Der alte weiße Mann sei schuld am Übel der Welt, verantwortlich für Kolonialismus, Rassismus und Sexismus, Armut, Zerstörung der Natur und den Klimawandel. Norbert Bolz analysiert messerscharf: Es geht in diesem unbarmherzig geführten Konflikt nicht um die Beschimpften, sondern um die Grundlagen der westlichen Welt.
So vergiftet wie derzeit war das Debattenklima im öffentlichen, beruflichen und privaten Raum seit den „1968ern“ nicht mehr. Spaltungen, Anprangern, Wut, Wehleidigkeit, immer neue Opferhierarchien, Exorzismen, Sprachtabus sind angesagt. Hass ersetzt debattierenden Widerspruch. Freie Meinungsäußerung wird zum beruflichen und privaten Risiko. Andersdenkende werden totgeschwiegen, oder sie erleben qua Shitstorm in den (a)sozialen Medien gar den sozialen Tod. Radikale Minderheiten geben mit totalitärem Anspruch den Ton an. Das Pathologische erfährt eine Normalisierung, und das Normale wird pathologisiert. Die Vergangenheit einschließlich ihrer intellektuellen und technischen Errungenschaften wird moralisierend verteufelt, der „woke“ Zeitgeist wird zum Absolutum. Das Ganze gleichermaßen aggressiv und larmoyant inszeniert.
Fokussiert ist all dies auf einen Schuldigen: den alten, weißen Mann. Testosteron gilt als toxisch. Denn ohne den alten weißen Mann und seine Hormone hätte es angeblich nie Kriege, nie Umweltverschmutzung, nie einen Klimawandel, nie Sexismus, nie Kolonialismus, nie soziale Ausbeutung gegeben. So einfach ist das. Allerdings gäbe es ohne den „alten, weißen Mann“ auch keine großen Errungenschaften etwa in Technik, Medizin, Philosophie, Literatur, Musik, bildender Kunst, die der ganzen Welt und all ihren Kulturen zugutekamen.
Aber der Reihe nach: Norbert Bolz (Jahrgang 1953) ist derjenige, der all die hier genannten Verirrungen und neuen Autoritarismen aufspießt und mikrochirurgisch zerlegt. Mit seinem neuen Buch „Der alte, weiße Mann“ ist ihm das auf 220 Seiten markant, bestens belegt, sprachlich kreativ und eindrucksvoll mutig gelungen. Die Lektüre dieses Buches wird zu einem grimmigen Leservergnügen, mit Betonung auf „grimmig“. Mehr noch: Dieses Buch ist ein Weck-, ja ein Alarmruf, gegen die immer aggressiver auftretenden Gesinnungsdiktate einer freilich intellektuell dürftigen politischen und medialen Pseudoelite. Und ein Weckruf für so manchen lethargisch vor sich hindümpelnden deutschen Untertanen-Michel.
Bei Bolz geht intellektuell-diagnostische Präzision einher mit kreativ-markanter Sprachkunst. Er schreibt von: … geheuchelten Bußritualen; emotionaler Inkontinenz; vom Dominieren des Rotzigen, das als authentisch gilt; der 68er-Wächtergeneration; der Esoterik des Dekonstruktivismus; von Hatern, die Scheinriesen sind; dass jeder Wahnsinn heutzutage seine Website habe; dass Rechts und Links eins seien im Kampf gegen Aufklärung; von einer Blockwart-Kultur; von einem linken Moralbonzentum, dem das Proletariat abhandengekommen sei und das deshalb Regenbogenkoalitionen der Opfergruppen formiere; von „Wokewashing“; von NGOs als hofierten Störenfrieden; von Gefälligkeitswissenschaftlern; von der sündenstolzen, exhibitionistisch gepflegten „2. Schuld“, weil man die Schuld der Väter und Großväter angeblich nicht genügend aufgearbeitet habe; von einem kulturellen Bürgerkrieg …
Wir zitieren darüber hinaus ein paar Bolz-Sätze, die erfreulich anecken und repräsentativ für das Buch sind. Das Buch ist voll davon. Auf nahezu jeder Seite findet man florettmäßig zustechende Sätze wie die folgenden: „Abweichende Meinungen werden heute schärfer sanktioniert als abweichendes Verhalten“ … „Wir befinden uns mitten im Krieg der Hysteriker gegen das Normale“ … „Die moderne Gesellschaft präferiert Unreife“ … „Die Therapeuten und Sozialarbeiter helfen dem Individuum zu sagen, wie es an der Gesellschaft leidet“.
