Der Deutsche Herbst jährt sich zum 40.: Viele Verbrechen der Rote Armee Fraktion sind unaufgeklärt. Hat das mit der Verstrickung der Geheimdienste zu tun, die nach der Wende niemand aufklären wollte? Wolfgang Kraushaars Buch über die „Blinden Flecken der RAF“.
Das runde Jubiläum des Deutschen Herbstes färbt die Erinnerung bunt. Die alten Filme laufen noch einmal auf den Bildschirmen und in den Köpfen ab. Was zählt der Terror der RAF noch angesichts der islamistischen Selbstmordattentäter? Die Zahl der Opfer damals (34 Tote zwi- schen 1971 und 1993) mutet lächerlich an im Vergleich. Heute kann es jeden treffen, nicht bloß „Charaktermasken des Schweinesystems“ und deren Fahrer und Bodyguards.
Wären da nur nicht diese großen blinden Flecken. Und dazu der raunende Satz des greisen Helmut Schmidt. In einem Interview hatte er gesagt: „Am Ende ist es gleichgültig, mit welcher Art von Terroristen wir es zu tun haben. Ob RAF, Araber, Nazis: Sie nehmen sich wenig in ihrer Menschenverachtung. Übertroffen werden sie nur von bestimmten Formen des Staatsterrorismus.“
„Ist das Ihr Ernst? Was meinen Sie damit?“ hatte der Interviewer Giovanni di Lorenzo nachgefragt. Schmidt: „Belassen wir es dabei. Ich weiß, was ich sage.“
Der größte blinde Fleck sind die Verbrechen der dritten RAF-Generation. Kein einziges ist aufgeklärt. Die Opfer: Rüstungsmanager Ernst Zimmermann, Siemens-Forschungschef Heinz Beckurts und dessen Fahrer Eckhard Groppler, der Diplomat Gerold von Braunmühl, Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und schließlich Detlev Karsten Rohwedder, der die DDR-Wirtschaft privatisierte.
Hatte die Polizei versagt, oder waren die Terroristen so raffiniert geworden?
Man braucht keine Verschwörungstheorie, um zu erkennen, dass die RAF mächtige, hochprofessionelle Unterstützer gehabt haben muss. Schon die zweite Generation der RAF war von der Stasi mit allem Nötigen ausgestattet worden, von Waffen über Trainings bis zu sicheren Verstecken. Im Juni 1990, als die Stasi aufgelöst wurde, flogen zehn Terroristen in der DDR auf.
Die dritte Generation blieb bis heute im Untergrund. Sie war vermutlich viel tiefer als ihre Vorgänger in Machenschaften der Geheimdienste verstrickt. Womöglich hat die RAF nicht immer nur aus eigenem Antrieb, sondern auch im Auftrag getötet. Oder die Anschläge nicht allein ausgeführt, sondern sich nur anstelle der wahren Täter dazu bekannt. Staatsterrorismus der DDR oder des KGB? Die Akten sind wohl für immer verschwunden.
Dazu kommt ein beschränkter Aufklärungswille. Die „Vollendung der inneren Einheit“ genoss nach dem Beitritt der DDR höchste Priorität. So wie nach dem Krieg Nazis in Justiz und Polizei geschont wurden, weil man sie brauchte und man sie auf die junge Demokratie verpflichten wollte, hörte die Politik lieber weg, wenn die Rede auf die RAF in der DDR kam.
Der beste Kenner der RAF-Geschichte, Wolfgang Kraushaar, hat nun ein aufschlussreiches Buch über „Die blinden Flecken der RAF“ vorgelegt (erschienen bei Klett-Cotta). Einer davon ist die Rolle der Geheimdienste, vor allem des Verfassungsschutzes, schon immer „die Achillesferse der RAF-Aufklärung“. Sinistre V-Männer wie Peter Urbach spielten von Beginn an eine Doppelrolle, besorgten Waffen, betätigten sich als Agent Provocateur. Den Verfassungsschutz informierende RAF-Mitglieder wie Verena Becker begingen schwerste Straftaten. Alles in allem behinderten die Geheimdienste die Arbeit der Justiz.
