Populismus? Wiederbelebung der Demokratie!

Der Journalist Ralf Schuler rehabilitiert in seinem neuen Buch den in Verruf geratenen Begriff des Populismus. Von Bernhard Meuser

Im Februar des Revolutionsjahres 1848 sah Karl Marx ein Gespenst in Europa umgehen, „das Gespenst des Kommunismus“. Wieder einmal leben wir in Zeiten gärender Umbrüche. Geht darin ein anderes Gespenst um, das Gespenst eines rechten Populismus?

Ralf Schuler ist bekannt dafür, dass er sein Knie vor keinem Meinungsdiktat beugt. Der souveräne politische Beobachter, der bei BILD nicht mehr sagen konnte, was er dachte, hat sich eine Freiheit und Glaubwürdigkeit erkämpft, die ihn zu einer Vertrauensadresse erster Ordnung macht. Wie einst der brandenburgische Markgraf folgt er der Devise „Vorwärts mit strengem Fechten“. Schuler analysiert und setzt einen Wirkungstreffer nach dem anderen.

In seinem neuen Buch „Der Siegeszug der Populisten“ beschreibt er, was man die ideologische Durchseuchung moderner Demokratien nennen könnte. Mit nüchterner Akribie und einer Reihe von Belegen zeigt er auf, wie die Demokratie ausgehöhlt, die Verfassung missachtet, das Recht gebeugt, der politische Gegner diskriminiert, eine quasireligiös daherkommende linke Gesinnung als unhintergehbar etabliert und missliebige Meinung geächtet wird. Dagegen wehren sich immer mehr Menschen – und sie werden als „Populisten“ beschimpft.

Das demokratische Missverständnis
Demokratie heißt, den Widerspruch einüben und aushalten
Schulers neues Buch ist mehr als ein lokal begrenzter Schlag ins Kontor der Berliner Ampel. Schuler liefert eine nachhaltige Apologie dessen, was er „Populismus“ nennt; er setzt das Wort aber in Anführungszeichen, um sich damit von einem zu engen, rein tagespolitischen Gebrauch des Begriffs abzusetzen. „Populismus“, schreibt Schuler, „ist zu einem Kampfbegriff geworden, der zur allgemeinen Abwertung konkurrierender Politik und Politiker verwendet wird und als Gattungsbegriff für eine ganze Parteienfamilie im rechts-bürgerlichen Spektrum geworden ist.“ Diese Bedeutungsebene mache er sich „ausdrücklich nicht zu eigen“.

Die erschöpfte Demokratie

Schuler geht es um eine Läuterung und Restitution einer erschöpften Instanz namens Demokratie, die weniger von denen bedroht ist, die ihren öffentlichen Unmut über die da oben bekunden, als von denen, die den Unmut nicht sehen, die Klagen nicht hören, die Ursachen nicht beheben. Auf diesem Hintergrund diagnostiziert Schuler einen nicht aufzuhaltenden „Siegeszug des Populismus“.

Der kollektive Unmut kann machtpolitisch nicht überspielt werden; er ist auch medial nicht zu dämpfen oder auf dem Justizweg wegzuoperieren. Was in immer mehr Ländern gerade von unten und gegen die etablierten Parteien aufbricht, ist aber „keine Machtübernahme, kein Durchmarsch oder gar eine ,Machtergreifung‘. Es ist das verstärkte Einsteuern des Volkswillens in ein demokratisches Mess- und Regelsystem, das allen Wahlen und Volksabstimmungen zum Trotz mit der Zeit einen getrübten Blick für die Wünsche der Wähler entwickelt hat. Es ist eine Idee, die größer wird, sich festsetzt und vermutlich auch so schnell nicht wieder verschwinden wird.“

Natürlich schaut Schuler zunächst auf die deutschen Verhältnisse. Im verordneten Sprachraum unserer Republik gibt es gerade kaum eine schlimmere soziale Deklassierung als die Bezeichnung „Populist“. In Kombination mit „rechts“ ist der ins allgemeine Bewusstsein eingebimste Terminus einerseits so schwammig und weit, dass alles Mögliche damit etikettiert werden kann, andererseits so schnarrend böse, hitlerianisch umwölkt und moralisch aufgeladen, dass er faktisch den Ausschluss aus der Gattung „Mensch“ bedeutet. Mit anderen Worten: Er ist geeignet, jedwede Gruppe oder Einzelperson komplett aus dem Spiel zu nehmen, die es wagt, nicht einzuschwingen in die herrschende Tonalität.

Mitlaufen
Eine Bestandsaufnahme zum Stand der Konformität
Wer immer noch einen Verbrenner fährt, wer einen präzisen Begriff von Familie hat, wer Klimawandel und nicht Klimakrise sagt, wer Migranten von Asylanten unterscheiden will oder Muslime von Islamisten, der ist „rechts“. Wer nicht in Einfalt unter den Rainbowschirm der Vielfalt eilt, wer das Sternchen vergisst, – überhaupt: Wer nicht mitmarschiert, nicht mitsingt, ist draußen.

