Sprachregime – Die Macht der politischen Wahrheitssysteme

Die real praktizierte öffentliche Sprache in diesem unserem Lande ist zu einem Gängelband des Denkens, Wahrnehmens und Fühlens geworden. Das ist eine der Kernaussagen eines höchst lesenswerten, zugleich intellektuell anspruchsvollen Buches von Michael Esders.

Allein der Titel ist markante Aussage genug. „Sprachregime“ kann im Singular oder auch im Plural gemeint sein. Nach der Lektüre weniger Seiten wird man merken: Es ist der Plural gemeint, und es geht nicht nur um Sprachregime, sondern um Deutungs- und soziale Sanktionsregime. China mit seinem Sozialkredit-System lässt grüßen. Es hat sich auch nicht nur ein einziges Gängelsystem etabliert, sondern es sind mehrere, denen sich nur Bestinformierte und mutig-kritische Geister zu entziehen vermögen.

Auch der Begriff „Wahrheitssysteme“ im Untertitel hat es in sich. Denn es geht um oktroyierte „Wahrheiten“ (eigentlich „Falsch“-heiten), an die der brave Bürger, der typisch deutsche Untertan glauben soll. Sloterdijk verwendet hierfür und vor allem mit Blick auf die deutsche Migrationspolitik den Begriff „Lügenäther“. Überhaupt scheinen „Wahrheiten“ ganz im Sinne des Konstruktivismus zum Konstrukt geworden, das jederzeit und je nach politischer bzw. medialer Laune dekonstruiert werden kann. Etwa wie folgt: „Die Objekte der politischen Dekonstruktion – Familie, Volk, Nation, Kultur und Geschlechtsidentität – erscheinen als willkürliche, exklusive und zudem gefährliche Konstrukte, die es mit emanzipatorischem Ziel aufzulösen, letztlich zu beseitigen gilt.“ Und längst geht es nicht mehr um die Kategorien richtig/falsch, sondern um gut/böse. „Chemnitz 2018“ steht als Beispiel dafür; es war ja auch der Anlass für den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), von „politischen Wahrheitssystemen“ zu sprechen.

Der Autor Esders hat damit eine höchst zeitgemäße Analyse zu Orwells „1984“ bzw. dessen „Big Brother“ und „Ministerium für Wahrheit“ (MiniWahr) geschrieben. Die Methoden des Big Brothers des Jahres 1948, als Orwell „1984“ schrieb, sind heute aufgrund der medialen Möglichkeiten sogar noch perfektioniert. Und längst sind bestimmte Dinge in diesem Lande nicht mehr verbalisierbar, also bald auch nicht mehr denkbar. Menschen werden damit manipuliert, gegen ihre Lebensinteressen zu leben. Zum Beispiel durch bestimmte Narrative, die schier zur Staatsraison erhoben wurden: „Willkommenskultur“, „Gender“, „Klimawandel“, „Islam als Teil Deutschlands“ usw.

Gender-K(r)ampf
Wer Gender will, bekommt es bis zum bitterbösen Ende
Durch politische Vorgaben und eilfertige mediale Verbreitung, so Esders, entstehe ein verzerrtes, ideologisiertes Abbild der Realität. Framing-Manuale der Öffentlich-Rechtlichen und „Spiegel“-Relotiusse lassen grüßen. Dass solche Abbilder wirken, hat laut Esders mit der Macht der Medien, aber auch mit dem sinkenden Bildungsniveau zu tun. Denn, das fügt der Rezensent an: „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ (Marie von Ebner-Eschenbach). Moderne Bildungspolitik befördert gerade das, indem sie gegen kanonisches Vorratswissen poltert, vermeintliches Wissen unter aller Kanone fördert und unter dem Diktum einer vagen Kompetenzenpädagogik aus Lehrplänen Leerpläne macht.

Michael Esders ist ein Autor, dessen sprachliche Kreativität nicht nur begeistert, sondern dessen Formulierungsgabe Kritik erfreulich schmerzhaft auf den Punkt bringt. So etwa, wenn er dem „monolithisch auftretenden politisch-medialen Komplex“ „bunttümelnde Eintönigkeit“ attestiert. Oder wenn er die ohnehin schon verengten Meinungskorridore vor allem durch NS-Vergleiche als „schärfste Waffe“ und als „Goldstandard“ weiter verengt sieht. Habermas kommt zu Recht nicht gut weg – ein Habermas, der sein Leben lang vom „herrschaftsfreien Diskurs“ schwadronierte, aber als Mittel gegen „Rechte“ deren „Dethematisierung“ fordert.

