Tino Sanandaji über Migranten in Schweden: „Massenherausforderung“

Der Nachwuchswissenschaftler an der renommierten Handelshochschule Stockholm stammt aus einer kurdischen Familie im Iran und kam 1989 als Neunjähriger nach Schweden. Er analysiert das Scheitern der Integration von Migranten.

© David Ramos/Getty Images

Als 2015 die Grenzen für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten geöffnet wurden, zogen viele durch Deutschland weiter nach Schweden, das proportional mehr Personen aufnahm als jedes andere europäische Land, bis sich die rot-grüne Regierung zu einer Kehrtwende entschloss, weil sie einen „Systemkollaps“ befürchtete. Die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen hat in Schweden eine lange Tradition und wurde von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung sowie allen traditionellen Parteien bis vor kurzem allgemein befürwortet. Neben humanitären Motiven wurden stets auch wirtschaftliche Gründe angeführt: die Zuwanderung von Arbeitskräften führe zu Wachstum und Wohlstandsgewinn. Die rechtspopulistische Partei Schwedendemokraten hat jedoch an Zustimmung gewonnen; sie verweist auf eine misslingende Integration angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit und Kriminalität in den von Einwanderern am stärksten bewohnten Stadtvierteln.

In dieser Situation ist ein Anfang 2017 erschienenes wirtschaftswissenschaftliches Fachbuch ungewöhnlicherweise auf die Bestsellerlisten gelangt: Tino Sanandajis „Massutmaning“.

Der Titel „Massenherausforderung“ spielt darauf an, dass Politiker existente Probleme nicht als solche bezeichnen wollen, sondern lieber von einer „Herausforderung“ (utmaning) sprechen. Der Autor ist Nachwuchswissenschaftler an der renommierten Handelshochschule in Stockholm und hat selbst klassischen Migrationshintergrund: er stammt aus einer kurdischen Familie und kam 1989 als Neunjähriger aus dem Iran nach Schweden. Das Buch wertet vor allem die offiziellen schwedischen Statistiken sowie einzelne Studien aus und gelangt zu Ergebnissen, die auch für Deutschland interessant sein dürften. Selbst wenn man mit der staatlichen Definition bereits jede Person als „Beschäftigten“ zählt, die „mindestens eine Stunde pro Woche gearbeitet hat oder von einer solchen Arbeit bspw. wegen Krankheit fernblieb“, bleibt der Beschäftigungsgrad bei Eingewanderten (2015: 59,6 %) deutlich unter dem der in Schweden Geborenen (2015: 82,9 %), wobei diese Kluft im Verhältnis zu 1990 (71,2 % gegenüber 86,1 %) deutlich zugenommen hat. Die Ursachen sieht der Autor in der zunehmenden Einwanderung aus außereuropäischen Ländern und der immer größeren Diskrepanz zwischen den steigenden Anforderungen des Arbeitsmarkts und dem sinkenden durchschnittlichen Qualifikationsniveau der Einwanderer.

Große Teile des Buches beschäftigen sich mit den Folgen misslingender Integration: der Anteil der Einwanderer an allen Arbeitslosen stieg von 23 % im Jahre 2006 auf 54 % Ende 2016. 2015 bezogen Einwandererhaushalte etwa 60 % der insgesamt ausbezahlten Sozialhilfe und standen für zwei Drittel der Steigerung der Sozialhilfeausgaben seit 1990. Besonders negativ ist die Entwicklung in denjenigen Kommunen und Stadtteilen, die einen hohen Einwandereranteil aufweisen: Durchschnittslöhne und Steueraufkommen lagen in Malmö, Södertälje oder Botkyrka, einem Stockholmer Vorort, 1990 noch leicht über oder nur geringfügig unter dem Landesdurchschnitt, 2015 jedoch 10 bis 15 % darunter. Noch können die betroffenen Kommunen dank eines Finanzausgleichs hohe Sozialleistungen bieten. Der Autor wirft jedoch warnend die Frage auf, wie dies bei  einer Fortsetzung der bisherigen Einwanderungspolitik weiter finanzierbar sein soll.

