Faust fragt nach Gottes Liebe und verliert dennoch nicht den Glauben

Siegmar Faust hat in seinem wechselvollen Leben vielfältige Erfahrungen mit Diktaturen, mit totalitären Denkmustern und mit aktivistischer Propaganda, die sich als Journalismus ausgibt, gemacht. Sein Essay wird allen empfohlen, denen zum Nachdenken und zum Streiten zumute ist.

Ich benötigte Zeit, ehe ich begriff, dass ein von mir als positiv empfundenes Adjektiv herabwürdigend und denunziatorisch benutzt wird. Das Adjektiv lautet „umstritten“. Das deutsche Wörterbuch bietet als Bedeutung an „nicht sicher, nicht einwandfrei geklärt, nicht verbürgt, nicht überliefert.“ Doch in dieser Bedeutung entbehrt es jeden Sinn, Menschen, insbesondere Schriftsteller, Publizisten, Wissenschaftler als „umstritten“ zu kennzeichnen, wie man es beispielsweise mit dem Schriftsteller Siegmar Faust getan hat, dessen Essay „Glaube, Hoffnung, Liebe. Religion in einer zerfallenden Gesellschaf“ gerade in der Exil-Reihe des Buchhauses Loschwitz erschienen ist.

Die Herkunft des Schriftstellers Siegmar Faust ist mitnichten umstritten, sondern einwandfrei geklärt, verbürgt, überliefert. Im sächsischen Dohna noch im letzten Monat des vorletzten Kriegsjahres geboren, erlebte er als Kind und als Jugendlicher die Gründung und die Entwicklung der DDR als sozialistischen Aufbruch. Man darf nicht vergessen, dass die DDR für viele auch ein Staat mit Utopie-Überschuss war, zumindest bei ihrer Gründung und in den ersten Jahren. Der Marxismus begeisterte ihn – und nur jemand, dessen Denken in schwarz-weiß oder links-rechts Kategorien gefangen ist, wird nicht begreifen, dass man als Marxist in der DDR gefährlich leben konnte. Siegmar Faust geriet mit dem System in Konflikt, eben weil er Marxist war.

Nach der Organisation einer Lesung von Lyrik wurde er 1966 exmatrikuliert, konnte dann aber nach der, wie es euphemistisch hieß, „Bewährung in der Produktion“ 1968 ein Studium am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ aufnehmen, doch geriet er seit dieser Zeit in den Blick der Stasi. Insgesamt verbrachte Siegmar Faust in der ersten Hälfte der siebziger Jahren wegen „staatsfeindlicher Hetze“ 33 Monate in Stasihaft, davon 17 Monate in Stasi-Untersuchungshaftanstalten, sieben Wochen im Haftkrankenhaus für Psychiatrie in Waldheim, weil er den Stasi-Vernehmer mit seinen eigenen Waffen schlagen wollte, die andere Zeit im Zuchthaus Cottbus. Im Gefängnis stellte er eine handgeschriebene Zeitung „Armes Deutschland“ als Pendant zur Parteizeitung „Neues Deutschland“ her. Das brachte ihm 400 Tage Haft im „Tigerkäfig“ ein, einer kalten und nassen Kellerzelle.

Lehrstück über das Werden einer Diktatur
Die unerzählte Geschichte des Widerstands in der DDR
Durch die Intervention Robert Havemanns wurde Siegmar Faust vorzeitig aus der Haft entlassen und konnte im September 1976 in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Hier passte er sogar nicht in den kulturpolitischen Mainstream der reichen Kinder von 1968, die in der DDR das bessere Deutschland sahen, in dem sie allerdings selbst nicht zu leben beabsichtigten. Sozialismus ist nur aus der Ferne schön.

Am 7. Januar 2018 schoss dann der SPIEGEL gegen ostdeutsche Bürgerrechtler im denunziatorischen Unterton, der zum Grundton der Hamburger Gazette gehört, allen voran gegen Siegmar Faust. Ich schrieb damals im Magazin von TE: „Hammersteins Tendenzstück spielt in Dunkeldeutschland. Protagonisten des Groschenromans sind ehemalige DDR-Bürgerrechtler, denen der Autor vorwirft, zur AfD und zu Pegida, ins Lager der Reaktion, zum Klassenfeind „abgedriftet“ zu sein. Der erste Verräter an der Sache des Guten, auf den Hammerstein in Dunkeldeutschland trifft, ist Siegmar Faust.“

Doch Siegmar Faust hat in seinem wechselvollen Leben vielfältige Erfahrungen mit Diktaturen, mit totalitären Denkmustern und mit aktivistischer Propaganda, die sich als Journalismus ausgibt, gemacht. Genau von diesen Erfahrungen handelt der Essay, den Siegmar Faust nun vorlegt.

„Umstritten“ besaß lange Zeit für mich eine positive Bedeutung, verstand ich doch darunter eine Aufforderung zum Meinungsstreit, zur Diskussion, zur Disputation, zum Kampf der Argumente. Spät erst habe ich verstanden, dass unter „umstritten“ eine Abweichung vom Mainstream, der ja nicht die Mehrheit der Bevölkerung, sondern nur die Mehrheit der Streamer meint, verstanden wird, dass damit im geradezu stalinistischen Sinne die Abweichler oder in inquisitorischer Vorstellung die Ketzer, die Häretiker gemeint sind.