Greifen wir weitere Thesen bzw. Diagnosen des Autors Michael Esders auf: Talkshows und der ganze „Belehrungsjournalismus“ produzieren aus seiner Sicht „hochartifizielle Realitätssimulationen“ (also Wahrheitskonstruktionen im Sinne einer „Hyperfaktizität“). Hypermoral ist für Esders ein Dekadenzphänomen, mit dem Gesinnung Empirie schlägt. Die „grünen Mythen“ würden, so der Autor, ein „narratives Kindchenschema und eine verbreitete Regressionssehnsucht“ bedienen, wobei etwa die aus dieser Ecke tränenreich erzählten Schicksale etwa „Schutzsuchender“ einen „Anspruch auf Totalität“ erheben sollen. Überhaupt seien die neuen Erzählungen und Mythen säkularisierte Bußrituale bzw. zivilreligiöse Varianten des Ablasshandels. Oder individualpsychologisch formuliert: „Identitätssurrogate, die auf ein Sinnvakuum in den diversifizierten Lebenswelten reagieren und dies zum Schein und mit den Mitteln des ästhetischen Scheins ausfüllen.“

Esders setzt dagegen: Sprachregime verursachen die meisten Verirrungen der Jetztzeit. Deshalb gilt für ihn: „Die Verteidigung des Eigenen müsste beim Eigensinn der Sprache ansetzen und als Widerstand gegen die Enteignung des Ausdrucksvermögens angelegt sein.“ Wer sich gegen Sprachregime immunisieren möchte, für den ist Esders‘ Buch Pflichtlektüre.


Michael Esders, Sprachregime. Die Macht der politischen Wahrheitssysteme. Manuscriptum, 148 Seiten, 18,00 €.


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Kommentare ( 31 )

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31 Comments
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kdm
4 Jahre her

Ich bin im Zwiespalt: ich sehe, höre und erfahren den Wahnsinn ebenfalls tagtäglich, er wird ja in zig Webseiten (auch hier) nochmal verdeutlicht und ich les auch das alles und bin tagtäglich entsetzt… Ergo: ich muss mir dies Buch (und ähnliche Bücher) nicht kaufen, denn der Inhalt ist mir wohlbekannt. Anfangs hatte ich mir kritische und intelligente Artikel, Informationen und Kommentare aus Webseiten gespeichert, besonders was „unsere Presse“ angeht (etwa seit „Ukraine“); inzwischen hab ich das alles wieder gelöscht: es war schlicht zu viel und abzusehen, dass ich das nie wieder lesen oder gar „gebrauchen“ könnte, wozu auch? Ich bin… Mehr

grenzenlos
4 Jahre her

Ein sehr gutes Buch, das ich in einem Zug gelesen habe. Michael Esters beschreibt präzise, was wir jeden Tag sehen – wenn wir es denn sehen wollen.
Ich habe das Buch meiner Tochter geschenkt, bzw. schenken wollen. Aber – fast habe ich das erwartet – sie hat es zurückgewiesen.
Die junge Generation will nicht sehen, was ist. Man schirmt sich ab und verweigert das Gespräch. Die Reihen, fest geschlossen, marschiert man in den Untergang.

kdm
4 Jahre her
Antworten an  grenzenlos

Anzunehmen ist, die Tochter sieht da genau so. Mit dem gleichen Urteil, nur von der anderen Seite.

Nibelung
4 Jahre her

Da haben sie völlig recht und hinzu kommt noch die innere Zerrisssenheit wie bei Dr. Jäckel und Mr. Hyde und ein Studium sagt garnichts, die größten Verbrecher waren damit ausgestattet und haben nur Leid und Elend über andere gebracht und in der Kriminalstatistik erscheinen sie ebenso wie andere, nur kriegt man sie in der Regel schlechter zu fassen und darin liegt das eigentliche Problem.

Klaus Kabel
4 Jahre her

Das chinesische Sozialkredit-System ist nicht das Einzige, was in Deutschland Grüßen lässt. Auch mit dem Vorgehen des chinesischen Regimes in Tibet durch Masseneinwanderung Kulturfremder mit dem Ziel der Zersetzung des tibetanischen Volkes und seiner Kultur, darf man Merkeldeutschland vergleichen.
Von China lernen heißt siegen lernen.

Peter Pascht
4 Jahre her
Antworten an  Klaus Kabel

Von China lernen heißt ….
Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Menschlichkeit zu begehen.

Nibelung
4 Jahre her
Antworten an  Peter Pascht

Gebe ihnen völlig recht, denn in über 30 Jahren habe ich die Mentalität kennengelernt und kann nur sagen, wer an die 20 Mill. Toten in der Kulturrevolution glaubt, der kann mir auch im Vorbeiflug die Anzahl der Stare nennen, was so gut wie unmöglich ist und genauso wenig meßbar sind die damaligen Opfer, aber aufgrund der schieren Masse scheint das reichlich untertrieben zu sein, denn ich habe schon Zeiten nur als Beispiel in Shanghai erlebt, wo man nicht einmal auf dem Bürgersteig umfallen konnte, der allgemeinen Dichte wegen und für einen Europäer vergleichbar mit einem gut besuchten Rummelplatz bei besten… Mehr

country boy
4 Jahre her

„Durch politische Vorgaben und eilfertige mediale Verbreitung, so Esders, entstehe ein verzerrtes, ideologisiertes Abbild der Realität.“
Die Eilfertigkeit und Unterwürfigkeit einer Anne Will mag angesichts ihrer 1/4-jährigen Sommerferien und einem Gehalt, das wohl wegen seiner Höhe zur staatlichen Verschlusssache wurde, nicht verwundern. Wer würde dafür nicht auch seine eigene Großmutter verkaufen?
Die Eilfertigkeit, mit der jedoch die einstigen stolzen Flaggschiffe der deutschen Presse – die ZEIT und der SPIEGEL – im Jahr 2015 zur Selbstversenkung schritten, macht fassungslos. Den Besatzungen dieser Schiffe hätte man weniger Hasenherzig- und -hirnigkeit schon zugetraut.