Schily verstand sich damals als politischer Anwalt. Er vertrat die Position von Tätern, die den Rechtsstaat nicht anerkannten, sondern ein vermeintlich höheres revolutionäres Recht für sich in Anspruch nahmen. Gleichwohl zählte er zu den wenigen unabhängigen Anwälten der RAF.
Hans-Christian Ströbele flog seinerseits aus der SPD, weil er RAF-Mitglieder in einem Brief als „liebe Genossen“ bezeichnet hatte. Als die erste Generation der RAF hinter Gittern saß, organisierte sie aus den Zellen heraus die Fortsetzung des Terrors. Hauptzweck war die eigene Freipressung. Ströbele organisierte den Informationsaustausch zwischen den damals noch in verschiedenen Gefängnissen einsitzenden Terroristen. Illegal: Untersuchungshäftlingen, die desselben Delikts angeklagt werden, dürfen nicht miteinander kommunizieren. Bis heute hat der langjährige Abgeordnete der Grünen nicht zu einem selbstkritischen Umgang mit seiner damaligen Rolle gefunden.
Dubiose Rolle der Anwälte
Das von Ströbele mitbegründete Sozialistische Anwaltskollektiv spielte in der Gründungsphase der RAF eine entscheidende Rolle. Nicht unbedingt wegen Ströbele, sondern wegen seines Kanzleipartners Horst Mahler, der eine ganz wundersame Entwicklung nahm und zum rechtsradikalen Holocaust-Leugner mutierte. Mahler war ein zentrales Gründungsmitglied der RAF. Er zog die Fäden. Er versuchte 1969 vergeblich, Rudi Dutschke, das Haupt der APO, für die RAF anzuwerben. Er flog nach Rom, um die flüchtigen Kaufhausbrandstifter Baader und Ensslin, auf dem Weg nach Indien, zur Rückkehr nach Deutschland zu überreden. Und auch die blutige Befreiungsaktion des inhaftierten Baader aus der Bibliothek eines Berliner Instituts fädelte Mahler aus seiner Kanzlei heraus ein. Sie gilt als eigentlicher Gründungsakt der RAF.
Die Hamburger Kanzlei des Anwalts Kurt Groenewold, als Immobilienhai auch in bürgerlichen Kreisen bekannt, war am Aufbau der Sympathisantenszene maßgeblich beteiligt. Die große Stuttgarter Kanzlei von Claus Croissant war eine Rekrutierungszentrale der RAF. Volker Speitel, Angelika Speitel, Susanne Albrecht, Silke Maier-Witt, Willy Peter Stoll und andere arbeiteten für Croissant, ehe sie Terroristen wurden. Nicht zuletzt waren es die Anwälte Müller und Newerla aus Croissants Kanzlei, die die Waffen in die Stammheimer Zellen von Baader, Ensslin und Raspe schmuggelten.
Die Anwälte Siegfried Haag und Eberhard Becker in Heidelberg waren neben Brigitte Mohnhaupt Anführer der zweiten RAF-Generation. Als er 1975 selbst mit Haftbefehl gesucht wurde, war Haag bereits untergetaucht. Er arbeitete im Südjemen die Anschlagsserie aus, die im Herbst 1977 die Bundesrepublik erschütterte.
Als Mahler 1970 aus dem Ausbildungscamp der Fatah im Nahen Osten zurückkehrte, holte ihn ein Wartburg mit Regierungsnummer in Berlin-Schönefeld ab. Die Indizien sind deutlich, die letzten Beweise für geheimdienstliche Kooperationen aber fehlen und werden wohl nie mehr auftauchen. Sicher ist, dass sich auch Claus Croissant 1981 als „IM Thaler“ für die Stasi verpflichten ließ. Damit schließt sich der Kreis.
