Salman Rushdie – Liebesgrüße aus Teheran

1988 veröffentlichte der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie die „Satanischen Verse“. Seitdem ist ein Millionen-Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, Rushdie lebte lange im Untergrund und veröffentlichte 2012 Erinnerungen an diese Zeit. Am 12. August wurde er bei einem Attentat schwer verletzt.

Inzwischen gehört der Valentinstag zum Brauchtum der postmodernen Welt. An jedem 14. Februar gedenken die Liebenden ihrer Liebe. Für den Schriftsteller Salman Rushdie allerdings, der es bis 14. Februar 1989 durch seine Romane „Mitternachtskinder“ und „Scham und Schande“ bereits zu einer soliden Bekanntheit gebracht hatte, bekam dieser Tag eine neue, verstörende Bedeutung, als ihn über eine BBC-Journalistin Liebesgrüße aus Teheran erreichten: „Wie fühlt man sich, wenn man gerade von Ayatollah Khomeini zum Tode verurteilt wurde?“

Die Fatwa rief jeden Muslim auf, den Schriftsteller zu ermorden, also mehr als einer Milliarde Menschen wurde Allahs spezieller Segen versprochen, wenn sie den Apostaten töten würden. Rushdie vermutete später, dass Khomeini den Roman gar nicht gelesen hatte, sondern ihn zur Mobilisierung der Muslime benutzte, um seine politischen und wirtschaftlichen Fehlschläge zu vertuschen.

Aufgrund der Fatwa lebte der Schriftsteller, dessen Vater seinen ursprünglichen Namen aufgegeben und sich nach dem großen rationalistischen Philosophen ibn Rushd benannt hatte, das folgende Jahrzehnt versteckt mit einem Decknamen unter ständigem Polizeischutz bis zum März 2002. Zehn Jahre später erschien Rushdies Buch „Joseph Anton. Die Autobiographie“. Der englische Untertitel ist vielleicht genauer, der lautet nämlich schlicht „Memoirs“, „Erinnerungen“.

Rushdie hatte im Grunde keine Autobiographie verfasst, sondern in der Tat Erinnerungen, denen man anmerkt, dass ihnen Tagebuchnotizen zugrunde lagen. Die Handlung: Ein Schriftsteller, dem der Durchbruch gelungen war und der an der Schwelle stand, eine allseits bekannte, öffentliche Persönlichkeit zu werden, wird in die Dunkelheit der Konspiration gezwungen. Um sein Leben zu schützen, stellte sich Rushdie unter die Kuratel der Personenschützer. Die Gefahr war real. „Er sollte vor Gericht gezerrt, aus der Gesellschaft gejagt, gar getötet werden. Wegen seiner Sprache war all das legitim. Es war die Sprache der Literatur; sie war das Verbrechen“, heißt es in den Erinnerungen.

Vom Tod bedroht und vogelfrei
Große Solidarität für Rushdie
Vertreter von Muslimverbänden wie beispielsweise Iqbal Sacranie, der auf Vorschlag von Tony Blair 2005 in den Adelsstand erhoben wurde, äußerten, dass der Tod für den Autor des Romans „Die Satanischen Verse“ „eigentlich noch zu wenig“ sei. Westliche Intellektuelle brachten peinlich viel Verständnis auf. So schrieb John Le Carré: „Ich glaube nicht, dass es einem von uns gegeben ist, die großen Religionen ungestraft beleidigen zu dürfen.“ Au contraire, jedem Menschen ist es gegeben, die großen wie die kleinen Religionen zu beleidigen; nur in dem Augenblick, in dem sich die „großen Religionen“ beleidigt fühlen, sind sie eben keine Religionen mehr, sondern nur noch totalitäre Ideologien.

Während Muslime den Roman in Großbritannien öffentlich verbrannten, sah sich Rushdie angesichts der Todesdrohungen gezwungen, einen Decknamen zu suchen, unter dem er künftig leben wollte. Typisch für einen Schriftsteller experimentierte er mit den Namen der großen Verstorbenen, bis er auf die Kombination Joseph Anton kam – die Vornamen von Joseph Conrad und Anton Tschechow. Doch wer in diesem weitgespannten Decknamen immer mehr verloren ging, war er selbst, war Salman Rushdie.

Vom Verfolgten zum Verfolger

Davon handelt der Roman: wie es dem Schriftsteller gelingt, vom Verfolgten zum Verfolger zu werden, wie der Deckname, der ein Gefängnis ist, der für die Regeln seines unöffentlichen, konspirativen Lebens steht, eines Lebens nach dem öffentlichen Tod am Valentinstag, in einen Nom de guerre verwandelt wird, um wieder zu sich zu finden und überhaupt zu Salman Rushdie zu werden. Wie sich Rushdie mühsam den Weg in die Öffentlichkeit, in die Freiheit erkämpft, das ist die spannende Handlung, die Widerstandskraft der Literatur das Thema.

