Jan Fleischhauer beherrscht souverän die Kunst der eleganten Provokation. Kritiker loben seine Fähigkeit, ganz „old school“ eine Haltung der Distanz zu kultivieren, einer „destruktiven Teilhabe“, die seinen Kolumnen Milieudurchlässigkeit verleiht. Ein Auszug aus seinem aktuellen Buch "How dare you!".
In der »Zeit«, der bekannten Wochenzeitung aus Hamburg, las ich einen Beitrag über Leben und Wirken des deutschen Philosophen Richard David Precht. Wie beim Kulturteil der »Zeit« nicht anders zu erwarten, handelte es sich um eine Verfallsbeobachtung. Weil alles, was von oder über Precht zu sagen ist, unmittelbar moralsteigernd wirkt, sei der Text hier in Gänze wiedergeben:
»Richard David Precht trägt heute in der Gesellschaft kaum noch zur politischen Willensbildung bei. Er ist primär ein Selbsterhaltungssystem ohne echten Austausch mit anderen gesellschaftlichen Systemen. Dafür gibt es viele Gründe, von denen Richard David Precht durchaus nicht alle selbst verschuldet hat. Was vorrangig fehlt, ist eine Zukunftsvision, wie wir angesichts gewaltiger Herausforderungen in zehn oder zwanzig Jahren leben wollen. Doch statt Haltungen zu entwickeln und entsprechende politische Strategien zu generieren, reagiert Richard David Precht auf kurzfristige Aufregungsthemen, die von den Massenmedien gespeist werden. Was wir brauchen, ist eine ehrliche Diskussion über die Zukunft der Demokratie und seine Rolle dabei. Da diese aber von Leuten wie Richard David Precht nicht gewollt sein kann, bleibt alles beim Alten.« Okay, das entsprach jetzt nur zu 92 Prozent der Wahrheit. Der Beitrag in der »Zeit« behandelte in Wirklichkeit die deutschen Parteien. Der Autor war Precht selbst. Ich habe das Wort »Parteien« in seinem Text einfach durch den Namen »Richard David Precht« ersetzt.
Als Phraseologe ist der Mann unübertroffen. Ein Imitat lässt sich nicht mal eben aus dem Ärmel schütteln, deshalb bin ich beim Original geblieben. Der Precht’sche Wortbaukasten funktioniert dabei bewundernswert zuverlässig, wie man sieht: Man könnte in dem von mir gewählten Textbeispiel statt »Parteien« auch »Focus« oder »Spiegel« eingeben und käme zum gleichen Ergebnis.
Peter Sloterdijk hat Precht den André Rieu der Philosophie genannt. Das war nicht sehr nett gegenüber André Rieu. Wäre Precht nur bei der Philosophie geblieben, möchte man erwidern. Wie alle Intellektuellen drängt es auch diesen Fahrensmann der Zeitdiagnostik in Gebiete, bei denen seine Expertise eher zweifelhaft ist. Nach dem Erfolg seines heiteren Philosophieführers hat er sein Themenspektrum um Beiträge zur allgemeinen Lebensführung erweitert.
Precht ist Demokratieverachtung für die besseren Stände. Wenn der gute Doktor bei einer Sache den Bogen raus hat, dann über den politischen Betrieb so zu schimpfen, dass es nicht pöbelhaft klingt, sondern im Gegenteil besonders aufgeklärt. In Prechts Welt gibt es keinen Berlusconi oder Macron, mit denen man als deutscher Regierungschef zurande kommen muss. Auch kein Verfassungsgericht und keine Opposition, die über den Bundesrat mitregiert. Dafür durchzieht all seine Einlassungen zum politischen Geschäft das Misstrauen gegenüber den handelnden Akteuren, die zu bequem, zu uninspiriert und zu rückgratlos seien, um das zu tun, was auf der Hand liegt.
Die Türen, die dieser Philosoph eintritt, stehen immer schon sperrangelweit offen, deshalb knallt er sie in seinen Texten auch besonders laut zu. Leider beschränkt sich das Prinzip Precht, mit vielen Worten wenig zu sagen, nicht auf seine eigenen Bücher und die Sendezeit im ZDF. Bei vielen Kommentatoren, die ihm nacheifern, prechtlt es inzwischen gewaltig.
Ein typischer Precht-Vorwurf, den man in den Medien findet, lautet, die Kanzlerin verweigere dem Land die Debatte. Statt mit den Menschen über die Zukunft zu reden, beschränke sie sich auf die Tagesarbeit. Mir war neu, dass die Organisation von Debattenformaten zu den verfassungsmäßig verankerten Aufgaben eines Regierungschefs gehören würde. Ich hielt es eher für eine Ablenkung vom Regierungsgeschäft, wenn die Kanzlerin in der Öffentlichkeit herumturnt, statt in Berlin ihren Amtspflichten nachzugehen. Aber das ist vermutlich nur ein weiterer Beweis meiner Begriffsstutzigkeit.
Politik hat aus linker Sicht immer etwas Pädagogisches. Wenn die Leute lieber ihren Alltag bewältigen, statt von der Kanzlerin Auskunft über die Probleme des Landes zu verlangen, zeigt das, dass sie von Politik nichts verstehen. Am besten überlässt man die Demokratie den Philosophen. In der Frage hätte man sicher auch Richard David Precht auf seiner Seite.
