Emmanuel Todd über Ökonomie, Kultur und Religion im freien Fall

Der prominente französische Historiker Emmanuel Todd sagte bereits 1976 das Ende der Sowjetunion voraus. In seinem neuen Buch wagt er wieder den Blick in die Zukunft: Er prognostiziert den endgültigen Niedergang der westlichen Welt.

Er ist der Typus des französischen Intellektuellen, der sich nicht in ein Raster zwängen läßt sondern die Unabhängigkeit der Aufklärung und die Überlegenheit des Denkens pflegt: Emanuel Todd. Tugenden, die in Deutschland selten geworden sind, weil sich zu viele Pseudo-Intellektuelle an den Futtertrögen staatlicher Einrichtungen mästen und beim Verdauungsvorgang das Lied ihrer Geldgeber singen. Die Cancel Culture hat in den Universitäten begonnen und deshalb sind diese im sicheren Niedergang begriffen.

Aber Todd geht es um Weltpolitik, und da liefert er immer wieder neue, gut belegte Analysen, denen man vielfach wertvolle Einsichten abgewinnen kann und selbst der Widerspruch zu Todd schärft die Einsichtsfähigkeit – und das macht den Wert des Intellektuellen aus, nicht das Nachbeten von Vorgekautem.

So sieht Todd den Westen: Im Kern verrottet, aber nach außen expandierend steht der Westen einem Russland gegenüber, das sich stabilisiert hat und nunmehr konservativ auf die Länder der restlichen Welt wirkt, die den USA und ihren Verbündeten nicht in ihre Kriege folgen wollen.

Todd schätzt Russland wirtschaftlich weit stärker und innenpolitisch weitaus solider ein, als es die westlichen Minnesänger des baldigen Sieges der Ukraine über Russland sehen. Da sind zum einen Fakten, die den westlichen Ökonomen entgangen sind: Rückgang der Todesfälle durch Suff, sinkende Kindersterblichkeit, Zurückdrängen der Kriminalität und Zunahme der Lebenserwartung im Alter sind Indikatoren für einen sozialpolitischen Erfolg.

Hilfloses Tapern durch die Weltgeschichte
Deutschland ist ein Waisenkind unfähiger Eliten
Was den katastrophalen Rückstand Russlands mit Kennzahlen des Bruttoinlandsprodukts betrifft, so relativiert Todd diese Zahl mit dem Blick auf die „Tarnkappenindustrie“ Russlands: Es gibt prozentual mehr Studenten, die Ingenieurwesen studieren, mehr „harte“ Industrie, die reale Güter (und damit auch Panzer) produziert als eine auf die Finanz- und Unterhaltungsbranche ausgerichtete Dienstleistungsgesellschaft westlichen Musters. Todd setzt dem blinden BIP der westlichen Welt ironisch das „WIP“ entgegen, das „wahre oder realistische Inlandsprodukt“. Um das zu ermitteln, bringt er in Abzug, dass die dortigen „15 140 Ökonomen des Landes, von denen die meisten große Lügenpriester sind, ein Jahresgehalt von im Schnitt 121 000 Dollar beziehen“. Deren Arbeit zählt er nicht zum WIP, wohl aber die der Ingenieure. So liest sich sein Buch sowohl intellektuell anregend als auch wegen seiner demonstrativen Boshaftigkeit amüsant.

Er pflegt den französischen Anti-Amerikanismus und liefert Stoff für anti-transatlantische Hass-Gesänge. Intensiv widmet er sich dem „Washingtoner Blob“, ein Begriff, der von Ben Rhodes stammt, einem Ex-Berater von Obama, um den für Außenpolitik zuständigen Mikrokosmos zu beschreiben: „Der Name bezeichnet einen schleimig aussehenden, einzelligen Organismus, den man in Wäldern antrifft, wo er sich vermehrt, indem er Bakterien und Pilze in seinem Umfeld absorbiert. Er besitzt kein Hirn“.

Und Gehirnlosigkeit sieht er in der Washingtoner Politik vorherrschend. Das Buch hat er allerdings vor dem Wahlsieg Donald Trumps geschrieben und er sieht die USA im unausweichlichen Niedergang befindlich.

Wer ist Mister X?
Elon Musk - Staatsfeind Nr. 2 der Linken
Todd regt zum Denken an: Setzt Trump nicht grundsätzlich andere Signale? Wird er den Niedergang der USA stoppen können, indem er mit einer neuen Mannschaft den „Blob“ beseitigt, mit Elon Musk den Staat verschlankt und Washington schleift, ein neues Bewusstsein an die Stelle der Wokeness stellt? Das sind die Fragen, die Todd provoziert.

