Die Revolution des 21. Jahrhunderts – die wir in Ermangelung eines passenden deutschen Begriffes auch „Woke“-Revolution nennen – ruiniert unser Geschichtsbild und zerreißt unsere Kultur. „Woke“-Aktivisten gebärden sich als selbstgerechte „Krieger für soziale Gerechtigkeit“.
„Woke“ wurde ursprünglich als mild radikaler Ausdruck an Universitäten benutzt, von frisch graduierten Genderaktivisten oder auch von Fernsehmoderatoren, die sich der Fackelträgerin des „Woke“, der Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, besser bekannt unter dem Kürzel AOC, anbiedern wollten. Mittlerweile ist „Woke“ zu einem Fluch geworden, der alles auf seinem kompromisslosen und unaufhaltsamen Pfad zerstören soll. In einem exklusiven Interview mit der Weltwoche seziert Douglas Murray diese „Revolution“. Er beobachtet dabei, dass die unangenehmen, verdorbenen und spaltenden Elemente, die zunehmend Besorgnis erregen, von Anfang an vorhanden waren. Der britische Bestsellerautor des Buches „Wahnsinn der Massen“ behauptet, dass „diese Leute nicht nur ignorant, sondern auch anmaßend seien und sich selbst zu Richtern, Geschworenen und Vollstrecken über die Vergangenheit erheben, ohne irgendetwas von Geschichte zu verstehen.“
Die Weltwoche: Vor nicht allzu langer Zeit war „Woke“ noch ein positiv besetztes Wort, dass jemanden bezeichnete, der besonders sensibel auf „intersektionale“ Umstände wie Klasse, Rasse, Gender oder Sexualität reagierte. Jetzt erleben wir etwas völlig anderes, etwas das spaltet, zerstört und tyrannisch ist. Douglas Murray, wann verdarb die Kultur des „Woke“?
Der englische Guardian behauptete ja, ich und andere hätten diesen Begriff erfunden. Wir haben aber nur das Wort benutzt, mit dem sich die „Woken“ selbst bezeichnen. Der Guardian brachte bis vor einigen Jahren Artikel von Leuten, die sich selbst und diejenigen, die sie bewunderten, als „woke“ bezeichneten. Bis die negativen Aspekte zum Vorschein kamen. Aber das unangenehme, verdorbene und spaltende Zeug war von Anfang an da.
Die Weltwoche: Diese Bewegung ist enorm dynamisch, aber eine Kernaussage ist schwer auszumachen. Sie scheint heterogen zu sein. Was sehen Sie als maßgeblichen Kräfte hinter dieser „Wokeness-Kultur“?
Douglas Murray: Das gibt es Verschiedene. Einen Aspekt beschreibe ich in meinem Buch „Wahnsinn der Massen“ und zwar das Verschwinden von privater und öffentlicher Rede. Jetzt ist jede Rede immer und jederzeit potentiell für die ganze Welt. Unser ganzes Leben lang konnten wir, bis vor etwa zwei Jahren, noch zwischen privater und öffentlicher Kommunikation unterscheiden. Ein Zeitungsartikel zum Beispiel war öffentliche Kommunikation und eine Unterhaltung mit einem Freund eine private. Aber das Aufkommen der sozialen Medien hat das beschädigt, so dass jetzt eine vielleicht missglückte private Konversation eine Sache öffentlichen Interesses werden kann, sogar dann, wenn man eigentlich keine öffentliche Person ist.
Das ist eine sehr wichtige Veränderung für unsere Spezies in Sachen Kommunikation. Es bedeutet, dass Leute, die sich dessen sehr bewusst sind, besonders junge Leute, mittlerweile immer versuchen, so zu sprechen wie es ihrer Vorstellung nach von allen akzeptiert werden kann.
