Ein Ex-Linksintellektueller wird konservativ

Intellektuelle wie Ulrich Greiner haben sich schon immer als kritisch verstanden. Daher waren sie links zu Zeiten, wo der Mainstream noch konservativ war. Heute ist es andersherum.

Wieder einmal: Ein ehemaliger Linksintellektueller wird konservativ. Ulrich Greiner, 1945 geboren, war Feuilletonchef der Zeit und schreibt bis heute als Autor für sie. Er stand nie so weit links wie andere, die später konservativ oder rechts wurden. Und davon gibt es viele. Dass jemand vom Konservativen zum Linken wird, geschieht vergleichsweise selten, dass jemand vom Linken zum Konservativen wird, dagegen häufig. Viele dieser bei Linken verächtlich „Konvertiten“ genannten, haben Bücher geschrieben, in denen es u.a. um die Gründe für ihren Wandel geht. Ich selbst stand in meiner Jugend sehr viel weiter links als Greiner und habe kürzlich ein Buch über meine Wandlung zum Nationalliberalen geschrieben –  schon deshalb hat mich das Thema des Buches sehr interessiert. Und ich habe viele Stellen gefunden, wo ich Ausrufezeichen gesetzt habe.

Gegen Political Correctness

Intellektuelle wie Greiner haben sich schon immer als kritisch verstanden. Daher waren sie links zu Zeiten, wo der Mainstream noch konservativ war. Heute ist es andersherum. Die Linken und die Grünen, die dominanten Akteure der Mehrheitsparteien, die „kommentierende Klasse in den Medien“: „Sie alle fürchten, die Hoheit über den sogenannten Diskurs zu verlieren und die bislang unangefochtene Macht, die moralischen Standards des Öffentlichen zu bestimmen. Käme es dahin, ich würde es begrüßen.“ (S.7) So leitet Greiner sein Buch ein. Der Autor wendet sich dagegen, „dass jede Abweichung von der Mitte nach rechts mit dem Nazi-Vorwurf mundtot gemacht“ werde (S.9).

Ach, Spiegel!
Dabei gebe es eine deutliche Asymmetrie zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung, wie das Beispiel der Kommentierung von Merkels „Flüchtlingspolitik” zeige. Statt diese Politik darzustellen und kritisch zu erörtern, was eigentlich Aufgabe der Medien gewesen wäre, sahen sie ihre Mission darin, die Politik der Grenzöffnung zu unterstützen, indem sie ihre humanitäre Unabwendbarkeit darstellten, um „die vom Ansturm der Ereignisse überrollte Öffentlichkeit moralisch auf den richtigen Weg zu bringen“. (S. 17)

Generell würden in der öffentlichen Debatte die Begriffe „rechts“ und „rechtsextrem“ gleichgesetzt; „links“ sei das Richtige und „rechts“ das Verdammenswerte. Was in Wahrheit seltsam sei, wenn man sich das vom Sozialismus hinterlassene Desaster vor Augen halte (S. 25). Kommunismus und Sozialismus würden noch immer für letztlich humanitäre Ideen gehalten, während alles politisch Konservative unverzüglich und erfolgreich in die Nähe des Rechtsextremismus gerückt werde (S. 37 f.).

Ein Schlüsselerlebnis

Zum guten Ton in Deutschland und generell im linksintellektuellen Diskurs gehört die Versicherung, man dürfe Nationalsozialismus und Kommunismus nicht „gleichsetzen“, ja, nicht einmal „vergleichen“. Greiner beschreibt eine Diskussion, die er im Alter von 44 Jahren mit einem Historiker, einem Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager, führte. Dieses Gespräch war für ihn ein Schlüsselerlebnis auf dem Weg zur Abwendung vom linken Gedankengut. Greiner war einer der vielen, die sich große Mühe gaben, nachzuweisen, warum der Kommunismus doch irgendwie besser sei als der Nationalsozialismus.

"Die Deutschen zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung"
"Mal eben kurz die Welt retten"
Das Argument, das er seinerzeit ins Feld führte, lautete: „Der Terror Stalins und Hitlers seien unbestreitbar gleich schrecklich gewesen. Der Nationalsozialismus jedoch habe es nie zu einer konsistenten Theorie gebracht, er habe sich zusammengeklaubt, was ideologisch herumlag und brauchbar erschien, und er habe es auch nicht vermocht, Geistesgrößen und Intellektuelle dauerhaft in seinen Bann zu ziehen. Der Kommunismus hingegen blicke auf eine bedeutende philosophische Ahnengalerie zurück, die wichtigsten Intellektuellen des Jahrhunderts seien ihm wenigstens zeitweise gefolgt. Es liege daran, so etwa schloss ich in meinem jugendlichen Eifer, dass diese Idee in einem faszinierenden theoretischen System gipfelte.“ (S. 31) Nach seinen Ausführungen blickte Greiners Gesprächspartner ihn mit einem milden ironischen Lächeln an und sagte „jenen vernichtenden Satz (sagte), der mir nie wieder aus dem Kopf gegangen ist: ‚Das ist ja das Schlimme.’“ (Hier möchte ich anmerken, dass ich jedem ein anderes Buch zu diesem Thema empfehlen möchte, das ich in diesen Tagen gelesen habe.

