Kriegsmanager Rathenau hinterließ eine Planwirtschaft
Die deutsche Kriegswirtschaft war in Kartellen straff organisiert, Rohstoffe, Arbeits-, Wohnungs- und Lebensmittelmarkt wurden staatlich bewirtschaftet. Planwirtschaftliche Mangelverwaltung war das Gesetz des Handelns und Krisenmanagement. Wirtschaftspolitische Erneuerung stand nicht auf der Tagesordnung: „Man wurstelte sich mit der von Dr. Walter Rathenau geschaffenen Kriegswirtschaft so durch, bis Hitler an die Macht kam. Er fand in dieser Kriegswirtschaft bereits vor, was er brauchte, um den nächsten Krieg vorzubereiten. Nur noch geringe Änderungen waren erforderlich, um die Ausrichtung Deutschlands auf den 2. Weltkrieg zu perfektionieren.“
Der Staatssektor der Wirtschaft war relativ klein und bestimmte das Herrschaftsverhältnis nicht. Das taten vielmehr die 35 Kriegsrohstoff- und Kriegsaktiengesellschaften, der alle privaten Unternehmen einer Branche angehörten. Sie verteilten die knappen Rohstoffe auf Weisung der Rohstoffabteilung des Kriegsministeriums an die Betriebe. Die preußisch-deutsche Kriegswirtschaft als Planwirtschaft passte gut in die deutsche Zunfttradition. Prabel: „Walter Rathenau hatte bereits 1916 gedroht: ‚Die Rohstoffabteilung wird auch im Frieden nicht zu bestehen aufhören, sie wird den Kern eines wirtschaftlichen Generalstabs bilden.‘“ Und:
„Edgar Jaffé, der mit Werner Sombart und Max Weber das ‚Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik‘ herausgab, konstatierte, dass die Militarisierung des deutschen Wirtschaftslebens unverkennbar staatssozialistisches Gepräge trage und die Rückkehr zur deutschen Tradition der festen und planmäßigen Ordnung des Wirtschaftslebens bedeute. Der deutschen Linken, Jaffé war USPD-Mitglied, und als solches unmittelbar nach dem Weltkrieg Finanzminister in Bayern, fiel nichts Innovativeres ein, als in altdeutsche Traditionen zurückzufallen.“
Das neue Kohlenwirtschaftsgesetz und der neue Reichskohlenverband wird 1919 auf Millionen Flugblättern gepriesen: „Die Sozialisierung ist da! Das Kohlensyndikat wird sofort sozialisiert.“ Die Planwirtschaft in der Kaliindustrie und ein Reichskalirat nach dem Muster des Reichskohlenverbands folgten, 1920 der Eisenwirtschaftsverband, der die Inlandspreise festsetzte, die Regelung der Ein- und Ausfuhr von Eisen und Stahl sowie die Regelung des Schrotthandels. Der Wirtschaftsverband für Rohteer- und Teererzeugnisse sowie der Schwefelsäureausschuss waren nächste Schritte, 1925 dann Halbzeugverband, Röhrenverband, Walzdrahtverband, Grobblechverband, Stahleisenverband und andere Syndikate.
Das öffentlich-rechtliche Innungswesen nahm in der Weimarer Republik gegenüber dem Kaiserreich noch zu. Seit 1913 hatte sich die Zahl der Innungsmitglieder verdoppelt, auf 800.000 Meister in den Zwangsinnungen und 200.000 in freiwilligen. Die von den Handwerkerorganisationen geforderte obligatorische Innung, die Preisfixierung und den Großen Befähigungsnachweis bekamen sie erst von Hitler; sie gelten noch heute in vielen Handwerken.
Der Beginn der Weltwirtschaftskrise brachte 1930 das Brotgesetz und das Reichsmaisgesetz, 1932 die Zwangskartellierung der Zuckerindustrie: Die Kosten der chronischen Fehlsteuerung musste die Wirtschaft selbst tragen. Prabel spottet wieder: „Während sich die Landwirtschaftsbürokratie mühte, malte Fidus 1930 die ‚Spatenwacht‘. Als die Russen 1945 in Fidus‘ Atelier eindrangen, nahmen sie die Helme vor dem Bild ab, weil sie dachten, es handle sich um eine Kolchosfeier.“
Zahllose Vorschriften regelten die Verwendung von Produkten: Beikirnungszwang für Margarine, Beimälzungszwang für Brauereien, Beizellungszwang für Papierfabriken, Holzbeischliffzwang bei der Zelluloseherstellung, Beischmelzzwang für Eisenerz. Es gab eine Preistreibereiverordnung und Preisprüfungsstellen und eine Kartell-Notverordnung zur Unterbindung unwirtschaftlicher Preisbindungen.
