Neuer Roman von Juli Zeh: Liebe in Zeiten der Hassgesellschaft

Juli Zeh und Simon Urban haben mit „Zwischen Welten“ einen Briefroman vorgelegt, der die Hassgesellschaft in Internet und Journalismus vorführt – aber gleichzeitig eine spannende Liebesgeschichte ist.

Eine Nachricht per Whatsapp. Um 9.31 Uhr. Bereits 14 Minuten später folgt die nächste: Wo denn die Antwort auf die erste Nachricht bleibe? Weitere zehn Minuten später noch einmal das gleiche Spiel. Sich in die Situation anderer einzufühlen, ist nicht gerade Stefans Stärke. Geschweige denn, Rücksicht auf diese Situation zu nehmen. Dabei ist Stefan Journalist. In früheren Zeiten gehörte Einfühlungsvermögen zu den Qualitäten von guten Journalisten.

Doch Stefan stammt nicht aus früheren Zeiten. Selten zuvor haben Autoren eine Figur gezeichnet, die derart deutlich in der Moderne steht, wie Juli Zeh und Simon Urban es mit Stefan getan haben: Kulturchef einer Hamburger Wochenzeitung, ein wenig an den Stern angelehnt, ein wenig an den Spiegel. Single und Social Warrior. Er gendert durchgängig, schwärmt von seiner jungen, farbigen Online-Kollegin, die er als PoC (people of color) bezeichnet und ist Fan eines öffentlich-rechtlichen Aktivisten – leicht erkennbar als Parodie auf Jan Böhmermann –, weil dieser Aktivist Stefans Feindbilder so schön vorführt: Alte, Weiße, Rückständige – zumindest rückständig aus Sicht des Kulturchefs.

Stefan führt nun einen Nachrichtenwechsel mit Theresa. Über Whatsapp, aber das führt oft zu Streit. Daher greifen die beiden auch mal zur eigentlich bereits überholten Mail, um sich gegenseitig mehr Zeit und Verständnis einzuräumen. Die ersten Besprechungen zu „Zwischen Welten“, dem neuen Roman von Juli Zeh und Simon Urban, haben sich auf die nicht funktionierende Kommunikation im Netzzeitalter konzentriert, vor allem aber auf die Rivalität, die zwischen den Welten besteht, in denen beide leben.

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Diese Sicht ist berechtigt, lässt aber entscheidende Aspekte weg. Zum einen sind Stefan und Theresa ein Liebespaar. Oder viel mehr das Paar einer gescheiterten Liebe: Beide haben sich zusammen eine Zweier-WG in Münster geteilt, als sie dort Literatur studierten. Aber obwohl Stefan sehr deutlich Theresa begehrt und Theresa viel subtiler Stefan, finden die beiden körperlich nicht zusammen – trotz aller seelischen Nahtstellen, die sie verbinden.

Zum anderen sind die beiden Welten, in denen Stefan und Theresa leben, sich einander gar nicht so fremd, wie es die Besprechungen wahrnahmen. Und wie es auch Stefan wahrnimmt. Die Sicht des Kulturredakteurs ist vernagelt, durch die Widersprüche zu Theresas Lebenssituation: Sie lebt in Brandenburg, betreibt Viehzucht auf dem geerbten Hof und kann gut mit ihrem Mitarbeiter, der AfD wählt. So weit das Trennende. Das Verbindende sieht Stefan nicht. Er sucht es aber auch nicht.

Damit beschreiben Zeh und Urban auf den Millimeter genau die Schwäche des Haltungsjournalismus, den Stefan betreibt: Er sucht die Welt nicht. Er kennt sie ja schon, meint er. Es geht nur noch darum, die Welt so oft zu beschreiben, bis jeder sie auch so sieht wie Stefan.

In ihren Gesprächen bietet Theresa ihm unabsichtlich immer wieder Themen an, die spannende Geschichten für einen Journalisten bieten würden. Sogar welche, die in Stefans Weltbild passen. Doch der übersieht sie: Bauern, die Flüchtlinge beherbergen. Kapitalisten, die das Land in der Provinz aufkaufen. Politik und Verwaltung, die den Ökolandbau torpedieren. All das übersieht Stefan, weil er Theresa missionieren will. Politisch.

Die Form des Briefromans – oder hier Mailromans – erinnert unweigerlich an „Die Leiden des jungen Werthers“. Tatsächlich gibt es einen verbindenden Moment: Werther verliebt sich in das Ideal einer Frau und weil sich dieses nicht in die Realität übertragen lässt, scheitert Werther. Stefan liebt auch ein Ideal, das der Realität nicht standhält – das Idealbild von sich selbst. Er ist kinderlos, seit Jahren Single, tut Kinder wie Nutztiere ausschließlich als Belastung fürs Klima ab und hat als Wurzelloser kein Verständnis für Theresas Lebenssituation, die Teil eines Erbes ist, das sie fortführen will. Außerdem ist sie Mutter zweier Söhne und mit einem Automechaniker verheiratet.

