Jenseits des Offensichtlichen: Das Märchen vom reichen Land

Daniel Stelter hält mit seinem neuen Buch „Das Märchen vom reichen Land“ Deutschland den Spiegel vor. Denn z.B.: Das Durchschnittsvermögen der Deutschen bewegt sich im europäischen Vergleich am untersten Ende.

Die Sonne geht unter. Finanzplatz Frankfurt aus EZB-naher Perspektive

Mit erschreckender Präzision seziert Daniel Stelter in seinem Buch „Das Märchen vom reichen Land“ das Totalversagen unserer politischen Führung, die mit eigentlich unfassbarer Treffsicherheit auf jedem einzelnen Feld ihrer wesentlichen Entscheidungen der letzten drei Legislaturperioden den Weg des absehbaren Desasters beschritten hat. Diese Fehlentscheidungen werden dem Bürger dann auch noch als „alternativlos“ angepriesen.

Deutschland ist nicht reich

Der Autor beginnt damit, dass er ein paar liebgewonnene Märchen und Legenden dahin verweist, wo sie schon lange hingehören: Ins Reich der Fabel. Er erklärt uns, dass Reichtum nicht allein im Einkommen begründet ist, sondern vor allem im Vermögen, also dem, was nach Abgaben, Konsum und Transfers an unsere liebste Verwandtschaft in der Eurozone noch übrig ist. Und was zeigt sich da: Das Durchschnittsvermögen der Deutschen bewegt sich im europäischen Vergleich am untersten Ende. Darunter liegen nur noch einige ehemalige Ostblockstaaten, die 40 Jahre später in der Marktwirtschaft angekommen sind als die Deutschen. Selbst der durchschnittliche griechische Haushalt hat mehr. Das ist das Ergebnis einer vom Staat geschaffenen Anreizstruktur, die die Bürger dazu verleitet, das sauer erarbeitete und sauer ersparte Geld falsch zu investieren. Statt Immobilien und Aktien lassen wir unser Geld lieber in festverzinslichen und eigentlich hochriskanten Staatsanleihen der Eurozone von der Geldentwertung auffressen.

Handelsbilanzüberschüsse als eine Art Tributsystem

Intensive Gedanken hat Daniel Stelter sodann darauf verwendet, die Konsequenzen unserer permanenten Handelsbilanzüberschüsse, die nichts anderes darstellen als aggregiertes Sparen der gesamten Volkswirtschaft, in den grellsten Farben zu schildern. Diese Überschüsse dienen dazu, die Defizite unserer Handelspartner zu finanzieren und machen uns in einer überschuldeten Welt zum erpressbaren Nettogläubiger. Dabei sind wir so gierig nach italienischen, französischen und anderen mediterranen Staatsanleihen, dass wir sie für ein besseres Investment halten als klassische Infrastruktur, Bildung, Forschung, innere und äußere Sicherheit und last but not least die digitale Infrastruktur, von der unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit abhängt. Das sind nämlich all die Bereiche, die wir zugunsten unseres Anleihen-Speichers vernachlässigen. Und was wir da nicht reinstopfen, das packen wir in Vehikel zur Rettung des Euro, weil es so schön ist, gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen.

Sparer enteignet - Bundesbank-Chef abgemeiert
Ganz nebenbei entlarvt Stelter die schwarze Null als Illusionstheater, das nicht aus Sparen im Sinne von Konsumverzicht entsteht, sondern das Ergebnis der Vernachlässigung von Zukunftsinvestitionen, den Windfallprofiten des marktwidrigen Nullzinses und einer im Europäischen Vergleich erdrückenden Steuer- und Abgabenlast ist. So werden die angesparten Überschüsse vergeudet, anstatt sie zukunftsorientiert zu investieren und für die Folgen der demografischen Katastrophe vorzusorgen, die wir uns seit den 70er Jahren auf eine ganz andere Art und Weise aufgespart haben. In Kapitel 7 wird dazu aufgezeigt, wie wir uns diesbezüglich übernehmen und die Altersarmut als Massenphänomen auf den Weg bringen.