Einen weiteren blinden Fleck sieht Kraushaar in der Rolle der Terrorfrauen. Fast zwei Drittel der gesuchten Terroristen waren weiblich, „höhere Töchter aus feinen Familien zumeist“. Sie galten als härter, weniger ängstlich als die männlichen Komplizen. „Schießt zuerst auf die Frauen“ soll eine vertrauliche Anweisung in der Antiterroreinheit GSG 9 gelautet haben.
Weshalb ist so vieles im Dunkeln geblieben? Das Schweigekartell der Terroristen auf freiem Fuß ist nur ein Grund. Der andere ist ein verhängnisvoller Paragraf, der 1976 eingeführt wurde, als sich der Rechtsstaat nicht anders zu helfen wusste. Es genügte nun die Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“, um wegen Mordes verurteilt zu werden. Der Aufklärung hat es nicht gedient, vielmehr, so Kraushaar, „erheblich mit dazu beigetragen, die historische Aufklärung irrezuführen oder aber zumindest zu behindern“.
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Die dritte Generation der RAF hätte ausschließlich Personen ermordet, die zwar von Standes wegen in das „Beuteschema“ des Linksterrorismus gepasst hätten, die aber alle den Millieus aus denen sie stammen und dem System an sich lästig bis gefährlich geworden waren.
Der Geheimdienst, der am ehesten als eigentlicher Täter in Frage kommt, ist der eigene.
[…] Die RAF war in der linksextremen Szene der BRD gut vernetzt und konnte sich auch auf die Unterstützung der DDR verlassen – die einen erlagen ihrem Bonnie-und-Clyde-Charme, dem Gefasel über „Großstadtguerilla“ und der offensichtlichen Tatsache, dass da ein paar Leute nicht einfach nur in verräucherten WG-Zimmern stundenlang laberten, sondern wirklich zur Waffe griffen. Für die anderen war die Terrororganisation ein nützlicher Idiot, der „drüben“ ein bisschen für Unruhe sorgte. Dass das Verhältnis zwischen dem Bonner Staat und der RAF vielleicht etwas ambivalenter war als das zwischen Gendarm und Räuber, das deutet zumindest Aust in seinem Buch an. Auch ein… Mehr
Im Prinzip ist es banal: Wenn der NSU wirklich das gewesen wäre, was öffentlich/medial kolportiert worden ist, hätte man sicherlich nicht die Geheimhaltung der Akten für sage und schreibe 120 Jahre (!) angeordnet. Siehe hier: https://www.heise.de/tp/features/Verfassungsschutz-will-NSU-Bericht-fuer-120-Jahre-wegschliessen-3772330.html Zitat: „Was hat der VS-Beamte Temme mit dem Mord in Kassel zu tun? Eine absurd lange Sperrfrist soll vor allem eines signalisieren: „Bei uns kriegt Ihr nichts mehr raus!“ 120 Jahre – für diese Dauer hat das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) von Hessen einen internen Bericht gesperrt, in dem es auch um den NSU-Mord von Kassel und die mögliche Verwicklung seines Mitarbeiters Andreas Temme… Mehr
Es gibt keine Ex Alkoholiker, sondern nur trockene Alkoholiker.
Und es gibt keine Ex Maoisten, sondern nur „trockene“ Maoisten im feinen Zwirn und fettem Dienstwagen.
Ein klitzekleiner Anlass, und die hässliche Fratze des Ideologie-Kranken zeigt sich hinter der anscheinend geläuterten Fassade.
In gewisser Weise finden sich mannigfaltig Übereinstimmungen der „RAF-Justiz“ zu der des gottlob untergegangenen „Dritten Reiches“, was Handlungen und spätere Aufarbeitung betrifft.
Ohne seriösen Juristen auf die Füße treten zu wollen: aus ihren Reihen kamen (kommen?) recht üble Wendehälse.