Zum Ende, nach der großen Erziehung zur Freiheit, schreibt er: „Er beschloss, an die Natur des Menschen und die Universalität ihrer Rechte, Ethiken und Freiheiten zu glauben und sich dem relativistischen Irrglauben, der den Schmähungen militanter Gläubiger (wir hassen euch, weil wir nicht so sind wie ihr) und ihrer bedauerlicherweise häufig linksstehenden Sympathisanten im Westen zugrunde lag, zu widersetzen. Wenn die Kunst des Romans etwas zu offenbaren vermochte, dann war es die Natur des Menschen als große Konstante in sämtlichen Kulturen, an allen Orten und zu allen Zeiten, und dass, wie Heraklit es zweitausend Jahre zuvor gesagt hatte, das Ethos des Menschen, sein Dasein in der Welt, sein Daimon sei, das Leitprinzip seines Lebens – oder um es auf den Punkt zu bringen, dass sein Wesen sein Schicksal war.“

„Die größte Gefahr der wachsenden Bedrohung lag darin, dass
gute Menschen intellektuellen Selbstmord begingen und
es Frieden nannten, sich der Angst ergaben und es Respekt nannten.“

Kindheitserinnerungen werden dabei an eine Zeit wach, als es zur „Normalität“ gehörte, dass in der Schule unangekündigte Mappenkontrollen durchgeführt wurden, um festzustellen, ob die Schüler Schund- und Schmutz-Literatur mitführten, worunter vor allem die Werke von Karl May fielen. Dass der Ravensburger Verlag dieses Kinderbuch zurückgezogen hat, ist wie eine Fatwa gegen Karl May, nur das der schon tot ist.

Einige Verlage – immer weniger voneinander zu unterscheiden – drucken zunehmend literarisch Minderwertiges, wokes Gestammel, politisch korrekt, „Humpty-Dumpty-Neusprech“, also das Gegenteil von Literatur. Mit ihren Produkten erkunden sie nicht die Größe der Welt, den Kosmos des Menschen, sondern sie machen die Welt klein, immer kleiner, zu einer Drillstube der Empfindlichkeit. Rushdie erzählt in seinem Buch auch von der Angst der Verlage vor seinem Roman, vor der Kraft der Literatur.

Das alles macht Rushdies Buch aus dem Jahr 2012 so verdammt aktuell, dass man es nur mit angehaltenem Atem zu lesen vermag, weil es zeigt, wo der Sturz in die Finsternis, in den neuen Irrationalismus beginnt, beim Appeasement westlicher Politiker dem Islamismus gegenüber, ihrem schändlichen Kotau vor Intoleranz und Terror, vor Gewalt und Unterdrückung, vor Antisemitismus, wie jüngst auf der Documenta zu beobachten, wenn er von muslimischer Seite kommt.

Verfechter der Meinungsfreiheit
Ein Buch für die Gegenwart, ein zeitloses Buch – und eine Machtfrage
Wenn Salman Rushdie über sein Treffen mit Jacques Derrida berichtet, dass er sich mit dem französischen Philosophen nicht verstanden habe, so erstaunt das wenig, denn schließlich gehört zu den Auslösern der Autoimmunerkrankung der europäischen Kultur Derridas Dekonstruktivismus, der als French Theory aus den USA vulgarisiert und aufgerüstet als Wokismus nach Europa zurückkehrte. Es ist überaus hellsichtig, wenn Rushdie aus Erfahrung formuliert: „Die größte Gefahr der wachsenden Bedrohung lag darin, dass gute Menschen intellektuellen Selbstmord begingen und es Frieden nannten, sich der Angst ergaben und es Respekt nannten.“

Kampfbegriff „Islamophobie“

Und er dokumentiert den Anfang dieser Entwicklung: „Eine neue Intoleranz zog auf. Sie verbreitete sich über den Erdball, doch niemand wollte es wahrhaben. Ein neues Wort war erfunden worden, um den Blinden ihre Blindheit zu lassen: Islamophobie. … Ab wann, so fragte er sich, wurde es irrational, eine Religion – ganz gleich welche – nicht zu mögen oder gar zu verabscheuen? Ab wann wurde Vernunft in Torheit umbenannt? Ab wann wurden die Märchen der Abergläubigen höher gehängt als Kritik und Satire? Eine Religion war keine Rasse. Sie war eine Idee, und Ideen standen (oder fielen), weil sie stark genug (oder zu schwach) waren, um Kritik zu widerstehen, und nicht, weil man sie schützte. Starke Ideen waren offen für Querdenker.“ „Islamophobie“, so Rushdie weiter, „war ein neuer Begriff im Humpty-Dumpty-Neusprech, das die Sprache der Analyse, der Vernunft und Debatte auf den Kopf stellte.“

Am 12. August 2022, 33 Jahre nach dem Erlass der Fatwa durch Khomeini, stach ein in den USA geborener junger Mann, dessen Vater aus dem Südlibanon stammt, mehrfach auf Salman Rushdie ein, der in einer Veranstaltung im beschaulichen Chautauqua im Nordwesten von New York sprechen wollte. Der Schriftsteller wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht.

Der Hass hat sein Ziel gefunden. Wie es dazu noch nach drei Jahrzehnten kommen konnte, ausgeübt von einem jungen Mann, der noch gar nicht auf der Welt war, als Khomeini das Dokument des Hasses, das der Iran bisher nicht zurücknahm, erlassen hatte, zeigt wie aktuell Rushdies Buch ist, um wie viel aktueller es seitdem geworden ist.

Salman Rushdie wurde 1947 in Bombay geboren und studierte in Cambridge Geschichte. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm 1981 mit dem Buch „Mitternachtskinder“ (Booker-Preis). Die „Satanischen Verse“ (1988) waren ebenfalls ein großer Erfolg. Ajatollah Khomeni belegte ihn als Gotteslästerer mit der Fatwa

Salman Rushdie, Joseph Anton. Autobiographie. btb, 720 Seiten, 12,99 €.


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Kommentare ( 1 )

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Schwabenwilli
2 Jahre her

Bin mal gespannt wie lange es noch dauert bis der Rest der Menschheit den Kampf gegen den religiösen Faschismus aufnimmt.
China und Israel, so scheint es, sind die einzigen welche die immense Gefahr sehen und auch danach handeln.
Afghanistan, Pakistan….. sind doch ein Zeugnis was geschieht, was aus Menschen wird.