Die Kaiserin der Migration ist nackt

Die nächste Legende, die Stelter sich vornimmt, hat sich in den letzten zwei Jahren bereits für jeden selbst enttarnt, der die 4 Grundrechenarten beherrscht: Nämlich, dass die Facharbeiterinvasion aus der Levante und aus Afrika die Kassen niemals entlasten wird, sondern für Staat und Gesellschaft auf Jahrzehnte hinaus eine zusätzliche Multimilliarden-Belastung darstellt. Es lohnt sich dennoch, diesen Abschnitt zu lesen. Man bekommt es mal so richtig in aller Schönheit vorgerechnet und zwar in solcher Deutlichkeit, dass man als Bürger und Steuerzahler hinterher einen Blutdrucksenker braucht.

Nach dem Brexit der Dexit?

Auch Kapitel 9 zum Thema „Euro(pa) um jeden Preis“ sollte Pflichtlektüre sein. Auf Basis der in den Vorkapiteln dargelegten wirtschaftlichen Realitäten räumt Stelter mit den Legenden der Eurokratie in Serie auf. Er startet mit einem Zitat von Günther Oettinger, in welchem dieser die bis dato geleugnete Transferunion als ideologisches Zielbild rechtfertigt. In anderen Kreisen würde man so ein Zitat ein Geständnis nennen. Er zeigt auf, dass Deutschland eben nicht der Profiteur der EU ist, weil die von der Politik viel gepriesenen Exportüberschüsse eben nicht zur Bildung von Reserven genutzt werden, die man später einmal im Einkauf von Gütern und Dienstleistungen einsetzen kann, wenn man sie dank der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung in Deutschland brauchen wird. Das Geld wird dann weg sein, aufgefressen von Inflation, Nullzins und Abschreibungen als Ergebnis von Finanzkrisen. Schließlich seziert er die Konstruktionsfehler der Eurorettung, die in ihrer Kaskade der Schaffung immer neuer Töpfe es nicht geschafft hat, die drei wichtigsten Ziele zu erreichen, die für eine echte Krisenbewältigung aber zwingend wären: Der Abbau der überbordenden staatlichen und privaten Verschuldung, eine Sanierung der Banken, die den Namen auch verdient und eine Lohnanpassung in den Krisenländern nach unten (weil der Wechselkurs es eben im Euro nicht mehr tut). Gemacht und erreicht haben wir von allem das Gegenteil. Wir dürfen uns also auf die Eurokrise 8.0 schon freuen.

Das Ende des Euro

Stelter schlägt stattdessen eine echte Restrukturierung der Staatsschulden vor (auch mit Schuldenverzicht!), die Schaffung eines Schuldentilgungsfonds nach dem Modell des Sachverständigenrates und im Gegenzug endlich echte Reformen. Aber da hat er die Rechnung ohne die Inkompetenz der Politik gemacht.

Abschiedstournee der Gemeinschaftswährung
James Dean am Euro-Steilufer des Tiber
Im Gegensatz zu vielen ängstlichen Kollegen in der Zunft der Ökonomie traut Stelter sich, ein Szenario des Auseinanderbrechens des Euro zu zeichnen. Ausgangspunkt wäre nach seiner Einschätzung eine vorangehende politische Zuspitzung (wie wir sie gegenwärtig zwischen Brüssel und Rom live und in Farbe erleben können, worauf das Buch auch eingeht), die sich in einem Szenario von Kapitalverkehrskontrollen zur Deckelung von Target-2 entlädt. Wenn das eintritt, ginge es vermutlich ziemlich schnell und das Ventil der Wechselkurse wäre wieder am Arbeiten. Die Südländer würden gegenüber einer neuen DM um 40% abwerten, die DM gegenüber dem Dollar nochmal um 10% und die Kapitalflucht aus Europa würde gigantische Ausmaße annehmen: „Nichts wir raus aus Europa wäre die Zusammenfassung“. Ich möchte hier nicht alles verraten: Aber die dann folgenden Abschnitte über Entfaltung dieses Szenarios, die Konvergenz, die uns mal mit Einführung des Euro versprochen wurde und die Frage, ob auch Frankreich in einer Transferunion an Deutschland zahlen würde, sind echte Schmankerl.

