In seiner Geschichte von Europas Umgang mit den Farbigen erklärt Asfa-Wossen Asserate, warum er Deutschland nicht für systemisch rassistisch hält – und Identitätspolitik für bedrohlich
Wirklich weltläufige Bürger gibt es selten. Asfa-Wossen Asserate gehört zu dieser raren Sorte, Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers, Kenner vieler Länder, seit 1968 in Deutschland heimisch. Wenn sich jemand seines Formats und seiner Geschichte zur Rassismusdebatte in der westlichen Welt äußert, dann schlägt er von vorn herein einen anderen Ton an als fast alle anderen Bücher auf diesem Feld, von den US-Autoren Robin DiAngelo („White Fragility“) und Ibram X. Kendi („How To Be An Antiracist“) bis zu der Deutschen Alice Hasters („Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“) und vielen anderen, die das Thema auf ähnliche Weise wälzen.
Schon in der Ansprache des Publikums unterscheidet sich Asfa-Wossen Asserates „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“ von den oben skizzierten Publikationen: Es richtet sich nicht ausdrücklich an Weiße. Und der Autor hält auch ganz offenkundig nichts von der Idee des systemischen Rassismus, den Frantz Fanon schon in den Fünfzigern und Sechzigern als Konstruktionsprinzip aller westlichen Gesellschaften ausmachte. Kendi, Hasters und andere mischen in ihren Werken Fanons Jahrzehnte alten Deutungen nur mit einem modernisierten Vokabular neu ab. Asserate hält diesem Denkgebäude seine Erfahrungen und Reflexionen entgegen.
Herabsetzungen wegen seiner Hautfarbe, schreibt er, kenne er aus eigenem Erleben kaum: „Ich kann sagen, dass ich in all den Jahren, die ich in Deutschland lebe – es sind nun schon mehr als fünfzig –, kaum jemals irgendeine Form der Anfeindung oder Diskriminierung erfahren habe; und auch von den wenigen meiner dunkelhäutigen Kommilitonen damals in Tübingen habe ich nichts dergleichen gehört. An der Universität, über die der Sturm der Achtundsechziger hinwegzog, waren wir schwarzen Studenten damals Exoten, kaum einer wagte es, uns jemals zu widersprechen. Auch dann nicht, wenn ich in den aufgeheizten politischen Diskussionen, die wir damals führten, leidenschaftlich gegen die Kommilitonen vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund das Wort erhob – schließlich hatten sie sich doch die Befreiung Afrikas und der Afrikaner auf die Fahnen geschrieben.“
Seinen Titel verdankt das Buch übrigens einem Erlebnis aus dieser Zeit; er beobachtete, wie spielende Kinder „wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ spielten und glaubte im ersten Moment, sie würde ihn meinen, merkte dann aber, dass sie ihn gar nicht beachteten. Bei der Gelegenheit erklärt er auch die Herkunft des sehr alten Spiels, dessen Fängerfigur eigentlich den ‚schwarzen Tod‘, also die Pest symbolisiert.
Der Autor liefert seinen Lesern alles andere als ein Idyll, in dem echter Rassismus keine Rolle spielen würde. Im größten Teil des Buchs erzählt er die Geschichte der deutschen und europäischen Wahrnehmung Nichtweißer, die nicht geradlinig verlief: Antike und frühes Mittelalter kannten die systematische und ideologisch begründete Herabstufung Farbiger noch nicht. In der Spätantike bis zum Beginn des Mittelalters gab es immerhin drei Päpste, die der Überlieferung nach aus Afrika stammten. Einen von ihnen, Victor I, zeigen manche Darstellungen als Mann mit nordafrikanischen Zügen. Dunkelhäutige dienten in der römischen Armee als Soldaten und Offiziere; die „Historia Augusta“ etwa beschreibt einen aus Äthiopien stammenden Militärangehörigen am Hadrianswall.
Der Geschichte eines berühmten vermutlich dunkelhäutigen römischen Offiziers, des heiliggesprochenen Mauritius, widmet das Buch einen sehr lehrreichen Abschnitt, der sich vor allem mit seiner Darstellung in Bildern und seiner Rolle als Schutzpatron für Handwerker, Wirte und Apotheker des Mittelalters befasst.
Die Ideologie der Verachtung rechtfertigte den europäischen Sklavenhandel, indem sie die universelle christliche Erlösungsbotschaft für einen ganzen Kontinent faktisch aufhob. An dieser Stelle geht der Essayist aber auch ausführlich auf den innerafrikanischen und islamischen Sklavenhandel ein – und die Tatsache, dass die Bewegung zur Ächtung der Sklaverei exklusiv im Westen entstand. Was folgt nun aus diesem Erbe?