In diesem Kommunikationsprozess versuchen sie, ihrer Rede einen universellen Aspekt zu geben, der in Antirassismus, Antisexismus, Antihomophobie und vielem mehr besteht. Das basiert aber nicht auf Vereinbarungen. Das Ganze bleibt hochgradig widersprüchlich, sogar in sich selbst. Und es beruht auf einer unfassbar dürftigen Denkweise, die sich seit den späten siebziger Jahren in einem Teil der amerikanischen Universitäten herausgebildet hat und unter dem hässlichen Begriff Intersektionalismus firmiert. Dieser Intersektionalismus hat einiges zur Verfügung gestellt, auf das sich die modernen „Woke“-Aktivisten berufen.
Die Weltwoche: Wenn man alle Symbole loswerden will, nicht nur die Symbole der Sklaverei, sondern die der Ungerechtigkeit generell, wird man nicht aufhören können, bis auch die Akropolis, dieses Symbol einer wohl jetzt als „Fake“ verstandenen Demokratie, zerstört sein wird. Oder die Pyramiden Ägyptens, die ja von Sklaven erbaut worden sind, in die Luft gesprengt werden wird, so wie die Taliban die Buddha-Statuen von Bamiyan gesprengt haben. Wo soll das enden?
Douglas Murray: Es wird nicht enden, bis alles zerstört ist oder bis diesen Leute Einhalt geboten wird. Oder aber, bis ein Zustand erreicht sein wird, der diesen Leuten als sinnvoll erscheint. Als die Zerstörung der Denkmäler anfing, haben manche gesagt: „Aha, Douglas ist dagegen! Da begibt er sich argumentativ aber auf glitschiges Terrain.“ Aber das Terrain ist eben glitschig, weil es keine übereinstimmende ethische Norm dafür gibt, wer oder was aus der Vergangenheit erhalten bleiben darf, gerade auch in Anbetracht der erstaunlichen Geschwindigkeit, mit der unsere gesellschaftlichen und moralischen Normen sich verschieben.
Und es handelt sich ja nicht nur um das Verschieben von Normen, wir erleben auch, was die Ignoranz dieser Leute anrichtet. Sie sind nicht nur ignorant, sie sind obendrein anmaßend. Sie erheben sich zu Richtern, Geschworenen und Vollstreckern über die Vergangenheit, ohne irgendetwas von Geschichte zu verstehen. Sie scheinen zu denken, dass die Beschäftigung mit der Geschichte bedeutet, jede historische Person verdammen zu können, die nicht wusste, was wir heute wissen oder nicht mit dem übereinstimmt, was wir vor ein paar Wochen beschlossen haben, richtig und wichtig zu finden. Jeder der auch nur das Geringste von Geschichte versteht, weiß, dass das eine unmögliche Geschichtsauffassung ist.
Vermutlich würde sich alles beruhigen, wenn diese Leute zur Kenntnis nehmen könnten, dass einer der Gründe für eine menschenfreundliche, liberale und tolerante Person, sich dem Studium der Geschichte in aller Ergebnisoffenheit und Aufgeschlossenheit zu widmen, eine großzügige Geisteshaltung voraussetzt. Es ist gleichzeitig ein Appell an unsere Nachwelt, auch mit uns verständnisvoll umzugehen. Weil auch wir jetzt Dinge tun, auf die zukünftige Generationen erstaunt zurückblicken oder die sie verurteilen werden.
Es könnte sein, dass sie mit Entsetzen und Erstaunen auf unsere Einstellungen zur Abtreibung zurückschauen werden. Oder dass unsere Nachfahren etwa 2050 oder 2090 fragen: Warum haben sie weiter Tiere herangezogen, um sie umzubringen und aufzuessen, wo wir doch „heute“ über solch tolle Methoden verfügen, Fleischersatz herzustellen?
Die Weltwoche: Das momentane Zeitalter, dass das Wall Street Journal „Amerikanisches Jakobinertum“ nennt, könnte auch seine Richtung ändern, wie wir alle aus der französischen Geschichte wissen. Die Kinder der Revolution werden sich vielleicht selbst fressen.
Douglas Murray: Ja absolut! Das ist die Phase, auf die ich mich freue.
Die Weltwoche: Es wird aber blutig werden, wenn es sich ähnlich wie 1790 abspielt.
Douglas Murray: Natürlich wird es das. Aber ich hoffe sehr, dass sie sich gegenseitig außer Gefecht setzen.