Die sozialen Probleme werden in Schweden unter dem neuen Wort „Utanförskap“ (wörtlich: Außer-halbschaft) diskutiert. In den von ihr betroffenen Stadtteilen, ausnahmslos Gegenden mit hohem Einwandereranteil, verlässt ein Drittel der Schüler die (neunjährige) Grundschule ohne Abschluss und steigt die Kriminalität allgemein sowie die organisierte Kriminalität im besonderen. In den am schlimmsten betroffenen Gebieten werden nicht nur Polizeistreifen, sondern auch Feuerwehr und Krankenwagen von Jugendlichen mit Steinen beworfen und wagen sich nur noch mit entsprechendem Schutz dorthin. Wirtschaftlich profitiert davon vor allem das private Sicherheitsgewerbe mit inzwischen 31.000 Beschäftigten gegenüber 20.000 Polizisten!

Der Autor belässt es nicht bei der Darstellung von Fehlentwicklungen, sondern beendet sein Buch mit Vorschlägen, die Situation zu verbessern. Dabei beklagt er auch die vorherrschende Ideologie des Multikulturalismus und die Neigung schwedischer Politiker, die eigene Kultur gering zu achten: „Eine Kultur, deren eigene  Elite ständig kommuniziert, wie mies sie ist und wie rassistisch ihre Mitglieder, bekommt unweigerlich Probleme, neue Rekruten anzulocken“. Zudem verspürten Einwanderer – zu denen der Autor ja gehört – eine schmerzhafte Diskrepanz zwischen der materiellen Wohltätigkeit des schwedischen Staates und seiner Gesellschaft, die kalt reagiere und zu Einwanderern auf Abstand gehe. Es wäre auch deshalb sinnvoller, die Milliarden, die zur Versorgung arbeitsloser Einwanderer aufgewandt werden müssen, für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in ihren Heimatländern einzusetzen. Allein die Erstaufnahme „einsamkommender“ Jugendlicher koste Schweden laufend mehr als zwei Drittel des gesamten Staatsbudgets Afghanistans.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses Buch alsbald ins Deutsche übersetzt wird, da es Entwicklungen beschreibt, die zumindest ansatzweise auch hierzulande zu erkennen sind.


Nach Wirtschaftswissenschaften (Dipl.-Hdl.) studierte Wolfgang Kopke Jura, promovierte über „Rechtschreibreform und Verfassungsrecht“ – sein Doktorvater führte mit seiner Unterstützung die Prozesse gegen die Rechtschreibreform bis hin zum Bundesverfassungsgericht – und wurde schließlich Richter am Arbeitsgericht in Mainz. Nach dem Abitur lebte Kopke eine Zeit lang in Schweden und ist dem Land weiter verbunden.

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Kommentare ( 12 )

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Jens Frisch
7 Jahre her

„Er analysiert das Scheitern der Integration von Migranten.“

ES IST DER ISLAM!!!

Orbán hat Recht wenn er sagt, dass es kein einziges Land auf der Welt gibt, in dem Muslime sich integriert hätten: Weder im hinduistischen Indien, im buddhistischen Myan Mar, im kommunistischen China oder auf den katholischen Phillippinen.

Paul Schmidt
7 Jahre her
Antworten an  Jens Frisch

um die Feststellung zu treffen, die sie getroffenhaben, sollte man sich, glaube ich, erstmal auf eine Definition von Integration einigen. Und dann muss man entscheiden wann Integration als nicht erfolgreich gilt. Darüber hinaus ist zu Fragen, ob die Aussage für jeden einzelnen Moslem gemeint ist oder nur ab einer bestimmten Menge 100 oder 1000?

Denn Deutschland, Frankrecih, Großbritanien oder auch die USA haben ja auch alle signifikante Mengen an Muslimen in ihren Ländern.

N Schwalen
7 Jahre her

Frau Felkowska, Ihr letzter Zeit ist eine interessante Option! Regime Change in Berlin durch die polnische Armee ….! Es könnte nur besser werden.
Die Polen sollten sich nicht beirren lassen, denn schon die nahe Zukunft wird zeigen, dass der polnische Weg der bessere ist.