Die Rechnung bitte

Kapitel 10 „Wie man ein Land ruiniert“ sollte als Pflichtlektüre vor der Wahlkabine ausgelegt werden. Stelter tut hier nicht weniger, als eine 5 Meter langen Papierstreifen auszurollen, weil jemand gesagt hat „die Rechnung bitte“. Statt Tagliatelle mit Scampi gibt es da: Einmal Eurodesaster 1.000 – 2.000 Milliarden Euro, einmal Flüchtlingskanzlerin: 900 – 1.500 Milliarden Euro, einmal Infrastrukturverfall: 1.000 Milliarden Euro, einmal Rentengeschenke a la GroKo: 3.000 – 4.000 Milliarden Euro, einmal Energiewende: 500 – 1.000 Milliarden Euro, einmal Wiederherstellung der äußeren Sicherheit: 750 Milliarden Euro.

Macht Summa Summarum: 7.150 – 10.250 Milliarden Euro. Danke, Frau Merkel, aber sie werden es mir nachsehen, dass sie kein Trinkgeld bekommen.

Deutschland hat eine Alternative

Stelter wäre nicht Stelter, wenn er keine konstruktiven Lösungsvorschläge erarbeitet hätte. Mosern können viele, aber es besser machen wenige. Ausgangspunkt und Voraussetzung ist wohl, dass wir unsere politische Elite in Rente schicken (bitte auf die deutsche Durchschnittsrente limitieren!). Der Autor gliedert das Maßnahmenpaket in drei Aspekte: Steigerung der Leistungsfähigkeit, gerechtere Lastenverteilung und Bereinigung der Altlasten. Daran knüpft er ein ganzes Bündel von Maßnahmen über eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, Handlungsempfehlungen zur Überwindung des Fachkräftemangels, Einstellung von Leistungen an Einwanderer, wenn keine Gegenleistung erfolgt, Steuerung der Zuwanderung nach Bedürfnissen des Landes, nicht der Einwanderer, Investitionen in Bildung und Infrastruktur, Forschung und Digitalisierung, Investitionsförderung im Inland, Einrichtung eines Staatsfonds nach dem Vorbild Norwegens, Modernisierung der staatlichen Bürokratie, eine große Steuerreform mit besseren Anreizstrukturen und vieles mehr.

Wird das Land, werden seine Wähler rechtzeitig aufwachen, um den Startschuss zu geben, indem sie Frau Merkel und ihre Entourage der Versager abwählen? Ich persönlich glaube ja, aber erst nachdem es gekracht hat und der Gerichtsvollzieher die einzige Boom-Branche sein wird.

Wohl dem, der dann rechtzeitig dieses Buch gelesen hat, denn er wird wissen, was zu tun ist.


Daniel Stelter, Das Märchen vom reichen Land. Wie die Politik uns ruiniert. FinanzBuch Verlag, 256 Seiten, 22,99 €.

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Kommentare ( 23 )

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23 Comments
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Absalon von Lund
6 Jahre her

Die Kaiserin der Migration ist nackt und das ist wahrlich kein schöner Anblick. Aber ihr Land und seine Bewohner sind es auch. Ich stelle mir die Deutschen an der Himmelstür vor. Die müssen dann in einen Sonderkorridor und alles Nutzlose abgeben, womit sie sich so täglich beschäftigen und das ist unendlich viel. Dann kommt die Kläranlage, die Dekontaminationskammer, das „Entnazifizierungstribunal“ für die 68er. Danach kann Daniel Stelter, ausgehend von Kapitel 10 ein neues Buch schreiben: WIE MAN MIT HILFE DES HIMMELS EIN LAND AUFBAUT!

Klaus Metzger
6 Jahre her

Bei der Energiewende ist Herr Selter nicht up to date. Der Klimaschutzplan 2050 kostet laut Berechnungen des Fraunhofer Instituts rund 8 Billionen Euro. Leider kein Scherz!

Demokratius
6 Jahre her

Und dabei hat Stelter die Reparationszahlungen für den 2. WK vergessen, die in keinem offiziellen Bericht auftauchen. Da es bis heute keinen offiziellen Friedensvertrag gibt, durch den diese Frage endgültig geregelt wurde, können andere Länder Forderungen stellen bis zum jüngsten Tag.

