Die Union ist gezwungen, zu liefern, was die Wähler erwarten

Der „gelernte“ DDR-Bürger Ralf Schuler, reagiert sensibel auf „Mauer“-Metaphern. Er betrachtet die Brandmauer als „Repräsentanzverweigerung“. Denn das Bild der Brandmauer unterstellt, dass es Hunderttausende, ja Millionen an Wählern, Bürgern gibt, die im demokratischen Betrieb nichts verloren haben.

Tichys Einblick: „Einbinden statt ausgrenzen“ empfehlen Sie in Ihrem Buch. Es scheint aber, dass Ausgrenzung als probates Mittel gewählt wurde. Wird im Bundestagswahlkampf die Chance endgültig vertan?

Ralf Schuler: Mit den gemeinsamen Abstimmungen von Union und AfD im Bundestag ist die „Brandmauer“ gewissermaßen Geschichte. Die Bluttaten von Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg zwingen die Union, einfach zu liefern, was die Wähler erwarten. Und die Wähler der Union erwarten einfach keine schwarz-roten oder gar schwarz-grünen Lieferungen. Die Union kann sich in diesen Tagen die Art der eigenen Beerdigung aussuchen: Entweder mit der AfD Dienstleister des Wählerwillens zu sein oder mit linken Partnern das eigene Profil bis zur Unkenntlichkeit weiter zu verwässern. Langfristig wird an verschiedenen Formen der Kooperation mit der AfD kein Weg vorbeiführen. Nur offen sprechen kann man gerade im Wahlkampf darüber nicht, weil dieser Richtungsstreit die Union noch weiter nach unten zöge.

„Wir sehen uns 2029 wieder“. Viele frustrierte Mitterechts-Wähler setzen jetzt ihre Hoffnung auf 2029. Kann man eine politische Wende einfach vertagen?

Nein. So einfach ist es nicht. Die Union weiß, dass sie nach der Wahl liefern muss, wenn sie sich nicht gänzlich überflüssig machen will. Schon jetzt gibt es intern Strategen, die dazu raten, lieber jetzt aus einer Position der Stärke mit der AfD zu kooperieren und nicht zu warten, bis man womöglich Junior-Partner wäre wie in den Ost-Ländern. Klar ist aber auch: Bis 2029 wird sich auch der Widerstand gegen eine weiter erstarkende AfD radikalisieren. Das wäre ein ungemütlicher Ausblick.

Holt Merz mit seinen migrationspolitischen Maßnahmen Wähler von der AfD zurück zur CDU?

Versagen der Parteien
Ralf Schuler: Die „Brandmauer“ ist Repräsentanzverweigerung
Nach allen seriösen Untersuchungen wird die Union enttäuschte Wähler kaum zurückgewinnen, aber sie kann die weitere Abwanderung verhindern. Gerade Stammwähler trennen sich nur unter großen Schmerzen von ihrer Partei, dann aber richtig. Ich beobachte seit langem, dass die Ungeduld auch mit denen wächst, die innerhalb von Union oder FDP als „ehrliche Haut“ gelten, aber eben auch nichts am taktischen Lavieren der Gesamtpartei ändern können. Klartext allein reicht heute vielen Wählern nicht mehr. Man will Taten sehen.

Elon Musk hat die AfD in die Medien geholt – unübersehbar jetzt auch AfD-Vertreter in Talkshows. Ist das der Durchbruch durch die Brandmauer in die Mitte?

Ich glaube, diese Aktionen machen die AfD in den Augen von mehr Menschen im weitesten Sinne „normal“. Sie ist einfach da. Mit jedem Monat der verstreicht, wachsen junge Leute nach und werden politisch sozialisiert, die die Parteienlandschaft gar nicht kennen ohne AfD. Der Dämonisierungseffekt wird dadurch nachlassen.

… oder hat die AfD sich im Wahlkampf „radikalisiert“, wie Merz behauptet?

Nein, die AfD wird derzeit fast ausschließlich über ihre Vorsitzende, ein wenig über den Vorsitzenden Tino Chrupalla wahrgenommen. Und Alice Weidel ist erkennbar lockerer, geschmeidiger geworden. Die vermeintliche Radikalisierung wird in der Union mit zunehmender Nähe zur Wahl vor allem deshalb behauptet, um die Nicht-Kooperation und Nicht-Lieferung der entsprechenden Politik zu begründen. Die Rückmeldungen von den Wahlkampf-Ständen gehen bei CDU und CSU vielfach ganz klar in die Richtung, mit der AfD zu kooperieren. Die Menschen haben für taktische Spiele immer weniger Verständnis.

Nun wird auch Musk als rechtsradikal etikettiert. Wie lange kann man solchen Unsinn weitertreiben?

Nicht mehr lange. Musk hat in der Tat wenig Ahnung von Deutschland und geht – ähnlich, wie bei seinen Unternehmen – nach Gefühl vor: In Deutschland läuft es nicht, die Etablierten machen so weiter, als muss man da mal auslichten. Diese amerikanische Unbekümmertheit funktioniert hierzulande allerdings nicht ganz so einfach, weil Europa eben ein alter Kontinent mit gewachsenen Strukturen und Kulturen ist und keine besiedelte Auswanderer-Nation. Aber Musk hat mit diesem Naturell eben Mars-Missionen gestartet, Raketen gebaut und ein Imperium geschaffen. Da interessieren ihn Einwände von linken Bedenkenträger und Ideologen herzlich wenig.

Und das BSW: schnell gestartet, in Thüringen verstolpert?

