Der britische Star-Historiker Niall Ferguson stellt in der Presse sein Buch über die größten Katastrophen der Weltgeschichte vor - und immer wieder geht es dabei um die Katastrophe Merkel. Wie wird die Geschichte über sie urteilen?
Ferguson führt durch alle größeren Katastrophen, durch die die Menschheit gegangen ist – Seuchen, die Schlacht an der Somme (1916 – 1,1 Mio. Tote), Grippen, Abstürze, Tschernobyl, entgleiste Züge und entgleiste Staaten. Jeder Fall wird genauestens analysiert und mit einer Präzision seziert, die die Nackenhaare sträuben lässt; nahezu lustvoll wälzt sich Ferguson in Opferzahlen und haarklein dargelegten Gründen für Versagen, Pleiten, Pech und Pannen, die selbst große Weltreiche in den Untergang führten.
Es ist ein monumentales Werk: Keine Geschichte der akuten Seuche und keine Geschichte von Pandemien ganz allgemein. Es ist eine Geschichte der Katastrophen – aller erdenklichen Verhängnisse, seien sie geologischer oder geopolitischer, biologischer oder technischer Natur. Wie sonst sollten wir unsere aktuelle Katastrophe – oder jede andere – richtig verstehen?
In den Gesprächen mit Redaktionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz über sein kürzlich auf Deutsch erschienenes neues Buch landet Ferguson immer wieder bei Angela Merkel – geradeso, als sei sie eine der großen Katastrophen.
„Ihre Fehler werden sich rächen“, warnt er auf t-online. Haarklein zählt er ihre Fehler auf und betont, die Krisenkanzlerin habe keine Krisen bewältigt – sondern erst geschaffen, z. B. die Flüchtlingskrise, die sich nach 2015 jetzt zum Ende ihrer Amtszeit zu wiederholen droht: „Ein gewaltiger Flüchtlingsstrom wird nach Europa kommen“. Merkel werde völlig zu Unrecht als starke Führungsperson angesehen. „Das ist eine Erfindung der Medien. Was soll denn bitte ihre große Leistung gewesen sein?“
Die meisten Krisen, wie die griechische Währungskrise, seien ja an Deutschland vorbei gegangen. Sie habe eher den Boden für neue geschaffen – etwa durch ihre Energiepolitik. Während andere Merkels Abschied bedauern, spitzt er zu: „Merkel ist Putins beste Agentin. Mit dem Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 hat Deutschland eingewilligt, sich bei der Energieversorgung vollkommen von Russland abhängig zu machen.“
Und im Wiener Profil verspottet er Merkel und die EU-Führung: „Ich wundere mich, warum sich so wenige in Europa fragen, was sie mit der geflohenen afghanischen Regierung gemein haben, deren System beim Abzug der US-Truppen kollabierte. Die Antwort ist: Ohne Unterstützung der NATO wären die Europäer in keiner stärkeren Position als die afghanische Regierung.“
Und während Merkel sich als starke Führerin durch die Pandemie stilisieren lässt antwortet Ferguson in der Welt: „Covid-19 ist geschichtlich gesehen eine eher kleine Katastrophe“. Er selbst sei gut durch die Krise gekommen – anders als Deutschland, verrät er der FAZ: „Ich mache die Art von Arbeit, die man leicht zu Hause erledigen kann. Ich wohne an einem Ort, der nicht besonders stark betroffen war. Und ich habe sogar von der Pandemie profitiert, denn sie zwang mich, nicht mehr zu reisen, und so habe ich meine Kinder und meine Frau viel öfter gesehen.“ Den meisten allerdings geht es nicht so gut wie einer abtretenden Kanzlerin, die ihre üppige Pension verzehren kann trotz ihres Versagens, das durch zu spät eingeleitete und danach durch zu hektische, überbürokratisierte, meist blinde Aktionen verschlimmert wurde – ganz ohne Gespür für die verheerenden Folgen.
