Das »Jahrbuch Extremismus & Demokratie« erscheint seit 1989 ununterbrochen und mit dem Anspruch, alle Formen des politischen Extremismus kritisch zu beleuchten – mit Texten zu Rechtsextremismus, religiösem Extremismus aber auch zu antidemokratischen Strömungen von links. Von Karsten D. Hoffmann
„Hufeisen“ gilt in den sozialen Medien als Reizwort. Dabei besagt die sogenannte „Hufeisentheorie” lediglich, dass sich Parallelen zwischen rechtem und linkem Extremismus erkennen lassen – ein Hang zu Verschwörungstheorien, Freund-Feind-Denken oder eine Neigung zur Gewalt. Insbesondere linksorientierte Politikwissenschaftler bemühen sich jedoch, die Gegenüberstellung von rechtem und linkem Extremismus zu tabuisieren. So war erst kürzlich im ZDF-Magazin „heute“ zu vernehmen, wer mithilfe einer „so falschen und eingeübten Extremismusrhetorik” Vergleiche anstelle, der mache sich „schuldig“ (dass der befragte Politikwissenschaftler ansonsten für die Stiftung der Linkspartei referiert, wurde geflissentlich übergangen).
Von derartigen Anwürfen lassen sich die Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse, denen besagte Theorie zugeschrieben wird, nicht beeindrucken. Das von ihnen mit Alexander Gallus und Tom Thieme herausgegebene „Jahrbuch Extremismus & Demokratie (E & D)“ erscheint seit 1989 ununterbrochen und mit dem Anspruch, alle Formen des politischen Extremismus kritisch zu beleuchten. So finden sich hier neben Texten zu Rechtsextremismus und religiösem Extremismus auch immer wieder solche über antidemokratische Strömungen von links.
In der aktuellen Ausgabe befasst sich Philipp Currle mit der Rolle der postautonomen Organisation „Interventionistische Linke“ (IL); insbesondere mit deren Einfluss auf die Klimabewegung „Fridays For Future“ (FFF). Dabei kommt er zum Ergebnis, dass die Beeinflussung von FFF letztlich nicht so erfolgreich war, wie die Linksradikalen es sich gewünscht hatten. Allerdings habe die IL von der Popularität der Klimabewegten profitiert, was durch ihre Medienpräsenz deutlich wird und nicht weniger gefährlich ist. Zumindest am Rande befasst sich der Autor in diesem Zusammenhang auch mit dem Verhalten des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der in Gestalt des ZDF der Interventionistischen Linken bereits im Vorwege des Hamburger G7-Gipfels eine Bühne bot.
Aber das Jahrbuch E&D ist keine bloße Aufsatzsammlung. Die Autoren fassen die politischen Entwicklungen in Europa zusammen und bewerten sie wie auch die im Beobachtungszeitraum erschienene Literatur. Eine beeindruckende Zahl von 130 Rezension zu aktuellen Erscheinungen mit Extremismus-Bezug enthält die neue Ausgabe, einige verfasst von Granden der Sozialwissenschaften wie Klaus von Beyme und Herfried Münkler.
Für ihr stetiges Engagement für Demokratie und Rechtsstaat im unbeliebten Tätigkeitsfeld der Extremismusforschung erfahren die sächsischen Universitätsprofessoren viel Kritik. Für die aktuelle Ausgabe des Jahrbuchs sah sich Eckhard Jesse daher veranlasst, noch einmal im Detail auf einige Vorwürfe einzugehen. So werde immer wieder behauptet, die Hufeisentheorie hätte ihren Ursprung in nationalrevolutionären, völkischen Bewegungen. Aber Jesse stellt klar, dass der Begriff Hufeisen zwar in einigen Schriften der Konservativen Revolution verwendet wurde – allerdings in positiver Konnotation und keineswegs in einem antiextremistischen Sinn wie von der Vergleichenden Extremismusforschung.
Die oft kritisierte “Gleichsetzung von rechts und links” finde durch die Extremismusforschung nicht statt. Gerade diese habe ein Interesse an einer Differenzierung. Gerade deswegen sei es auch nicht richtig, “rechts”, “rechtsextrem” und “rechtsterroristisch” auf eine Stufe zu stellen. Hier beginnt Jesses Gesellschaftskritik: Der emeritierte Politikwissenschaftler beklagt die Abkehr vom „Äquidistanzdenken“, dem Anspruch rechtem und linkem Extremismus gleichermaßen ablehnend gegenüberzutreten. Er stellt eine „bemerkenswerte Schieflage zwischen der Stärke der extremistischen Szenen und ihrer Wahrnehmung“ fest sowie eine “zunehmend offensive Haltung antifaschistischer Denkmuster”.