Das Buch ist eine Art Psychopathologie des geistigen und kulturellen Verfalls der westlichen Welt – mit Fokus auf das angeblich „beste Deutschland, das wir je hatten“ (Joachim Gauck 2014; CDU 2019; Frank-Walter Steinmeier 2020) und auf ein „Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ (Merkel 2017). Angeblich! Ja, Bolz hat über ein neurotisch gewordenes Land eine psychopathologische Studie verfasst, in der er keine Verirrung auslässt.
Aber Bolz bleibt hier nicht stehen. An mehreren Stellen des Buches stellt er die Frage: Wie umgehen mit dem kulturellen Bürgerkrieg der 68er-Enkel, mit dem Kulturkrieg des Westens gegen sich selbst, mit den Selbstgeißelungsritualen der „woken“ Taliban, mit der Normalisierung des Pathologischen und der Pathologisierung des Normalen?
Das Buch von Bolz ist bei aller knallharten kulturkritischen Defizitanalyse, die fast verzweifeln ließe, ein Mut- und Muntermacher. Ein Mutmacher im Sinn Immanuel Kants, nämlich als Aufforderung zum Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Als Mutmacher auch im Sinne des führenden griechischen Staatsmanns Perikles (ca. 490 bis 429 vor Christus), den Bolz zwar nicht zitiert, der dem Bolz-Buch aber vorangestellt sein könnte: „Zum Glück brauchst du Freiheit. Und zur Freiheit brauchst du Mut!“
Bolz selbst lebt seine Empfehlungen vor – nicht erst seit der nunmehr 69-Jährige und vormalige Professor der Freien Universität Berlin für Medienwissenschaften emeritiert ist. Er ist ein bürgerlich-konservativ-liberal-skeptizistischer Intellektueller im besten Sinn des Wortes. Dass er aneckt, stört ihn nicht, ja, er will es so. Das ist gut so. Auch wenn die öffentlich-rechtlichen Talkshow-Redaktionen längst einen Bogen um ihn machen.
Auf TE ist Bolz seit geraumer Zeit immer wieder präsent. Etwa bei Tichys-Einblick-Talk zum Thema „Warum die Deutschen Politikern misstrauen“. Oder mit einem Interview zum „Endkampf-Jounalismus“ mit Alexander Wendt. Oder mit der Besprechung seines Buches „Die Avantgarde der Angst“. Im Oktober 2022 hatte der Rezensent übrigens das große Vergnügen, zusammen mit Bolz sowie einer Klima-„Aktivistin“ und einem „diversen“ Entertainer bei BILD-TV in der Sendung „Viertel nach acht“ zu streiten.
Norbert Bolz, Der alte, weiße Mann. Sündenbock der Nation. LMV, 256 Seiten, 24,00 €.
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Weiß nicht, ob der Tipp hier „durchgeht“, aber von Norbert Bolz kann man im Kontrafunk(.radio), dort unter „Audimax“ mehrere, ca. einstündige Vorträge zu vergleichbaren Themen anhören. Hochinteressant, was der Mann da zu sagen hat, erfordert allerdings Konzentration.
Ja, die bösen alten weißen Männer! Was für ein Glück, dass die alten schwarzen und braunen Männer Afrikas und des Orients niemals Kriege geführt, niemals Menschen aus anderen Stämmen versklavt und an Weiße verkauft, niemals Frauen unterdrückt, niemals jemanden ausgebeutet, niemals fremde Gebiete erobert haben usw. mit anderen Worten: niemals so böse waren wie die alten weißen Männer. Oder waren sie etwa doch? Das Gros der nach Amerika verschifften schwarzen Sklaven wurden von schwarzen Häuptlingen an die weißen Sklavenhändler verkauft. Sowohl in Schwarzafrika als auch im Orient werden Frauen bis zum heutigen Tag unterdrückt, oder eben „sexistisch“ behandelt. Der Islam… Mehr
Wenn man so will waren die schwarzen Häuptlinge Afrikas über den Sklavenhandel doch mit dieser Geschäftsidee die ersten Globalisten in Zusammenarbeit mit den Amis, denn was heute versucht wird ist nicht viel anders, wenn man in andere Gefilde eindringen will um sie gefügigt zu machen um Material jeglicher Art heraus zu holen und die lassen sich es derzeit nicht gefallen und sind demzufolge böse Menschen, die man anklagen muß um ihnen den Garaus machen zu können, damit sie nicht auf die gleiche Idee kommen, sich eines Tages am Westen zu bereichern.
Wer genau hinschaut, merkt, dass die Woken nicht woke sind, sondern weak.
