Wie man gut und gerne leben kann, das weiß vermutlich ein britischer Philosoph besser als deutsche Politiker: Roger Scruton (75) hat sich sein Leben lang mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigt ...
… von musikalischen und literarischen Klassikern bis hin zur Architektur, zum Wein und zum Umweltschutz, den er für ein konservatives Thema hält. Also ein reiner Schöngeist? Nein. Auch Politik interessiert Roger Scruton. Zu totalitären politischen Entwicklungen in Europa geht der „Brexit“-Befürworter, der einst im Ostblock als Untergrund-Aktivist tätig war, entschieden auf Distanz. Mit Argumenten, die er aus der Geschichte der Philosophie herleitet und mithilfe des „common sense“, was ihm als Engländer natürlich gut zu Gesicht steht. Ein schillerndes Multitalent also, dem es zurzeit allerdings nicht so gut geht.
Inzwischen an Krebs erkrankt, nahm Roger Scruton am 15. November in Prag eine Auszeichnung des tschechischen Senats entgegen, die ihm für seine Aktivitäten im tschechoslowakischem Untergrund vor der Samtenen Revolution von 1989 verliehen wurde.
Wird er noch einmal auf die internationale Vortragsbühne zurückkehren? Im Sommer dieses Jahres teilte der britische Philosoph und Autor Sir Roger Scruton mit, dass er erkrankt sei. An eine internationale Zusammenkunft konservativer Denker und Medienleute in Oxford, die ihn ursprünglich in seinem Haus in Wiltshire („Scrutopia“) besuchen wollten, richtete er eine freundliche Absage.
Wer Scruton trotzdem reden hören möchte, wird im Internet bei „Youtube“ fündig, wo diverse Vorträge und Interviews des 1944 in Buslingthorpe, Lincolnshire, geborenen Gelehrten abrufbar sind. Ein wenig nuschelnd, leicht stotternd spricht er, aber mit typisch britischem Humor und bescheidenem Gemüt. Nicht zu vergessen natürlich, für Lesefreunde, die dreißig Bücher, die der Brite mit dem rötlich-blonden Haar im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere geschrieben hat – oder sollte man lieber sagen: die Werke, die er anstelle seiner wissenschaftlichen Karriere verfasste?
Die Stars, welche Generationen von Studenten und Intellektuellen in Europa und den Vereinigten Staaten während der vergangenen Jahrzehnte in ihren postmodernen Bann zogen, hießen Jacques Derrida, Michel Foucault oder Terry Eagleton – Roger Scruton dagegen, dem schon die 68er-Revolte in Paris, die er persönlich erlebte, ein Gräuel war, dekonstruierte ihren populären Dekonstruktivismus mit unerschrockener Logik und höflicher Sachlichkeit. Mit dem Ergebnis, dass nur „Entfremdung“, das „Nichts“ oder sogar, wie es im Buch „Modern Culture“ heißt, „the world of the devil“ herauskam. Also nichts für eine Zivilisation wahrhaft Tragfähiges. Der wissenschaftlichen Elite scheint dies bis heute egal zu sein. Nicht aber Scruton, der in Anlehnung an T.S. Eliot kulturelle Bildung, eingeschlossen die Philosophie, stets als das betrachtet hat, was jungen Menschen echte Lebensweisheit und zweckfreies Wissen vermitteln sollte. Ein Wissen, das sich eingebettet weiß, in die abendländische Tradition und damit auch in die Tradition des Christentums, das für den bekennenden Anglikaner nicht unwichtig ist.
Das Schöne und das Heilige in der Kunst und im Leben hat Scruton, der Frankreich seine „spirituelle Heimat“ nennt, der aber auch ein exquisiter Kenner der deutschen Geistesgeschichte (inklusive der Werke Richard Wagners, Hegels und Kants) ist, schließlich nachhaltig fasziniert. Besonders der Katholizismus übte auf ihn früh einen Reiz aus, wie Scruton im Jahr 2015 gegenüber dem „Catholic Herald“ bekannt hat: „Ich bin immer von der katholischen Kirche angezogen worden, weil sie die Tradition respektiert, für die apostolische Kontinuität steht und versucht, das gewöhnliche Leben mit Sakramenten zu erfüllen.“ Heute sei es in der Kirche nicht mehr ganz so, das wisse er auch.
