Ralf Schulers unverstellter Blick ins Zentrum der Macht

Das Problem dieser Zeit sei nicht der „Populismus“, schreibt Schuler, sondern Parteien, die glauben, die Hoheit darüber zu haben, was im Land gedacht und gefordert werden darf. Und: dass die Mitte dort sei, wo sie sich befinden

Vor einigen Jahren, Obama war noch Präsident, hat Ralf Schuler Kanzlerin Merkel zu einem Staatsbesuch in die USA begleitet. Das ist sein Beruf, Schuler ist Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“. Im Oval Office hat er sich dann hinter Obama und Merkel geschlichen und fotografieren lassen. Für den Secret Service gibt es eine eiserne Regel, wonach niemand sich im Rücken der Schutzpersonen aufhalten darf. Schuler hat es trotzdem geschafft. Dass muss man erst einmal hinkriegen. Aber um hinter die Fassade zu gucken, geht er halt die Extra-Meile, auch wenn es hinterher noch einigen Ärger mit dem Regierungssprecher und den Sicherheitsbeamten gab.

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Man traut Schuler so etwas auf den ersten Blick nicht zu. Er ist ruhig, bescheiden, drängt sich mit seinen Gedanken, Überlegungen und Überzeugungen nicht auf. Man kann ihn leicht unterschätzen. Zunächst.

Irgendwann erkennt man dann, dass man es mit einem nicht nur klugen und nachdenklichen Menschen zu tun hat, sondern mit einem intellektuellen Kaliber. Man hört ihm zu, man denkt über seine Äußerungen nach. Dies ist eine besondere Fähigkeit in einer Zeit, in der die politische Debatte sich nicht mehr als klassischer Austausch von Positionen und Argumenten darstellt, sondern im hysterischen Hyperventilieren unverrückbarer Glaubenssätze gefangen ist.

Schuler verkörpert also selber eine Fähigkeit, deren Fehlen er dem politischen Diskurs und dessen Protagonisten attestiert. Es gelingt ihm in seinem gedankenreichen Buch brillant, die Ursachen für diesen fatalen Verlust an Zivilität zu analysieren. Der Autor führt sie jedenfalls auch auf den für die Merkel-Jahre typischen „demoskopiegeleiteten Opportunismus“ (Jürgen Habermas) zurück, die überzeugungsfreie Bereitschaft, im Sinne des Machterhalts nahezu jede politische Forderung anderer zu akzeptieren.

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Dabei wurden gleichzeitig Themen, die eine Vielzahl von Bürgern als für sie besonders relevant erachteten, ignoriert. Wer sich argumentativ aus der politisch-korrekten Arena hinauswagte, sah sich schnell diskreditiert. „Die Nazifizierung der Mitte ist die dümmste und explosivste Form etablierter Hilflosigkeit“, schreibt Schuler. Ein Vorwurf, der sitzt! Der Populismusvorwurf, den er geißelt, ist nichts anderes, als die arrogante Feststellung „Das Volk ist zu dumm“. Damit wird dem Souverän die Berechtigung abgesprochen, am Willensbildungsprozeß teilzunehmen. Eine zutiefst antidemokratische Haltung.

Die Instrumentalisierung des Begriffs „Populismus“ als Schimpfwort ist dabei in den verschiedenen politischen Lagern unterschiedlich häufig anzutreffen. Anfang April 2019 erhielt man bei Google für den Begriff „linkspopulistisch“ 113.000, für „rechtspopulistisch“ hingegen stolze 7.360.000 Treffer.

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Die fatalen Folgen für den politischen Diskurs, wenn abweichende Meinungen nicht widerlegt, sondern mit Schimpfworten bedacht werden, setzt sich in der Spaltung der Gesellschaft fort. Das Problem dieser Zeit ist nicht der „Populismus“, schreibt Schuler, sondern es sind Parteien, die glauben, sie hätten die Hoheit darüber, was im Land gedacht und gefordert werden darf. Und: dass die Mitte dort sei, wo sie sich selbst befinden.