Ähnlich verhält es sich mit dem Aufsatz über Bernhard Falk. Sein Terrorduo war zwar nie vollständig von der linken Szene akzeptiert, und anders als bei der RAF blieben Solidarisierungen weitgehend aus (selbst als Falk und sein Mitstreiter in Hungerstreik getreten waren, um gegen die Haftbedingungen zu demonstrieren). Aber dennoch bestätigt die Vita Falks mit seinen linksmotivierten Anschlägen, seiner späteren Freundschaft zum Neonazi Kay Diesner und seiner letztlichen Hinwendung zum Islamismus, dass die verschiedenen extremistischen Spektren zumindest ähnliche Andockstellen aufweisen. Eine der Stärken des Jahrbuchs ist dabei, dass es den Leser lediglich zu derartigen Schlussfolgerungen anregt, keineswegs jedoch in vorgefertigte, begrenzte Denkräume zwingen will.
Angesichts des immensen Arbeitsvolumens, das in der 32. Ausgabe des Jahrbuch E&D steckt, wirkt es unglücklich, dass der Aufsatz von Stefan Goertz über „Rechtsextremistische und rechtsterroristischen Akteure“ im Inhaltsverzeichnis auf die Überschrift „Rechtsterroristische Akteure“ verkürzt wurde. Damit wird die im Text u.a. dargestellte Identitäre Bewegung in eine Kategorie gepresst, in die sie bei aller Kritik nicht gehört (daran ändert auch die Spende eines neuseeländischen Rechtsterroristen an IB-chef Martin Sellner nichts). Dieses, vermutlich vom Verlag zu verantwortende, redaktionelle Versehen schmälert den wissenschaftlichen Wert der Beiträge jedoch keineswegs. Durch ihr konsequentes Festhalten am Äquidistanzgedanken beweisen die Herausgeber Mut und besetzen eine Lücke, die von ihren Berufskollegen viel zu oft gemieden wird. Das Jahrbuch Extremismus & Demokratie sollte in keiner akademischen Bibliothek fehlen.
Der Autor dieses Beitrags, Dr. Karsten D. Hoffmann, ist Politikwissenschaftler und befasst sich seit über einem Jahrzehnt mit militanten Strömungen von rechts und links. Sein Buch Gegenmacht. Die militante Linke und der kommende Aufstand ist im Gerhard Hess Verlag erschienen, hat 252 Seiten Umfang, kostet 16,80 € und ist im TE Shop erhältlich.
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Man muss den Professoren Backes und Jesse tatsächlich dankbar sein! Die hätten sich auch ein schönes Leben machen können und nur über „woke“ Themen dozieren. Stattdessen riskieren sie ihre Karriere, in dem sie über Linksextremismus forschen. Geht aber wohl auch nur in Sachsen.
Ist halt die Frage, was man als „links“ und „rechts“ verkauft. Aktuell fährt man ja immer noch auf der alten Propagandaschiene Stalins, der es erfolgreich schaffte das Narrativ Nazis = Faschisten (also keine Sozialisten mehr) = Rechte = Konservative zu etablieren. Dabei sieht selbst ein Blinder, dass das nicht funktioniert. Entweder man benutzt die alte Definition: links = progressiv (bis hin zu revolutionär), rechts = konservativ (bis hin zu reaktionär) – dann waren Nazis Linke, denn konservativ waren sie nie; oder man definiert Nazis als Rechte im Gegensatz zu klassischen sozialistischen Linken – dann sind aber Konservative keine Rechten. Beides… Mehr
IN DER NACHKRIEGSZEIT war der Linksextremismus für unser Land das wesentlich größere Problem, was natürlich kein Plädoyer für Rechtsextremismus sein soll. Hierzu ein paar Fakten: Die Mordserie der RAF erschütterte die Bundesrepublik und sollte ihre Strukturen zerstören. Von rechts gab es kein entsprechendes Phänomen. Die ganze DDR war gewissermaßen in toto ein linksradikales Projekt, Organisationen wie die Stasi kann man nicht anders als verbrecherisch bezeichnen. In der Bonner Republik gab es selbstverständlich keine Entsprechung. Die 68-er Bewegung war eine ausschließlich linke Bewegung. Durch die Unterminierung und Zerrüttung unseres Schul- und ganzen Bildungssystems hat sie unserem Land schwersten Schaden zugefügt und… Mehr