Stefan ist beruflich erfolgreich. Trotzdem bedeutet der Beruf für ihn nur Eskapismus: Als Theresa nach dem Tod ihres Vaters Hals über Kopf die WG verlässt, ruft Stefan das Zeitgeistmagazin „Heftig“ ins Leben und begründet damit seine Karriere. Als ihn seine letzte Lebensgefährtin Renée verlässt, wendet er sich dem Klimaschutz und dem Wokeismus zu. Nicht aus innerer Überzeugung, sondern weil er eine Sinnstiftung in seinem Leben braucht. Diese Überzeugung leben, kann Stefan aber nicht: Als Journalist übersieht er gute Geschichten. Als er sich etwas Gutes gönnen will, isst er bei McDonald’s und vor allem: Er schlägt eine Frau.

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Theresa fragt sich zwischendrin, warum sie überhaupt mit Stefan in Kontakt bleibt. Das tut der Leser auch. Doch auch Theresa ist nicht glücklich. Sie versucht, den Hof zu modernisieren, scheitert dabei aber an den wirtschaftlichen Umständen. Sie hat einen guten Mann, doch die Ehe kriselt, weil der Hof seine Besitzerin überfordert. Der Dialog mit Stefan ist eine Flucht in das alte Leben der jungen Theresa, die vom Osten nach Münster floh, um Literatur zu studieren, statt sich mit Landwirtschaft zu beschäftigen.

Anfangs texten Theresa und Stefan aneinander vorbei. Doch als ihre Lebenswelten explodieren, stoßen sie auf die verbindenden Momente in ihren Biografien. Die Möglichkeit, ein Paar zu sein, ein echtes Paar, steht nun zur Diskussion. Aber gleichzeitig wollen sie ihre beiden Welten retten, die unterzugehen drohen. Theresa drückt der Leser dabei von Anfang an die Daumen. Aber allmählich gewinnt er auch Sympathien für Stefan. Das hinzubekommen ist eine großartige literarische Leistung von Zeh und Urban. Die Autoren leisten mehr, als eben nur ein plattes Feindbild zu präsentieren. Sie zeigen den Menschen hinter der Verblendung.

Eindeutig ist die Beschreibung der beiden Autoren, dass es nicht der Journalismus ist, der die Welt rettet. Schon gar nicht der Haltungsjournalismus. Es sind Figuren wie Basti, Theresas Ehemann, der eine Werkstatt für E-Autos aufbauen will. Oder Theresa, die Landwirtschaft, Ökologie und rücksichtsvollen Umgang mit Mitarbeitern miteinander versöhnen will.

Der Dialog zwischen Stefan und Theresa zeigt aber auf, woran das zu scheitern droht. Das wird nicht nur in den Inhalten des Dialogs deutlich. Sondern auch in seiner Form, mit der die beiden Autoren eindrucksvoll aufzeigen, wie gestört das menschliche Zusammensein im Internetzeitalter ist. Sie lassen es Stefan so ausdrücken: „Aus der digitalen Spaßgesellschaft ist eine Hassgesellschaft geworden.“

Juli Zeh / Simon Urban, Zwischen Welten. Roman. Luchterhand, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 448 Seiten, 24,00 €.


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Kommentare ( 5 )

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forbetterlife
1 Jahr her

„Aus der digitalen Spaßgesellschaft ist eine Hassgesellschaft geworden.“

Das sehe ich ganz anders. Der Hass wird ganz bewusst durch die Linksgrüne Politik und deren Ideologie und die von der gleichen Ideologie getrieben Massenmedien geschürt. Alles was nicht linksgrün ist ist böse und wird ausgegrenzt, diffamiert und gesellschaftlich bestraft.
Das hat meiner Meinung nach wenig bis überhaupt nichts mit digital zu tun. Digital ist lediglich die Kommunikationstechnologie.

Nicolai94
1 Jahr her

Das klingt nach einer sehr interesanten Thematik. Danke für die Vorstellung dieses Buches, ich denke ich werde mal reinlesen.

Markus Gerle
1 Jahr her
Antworten an  Nicolai94

Nachdem mir meine Frau „Über Menschen“ ans Herz gelegt hat, und ich das Buch mit Begeisterung verschlungen habe, warte ich nun darauf, dass meine Frau „Zwischen Welten“ endlich fertig liest. Also, ich lese das Buch dann auf jeden Fall.

verblichene Rose
1 Jahr her

Der subtile Hass kommt genau von denen, die Andersdenkende des Hasses bezichtigen, weil das Gegenüber schlicht eine andere Meinung vertritt. Und wer sich heute als Weisser „woke“ nennt, eignet sich nicht nur eine fremde Kultur an, sondern merkt in seiner Schlaftrunkenheit gar nicht, welch‘ widersprüchliches Leben er/sie/es führt. Was sie aber mitbekommen ist, dass das Gegenüber partout nicht ihre Meinung einnehmen möchte. Und das können diese Leute einfach nicht akzeptieren. Arme Leute, könnte man meinen. Ich halte diese Leute aber für brandgefährlich. Und da wir schon dabei sind: Ich lasse mich immer wieder gerne eines Besseren belehren, denn ich maße… Mehr

Ulric Viebahn
1 Jahr her

Herr Thurnes: Gut, daß Sie die Worte finden, die mir bisher gefehlt haben: „…die Schwäche des Haltungsjournalismus, den Stefan betreibt: Er sucht die Welt nicht. Er kennt sie ja schon, meint er. Es geht nur noch darum, die Welt so oft zu beschreiben, bis jeder sie auch so sieht wie Stefan.“ Mainstream-Zeitgenossen fallen mir dadurch auf, daß sie nichts fragen und alles schon wissen.