Daraus, dass er selbst keine Anfeindungen erlebte, zieht der Autor nicht den Schluss, es gebe keine Ressentiments, keine Herablassung gegenüber Farbigen in Deutschland. „Ich weiß“, schreibt er, „dass es vielen Schwarzen in Deutschland ganz anders erging und ergeht. Viele Afrodeutsche, Schwarze und Dunkelhäutige, mit denen ich sprach, haben mir von Anfeindungen und Zurückweisungen berichtet. Nicht wenigen von ihnen wurde schon einmal das ‚N-Wort‘ auf der Straße hinterhergerufen; manch einer wurde, wenn er bei der Suche nach einer Wohnung oder nach einer Arbeitsstelle seinen Namen nannte oder wenn es zum Besichtigungstermin oder Vorstellungsgespräch kam, brüsk zurückgewiesen.“ Um dann zu fragen: „Aber gibt es wirklich so etwas wie ‚systemischen Rassismus‘, der unserer Gesellschaft eingeschrieben ist, und wenn ja, wie lässt sich damit umgehen?“
Die ständig wiederholte Lehre vom tiefen und eigentlich unheilbaren Rassismus der weißen Mehrheit lehnt er genauso ab wie die Doktrin der ‚Marginalisierung‘, die angeblich jeder aus dem Kollektiv der ‚People of Color‘ erfährt. Die Forderung nach „Desintegration“ und einer „postmigrantischen Gesellschaft“, in der die Angestammten nur noch als eine unter vielen Gruppen gelten sollen, hält er für gesellschaftsgefährdend, für die Mehrheit wie für die Minderheiten:
Für ein friedliches Zusammenleben von Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft plädiert er statt für die Daueranklage gegen den angeblich strukturellen Rassismus für zwei Dinge: Zum einen „Werte und Regeln, die für alle verbindlich sind“, zum anderen die Offenheit, Probleme beim richtigen Namen zu nennen: „Wenn es mit einzelnen Gruppen Konflikte gibt, darf man darüber aber auch nicht den Mantel des Schweigens legen. Wenn etwa die männlichen Täter, die in der Silvesternacht 2015/16 auf der Kölner Domplatte zahlreiche sexuelle Übergriffe auf Frauen verübten, vor allem aus dem Maghreb und dem arabischen Raum stammen, muss das gesagt werden – verschämtes Verschweigen, um zu vermeiden, sich des Vorwurfes des Rassismus auszusetzen, macht die Sache nur schlimmer.“
Asfa-Wossen Asserates Ansichten und Botschaften sind die eines Autors, der die Bürgergesellschaft um ihrer selbst Willen erhalten will. Ein politisches Manifest legt er mit „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“ trotzdem nicht vor. Sondern mehr als das, einen eleganten, bildungsgesättigten Text, der seinen Leser, um das Churchill-Wort zu bemühen, nicht belehrt, ihm aber reiche Gelegenheit gibt, zu lernen.
Wer „Manieren“, „Draußen nur Kännchen“ und andere seiner Bücher kennt, findet den vertrauten Stil eines Autors wieder, der weiß, dass auch ein Buch über ein ernstes Thema durchaus unterhaltsam sein darf. Das äußerlich schmale Bändchen des „alten schwarzen Mannes“, wie er sich selbst ironisch nennt, wiegt ganze Buchhandlungstische voller Antirassismusfibeln auf.
Asfa-Wossen Asserate, Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? Eine persönliche Wortmeldung. dtv, Klappenbroschur, 160 Seiten, 16,00 €.
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Gebildet, lebenserfahren, abwägend, ideologiefrei, nur dem Verstand verpflichtet, erfolgreich.
Mit anderen Worten:
jemand, für den Wokistan keinerlei Verwendung hat.
Mehr noch: Wokistan betrachtet so jemanden eher als gefährlichen Gegner!
Kein vernünftiger Mensch hat etwas gegen sonstwen, sofern er ihm nicht auf der Tasche liegt und sonstwie nervt; und dann das Zurückweisen seines Ansinnens als „Rassismus“ bezeichnet, um eben doch noch was locker zu machen. Soweit geht die Freundschaft denn doch nicht, oder?