Bei Ausbruch der Bankenkrise verfügte die Reichsregierung 1932 einfach, Banken zusammenzuschließen: Die Danat-Bank und Dresdner Bank einerseits und die Commerz- und Privat-Bank und der Barmer Bank-Verein Hinsberg, Fischer & Co. in Düsseldorf mussten fusionieren. In einer „Kapitalrekonstruktion“ beteiligten sich Reich und Reichsbank mit 70 % an der Commerz- und Privat-Bank.
Wirtschaftswissenschaftler wie Rudolf Hilferding und Joseph A. Schumpeter diskutierten damals, ob diese Wirtschaftsvereinigungen durch Staatszwang privatwirtschaftlich, individualistisch und damit kapitalistisch seien oder planwirtschaftlich. Die Wirtschaftswissenschaft hätte sich nach Prabel besser gefragt, ob diese Wirtschaftsvereinigungen, Trusts und Syndikate „nicht eher organisiert waren wie die privatwirtschaftlichen Marktgenossenschaften, Zünfte und Gilden, denen das Element individualistischer Wirtschaftsführung und damit der kapitalistische Geist völlig fehlte.“
Wer über die deutsche Wirtschaft und ihre politisch-gesellschaftlichen Verflechtungen vom Kaiserreich bis 1945 mehr wissen will, findet bei Prabel eine Fundgrube über staatliche Planwirtschaft mit Privateigentum hinter der Fassade der Selbstverwaltung der Wirtschaft.
Hitler mixte aus dem Vorhandenen sein braunes Gebräu
Die 25 Punkte des Programms der NSDAP von 1920, formuliert Prabel, „speisten sich aus völkischen, biologistischen, malthusianistischen, zünftigen und romantischen Quellen. Das schöne Mittelalter, wo es noch keine Zinsen gab, wo die Handwerker und Händler sich keine Konkurrenz bieten durften und von Zünften und Gilden geschützt in eine kommunale Gemeinschaft eingebettet waren, wo der Sachsenspiegel statt dem römischen Recht galt und wo die Bauern ihre gleichen Hufen neben der Allmende bebauten, wo Klöster die Talente der Jugend unabhängig vom Einkommen der Eltern förderten und wo tapfere Ritter gegen auswärtige und zugereiste Drachen kämpften, war offensichtlich das gesellschaftliche Leitbild. Die Auflösung aller dieser Bindungen wurde als das zerstörende Werk der Juden verstanden, der Zins, die Abschaffung der Zünfte und Gilden, das römische Recht, die Kaufhäuser und die Abhängigkeit von Marktbedingungen, alles moderne und unbequeme, wurde mit ihnen identifiziert.“
Ohne die großen Schnittmengen zwischen allen Richtungen der Zeit hätte Hitler sein Reich nicht bauen können. Der Bausatz des Dritten Reiches speiste sich aus vielen Quellen, die wir heute gar nicht kennen oder nicht dort einordnen. Das eBook hat in der Kindle-Version 686 Seiten. Es lohnt, sich die Fülle der Details Stück für Stück zu erschließen.
Gedankenverbindungen in die Gegenwart bieten sich bei Wolfgang Prabel alle paar Seiten an, auch wo er selbst den Bezug zur Gegenwart nicht explizit herstellt. Seine Intention ist klar, seine Botschaft besteht in der Warnung vor neuen Lebensreformen, ob sie heute selbst bei denen vor 100 Jahren anknüpfen oder nicht. Damit begibt sich der Autor in jene öffentliche Arena, wo bekenntnishaftes dafür und dagegen so sehr verlangt wird, dass jede nüchterne Diskussion in der Sache schwer wird, wenn nicht unmöglich. Aber niemand ist daran gehindert, sich ein eigenes Bild zu machen und eine eigene Meinung zu bilden. Dazu liefert Wolfgang Prabels Buch jede Menge Stoff.
Zwei weitere Beiträge folgen.
Wolfgang Prabel: Der Bausatz des Dritten Reiches: Die deutsche Kulturrevolution 1890 bis 1933 [Kindle Edition], 686 Seiten. edition:freiheit, Deutscher Arbeitgeberverband.
Autor Dr. Wolfgang Prabel ist Bürgermeister von Mechelroda in Thüringen und betreibt ein Geschäft für Antiquitäten und Geschenke. Prabel ist Ingenieur und gehörte 1989 zu den aktiven Mitbegründern des Demokratischen Aufbruchs. Mit Freunden zusammen organisierte er erfolgreich den Generalstreik zur Auflösung der Stasi. Prabel publiziert auf einem eigenen Blog und bei anderen. Sein Interesse gilt den Widersprüchen zwischen Dichtung und Wahrheit.
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