Sophie
7 Jahre her

“ „Eine Kultur, deren eigene Elite ständig kommuniziert, wie mies sie ist und wie rassistisch ihre Mitglieder, bekommt unweigerlich Probleme, neue Rekruten anzulocken“.“ Nicht nur das. Eine solche Gesellschaft wird vor Allem dann Probleme bekommen, wenn man nicht mehr durch Geld eine Waffenruhe erkaufen kann. Wen es zu einer wirtschaftlichen Krise kommt oder das System durch Zuwanderung zum Platzen gebracht wird. Denn dann werden die Zuwanderer immer noch wissen dass die Weißen an allem Schuld sind, und der Westen, der immer mit Drohnen Kinder im Irak erschossen hat. Michael Müller hat gesagt die Afrikaner holen sich hier nur das, was… Mehr

Dozoern
7 Jahre her

Das Hamburger Abendblatt titelte letzte Woche: „Jeder Dritte Hamburger hat einen Migrationshintergrund“. 680 000 von 1.850 000 Einwohnern. Das können Sie überall, ausser in den wohlhabenden Stadtteilen, mit Händen greifen. Das ist die Zukunft – überall.

Hubert Paluch
7 Jahre her

Einwanderungsgesellschaften sind Konfliktgesellschaften und Schweden wird seine Standards generell absenken müssen. Kabul, Bagdad, Tripolis – welcome!

Uschi-tom
7 Jahre her

ICH kann wenigstens noch einen Fetisch ERKENNEN…. ;-))) !!!

DingDong
7 Jahre her

Das große Problem an der Sache ist leider auch, dass unsere Polizisten von unseren linksaußen Politikern und ihren Vorgesetzten, die ja nur politische Beamte sind, darauf getrimmt werden, sich nicht zu wehren. In besagtem Beispiel wäre Notwehr mit der Dienstwaffe, auch mit tödlichem Ausgang, mehr als angebracht gewesen. Jeder Zivilist wird in so einem Fall freigesprochen. Die Linksaußen haben mittlerweile sogar den Polizisten und den Soldaten beigebracht, dass es unredlich ist, sich zu wehren. Dann kommt sowas raus. Und was macht Berlin: hier werden die Polizisten sogar entwaffnet. Es sieht ganz nach einem Staatsstreich aus, wenn die Regierung nicht nur… Mehr

DingDong
7 Jahre her

Man muss leider ergänzen, dass der westliche Sozialstaat mittlerweile zu einem Zuchtprogramm für Dummheit und Faulheit geworden ist. Im freien Westen sind diejenigen dauerhaft arbeitslos, die eben unter die Schwelle von 87 fallen. Dass man diese Menschen als Gemeinschaftsmitglieder irgendwie „durchfüttern“ muss, ist klar, aber mittlerweile ist das System so weit gegangen, dass der Mittelstand, der sich selbst kaum mehr als ein Kind leisten kann (und auch keine Zeit für mehr Kinder hat, weil beide Eltern arbeiten müssen), gezwungen wird, die großen Familien der Unterschicht zu finanzieren. Da IQ größtenteils vererbt wird, ist klar, wo wir in ein paar Generationen… Mehr

Sabine W.
7 Jahre her

Dieses vollmundige ‚die Fluchtursachen bekämpfen‘ muss sich vorwiegend nicht auf die Ernährung dieser Völker, sondern auf deren ungefilterte Reproduktionsrate beschränken. Was nützt es, wenn man im Rahmen von Entwicklungshilfe tonnenweise Lebens- und Geldmittel in Länder hineinpumpt, deren größtes Problem es ist, die dramatisch wachsende Anzahl neuer ‚Mäuler‘ zu ernähren? Damit fördert man immer weiter exorbitant steigende Bevölkerungszahlen, die ein Kontinent nicht weiter ernähren kann. Und indem man sie künstlich stützt, geht die Problematik weiter und weiter. Ernährung stützen -> Bevölkerungswachstum. Kindersterblichkeit durch medizinische Maßnahmen begrenzen -> Bevölkerungswachstum. Und wohin mit den Menschen, die jedes Jahr auf ihrem eigenen Kontinent ‚zu… Mehr

Sabine W.
7 Jahre her

Aber vielleicht lesen es ja die potienziellen Wähler.
Die Hoffnung stirbt zuletzt…