„Man wird sich vor diesen Rettern retten müssen“

Greiners Kritik gilt vor allem dem messianischen Anspruch von Grünen, die sich als die einzig wahren Retter der Menschheit und unseres Planeten aufspielen. Und er sieht die Gefahr, wenn Menschen einer solchen eschatologischen Theorie folgen, die, „weil sie auf Äußerste zielt, äußerste Mittel anzuwenden sich gezwungen sieht. Wenn es um die Rettung der Menschheit geht, sind Rücksichten nicht mehr angebracht. Man wird sich vor diesen Rettern retten müssen.“ (S. 32)

Eine Zeitreise
Rainer Zitelmann: Vom Roten Banner über Liberales Manifest zum Millionär
Es handelt sich dabei ganz offensichtlich um eine pseudoreligiöse Schuldideologie, denn nach Meinung der linksgrün Bewegten seien die Bewohner der westlichen Zivilisation unweigerlich an nahezu allem schuldig: an Hunger und Elend, an der Klimakatastrophe, an den Bürgerkriegen der Dritten Welt usw. Und es gehöre dazu, dass man sich selbst permanent schuldig fühle: „Jede Plastiktüte, in die ich am Gemüsestand unbedacht meine Champignons einfülle, ist eine Gefahr für die Weltmeere; jedem Becher Milch, den ich sorglos trinke, sind die umweltschädlichen Verdauungsgase einer Kuh vorausgegangen; jeder Atemzug, den ich unbewusst tue, verschlechtert die Klimabilanz.“ (S. 61 f.)

… dass auch der Präsident schlechte Brötchen essen soll

Greiner kritisiert den allgegenwärtigen Egalitarismus, der meist mit einer kleinlichen Missgunst verbunden sei. Eine Haltung, „die dann aus der Tatsache, dass sich der seinerzeitige Bundespräsident Christian Wulff die Brötchen von seinem Lieblingsbäcker in Hannover nach Berlin fahren ließ (so geschehen 2010) gerne einen Skandal macht. So weit ist der Gleichheitsgedanke heruntergekommen: dass der Präsident die gleichen schlechten Brötchen verzehren muss wie jeder beliebige Berliner.“ (S. 140) Die Gleichheitsideologie sucht die Schuld für Mängel nicht beim Individuum, sondern stets im Sozialen (S. 117.) Dies sei auch die Quelle für die Ideologie des allumfassenden, fürsorglichen Staates, der damit christliche und menschliche Tugenden aushöhle. Wenn man akzeptieren könne, „dass Ungleichheit zu den fundamentalen menschlichen Existenzialien zählt, gewönne die Tugend der Barmherzigkeit ihr altes Gewicht zurück.“ (S. 129).

Ein Schuss Antikapitalismus bleibt

All dem bislang Zitierten kann ich zustimmen. Und auch das offensive Bekenntnis des Autors zum Christentum ist mir sympathisch. Aber mir ist bei der Lektüre aufgefallen, dass beim Autor – und dies ist typisch auch für viele konservative Intellektuelle – ein Schuss Antikapitalismus geblieben ist. Der Antikapitalismus ist als identitätsstiftende Kraft unter Intellektuellen so ungeheuer stark, dass er sogar die Wandlung vom Linken zum Konservativen übersteht. Man merkt das, wenn der Autor „Globalisierung“ mit der Vorstellung verbindet, sie sei „der Kampfplatz weltumspannender Konzerne, deren Produkte bis ins letzte Schaufenster der Provinz vorgedrungen sind“ (S. 8).

Alles hat keine Zeit
68er - ein Mythos verfliegt
Das ist die ästhetische Kapitalismuskritik, die sich an der Gleichartigkeit der Konsumgüter stört und dabei vergisst, wie sehr sich viele Menschen auf der Welt genau danach sehnen. Und der bei solcher Kritik vergisst, dass die kapitalistische Globalisierung gerade in den vergangenen Jahrzehnten Hunderte Millionen – etwa in China oder Indien – aus Hunger und Armut befreit hat. In dem Ressentiment gegen jenen „global agierenden Kapitalismus… dem alles gleich gültig ist, sofern nur profitabel“ (S. 73) oder in der Klage über die „Macht der global agierenden Konzerne“ (S. 75) kommt der bei Intellektuellen tief verwurzelte antikapitalistische Affekt zum Ausdruck.