Nibelung
4 Jahre her

Was ist und bedeuted Wahrheit? Die Wahrheit ist eine Sachbeschreibung in richtiger Form um dem Gegenüber etwas zu beschreiben, was sich tatsächlich so abgespielt hat. Sie kann aber auch verfälscht, gebeugt oder verniedlicht werden und so zu einer falschen Annahme führen, was dann der Unwahrheit gleichkommt oder zumindest dem Urzustand nicht mehr entspricht. Dieser Vorgang des Mißbrauchs der Wahrheit ist schon ein jahrtausender Jahre alter Akt, freiwillig oder unfreiwillig und somit wird die Wahrheit zur Lüge, als Gegenstück des urpsrünglichen Ablaufes und hat den furchtbaren Nebeneffekt, daß die Glaubwürdigkeit auf der Strecke bleibt, mit allen Nebenwirkungen die damit einhergehen. Deswegen… Mehr

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  Nibelung

Ea war auch schon immer, dass diejenigen, die am lautesten die „Lüge“ gegeißelt haben, die größten Lügner waren.
Die Kirche geißelte die „Lügen“ der Ketzer, die Sozialisten geißeln die „Lügen“ des Kapitals oder der Faschisten. Auch die Klimaideologen geißeln immer die „Lügen“ der „Klimaleugner“.

teanopos
4 Jahre her

Sprachenregime sind Krieg mit anderen Mitteln, Krieg gegen jene die unter die eigene Knute gemaßregelt werden sollen.
Die Methode erinnert außerdem stark an Flublätter die während des Krieges im Feindesland abgeworfen wurden, mit dem selben Zweck:
Zersetzung, Demoralisierung, Desinformation.

Peter Silie
4 Jahre her

„Der typische Deutsche ist absolut obrigkeitshörig. Er ist ein Held vor dem Feind, aber ein Feigling vor der eigenen Obrigkeit. Und er verteidigt sich erst dann, wenn es quasi nichts mehr zu verteidigen gibt“.
C. F. v. Weizsäcker

pantau
4 Jahre her
Antworten an  Peter Silie

C. Weizsäcker würde heute ebenfalls als „umstritten“, wenn nicht als „rächts“gehandelt werden. Man soll ja nicht nach Personen gehen, aber wenn sich Strauchdiebtypen und Honorige dermaßen nach pol. Standpunkt auseinandersortiert haben wie heute, kann man mittlerweile über Personen argumentieren…Bürgerrechtler gelten als „umstritten“ und Ex-Stasioffiziere wie Kahane und Spät-SED-Beitreter wie Illner geben den Ton an…

Hoffnungslos
4 Jahre her

Warum sich mit der Manipulation und all den Anwürfen der Öffentlich Rechtlichen Medien noch intensiver auseinander setzen. Konstruktive eigene Ideen müssen massiv veröffentlicht werden. Die Gegenöffentlichkeit muss viel aktiver werden und das nicht in erster Linie in Form einer Diskussion der Mehrheitsmedien. Der eigene, kritische Standpunkt muss unser Thema sein. Freiheit, Demokratie, Nationalstaat müssen in ihrer Bedeutung herausgestellt und verteidigt werden. Immer und immer wieder.

Harry Charles
4 Jahre her

WER DIES GUTE BUCH LIEST, der braucht die Lektüre wahrscheinlich nicht, denn die gesellschaftliche Problematik wird ihm bewusst sein, Und die vielen Mainstreamkriecher, die es nötig hätten, werden es nicht lesen, das ist das Tragische daran. Gesellschaftliche Veränderungen bei uns hier, da habe ich die Hoffnung längst aufgegeben, können nicht aus unserem eigenen Land, sie müssen von außen kommen. Die US-Wahl wird so eine Wegscheide sein. Gewinnt das Gute, also Trump, dann bedeutet das das Ende der Giftspritzen, und wird auch hierzulande so einiges drehen, Dann können sie diese kranke Tour so nicht weiter reiten. Sollte Trump nicht gewinnen und… Mehr

Alexis de Tocqueville
4 Jahre her
Antworten an  Harry Charles

Eben. Genau das dachte ich mir auchbeim letzten Satz des Artikels.

Wer bereit, das zu lesen, der braucht es nicht. Weiß denn irgendwer bei TE hier nicht, wie die Propaganda funktioniert?
Wie man Stimmmung erzeugt, Tabus setzt, Meinungskorridore verengt, gewünschte Konnotationen installiert, de- und rekontextualisiert, Tatsachen als Meinungen darstellt und umgekehrt…