Die Niederlage in der Ukraine ist bereits nahezu Fakt, prophezeit Todd. Schlussendlich ist es deshalb unvermeidlich, dass es zu einem Einfrieren des Konfliktes zwischen der Europäischen Union und Russland kommt. Ein Europa befreit von US-amerikanischem Einfluss könnte das Ergebnis sein. Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, und diese Rolle sollte es selbstbewusst annehmen – das ist Todds Appell in diesem Buch. Denn er sieht Deutschland und Russland näher beieinander als uns lieb sein kann: Beide großen Länder befinden sich im demographischen Niedergang. Weder Deutschland noch Russland können einen großen Krieg führen – es fehlen die Männer, die Schlachten-Opfer, und die Mütter in beiden Ländern würden aufbegehren gegen einen Krieg, der ihre einzigen Söhne frißt.

Auch diese Prognose Todds scheint sich zu bewahrheiten. Putin will 100.000 nordkoreanische Söldner anwerben. Die Söhne von Mütterchen Russland sind zu kostbar für einen Krieg geworden.

An vielen Stellen stößt Todd damit eine schmerzhafte Debatte an; auf seine Interpretation, warum Ignoranz und Dummheit zum Merkmal der deutschen Politiker-Kaste geworden ist, habe ich an anderer Stelle hingewiesen.

Man mag Todd zwar nicht immer folgen, er provoziert auch Widerspruch. Aber man ist nach der Lektüre klüger. Und das ist das Beste, was man von einem Buch erwarten kann.


Emmanuel Todd, Der Westen im Niedergang. Ökonomie, Kultur und Religion im freien Fall. Westend Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 352 Seiten, 28,00 €.


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Kommentare ( 13 )

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WandererX1
28 Tage her

Der Westen ist gar nicht DER Block, wie die Medien- und Politleute behaupten. Da ist auch nichts im Niedergang mit Ausnahme mancher Partei, mancher Firma und mancher Gewohnheit!
Der Westen ist immer noch am beweglichsten und kulturell lebendigsten aller Weltgebiete.
Man soll den Niedergang einiger Eliten nicht mit den der Kultur oder des Volks verwechseln. Politische Moden verschwinden, das Volk und die Tradition der Sprache und des Landes sind sehr zäh und bleiben. Das sollte gerade ein FRanzose wissen, denn gerade die Franzosen sind da stockonservativ trotz ihrer latent revolutionären Attitude!

giesemann
29 Tage her

Todd bezeichnete sich selbst als „empirischen Hegelianer“[15] und gilt als „Stichwortgeber für Debatten der französischen linken Mitte“. Na ja, wem das gefällt … , https://de.wikipedia.org/wiki/Emmanuel_Todd. Hegel bei TE! Öfter mal was Neues. Hauptsache den Westen schlecht reden, nicht wahr? Zusammen mit den Russen und Islam/Daesh. DAS ist der West-Niedergang. Hat er das verdient? Also sollen die kommen: Chinese Female Soldiers Parade – YouTube – dann haben wir es vollständig. Das Trio infernale. Wobei die Letzteren … . Warum bloß rennen sie alle zu uns, die Russen, Muslime und andere? Um hier das zu errichten, was sie kalifatorisch und russisch morthodox eigentlich los werden wollen?… Mehr

DELO
1 Monat her

„Deutschland und Russland enger beieinander“ ist genau der Punkt, gegen den die Amis allergisch sind. Nur leider ist es so, daß wir ohne Amerika hilflos in der Welt herumirren würden. Nun kann man sagen, dank Baerbock, Habeck und diesen Überfliegerkanzler geht Deutschlands Ansehen in der Welt und seine Wirtschaft ohnehin den Bach hinunter, nur dann interessiert sich weder Russland noch Amerika für Deutschland. Mit Lusern im Bunde will niemand zusammengehen.

giesemann
29 Tage her
Antworten an  DELO

Na ja, wenn Russland und DE zusammengehen … . Stichwort HS-Pakt von August 1939. Davon wissen die Polen ein Lied zu singen, die übrige Slawerey auch. Zum Glück wollen uns inzwischen nur die Russen in die Fresse schießen, während uns die Amis, die Brits nicht mehr die Hucke vollbomben – welch komfortabler Zustand. Belassen wir es dabei, bis auch Russland mal ein anständiger Staat geworden sein wird, Futur II.