Echter Demokrat
6 Jahre her
Antworten an  Demokratius

Der von den Briten und Franzosen wegen einer zu 97% von Deutschen bewohnten, aber in wahnsinniger Anwandlung aus dem Mutterland herausgerissenen Stadt vom Zaun gebrochene 2. WK wird uns Nachgeborene bis in alle Ewigkeit verfolgen.

bkkopp
6 Jahre her

Das Märchen vom reichen Land wird seit Jahrzehnten von allen Seiten benutzt. Es ist ein Thema für die Analyse von 30-50 Jahren, das Erwachsen- und Arbeitsleben jedes Einzelnen. Verschiedenen Interessengruppen ist es immer wieder gelungen schon die Analysemethoden, Segmentierungen und Komponentenanalyse unentschieden zu belassen, damit nie eine kohärente Analyse über längere Zeit entstehen konnte, und, Weichenstellungen im Planungs-, Eigentums- und Steuerrecht, und auch in den Sozialsystemen, immer die Altbesitzer mit der passiven Rendite begünstigt haben und die Mehrheit der Bevölkerung im Glauben an Wohlstand zu belassen. Die relativ niedrige Wohneigentumsquote, und die Abhängigkeit der Mehrheit von ungedeckten Sozialsystemen für Alter… Mehr

BK
6 Jahre her

Wenn es für junge Leute in diesem Land gut läuft, dann bekommen sie vielleicht einen unbefristeten Job, zahlen Steuern in 5-stelliger Höhe, finanzieren eine überteuerte Immobilie am Stadtrand, pendeln jeden Tag zur Arbeit, fahren einen Firmenwagen. Mit 70 gibt es dann noch etwas Rente, und mit 80 verlangt die Seniorenresidenz 4000,-Euro für Kost und Logis. Vorausgesetzt man hat den richtigen Beruf, wird nicht krank oder arbeitsunfähig, lässt sich nicht scheiden, die Firma verschwindet nicht vom Markt, noch ehe man 45 ist. Angestellt sein, die Immobilie in der Pampa, verheiratet, auf Pump das Auto, oder den Konsum finanzieren, und die eigene… Mehr

Philipp Tertuete
6 Jahre her

Schon letzte Woche gekauft. Exzellentes Buch mit glasklarer Sprache. Ich empfehle ergänzend auf Youtube das Interview von Stelter durch Max Otte.

Rebell
6 Jahre her

Ich habe gerade seid langem mal wieder Anne Will ertragen. Die Damen in diesem Kreis konkret zu beschreiben und dabei ehrlich zu sein verbietet mir meine Erziehung. Das positivste, was ich erwähnen könnte wäre, eine Gummizelle könnte die Bevölkerung vor diesen Talkgästen schützen. Leider waren die anderen männlichen Teilnehmer von Herrn Meuthen mal abgesehen auf dem Niveau eines Herrn Schönenborn. Man weiß nie, sind die wirklich so ahnungslos oder schlicht perfide und verlogen? Sollten die Klatscher in der Sendung tatsächlich einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen, dann dürfte man dieses Land zurecht aufgeben. Die Evolution wird dann dieses Irrenhaus abschaffen. Wenn… Mehr

WolfgangZ
6 Jahre her

Wenn Deutschland Dummland ist, dann Bayern Bummland. Eine banalere Sottise fällt mir nicht ein.

Bill
6 Jahre her

Danke für die Empfehlung werde ich kaufen.
Meine Empfehlung, auch seine Website lesen:
http://think-beyondtheobvious.com/finanzsystem/

Amerikaner
6 Jahre her

Es ist vielen Deutschen ja auch nicht klar. Nehmen wir das staatstragende Bürgertum, dem es ja noch verhätnissmässig gut geht. Sie leben in einem hübschen Haus oder einer Eigentumswohnung, aber wem gehört die eigentlich? Sie fahren vielleicht einen Passat Kombi oder einen Audi, aber der gehört ihnen in der Regel nicht, sondern dem Arbeitgeber. Sie verdienen gut, aber wo geht all das Geld hin? Mit Sozialversicherung, Einkommenssteuern, Verbrauchssteuern, sonstigen Abgaben? Den Deutschen gehört NICHTS. Und das betrifft noch die, die besser leben.