Schulers Beruf bringt ihn täglich in die unmittelbare Nähe der wichtigsten Entscheidungsträger dieser Republik. Wenige Journalisten haben einen solch unverstellten, direkten Blick in das Zentrum der Macht. Und noch weniger sind so, wie es dem Autor in seinem Buch gelingt, in der Lage, mit kühler Distanz zu analysieren: Die gesellschaftlichen Verwerfungen dieses Landes, die verzweifelte politische Rhetorik, die das Handeln ersetzt und dies alles zu einem Panorama Deutschlands Anfang 2019 zu verschmelzen. Ein eminent lesenswertes Buch.

Ralf Schuler, Lasst uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur. Herder Verlag, Hardcover, 240 Seiten, Vormals 22,00 €.
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Kommentare ( 49 )

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WU-Mitglied
5 Jahre her

Die Zulassung von Parteien war schon bei der Schaffung des GG ein Streitfall. Und so ist ihre Aufgabenbeschreibung sehr defensiv. Ansonsten hat Herr von Arnim dazu seit Jahren einiges gesagt. **

Protestwaehler
5 Jahre her

Wie viele Suchergebnisse „Rechtspopulisten“ hat denn die „Bild“ selbst beigetragen?

„Die 408 Seiten starke Antwort auf die AfD-Anfrage zeigt nun erstmals, wie das Kabinett seine Werbegelder verteilt: Größter Profiteur war gerade zu Zeiten der „Refugee-welcome“-Kampagne die „Bild“-Zeitung. Mit ihren Ablegern „Bild am Sonntag“ und „Bild.de“ kassierte sie in den vergangenen sieben Jahren 6,9 Millionen Euro vom Steuerzahler.“

Wie war das noch, wer im Glashaus sitzt…

Bummi
5 Jahre her
Antworten an  Protestwaehler

Die Bild hat in der Flüchtlingskrise eine ganz üble Rolle gespielt. Unseriös waren die schon immer, aber was die da an Regierungspropaganda abgezogen haben war abartig. Das saß die liebe Tante Springer wohl zu oft beim Kaffeetrinken im Kanzleramt. Die Auflage ist aber eingebrochen, Parteipropaganda sollte auch grundsätzlich kostenfrei sein.

Protestwaehler
5 Jahre her
Antworten an  Bummi

Und genau dort liegt der Hase begraben, Auflageneinbruch.
War nicht neulich erst Mathias Döpfner hauptpersönlich auf ähnliche Art **

https://www.welt.de/kultur/medien/article187009630/Mathias-Doepfner-Luftgewehr-der-Fantasie.html

derAlte
5 Jahre her

Sehr verehrter Herr Steinhöfel, wo das „Zentrum der Macht“ liegt, ist mir nicht so klar und die Abbildung des Kanzleramtes halte ich für verwirrend. Besonders seit der Brexit-Diskussion beschleichen mich Zweifel, die dortigen Akteure scheinen mir alle getrieben und nicht frei in ihren Entscheidungen. Oder können Sie sich eine britische Premierministerin vorstellen, die sich, ihr Parlament und ihr Volk freiwillig derart der Lächerlichkeit preisgibt, wie es Frau May gerade tut? Und in unserem Land: meinen Sie nicht, daß die ganzen öffentlichen Kontrahenten: Merkel, Nahles, Lindner, Habeck… eigentlich an der Verwirklichung EINES Zieles arbeiten, das sie sich nicht selbst gegeben haben?… Mehr

Th.F.Brommelcamp
5 Jahre her

Das ganze Bildungssystem? Mindestens 60% der Lehrer? Dekane der Universitäten?

Berlindiesel
5 Jahre her

Ich bin der Ansicht, dass die Vorherrschaft den Linksliberal-Grün nicht in der Stärke der Linken begründet ist, weder ihrem Argument, noch ihrer Protagonisten. Sondern die müde Kapitulation der liberalkonservativen Bildungsbürger, die sich diese grünlinksliberalen Ansichten zu eigen gemacht haben. Um das zu verdeutlichen: Es gibt kaum einen Raucher, der meint, sein Tabakkonsum sei gesund und folgenlos – die meisten wissen sehr wohl, wie sehr sie ihren Körper schädigen. Andererseits sind sie meistens süchtig und können nicht aufhören, selbst wenn sie es wollten. Und gleichermaßen wissen sie eben, dass sie – an sich – nicht rauchen sollten. Und so haben sie,… Mehr

Dr No
5 Jahre her

Man schaue sich nur genau das Titelbild genau an und lasse es auf sich wirken…… was fühlt man dabei??
Ich fühle:
Selten habe ich ein solch hässliches Gebäude, eine solche Ausgeburt architektonischen Nicht-Könnens gesehen wie diese abstoßende Gebäude. Einfach nur pothässlich!