bkkopp
1 Monat her

Auch wenn es schon länger her ist, ich habe in den 90ern, und bis 2002, insgesamt 8 Jahre in Moskau und Kyiv, und weitere 1 1/2 Jahre in Minsk und Almaty gelebt und gearbeitet und in beiden Ländern auch großräumig herumgekommen. Ich hatte regelmäßige Kontakte in die Staats- und Wirtschaftselite, einschließlich Dankesnoten aus Präsidenten und Ministerbüros an die Firma für die ich als Projektleiter tätig war. In Moskau bin ich mehrmals mit dem früheren Ministerpräsidenten Gaidar zusammengetroffen, weil wir im Gebäudekomplex unter seiner Regie untergebracht waren, und er sich über unsere Transformationsarbeit informieren wollte. Bis heute habe ich lebendige Kontakte… Mehr

GR
1 Monat her

Ich habe gestern auf YT eine Ausführung über die langen Zyklen gehört, durch die Gesellschaften gehen (Strong MEN make good life etc.). So ein Zyklus dauert 80 bis 90 Jahre mit Aufstieg, Wohlstand, Dekadenz und Niedergang. Der Aufstieg des Westens begann 1945, also vor 80 Jahren. Der Aufstieg Rußlands begann 1998 mit Putin, sie sind also in den guten Zeiten. Die Chinesen begannen 1980, sind also am Beginn der Dekadenz und gerade finde ich Videos auf YT über leftover women, wie bei uns, Frauen machen Karriere, bekommen keine Kinder mehr und meinen, mit 30 bräuchten sie einen Mann. China hat… Mehr

Laurenz
1 Monat her

Fragen an Herrn Tichy: 1. Warum sollte Rußland den Konflikt einfrieren? Die USA werden nie in einen NATO-Konflikt mit Rußland oder China eintreten, Taiwan, Südkorea, Vietnam & Japan, sind hier, wie Europa verraten & verkauft. Nichts fürchten die USA mehr als einen Konflikt auf eigenen Boden. Darauf waren & sind die USA nicht vorbereitet. Deswegen ist Europa völlig erpreßbar. Wir müßten dringend den Briten & der Union das Maul stopfen. 2. Wenn Ihr Demographie-Argument stimmen würde, gäbe es nach 2 Weltkriegen kein Deutsches Volk mehr. Stalin hat uns gerettet, so pervers das klingen mag. Wie kommen Sie zu der Annahme,… Mehr

Tin
1 Monat her

Was ist denn „der Westen, die westliche Welt“, was macht ihn/sie aus?. Sagt doch einfach, dass hier skrupellos global offen gegen die Menschheit vorgegangen wird. Von wenigen Megareichen mit ihren Politdarstellern gegen Milliarden Menschen, die dieses abgrundtief dämonische nicht fassen können. Hier geht es im Endeffekt um die Diener des „Fürsten dieser Welt“, die gottgleich gegen den kämpfen der sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Der einfache Sterbliche, der in seiner Hybris sich zu Gott erklärt und Milliarden anderer in den Abgrund mitziehen will.

Harry Charles
1 Monat her

SEHE ICH NICHT SO! Der Westen hat mit der Wahl von Donald Trump den entscheidenden Schritt zu seiner Revitalisierung getan. Nun muss man wissen: Todd ist eben Franzose, und für die gehört die USA quasi nicht zur westlichen Welt. Aus dem Blickwinkel eines Franzosen beschränkt sich der „Westen“ wohl überwiegend auf die romanischen Kulturen, und die haben allerdings ein Dekadenzproblem, beginnend mit dem Niedergang des römischen Reichs. Die Franzosen wähnen sich selbst als Führungsmacht dessen, was sie für den Westen halten. Die wahre Führungsmacht des Westens (dessen Rückgrat eher die [traditionell wirtschaftsstarken] Länder sind, in denen eine germanische Sprache gesprochen… Mehr

giesemann
29 Tage her
Antworten an  Harry Charles

Interessante Aspekte.

rainer erich
1 Monat her

Klingt gut und vor allem zutreffend, zumindest was den Vasallen Europa bzw EU betrifft. Auch wenn es dir USA unter Trump schaffen sollten, wird dies keinerlei (positiven) Einfluss auf Europa oder gar Sch’land haben. Die „Verrottung“ oder der Verfall schreiten voran.

Turnvater
1 Monat her

“ … und die Mütter in beiden Ländern würden aufbegehren gegen einen Krieg, der ihre einzigen Söhne frißt.“

Meinen Sie damit etwa die deutschen Mütter, die ihre Kinder wären der Pandemielüge staatlich mißhandeln und einem unerprobten Gentherapeutikum aus dem Umfeld der Biowaffenforschung anheimfallen ließen?