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist ein gutes Beispiel dafür, dass Talkshow-Präsenz allein noch keinen Erfolg bringt, wenn man keinen politischen Zeitgeist im Rücken hat. Das Friedensthema zieht im Westen weniger als im Osten, und mit Russland tut man sich ebenfalls in den „alten Ländern“ schwerer. Den Sprung über die fünf-Prozent-Hürde dürfte BSW wohl noch einmal schaffen, aber je schriller die linken, sozialistischen Farben bei Wagenknecht durchschimmern, desto begrenzter wird die Reichweite. Migrationskritik, Meinungsfreiheit und vernünftiger Umgang mit der AfD werden ihr angerechnet. Antikapitalistische Flausen sind bei vielen Menschen historisch durch.


Ralf Schuler, Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Fontis Verlag, Hardcover, 304 Seiten, 24,90 €.


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Kommentare ( 12 )

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Manfred_Hbg
1 Monat her

Zitat: „Und Alice Weidel ist erkennbar lockerer, geschmeidiger geworden.“ > Dem würde ich mal so zustimmen. Wenn hier aber A. Weidel und auch andere AfD’ler in Interview oder in den Quassel- und Dummshows nicht ganz so locker und etwas unroutiniert erscheinen, dann ist das für mich nicht überrschend. Denn wo und wann sollen sie hier Erfahrung und Routine sammeln können wenn sie kaum befragt oder eingeladen werden – und wenn dann doch, dann werden sie zumeist attackiert und bepöbelt so das sie immer nur im Verteidigungsmodus sein müssen. Aber auch das Auftreten der AfD’ler wird sich nach und nach noch… Mehr

Ali Mente
1 Monat her

Man sollte nicht verdrängen oder vergessen, was seit Mittwoch außerparlamentarisch passiert ist. Da haben die „wahren Demokraten“ ihre Maske fallen lassen, da konnte man sehen wer im Stil von 1933 denkt und handelt. Gewalttätige Einschüchterung von Abgeordneten, Stürmen von Parteizentralen und Büros! Kann man diese Abstimmung eigentlich als demokratisch und legitim betrachten? Unter anderen Vorzeichen wäre diese Abstimmung unter großem Geheule der Linken annulliert worden, ganz sicher! Hier aber schweigen die Dauerempörten mal weder dröhnend.

Ho.mann
1 Monat her

Die Brandmauerbauer, die mit ihrer Wählerausgrenzung belegen mit welchem kruden Demokratieverständnis sie unterwegs sind, agieren in Einigkeit gegen Recht und Freiheit nur noch für ihre Demokratie, die sie zwecks Macht – und Selbsterhalt bewahren und festigen wollen.

Last edited 1 Monat her by Ho.mann
Aegnor
1 Monat her

„Migrationskritik, Meinungsfreiheit und vernünftiger Umgang mit der AfD werden ihr angerechnet“

Ja, aber genau die liefert das BSW ja eben nicht. Genau wie bei der Union. Große Töne werden gespuckt, aber gehandelt wird nicht. Und wenn es ernst wird, ist all das Getöse vergessen und man handelt wie Rot-Grün. Das BSW ist nichts weiter als eine künstliche Lebensverlängerung der SED/Linken, nach dem alten Motto: Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen.

Nibelung
1 Monat her

Die Roten, Grünen un die FDP befinden sich ja noch in ihrer Wahlstärke von 2021 und hat ihnen noch mit Hilfe von Abweichlern einen Etappensieg beschert, was aber nach Ende Februar völlig anders aussieht und dann nur noch zwei große Parteien übrig bleiben und das wird die anderen gewaltig einengen, denn es ist ja auch bekannt, daß man den Hund nicht ständig gegen den Strich bürsten sollte, wenn man vermeiden will, daß er nicht plötzlich wild wird. Insofern hat Schuler recht und der Unterschied zwischen Ost und West ist die feinere Antenne, die den Staatsrepresionen drüben entkommen sind und keine… Mehr

Melly
1 Monat her

Lieber Herr Tichy, mit Herrn Schuler bin ich sehr Vorsichtig, dass kann morgen schon wieder ganz anders sein. Ich bin aus dem Osten und sehr,sehr vorsichtig

Mermaid
1 Monat her

Wie schön, daß Sie Ralf Schuler ein paar Zeilen widmen.
Ich habe ihn ganz außerordentlich schätzen gelernt für seine stets höfliche und ruhige Art zu fragen, ohne sich mit Floskeln abspeisen zu lassen. Da wird dann hartnäckig nachgefragt. Ein in meinen Augen ganz toller Journalist.

hansgunther
1 Monat her

Das Wahlrecht kennt nur „den Wähler“. Bei Merz und der CDU gibt es mehrere Klassen von Wählern, alle aber sind gute Wähler, wenn sie die CDU wählen, einige dürfen die CDU wählen, sind aber bäh, bestenfalls Stimmvieh, dürfen aber mitgezählt werden. Man will aber keinem von „denen“ die Hand reichen, niemals, wo kommen wir dahin. Champagner saufen wir mit den Sozialisten – Capito! Soviel Charakterlosigkeit ist nicht selten in der Politik, aber der Merz ist der ungekrönte König der Schwafler ohne Krone und Anstand. Kein Mann, ein Männchen, macht er notfalls vor jedem, denn unter Kanzler will er es nicht… Mehr

alfredrabe
1 Monat her

Herr Merz mag alles mögliche sein – ein Held ist er gewiss nicht. Und wer meint, die CDU würde hier irgend etwas entscheidend ändern (an den Zuständen, die sie wohlgemerkt selbst herbeigeführt hat), dem ist nicht zu helfen. Ohne 51% für die AfD geht es weiter in Richtung Sozialismus.

Wilhelm Roepke
1 Monat her

Seien wir ehrlich: der Westen Deutschlands hat noch zu wenig Erfahrung mit Messern, mit Armut, mit Arbeitslosigkeit, mit Stromausfällen. Aber das kommt jetzt mit jeder Wahl härter.