Dieses Interview, das Urs Gehriger mit Douglas Murray geführt hat, erschien zuerst unter dem Titel „Tyranny of Woke“ in DIE WELTWOCHE international. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme und Joachim Winter für die Übersetzung aus dem Englischen.
Mehr zum Thema: Douglas Murray, Wahnsinn der Massen. Wie Meinungsmache und Hysterie unsere Gesellschaft vergiften. Edition Tichys Einblick im FBV, 352 Seiten, 24,99 €.
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„Die Weltwoche: Das momentane Zeitalter, dass das Wall Street Journal „Amerikanisches Jakobinertum“ nennt, könnte auch seine Richtung ändern, wie wir alle aus der französischen Geschichte wissen. Die Kinder der Revolution werden sich vielleicht selbst fressen: nicht ganz auf der höhe der zeit, hat diese phase doch schon begonnen. kamala harris wird gerade von den linken angegriffen, weil sie nicht genügend ‚woke‘ ist immer mehr der woken prominenten personen ( a – z prominenz) werden an den öffentlichen pranger gestellt und geshitstormed, weil sie zb nicht die richtige hautfarbe – früher nannte man es noch rasse – haben oder weil sie… Mehr
Treffende Bestandsaufnahme in Sachen ‚Wahnsinn der Massen‘. Es fehlt etwas eine plausible Erklärung dafür, warum ein paar tausend verblendete Idioten die Welt derart in Aufruhr versetzen können.(Danach wirkt dann der Herdentrieb). Liegt es an dem Phlegma des Gros derselben quasi schweigenden Mehrheit, die aus Angst etwas falsches zu sagen oder zu tun, lieber die Füße stillhält, und -oder an der Dauerindoktrination aus TV und Printmedien, die willfährig politisch korrekt den ganzen Zauber unterstützen.
In Hamburg haben die Jakobiner ja schon die Herrschaft über den öffentlichen Raum übernommen, sodass nur noch politisch genehme Kabarettistinnen auftreten dürfen. In dieser Stadt haben ja auch 80% der Wähler für linke und grüne Parteien gestimmt. Jetzt sieht man, was für ein politisches Klima entsteht, wenn Linke und Grüne den Ton angeben. Hamburg und Berlin sind zu zwei Shitholes geworden, die das ganze Land in den Abgrund reißen werden.
Für bestimmte wohlstandsverwöhnte Menschen, die sich selber zwanghaft gut fühlen wollen, reichen Nobelkonsummarken nicht mehr aus. Heute ist es wichtig, ein besonders guter Mensch zu sein, oder dass, was diese Leute dafür halten. Ihre Ernährung ist enorm wichtig, ihre Stimmungslage ist von größter Bedeutung. Und natürlich muss ausgerechnet von ihnen die Welt gerettet werden. Sie haben keine Ahnung von der Welt, aber retten macht eben ein so gutes, selbstgerechtes Gefühl. Das ist die eine Seite, die andere Seite besteht aus Menschen, die diese „zwanghaften Gefühlskonsumenten“ für ihre eigenen globalen Machtziele nutzen. Wer dirigiert denn die Mehrheitsmedien und bestimmt den Kurs?… Mehr
„Und natürlich muss ausgerechnet von ihnen die Welt gerettet werden.“
Und sie begreifen nicht, dass sich in ihrer vermeintlich so weltoffenen Haltung die gute alte deutsche Überheblichkeit des „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ mal wieder unrühmlich Bahn bricht.
Sie wissen alles besser, sie können alles besser, sie machen alles besser, und was am Ende dabei herauskommt, ist nur destruktiv und unsinnig. Wo Verantwortungsethik und Vernunft fehlen, kann ja auch kein anderes Ergebnis resultieren.
„Woke“ war für mich neu. Diese selbstgerechten Leute kenne ich aber auch. Mit denen zu diskutieren geht relativ schnell und einfach….meist sind es privilegierte Leute mit hohem Eigeneinkommen (meist aus Berufen der Sozial-Forschung, Stiftungen, Bildungszene und Co.) oder aber Leute die von Haus aus Geld haben. Einfach diesen Menschen den Spiegel vorhalten….fordern dass sie mit gutem Beispiel voran gehen….damit nimmt man ihnen jede Argumentation.
das funktioniert leider nicht.