Und doch merkt man bei Greiner auch in dieser Hinsicht ein Stückchen selbstkritischer Reflexion, das sich in einem vorsichtigen „?“ ausdrückt, das der Autor in nachfolgendem Satz in Klammern gesetzt hat: „Denn (natürlich?) finde ich die Abgründe zwischen Arm und Reich gespenstisch, die Gehälter ganz oben schwindelerregend und die Zunahme von Unwissenheit und Verwahrlosung ganz unten bedrückend.“ (S. 123). Dabei zeigt das Beispiel Chinas, wie gerade die steigende Zahl von Millionären und Milliardären und die steigende Ungleichheit einhergingen mit dem Aufstieg Hunderter Millionen aus bitterer Armut in die Mittelschicht – beides ist ein Ergebnis der kapitalistischen Globalisierung.

Ulrich Greiner, Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen, Rowohlt Verlag, Hamburg 2017, 157 Seiten.

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Kommentare ( 45 )

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Rainer Zitelmann
7 Jahre her

Dazu darf ich Ihnen mein Buch empfehlen, in dem ich ausführlich dargestellt habe, wie sehr Hitler Stalin bewunderte: Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, Lau Verlag 2017.

Rainer Zitelmann
7 Jahre her

Nennen Sie mir bitte eine Wirtschaftsordnung, die in den vergangenen 200 Jahren mehr zur Überwindung der Armut weltweit beigetragen hat. Bitte keine, die sich jemand in einem Buch ausdenkt, sondern eine, die es tatsächlich gegeben hat.

Hubert Paluch
7 Jahre her

Die Varianz der Schulnoten getestet im Alter von 15 Jahren ist tatsächlich zu 75% erblich (genetisch) bedingt.
Die Studie von Robert Plomin wurde an über 13 000 Zwillingen in Großbritannien anhand der GCSE-Examen durchgeführt und im angesehenen Wissenschaftsjournal PNAS publiziert:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4210287/

Für die Grundlagen immer noch aktuell:
Dieter E. Zimmer „Ist Intelligenz erblich?“

treu
7 Jahre her

Der Autor hätte sich viel Lebenszeit bis zur „Reformation“ sparen können, wenn er einfach mal eine etwas längere Zeit in der DDR gelebt hätte. Ein ca.4-6-wöchiger Urlaub im deutschen „Arbeiter-und Bauernparadies“ unter ganz normalen Bedingungen und mit ganz normalen Bürgern hätte genügt, um die Verlogenheit und Heuchelei dieser Weltanschauung und des Systems offenzulegen. Aber vor der Realität haben insbesondere die westdeutschen Linksintellektuellen ja schon immer gekniffen und zurückgeschreckt und sich stattdessen wohlig im Kapitalismus ihren abstrusen Theorien und Klassenkampfutopien hingegeben.

Oblomow
7 Jahre her

Und?
Schlußfolgerungen? Konsequenzen? Gerade in Bezug auf „totgedacht“ oder Mises Schrift DIE WURZELN DES ANTIKAPITALISMUS,

http://docs.mises.de/Mises/Mises_Antikapitalismus.pdf

welche ja wohl eine der Grundlagen für Baaders Buch „totgedacht“ war?

Benjamin Goldstein
7 Jahre her

Ach, Sie glauben doch jetzt nicht, dass ich das alles lese. So ein paar freie Unternehmen, machen noch nicht den Sozialismus tot. Was es da noch an Schikane und Regimehörigkeit gibt, lässt Katrin Göring-Eckhardt wie eine Ausgeburt der Vernunft aussehen. Irgendwie werden die Vorwürfe der Währungsmanipulation auch nicht leiser ….

Oblomow
7 Jahre her

„Ein Ex-Linksintellektueller wird konservativ.“

Einer?

Ob das reichen wird? Wohl ebenso wenig, wie es jetzt noch hülfe, wenn ein paar Leute Freidenker (Von Liberalismus mag ich schon lang –insbesondere eingedenk der FDP- nicht mehr sprechen.) würden. Außerdem hielt ich „Linksintellektueller“ immer -auch wegen des Einstein zugeschriebenen Zitats, „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“- für eine Art Oxymoron.

Jochen Röschmann
7 Jahre her

„Ein guter Wille, der nicht mit Vernunft einhergeht, kann größere Katastrophen anrichten als Handlungen, die auf Böswilligkeit oder Dummheit beruhen.“
(Henning Mankell)

michaelcollins
7 Jahre her

Alle Menschen sind gleich ist ein Dogma und an Dogmen rüttelt der Linke nicht.

Jan
7 Jahre her

„Es handelt sich dabei ganz offensichtlich um eine pseudoreligiöse Schuldideologie, denn nach Meinung der linksgrün Bewegten seien die Bewohner der westlichen Zivilisation unweigerlich an nahezu allem schuldig: an Hunger und Elend, an der Klimakatastrophe, an den Bürgerkriegen der Dritten Welt usw.“ Ich bin immer dankbar für solche treffenden Analysen, die genau auf den Punkt kommen. Das Problem an der links-grünen Denkweise ist auch ihre Maßlosigkeit. Es gibt keinen Punkt, an dem der Westen genug Entwicklungshilfe getan hätte und folglich auch keinen Punkt, an dem er genug Armutsmigranten aus der Dritten Welt aufgenommen hätte. Die Links-Grünen kennen kein Anhalten und folglich… Mehr