Keine Wunder das daraus keine schöne, keine gute, keine gewinnbringende Politik kommt. ………

Medienfluechtling
5 Jahre her

in München habe ich das gefühl, das die Grünen die Wahlplakate jetzt das ganze Jahr stehen lassen… So erreicht man die Generation Netflix. Wenn schon keiner mehr Nachrichten anguckt, kommt man an den freundlich grünen Plakaten keiner vorbei…

Old-Man
5 Jahre her

Es ist leider wirklich so wie sie es sagen.Es gibt sehr viele,zu viele die gar nicht wissen was sie tun,die immer das Unheil wählen und sich dabei als die guten fühlen weil irgend ein bekloppter es laut gesagt hat,leider!
Und gegen die rechten aufstehen zieht immer,auch wenn diese rechten eigentlich die Mitte sind,aber alle ehemaligen aus der Mitte heute sogar die roten,grünen und die linken links überholen!

Thorsten
5 Jahre her

Das eigentliche Problem ist das der Wähler dies alles hinnimmt, statt andere Parteien zu wählen. Immerhin ständen AfD und FDP für einen möglichen Systemwechsel bereit.

The Angry Ossel
5 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Ja ja der Lindner, dieser alte unbeugsame, prinzipentreue Systemkritiker. Und der Kubicki erst. wen haben wir noch in der FDP? Ach ja, der Lambsdorff Junior. Was ne Truppe.

bkkopp
5 Jahre her
Antworten an  The Angry Ossel

Auch die FDP-Gurkentruppe kann dazu dienen die CDU / CSU in ihrer Merkel-Gesinnung zu zerstören. Für viele besteht eine zu grosse Hürde aus Protest einfach AfD zu wählen. FDP für eine Wahl, gegen die CDU, könnte die nächstbeste Wahl sein. Nichtwählen erscheint die schlechteste Lösung.

Andreas Mueller
5 Jahre her
Antworten an  bkkopp

Ja, bei der Bundestagswahl haben einige in meinem Bekanntenkreis die FDP gewählt, als „wählbare Alternative“ zur AfD. Dass die FDP alle Beschlüsse zur Eurorettung mitgetragen hat, fiel dabei wohl hinten runter.
Am Ende hätten diese Leute fast den Grünen in die Regierung geholfen.

Die FDP ist für mich ebenso eine Vertreterin des Systems wie CDU/CSU, SPD, Grüne und Linke. Die AfD ist zwar inzwischen auch auf dem Weg, eine „normale“ Partei zu werden (mit Gezänk und Parteispendenskandal), aber sie ist tatsächlich die einzige Möglichkeit, wenn ich Merkels Politik ablehne.

Ruud
5 Jahre her
Antworten an  Andreas Mueller

ja, mein Vater auch. Weil in der AfD „so Idioten wie Höcke mitmachen“. Ich bat ihn dann mal, mir eine Aussage zu nennen, an der er sich konkret stört. Konnte er natürlich nicht nennen, aber seine „Tagesschau“, die er sonst ständig kritisiert – aber trotzdem schaut – hat ihm das ja berichtet.
Es ist relativ Hoffnungslos.

Chris01277
5 Jahre her
Antworten an  bkkopp

FDP war, ist und bleibt Steigbügelhalter der CDUCSU und kuschelt mit den Grünen. Die Absage an Jameika war ein lichter Moment.

Sonny
5 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Sie meinen doch nicht etwa Kubicki, dessen opportunistische ** bei den Grünen schon für Brechreiz sorgt? Oder Lindner, der alle Versprechungen am nächsten Tag schon wieder vergessen hat?

Bummi
5 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Meinen Sie Herr Kubicki der mit den Grünen verbandelt ist. Der Duzfreund von der lieben Claudia R.

Achso
5 Jahre her

Und wieder ein Buch,dessen Inhalt gefühlte 3millionen mal durchgekaut wurde.Intelektuell waren diese Inhalte nicht die schlechtesten.Und dass er sich hinter Merkel und Obama geschlichen hat – Teufel aber auch, so ein Schelm.