Waren die Jakobiner selbst überhaupt Revolutionäre? Sind sie nicht nur auf den Volkszorn aufgesprungen um dann mit radikalster Gewalt ihr eigenes Süppchen zu kochen und das mit einer Intensität, die die versteckten Grausamkeiten der Monarchie noch bei weitem übertroffen haben, an dem sie zum Schluß selbst erstickt sind. Was bei uns seit Jahren stattfindet ist doch nicht einmal ansatzweise eine Revolution, zumindest nicht vom Volke ausgehend, aber durchaus eine unterschwellige Gewaltausübung zur Erhaltung der Macht der Herrschenden und sollte sich das Volk einmal darüber im Klaren sein, was die alles so treiben, dann könnte es durchaus in eine Revolution führen,… Mehr
Eine Revolution? Hier? Träumen Sie weiter! Heine sagte schon im 19. Jahrhundert (sinngemäßes Zitat): „Der zehnte Teil dessen was die Deutschen erdulden mussten hätte in Frankreich zu 36 Revolutionen geführt“. Für eine Revolution ist der Michel viel zu träge, denkfaul, bequem, vielleicht auch feige. Stumm erduldet er all die Katastrophen, die das Land vor allem seit 2015 schütteln. Es muss auch keine Revolution sein. Wenn er mal anders wählen würde, das würde schon langen!
KEINE HELDEN, SONDERN DRACHEN sind die Woke Apologeten. Sie sind die Don Quixotes des 21. Jahrhunderts, lächerliche „snowflakes“, die als infantile „social justice warriors“ gegen Windmühlen anrennen, gegen nicht vorhandene Ungerechtigkeit. Leben kann nur dort entstehen, wo der Mensch die sich permanent drehende Ursuppe des Universums an einer Stelle anhält und dort etwas besonderes schafft, etwas, das man auch Heimat nennen kann. Intersektionalismus ist genau dagegen gerichtet und somit gegen das was das Leben ja gerade ausmacht. Der linke Jakobinerterror unserer Zeit, in Form von „woke“, BLM, FFF oder was auch immer, er ist lebensfeindlich, er stellt die Philosophie der… Mehr
Darf man erfahren, was „komplett überarbeitete Neuausgabe“ von Murrays Buch „The Madness of Crowds“ bedeutet? Das Buch war leider grottenschlecht übersetzt, angefüllt zudem mit Hunderten von Füllwörtern, so dass die deutsche Ausgabe sechzig Seiten dicker war als das Original, da hat es jemand sehr eilig gehabt oder hat es eilig haben müssen. Nehmen wir als Test Seite 177 (laut „Anmerkungen“ Seite 144, auch die stimmen nicht): Murray zitiert den schwarzen Aktivisten Michael Harriot, der laut deutscher Übersetzung gesagt hat: „Mangelnde Vielfalt der Gedanken ist lediglich ein Euphemismus für die Überlegenheit der Weißen.“ Was natürlich Quatsch ist, Harriot hat vielmehr gesagt:… Mehr
Jede Glaubensbewegung gerät unweigerlich an den Punkt, an dem sich die Frömmler gegen die Frommen wenden, die ihnen nicht fromm genug erscheinen. Da wird es auch diesmal, wie ich hoffe, keine Ausnahme geben.
Wahnsinn der Massen!
Obwohl sagenhafte 100 PROZENT aller Menschen weltweit Ersatzenkelstampeden bis zum Jahre 2015 ff überhaupt nicht kannten, glauben heutzutage inzwischen 87,4 Prozent aller Deutschen irrtümlich(!) selbst , sie persönlich selbst seien schom immer irgendwie für Flüchtlingskrisen gewesen, und die anderen 12,6 Prozent wollen das Ganze selbst nach fünf Jahren immer noch NICHT auffliegen lassen!
Wenn DAS kein Wahnsinn der Massen ist, was dann?