Zwei Katholiken waren demnach sehr einflussreich auf Scruton und seine Kirchensicht: ein hartgesottener britischer Geistlicher namens Alfred Gilbey, dem Scruton als junger Student in Cambridge begegnete, und eine fromme Polin namens Basia, der Scruton während seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Untergrund-Aktivist im kommunistischen Ostblock zu Beginn der 1980er Jahre über den Weg lief. Die Kraft des Katholizismus – im Osten war sie für Scruton auch nach dem Konzil noch zu spüren: „Ich war in Polen, als Johannes Paul II. gewählt wurde. Ich habe den elektrischen Effekt gesehen. Jetzt gab es außerhalb des Landes eine andere Quelle der Autorität, die von der Kommunistischen Partei unabhängig war, aber dennoch internationales Ansehen hatte. Es hatte einen großen Einfluss auf die polnische Bevölkerung. Es gab eine Wiederbelebung des Glaubens und das Martyrium von P. Jerzy Popiełuszko war wahrscheinlich der Anfang vom Ende des Kommunismus.“
Seine Familie durfte miterleben, wie Roger Scruton im Jahr 2016 in den Adelsstand erhoben wurde, aufgrund seiner philosophischen Verdienste und, wenn man so will, seines Wirkens als öffentlicher Lehrer und Erzieher. Doch trotz dieser und anderer Meriten: Ein konservativer Denker wie Scruton hat auch in Zeiten einer Tory-Regierung einen schweren Stand. Als sich ein britischer Journalist in diesem Frühjahr erlaubte, die Aussagen eines Interviews mit Scruton nur teilweise und wie sich zeigte, völlig sinnentstellt wiederzugeben, um Scrutons Reputation zu zerstören, verlor der konservative Kultur-Champion kurzerhand seinen Posten als Vorsitzender einer Bau- und Umwelt-planenden Regierungskommission („Building Better Building Beautiful“). Erst als die Manipulation des Journalisten aufflog, wurde Scruton rehabilitiert. Ein Beleg dafür, dass konservative Parteien in Europa nicht nur eine programmatische Krise durchmachen, sondern personell wie auch charakterlich schwach aufgestellt sind. So ein ungeprüfter Kurzschluss ohne Rücksprache mit dem Betroffenen darf nicht passieren.
Umso schöner ist es, dass eines der wichtigsten Werke von Roger Scruton, „Von der Idee, konservativ zu sein“ (2014), nun endlich auf Deutsch vorliegt. Und trifft der britische Publizist Douglas Murray, der das Vorwort verfasst hat, nicht den Nerv der Zeit? Murray stellt nämlich fest: „Während viele die konservativen Ideen bestenfalls als politische Nostalgie verbuchen, beweist Scruton etwas Anderes. Etwas, was für deutschsprachige Leser ganz besonders nützlich sein dürfte. Denn die konservative Philosophie, für die er eintritt, ist keine Philosophie, die zur Betrachtung in einer Glasvitrine ausgestellt und nur von Kennern geschätzt wird. Sie ist eine tiefgreifende Philosophie, die hier und heute nützlich ist. (…) Die von Scruton entfaltete Philosophie sucht keine Zuflucht in der Vergangenheit, sie blickt auf die Vergangenheit, um nach Anleitung für die Gegenwart zu suchen.“ Roger Scruton suche „die Wunden zu heilen und jene Gräben wieder zu schließen, die die Vertreter der Postmoderne aufgerissen haben und die heute die Gesellschaft teilen und fragmentieren“. Sir Roger, get well soon.
Dieser Beitrag von Stefan Meetschen erschien zuerst in der Dezember-Ausgabe (2019) des VATICAN Magazins. Wir danken Autor und Herausgeber für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.
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Absolute Empfehlung für Scrutons Werke.
Ich lese derzeit sein Buch „Fools, Frauds and Firebrands“ in welchem er sich die Vordenker der heutigen Linken vornimmt. Angefangen bei Marx, über Satre, Derrida bis hin zur heutigen Zeit mit Habermas und dem Pop-Star Marxisten Zizek (aber auch vielen mehr).
Bewusstseinserweiternd und unterhaltsam zugleich.
Für einen einfachen Einstieg, eignet sich aber auch der hervorragende „The Spectator“-Diskurs zwischen ihm und Douglas Murray mit dem Titel „On the Future of Conservatism“; zu sehen bei Youtube.