In Dubai war und ist eine sehr kosmopolitische Atmosphere. Wenn man aber genau hinschaut, verkehren alle am liebsten mit ihren eigenen Landsleuten oder ähnlichen Nachbarvölkern. Von Kanada her kenne ich das auch. Unterstellt man mal keinen Rassismus, liegt es daran, daß man bei „eigenen Leuten“ kulturell weniger falsch machen kann, sich bequemer fühlt. Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht, aber in den 1990ern wußte jeder Makler bei Wohnungsvermittlungen, wer mit wem in welchen Gebäuden zusammengebracht werden konnte und wer nicht. Es waren auch keineswegs die Europäer, die sich so besonders wählerisch verhielten. Sie hatten meistens das Geld… Mehr
Die Diskussionen um den Rassismus sollen nur eines bewirken und damit eigentlich das Gegenteil von dem angeblich existierenden Fakten oder Wünschen: Die Darstellung, dass es menschliche unterschiedliche Rassen gibt! Das wird schon allein aus dem Wort RASSismus deutlich! Wenn alle Menschen gleich sind und gleich zu behandeln, muss man keinen Rassismus unterstellen. Erst recht nicht, wenn tatsächlich bei den „Rassisten“ gar keine diesbezüglichen Äußerungen, erst recht keine Taten erfolgen, sondern nur Vermutungen, um den Begriff möglichst häufig das Wort „Rassismus“ zu erwähnen. Interssant ist auch, dass „Rassismus“ immer als gegen Schwarze gerichtet erwähnt wird und nicht gegen Asiaten oder Ureinwohner… Mehr
Sehr guter Artikel und vermutlich auch ein sehr gutes Buch. Ja, zu gerne wird immer wieder das schöne Wörtchen Integration bemüht. Nur leider wird jegliche Diskussion „wohinein“ sich denn bitteschön integriert werden soll, als rechter Populismus sofort abgewürgt. Das ist als würde ich mich mit meinen Freunden für 8 Uhr verabreden, ihnen aber nicht sagen, wo wir uns treffen. Ich erinnere mich noch gut, als zu früheren Zeiten die CDU noch etwas A… in der Hose hatte und das Thema „Leitkultur“ ein ums andere Mal aufs Tapet gebracht hat. Was haben sich die Linken Medien da echauffiert, diese Ansätze mit… Mehr
Mein Mann (seit 45 Jahren) ist fast ebenso lange mit Deutschland verbunden wie Herr Asserate. Auch er sagt, daß er nie von Rassismus geplagt war in Deutschland. Er ist aus Tunesien und hat sich immer darüber lustig gemacht, daß vor allem die Omis seinen schwarzen Lockenkopf anfassen wollten, so verwundert waren sie über die Haarpracht des Teenagers. Er sagt, er verdankt Deutschland seine Schulausbildung, seine Frau und auch seine beachtliche Karriere, die er bei Rassismus nie hätte machen können. Er meint, daß nur dumme Leute ohne Selbstbewußtsein in jedem unbedachten Wort Rassismus vermuten. Allerdings kamen unsere Töchter und ich mal… Mehr
Ich weiß nicht, ob es im Buch genannt wird, aber: Afrikaner waren in Deutschland lange, bis ins Kaiserreich hinein, privilegiert! Die meisten von ihnen kamen als „Geschenke“, also als Sklaven, irgendwelcher muselmanischer Herrscher ins Land – und wurden umgehend frei gelassen, da es hierzulande keine Sklaverei gab. (Was es gab, war Leibeigenschaft, unter der aber nur die einheimische Bevölkerung litt.) Aufgrund ihres Exotenstatus‘ erhielten sie dann oft Anstellungen bei Hofe oder in dessen Umfeld. Von diesem Ansehen und Wohlstand konnte ein einheimischer Knecht irgendwo auf dem platten Land nur träumen.
Natürlich sind wir nicht rassistisch, man versucht uns rassistisch zu machen, indem man unendlich viele Leute in die Sozialsysteme packt, bis diese scheitern müssen und dann hofft, dass die Bevölkerung Hass auf diese Leute hat. Man will politisch mit aller Gewalt Unruhe stiften. Zum Glück sind wir langsam und hassen nicht so schnell. Ich hatte das Glück, mal eine Arbeitsstelle zu haben, bei der sich meine Kollegen zusammensetzten in Einzelexemplaren aus dem hohen Norden bis runter nach Kamerun und kleinen Umwegen über Indien und Japan. Es war so interessant, dass ich kein Mittagessen verpasste.
Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? Das ist genau die richtige Frage, denn kein Mensch hat Angst vor der schwarzen Frau. Damit ist auch die Sache mit dem Rassismus geklärt: Es gibt genau zwei menschliche Rassen, nämlich die XX- und die XY-Rasse. Beweis: Jeder Mann, den man aufgetrieben hat zwischen Nordpol und Südpol ist mir genetisch ähnlicher als meine Frau. Für Frauen gilt das dito.
Ich habe den Autor Asfa-Wossen Asferate vor Jahrzehnten als klugen, gepflegten, wortgewandten und gebildeten Mann erlebt.Und schon damals nicht an Hautfarbe oder Rassenunterschied gedacht. Er hat einfach durch seine Erzählungen die damalige Zuhörerschaft, bestehend aus politisch Engagierten, in seinen Bann gezogen. Mich verwundert nicht, dass ihm kaum Rassismus begegnete. Weil er Würde und Selbstbewusstsein ausstrahlte.