„Die wirtschaftlichen Folgen gleichen denen eines Weltkrieges“, sagt Ferguson gegenüber dem Handelsblatt. Denn die gesundheitlichen Folgen sind das eine – der administrative Umgang mit Katastrophen das andere – vielfach werden sie erst durch falsches Handeln richtig gefährlich und die Politik wird nicht zum Retter, sondern zum Verstärker. Das grösste Versäumnis im Kampf gegen die Pandemie sei jedoch gewesen, nicht schon ganz am Anfang, als sich erst wenige Personen angesteckt hatten, das Testen und das Contact Tracing zu forcieren.
Sein voluminöses Werk liest sich spannend. Selbst die linke Frankfurter Rundschau konstatiert: „Autor ist der ‚rechte‘ Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson, ein Mann, der nicht uninteressant schreiben kann. 713 Seiten hat das Buch. Die Anmerkungen beginnen auf Seite 542. Auch sie sind eine Quelle des Vergnügens. Man sieht dem Autor zu, mit welcher Freude er sich auch noch in die entfernteste Literatur, Comics, Kunst und Aufsätze in Fachzeitschriften der unterschiedlichsten Disziplinen stürzt.“
Immer wieder wird er nach der Beurteilung Merkels gefragt; aber er verweigert den Gefallen, sie ebenso toll zu finden wie die deutschen Medien. Er gesteht ein, sie wäre wieder gewählt worden, wenn sie nur angetreten wäre. Aber das liege ausschließlich an der Weigerung der deutschen Wähler, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen, denn: „In keiner Disziplin ist Deutschland so gut wie im Selbstbetrug.“
Niall Ferguson, Doom. Die großen Katastrophen der Vergangenheit und einige Lehren für die Zukunft. DVA, 592 Seiten, 28,00 €
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Ferguson hat einen großen Mitarbeiterstab und ist sicher ein guter Wissenschaftsorganisator. Er ist eine Unternehmen. Wer aber Bücher fast im Jahrestakt veröffentlicht, macht mich erstmal skeptisch. Nur ein Punkt: Northstream 2 macht doch nicht Deutschland abhängig von russischem Gas. Das ist doch völliger nonsense . Ob wir Gas durch Northstream 2 oder ältere Piepelines bekommen ist für Deutschland realtiv egal, aber nicht für Rußland und die Transitländer der anderen Pipelines. Diese Ostmitteleuropaumgehungspipeline ermöglicht aber Rußland den Krieg in der Ukraine. Wenn hier die Pipeline durch Sabotage ausfällt, kann Rußland weiter Geld über Northstream 2 verdienen. Deutschland bliebe im Ernstfall gar… Mehr
Auffallend ist, wie wenig wir von den Merkel-Claqueuren in den Medien hören. Und das, obwohl man 16 Jahre lang in Feierstimmung war.
Die ducken sich jetzt schön weg, weil sie auch den Trümmerhaufen sehen, den ihre ach-so-weitsichtige Königin hinterlassen hat. Wendehälse wird es immer geben !
Merkel hat keine „Fehler“ gemacht. Alles Vorsatz. Zitat Lafontaine anläßlich ihrer Wahl zur Kanzlerin: „Ihr habt eben eine überzeugte Jungkommunistin zur Kanzlerin gemacht. Ist euch das eigentlich klar?!“
Lafontaine hat leider vieles sehr richtig vorausgesagt. Auch in diesen Tagen bestätigt sich das: Siehe Merkel-Politik, siehe Riesterrente.
Leider war die Linkspartei die falsche Partei für Lafonaine.
Merkels einziger Verdienst war, dass sie ruhig agierte und damit Deutschland das Image einer verschlafenden Behörde verpasst hat, die sich von Profis regelmäßig über den Tisch ziehen läßt. Das hat insbesondere den anderen EU Partnern gefallen, wenn auch diese sich von Deutschland noch etwas mehr Selbstaufgabe gewünscht hätten. Merkel hat von Schröders Sozialreform profitiert, ansonsten nur historische Fehlentscheidungen getroffen und Konkurrenten aus dem Weg geräumt. Am Niedergang Deutschlands, der schon vor 20 Jahren begann, hat sie nichts geändert, eher diesen noch beschleunigt. Allerdings: Bei NordStream2 habe ich eine andere Sicht. Die hohe Abhängigkeit von russischem Gas steigt mit jedem konventionellen… Mehr
Jeder Tag mit Merkel, war ein verlorenes Jahr.
