einzig erinnernswerte Eigenschaften ein knackiger Allerwertester und ihr Ausruf »… ich liebe, glaube ich, den Käse!« sind, emigriert mitsamt Familie nach Israel, auf der Flucht vor den politischen Umwälzungen. Sein kurzes Bedauern über den Abschied betäubt der Literaturprofessor mit neuen sexuellen Eskapaden. Eher phlegmatisch registriert er die plötzliche Abwesenheit weiblicher Kollegen an der Sorbonne, den Einzug einer neuen Kleiderordnung im öffentlichen Raum, verschleierte Frauen in Vorlesungen, auf der Straße, mit Hosen und halblangen Blusen, die von jeglicher Körperlichkeit ablenken. Selbst sein vorübergehender Karriereknick (an der Universität dürfen nur noch Katholiken oder zum Islam Konvertierte lehren) bringt ihn nicht aus der Ruhe. Im Gegenteil, er entdeckt eher erfreut, dass die Unterwerfung auch ihre angenehmen Seiten haben kann: Der vom überzeugten Identitaristen zum Islam konvertierte neue Rektor der Sorbonne, Robert Rediger, genießt das süße Leben. Finanziert von den saudiarabischen Geldgebern der Islamischen Universität Sorbonne stehen Rediger nicht nur fabelhaftes Gehalt und feudale Wohnräume zur Verfügung. Neben kulinarischen Genüssen und edlem Wein genießt er auch den Luxus zweier Ehefrauen, deren Zuständigkeiten für Erotik und Haushaltsführung durch ihr jeweiliges Alter definiert werden.
»Unterwerfung« ist eine brillant erdachte und beschriebene Vision, ein bestürzendes Bild zerfallenden Gemeinwesens, das sich freiwillig dem Diktat einer Religion unterwirft. Deren vorgebliche Einfachkeit und Verständlichkeit sind verlockendes Zerrbild einer neuen Gesellschaftsordnung, von modernen Rattenfängern geboten, denen die zahlreichen Entwurzelten auf ihrem Weg zu einer empfundenen Orientierung nur allzu willig folgen. Schmerzhaft ist diese Beschreibung, herausfordernd und provozierend, durch die Direktheit und Schärfe des Blicks von Michel Houellebecq. Darüber hinaus ist »Unterwerfung« von einer umwerfenden Komik: Vor allem in den Beschreibungen elitär-verquaster universitärer Zirkel, deren Protagonisten mit allen intellektualisierenden Gesprächen ihr zynische Untätigkeit und Bequemlichkeit verstecken – ebenso wie François, die Hauptfigur des Romans.
Von gehässiger Polemik oder plumper Islamkritik ist Houellebecqs Buch weit entfernt, dem provokanten Marketing ebenso zum Trotz wie der gewohnten Einschätzung des Autors als »böser Bube« der französischen Literatur, der für seine misogynen Ausfälle und seine expliziten Snuff-Szenen (»Elementarteilchen«) bekannt und berüchtigt ist. Sich auf die Lektüre von »Unterwerfung« einzulassen, ist bisweilen Arbeit, erfordert Abstand und gelegentliche Pausen. Dennoch lohnt die Auseinandersetzung mit dem Buch: Gerade weil sich der Autor nicht in platter Kritik an einer bestimmten Religion verstrickt, sondern Bereitwilligkeit der Unterordnung, die Aufgabe längst erodierter Werte und Mitläufertum so sezierend wie entlarvend beschreibt. Mit der bitterbösen, urkomischen Satire »Unterwerfung« hat Michel Houellebecq ein gesellschaftskritisches Werk ersten Ranges vorgelegt.
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