„Radikale Minderheiten geben mit totalitärem Anspruch den Ton an.“ Das russische „Bolschewiki“ bedeutet übersetzt „Mehrheitler“ – so ergibt das #WirSindMehr erst einen Sinn. „…und er will uns hoffen machen, dass die „woke“ Unkultur implodiert.“ Ich habe das Gefühl, daß das längst passiert: Die „Sünde“ der „kulturelle Aneignung“ bewirkt, daß einst „Linke“ nunmehr als „Rassisten“ gelten, etwa, weil sie Dreadlocks tragen und dazu Raggaemusik machen – die Revolution frisst gerade ihre Kinder! Ich werde mir dieses Buch kaufen, allein schon um Herrn Bolz zu unterstützen, aber ich fürchte, sein Buch lässt sich auf einen Satz von Roland Baader reduzieren: „Noch „erfolgreicher“… Mehr
Zu diesem „Marsch durch die Definitionen“ konstatierte schon Franz-Josef Strauß († 1988):
„Den Rückschlag der 70er-Jahre haben wir nicht zuletzt – der 69/70er Jahre – der Tatsache zu verdanken, dass die anderen sich der Sprache bemächtigt haben, die Sprache als Waffe benutzt haben, dass sie Begriffe herausgestellt, mit anderem Inhalt gefüllt haben und dann auf einmal als Wurfgeschosse nicht ohne Erfolg gegen uns verwendet haben. Daher ist für mich der Kampf um die Sprache eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die geistige Selbstbehauptung.“
Dem ist angesichts des aktuellen Sprachautoritarismus aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
Herr Bolz beschreibt wohl den kulturellen Bürgerkrieg eines seit den 1960ern zahlenmässig stark angewachsenen missionarisch-hypermoralisch-verbalradikalen Kleinbürgertums gegen Bürger, die sozialistische, liberale oder konservative Standpunkte vertreten. Es sieht gegenwärtig nicht so aus, als würden die o.g. Kleinbürger zur Vernunft kommen, so dass man wieder mit ihnen reden kann.
Der kulturelle Bürgerkrieg wird nicht geführt von „Kleinbürgern“, sondern hauptsächlich aus einem Milieu heraus, das Sahra Wagenknecht in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ als den neuen akademischen Mittelstand bezeichnet, mehr oder weniger wohlhabend und daher meistens weitab der „bunten“ Realität lebend, die dessen Mitglieder verbal so sehr favorisieren.
Letzterer Umstand lässt in der Tat nicht hoffen, dass diese Leute so bald wieder zur Vernunft kommen, so dass man als ganz normal denkender Mensch mit ihnen reden könnte, d.h. sie reden nicht mit UNS, weil wir „Normalos“ in ihren Augen ja ganz schreckliche „Rechte“ sind.
Sämtliche Kulturen der Geschichte – oder sollte man besser: „Kulturen“ schreiben? – haben die Sklaverei praktiziert. „Heilige“ Bücher haben sie abgesegnet (bzw. tun das noch heute).
Beendet hat sie ein alter, weißer Mann.
„Es ist eine Tatsache, dass alte weiße Männer viel Elend über die Welt gebracht haben. Es wäre besser gewesen, sie hätten einfach ihre Finger und Köpfe still gehalten. Wir würden heute alle glücklich und zufrieden im Garten Eden leben. Wir wären Wakanda. Aber nein – es kam anders“. https://twitter.com/QuarkDDR/status/1626820967178678272?cxt=HHwWgMC93ZzD0JMtAAAA
Alles weltweite „Aneignungen“ – oder?
„Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen.“ (Klonovsky)
„Fokussiert ist all dies auf einen Schuldigen: den alten, weißen Mann“. Völlig zu Recht, schließlich hat der die Menschheit hochgejazzt auf inzwischen acht Milliarden mit seiner verfluchten westlichen Medizyn. Oder war das Ayurveda, die TCM? Jetzt hat er das am Hals. Selber schuld. Wir sollten mal eine Weile dicht machen, sollen die anderen zusehen – hinterm Zaun, bitte. Es macht mich ja schon stolz, dass sie alle zu uns wollen, nur: Lästig sind sie schon auch.
Alle wollen sie zu uns „alten, weißen Männern“ – wahrscheinlich, weil wir alle solche Rassisten sind…
„Die Therapeuten und Sozialarbeiter helfen dem Individuum zu sagen, wie es an der Gesellschaft leidet“.
Seit wann ist es üblich, dass uns derartige „Erzieher“ durchs ganze Leben „begleiten“? Vorzeiten ging es doch ganz und gar ohne solche, eigentlich tief im inneren selbst ratlose „Gouvernanten“ – und schlechter hat man seine Tage ohne diese wie den inzwischen zum „Belehrungs-TV“ mutierten ÖRR doch auch nicht verbracht?
Die mit Profil, Ecken wie Kanten, also „Charakter“, folgen denen nicht!
Hier der unvergessliche Ausschnitt aus „talk im hangar“ mit einem überzeugenden Norbert Bolz gegen Florian Klenk in 2 Ausschnitten: https://twitter.com/talkimhangar7/status/1218112540372340736?lang=de