Eine Politik der korrekten Gesinnung

Nun kommt das Wort „Populismus“ vom lateinischen „populus“, was „Volk“ bedeutet. Ein Populist wäre also jemand, der die Interessen des Volkes vertritt. Haben wir nicht bereits Volks-Vertreter, sprich: Politiker? Offenkundig fühlt sich das Volk aber von seinen Vertretern derzeit nicht ansatzweise repräsentiert. Schuler untersucht die elitäre Emanzipation einer (weit über das unmittelbar Politische hinaus) herrschenden Kaste, die im Namen der Demokratie „demos“ ignoriert und ihre Halbwertzeit zur klimagerechten, genderkompatiblen Umerziehung des Volkes benutzt, statt ihm zu dienen.

Das Unbehagen des populistisch aussortierten Wählers hat tiefgreifende Ursachen, wobei Schuler zwei Momente heraushebt: Das demokratische System „liefert nicht“, und es gibt „Repräsentanzlücken der Demokratie“. „Demokratie“, sagt Schuler, „liefert nicht. Das ist nicht gefühlig, sondern im ganz pragmatischen Sinne gemeint.

Wer sich eine effektive Kontrolle der Migration wünscht, bekommt sie nicht. Wer die Sonntagsreden von der überlebenswichtigen Stärke des europäischen Wirtschaftsraumes in der Konkurrenz zu den USA und Asien ernst nimmt, bekommt keinen starken europäischen Wirtschaftsraum. Wer möchte, dass Europa seine geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen in der Welt durchsetzen kann, steht einem oft machtlosen Europa gegenüber. Der Kontinent ist nicht einmal in der Lage, militärisches Drohpotenzial aufzubauen (geschweige denn einzusetzen), mit dessen Hilfe man den Ausbruch von Konflikten vorab verhindern oder Aggressoren bestehender Krisenherde zur Eindämmung zwingen könnte.“

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Ralf Schulers unverstellter Blick ins Zentrum der Macht
Der zweite Aspekt gegenwärtigen Demokrativersagens betrifft eine Struktur, die nur so lange funktioniert, solange sie mit Geist erfüllt ist und nicht in reinen Formalismus umkippt. Es gibt, sagt Schuler, „einen Unterschied (…) zwischen ,formaler Demokratie‘ mit ihren gesetzlich fixierten Regeln und jener Mitwirkungszusage, die die Wähler damit verbinden (womöglich zu Unrecht) und nicht eingelöst sehen“.

Um das zu vermeiden, was Schuler „Repräsentanzlücke der Demokratie“ nennt, behalten „kluge Regenten die Stimmungslage im Land im Blick“ und ruhen sich nicht auf dem formal erteilten Machtmandat aus. „Denn anders als beim bockigen Kind“, so Schuler, „hat die von ihren Bürgern gewählte Regierung zwar ein Mandat, aber keinen Erziehungsauftrag. Wenn der klügste Regentenplan den Regierten nicht passt, dürfen sie es kundtun. Das Regierungsmandat bedeutet in einer funktionierenden Demokratie nicht vier Jahre Allmacht, sondern vier Jahre Politik mit Rückbindung, Erklären und Überzeugen.“

Populisten aller Länder …

Wie gesagt: Schuler blickt bei seinen Analysen weit über den deutschen Tellerrand hinaus. Sein Fazit lautet: „Die Populisten von Süd- und Nordamerika über Frankreich, Österreich, Niederlande, Osteuropa bis hin nach Asien werden nicht wieder verschwinden. Sie verkörpern den Wunsch breiter Schichten nach Stimme, nach unverstellter, gerader Repräsentanz statt lebloser, abgeschabter Rituale. Ganz gleich, ob sie dem Gemeinwesen guttun oder nicht, sie sind Volkes Stachel in der Selbstgenügsamkeit und intellektuellen Abgehobenheit der Eliten. Die Populisten werden mal zur Macht durchmarschieren, mal knapp scheitern, wenn sich alle gegen sie verbünden, und sich mutmaßlich auch wieder selbst diskreditieren. Aber ihre Unterstützer und Wähler werden bleiben, allen Demonstrationen, Appellen und Abwehrversuchen zum Trotz.“

Wer Schulers Buch sozusagen von hinten nach vorne liest, wird es nicht als vordergründige Wahlempfehlung für die AfD oder das BSW lesen. „Der Siegeszug der Populisten“ ist vielmehr eine glanzvolle Verteidigungsschrift der Demokratie im Zeitalter ihrer chronischen Ermüdung und eine überzeugende Warnung vor ihrer ideologischen Aushöhlung von innen.

Dieser Beitrag von Bernhard Meuser erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken wir dem Verlag und dem Autor, dessen Werk „Freie Liebe“ ebenfalls im TE Shop erhältlich und der regelmäßig auf der Seite „Neuer Anfang“ zu lesen und zu sehen ist.


Ralf Schuler, Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens. Fontis Verlag, Hardcover, 304 Seiten, 24,90 €.


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