Siegmar Faust ist sich in diesem Bändchen, das zur Lektüre all jenen empfohlen wird, denen zum Nachdenken und zum Streiten zumute ist, treu geblieben. Im Mittelpunkt steht für ihn die Frage nach der Möglichkeit, im Einklang mit Gott in einer sich auflösenden und entchristianisierten Gesellschaft zu leben. Doch er macht es sich nicht einfach, denn Gott ist keine Vaterfigur mit Goldhintergrund in der Apsis einer Kirche.

Texte aus Notwehr
Die Aufrichtigkeit des Werks. Zur Essaysammlung »Habe Mut« von Jörg Bernig
  Angesichts der Grausamkeit in der Welt, auch angesichts seiner Erfahrungen, angesichts der Verbrechen der nationalsozialistischen und der kommunistischen Diktatur, angesichts zweier Weltkriege kommt er nicht umhin, nach dem Theodizee-Problem zu fragen, danach, wie man an einen Gott glauben, wie man einen Gott lieben, wie man auf einen Gott hoffen kann, der all dieses Elend, all dieses Leid zulässt. Der Unbedingtheitsfuror, das Wahrheitsverlangen, das Faust treibt, erinnert an die Schonungslosigkeit Sören Kierkegaards, aber eben auch an den wohl für Faust inzwischen wichtigsten Denker, an Dietrich Bonhoeffer. Zu recht legt er dar, dass die vergrünte EKD zwar Bonhoeffer preist, doch ihn nicht liest, denn würde sie ihn lesen, müsste sie ihn nach ihren Maßstäben als „Rechten“ einordnen und gegen ihn demonstrieren.

Der Essay stellt einen Parforceritt durch die unterschiedlichen Möglichkeiten dar, mit Gott, auf Gott hin zu leben. Eine Entdeckung ist auch, was Faust über den Weg des früheren SED-Politbüromitgliedes Günter Schabowskis zu Gott mitteilt, übrigens der einzige des Herrschafts-Ordens der DDR, der sich mit seiner persönlichen Schuld auseinandergesetzt und die Konsequenzen gezogen hat.

Faust hat ein provozierendes Buch geschrieben, keine gefällige Gutenachtlektüre, keinen christlichen Kitsch. Und er will den Streit, er ist nicht umstritten, wie ich gelernt habe, sondern er ist streitbar. Man muss nicht mit ihm in allem übereinstimmen, man kann auch in nichts mit ihm übereinstimmen, doch mindert das nicht im geringsten den Wert der Lektüre, weil es zur Klärung der Standpunkte verhilft. Über die Aufklärung beispielsweise würden wir in eine Meinungsverschiedenheit geraten, in einen Streit über den Vergleich von Kommunismus und Nationalsozialismus – doch übereinstimmen würden wir mit dem Voltaire zugeschriebenen Diktum: Ich bin zwar nicht ihrer Meinung, aber ich werde alles tun, damit sie ihre Meinung frei äußern dürfen.

Siegmar Faust, der im Buch bitter über diejenigen schreibt, die ihm bewusst missverstanden, die bewusst Zitate aus dem Zusammenhang gerissen haben, um aus ihm eine Schreckfigur zu machen, wäre nicht Siegmar Faust, wenn die Lust an der Formulierung nicht wieder modernen Inquisitoren Material für ein Anathema liefern würde. Er ist eben unverbesserlich, inquisitorisch gesprochen ein haereticus relapsus, ein rückfälliger Ketzer.

Siegmar Faust, Glaube, Hoffnung, Liebe. Religion in einer zerfallenden Gesellschaft. Edition EXIL, Klappenbroschur, 160 Seiten, 19,00 €


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Kommentare ( 4 )

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Okko tom Brok
9 Monate her

Statt des negativ gebrauchten Framingbegriffs wäre „streitbar“ oder auch „kontrovers“ zu gebrauchen. Kontroversität ist ein hohes Gut, das leider nur noch weniger Zeigenossen mit Leben erfüllen können.

alter weisser Mann
9 Monate her

„noch im letzten Monat des vorletzten Kriegsjahres geboren“ … ist an dem Zeitpunkt was besonders, dass es „noch“ heißt?

„passte er sogar nicht in den“ …. sogar nicht oder so gar nicht?

„die ihm bewusst missverstanden“ …. ihn!

Korrekturlesen, das wäre echt nötig.

Jens Frisch
9 Monate her

Zu recht legt er dar, dass die vergrünte EKD zwar Bonhoeffer preist, doch ihn nicht liest, denn würde sie ihn lesen, müsste sie ihn nach ihren Maßstäben als „Rechten“ einordnen und gegen ihn demonstrieren.“

Die Altlinken sind die Neurechten – dieses Muster sehe ich immer wieder und es ergibt ja auch Sinn:
Wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz, wer es mit 40 immer noch ist, hat kein Hirn.

rainer erich
9 Monate her

Das Prädikat “ umstritten“ wird von den Taetern auf die Person bezogen, nicht auf deren Herkunft und auch nicht auf deren Meinungen. Nun kann ein Mensch aus biologischen Gruenden nicht selbst umstritten sein, denn keine der Bedeutungen trifft naturgemaess zu. Man darf den Verwender aber durchaus Absicht unterstellen, denn die Entpersonalisierung bis zur Entmenschlichung der Andersmeunenden, der Störer und Hinderlichen, ist Teil ihres Programms. Der Weg vom umstrittenen zum bestrittenen Menschen ist kurz. Es handelt sich wie regelmaessig nicht um semantische Unsauberkeiten, die es natuerlich auch gibt, sondern um Begriffe, die des Ungeistes Kind des Transhumanisten verraten. Besorgniserregend, aber anthropologisch… Mehr