Und dann, man kann es kaum glauben, gibt ausgerechnet Merz bei Maischberger zum Besten:
„Ich finde, wir haben Angela Merkel viel zu verdanken. Sie übergibt das Land in einem im Großen und Ganzen guten Zustand“, sagte der 66-Jährige: „Das sind Maßstäbe, die sie gesetzt hat. Die muss der Nachfolger erstmal erfüllen. Das sind große Schuhe. “
Auch ihr Nachfolger findet keine Gnade vor seinen Augen: „Olaf Scholz ist eine männliche Ausgabe von Angela Merkel.
Merz: Scholz sollte sich Rat bei Merkel holen
Danke Herr Tichy – und in den „großen Blättern“ gibt es tatsächlich keinen Nachhall auf Fergusons Erkenntnisse? Seltsam!
„Merkel ist Putins beste Agentin. Mit dem Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 hat Deutschland eingewilligt, sich bei der Energieversorgung vollkommen von Russland abhängig zu machen.“ Man muss wissen: In Großbritannien herrscht absolutes Unverständnis, was die deutsche Energiepolitik, also den Ausstieg aus Atom- und Kohleenergie, betrifft. Eine Folge ist, siehe Zitat, die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas. Aus der Rezension ist nicht ersichtlich, inwieweit Ferguson im Buch darauf eingeht, dass eine engere Verbindung zwischen Deutschland und Russland – historisch wie offenbar aktuell – niemals im Sinne des anglo-american Establishments gewesen ist, ja in jedem Fall verhindert werden muss. Das ist… Mehr
Bei aller berechtigter Kritik an Merkel: Der Satz „Mit dem Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 hat Deutschland eingewilligt, sich bei der Energieversorgung vollkommen von Russland abhängig zu machen.“ ist kompletter Blödsinn. Ob Deutschland und andere Länder als Kunden die Pipeline nutzen oder nicht, ist ihnen unbenommen. Russische Firmen haben Milliarden investiert und brauchen jetzt Erträge, d.h. sind darauf angewiesen, dass die Kunden ihr Gas kaufen. Die energiepolitische Katastrophe bestand doch darin, gut funktionierende Kernkraftwerke abzuschalten und alle Kerntechnik-Entwicklung hierzulande einzustellen. Neben dem bisherigen finanziellen Schaden ist die zukünftige Versorgungs-Unsicherheit zu nennen – sie resultiert aber nicht aus russischem Gas,… Mehr
Ferguson hat vollkommen recht. Allerdings mit einer Einschränkung. Deutschland hat sich nicht mit dem Bau der Nord Stream 2 von Russland abhängig gemacht, sondern mit dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung. Was am Urteil über Merkel letztlich keinen Unterschied macht, denn auch den Atomausstieg und den Ausstieg aus der Kohleverstromung hatte Merkel verbrochen. Und Merkels Fehler werden sich rächen. Alle. Das passiert auch bereits. Die Euro-Rettungspolitik rächt sich bereits durch die Nullzinspolitik und Inflation zu Lasten der Sparer. Die Energiepolitik rächt sich bereits in den gestiegenen Strompreisen. Die Flüchtlingspolitik rächt sich bereits durch die… Mehr
Da haben Sie absolut recht. Der Ausstieg und die Verknappung des sonstigen Angebots ist das Problem, nicht das russische Angebot der Gaslieferung. Ansonsten würde ich dem Autor aber in jedem Punkt recht geben. Die Meinung zum Rest vertrete ich und viele andere hier schon lange.
Merkwürdigerweise scheint Herr Ferguson die Bedeutung der Medien zu übersehen. Meinungen, Stimmungen können geschürt, oder gemacht werden. Aus welchem Grund stehen die Öffentlich Rechtlichen Medien immer einig in der Beweihräucherung hinter allem, was Frau Merkel tut? Warum „bewundern“ scheinbar die mächtigen amerikanischen Medien und die nach Weltherrschaft strebenden US- Multimilliardäre Frau Merkel, als die „mächtigste Frau der Welt“? Warum erhält sie Ehrungen all überall? Herr Ferguson sollte das Kind schon beim Namen nennen!