Aus: Jan Fleischhauer, How dare you! Vom Vorteil, eine eigene Meinung zu haben, wenn alle dasselbe denken. Siedler, 304 Seiten, 20,- €
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Um Ihnen aus Ihrer Begriffsstutzigkeit zu helfen:
Unsere Frau Bundeskanzler muss sicherlich keine Debattenformate organisieren.
Aber sie könnte die Finanzierung von Antifa, Amadeo Antonio und Korrektiv beenden, damit Debatten wieder möglich werden.
Tut sie aber nicht.
Stattdessen haut sie Idi Amin Zitate raus.
Jetzt helfen Sie mir aus meiner Begriffsstutzigkeit und sagen mir, wie Sie das nennen würden, wenn nicht Debattenverweigerung?
Da ja auch Precht die Klimafrage zur Frage der Fragen hochstilisiert hat, hier zwei sehr sicherlich destruktiven Fragen: zu was haben sich die echten großen CO2 Emittenten USA, Indien und China in den nächsten (angeblich entscheidenden) 15 Jahren verpflichtet, um weniger auszustoßen? Und eine zweite Frage, die ich noch nie angesprochen gesehen habe: wir haben ja als Klimajünger gelernt, nicht die absolute Zahl der Konzentration von Co2 in der Luft ist entscheidend für die Klimakrise, sondern die Geschwindigkeit der Zunahme. Hat auch schon mal jemand „modellierend“ ausgerechnet wie ein optimaler Ausstieg/Abbau auszusehen hat ( in welcher Geschwindigkeit), denn die absolute… Mehr
Herr Fleischhauer, unbeliebt bei rechts und links, arbeitet sich an einem Blender ab. Na gut, draußen ist´s ja auch trüb.
„Am besten überlässt man die Demokratie den Philosophen.“ Ich muss Ihnen widersprechen. Beispielsweise ist Platons Idee einer Philosophenherrschaft nach wie vor erfrischend (ob sie je zustande kommen kann ist nochmal eine andere Frage). Richard David Knecht erfüllt allerdings nicht im Geringsten die Vorraussetzungen um sich in solch einen Thron setzen zu dürfen. Viel mehr sitzt er in seiner Höhle und beobachtet mit dem Rücken zur Wand sitzend, das Schauspiel der Schatten. Wollte ihn jemand ans Licht führen, so wäre er wohl, sofern er den Schritt überhaupt wagt, geblendet und über denjenigen erbost, der ihn ans Licht zu führen versuchte. Was… Mehr
Richard David Precht ist ein Philosoph wie Jan Böhmermann ein Comädian ist 😉
In der größten Buchhandlung, die es in der Frankfurter Innenstadt gibt, steht Precht neben Hegel, Kant und Schopenhauer.
Ich glaube, Schopenhauer war kein „richtiger“ Philosoph, hat fast alles abgeschrieben ? Aber ihn zu lesen, ist ein Vergnügen…
Da braucht es niemanden zu wundern, wenn Buchhandlungen aus Mangel an Kundschaft schließen müssen, da sie den einzigen Vorteil, den sie besitzen, die Beratung, aufgegeben haben.
RDP ist halt ein Universalgelehrter alter Schule – er versteht von allem etwas, Ironie off. Auch zum Umgang mit dem Klimawandel gibt er in einem Interview mit der Augsburger Zeitung im Juli 2019 zum Besten: „Die Menschen lieben Verbote. Das ist etwas, was Politiker nicht verstehen. Die meisten Leute sind natürlich erst einmal dagegen, aber nachher sind sie froh, dass es die Verbote gibt.“ Dieser Mann kann noch nicht einmal den Wirkungsgrad einer Maschine definieren, das hat er mit 99% der Bundestagsabgeordneten gemeinsam, aber gerade das qualifiziert heutzutage jemanden als Experten in Deutschland zum Thema Klimawandel. Eine Kommödie, wenn’s kein… Mehr
Ein typischer FLEISCHHAUER – Beitrag. Ich mag seine Art, die ein kleinwenig auch der von Precht ähnelt. Ein bißchen Retro – halt der gelungene Max Rabe einer zeitgemäßen, um der fast verloren gegangenen Objektivität bemühten Journaille. ““Peter Sloterdijk hat Precht den André Rieu der Philosophie genannt. Das war nicht sehr nett gegenüber André Rieu. Dafür durchzieht (Precht) all seine Einlassungen zum politischen Geschäft das Misstrauen gegenüber den handelnden Akteuren, die zu bequem, zu uninspiriert und zu rückgratlos seien, um das zu tun, was auf der Hand liegt.““ Jan Fleischhauer hob sich bereits im CICERO wohltuend von… Mehr
Also der Buchauszug hat mich nun wirklich nicht zum Kauf animieren können. Tiefgang ist etwas anderes und es gibt offenbar viele André Rieus und noch mehr, die diese Rieusvariationen mögen.
Kein bisschen witzig, der Spiegel-Veteran. Als er dort anfing (1989) war ich 20 und hatte das Intelligenzblatt meiner ehemaligen linken Lehrer längst als triviale Erbauungsliteratur erkannt. Wer es dort noch unfassbare 30 Jahre ausgehalten hat, muss entweder ein überzeugter Linker, ein genialer Blender oder einfach jemand sein, der keinen richtigen Beruf erlernt hat und deshalb weiterschreiben muss, was man ihm aufträgt. TE hat solche Figuren nicht nötig.
Treffend auf den Punkt gebracht und ganz meine Meinung.