Sein Lebensprojekt ist die Anatomie der Macht. Wolfgang Herles, »ZDF-Legende« (Bild) und »unabhängiger als die meisten deutschen Fernsehjournalisten« (Financial Times), beschreibt Werden und Wandel der Republik entlang des eigenen Lebens. Weit mehr als eine Autobiographie ist es ein treffsicheres Porträt seiner Zeit.

Während meiner letzten Tage im ZDF kommen noch einmal alle Motive der Groteske zusammen, die meine »Karriere« gewesen sein soll. Mich erreicht eine besorgte Mail des Hauptredaktionsleiters. Kein Wort zu meinem Pazifik-Film, der gerade gelaufen ist. Stattdessen: »Sie kündigen ein recht umfangreiches Buch über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit dem Titel ›Die Gefallsüchtigen‹ (2015) an, was nicht gerade schmeichelhaft klingt. Darf ich fragen, wie Ihr Arbeitgeber, der ja einen beträchtlichen Teil dieses Rundfunks ausmacht, dabei abschneidet? Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich mir Sorgen mache, der Programmdirektor und der Intendant auch.« Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die das Buch persönlich nähmen. »Da kämen wir uns ja komisch vor, zusammen zu sitzen und zugleich vorgeführt zu werden.«
In der Sache, ergänzt der Vorgesetzte, stimme er ja weitgehend zu, allerdings dürften kritische Gedanken der Anstaltsleitung nur intern mitgeteilt werden. Das hat nur jahrelang nichts genützt. Zur Strafe werde ich nicht mit Anstand verabschiedet. (…)
Einige Tage nach meinem Ausscheiden wird der 50. Geburtstag des Kulturmagazins »aspekte« gefeiert, das kein anderer länger geleitet hat. Der Intendant würdigt mich keines Blickes. Manche Kollegen haben mein Buch gelesen und stimmen mit der Hand vor dem Mund zu, andere belächeln die Sinnlosigkeit meiner Einmischung.
Der Vorwurf, ich hätte die Streitschrift »gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik« früher veröffentlichen müssen, nicht erst, wenn ich in der Hängematte der Rente liege, ist scheinheilig. Wer hätte mir die genehmigungspflichtige »Nebentätigkeit« denn erlaubt? Das Buch erscheint eher zu früh.
Erst Jahre später wird die Debatte in Schwung kommen, als obszöne Gehälter und Ruhebezüge in den Chefetagen das Fass überlaufen lassen. Auch dann wird nur über das Geld geredet statt über das Programm. Mein Buch ist kein Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ich möchte nur die Debatte über notwendige Reformen befeuern, die ARD und ZDF verweigern. Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender nicht zur Besinnung kommen, werden andere über ihre Köpfe hinweg entscheiden. Parteien spüren, wie populär das Thema ist.
Es wäre falsch, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Ohne tiefgreifende Reformen werden die Öffentlich-Rechtlichen ihre Existenzberechtigung jedoch verlieren. Wer die Legitimationskrise der Gebührensender thematisiert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Beifall von der »falschen Seite« zu provozieren. Er wird in einen Topf geworfen mit Klimaleugnern, EU-Gegnern und Ausländerfeinden. (…)
Die Gefallsucht der Anstalten erzeugt Konformismus. Früher einmal strebten die Programme nach Ausgewogenheit, heute nur noch nach Monotonie. Rechte und linke Magazine »roter« und »schwarzer« Sender unterschieden sich einst, bildeten ein debattenfreudiges Meinungsspektrum. Vom Norddeutschen bis zum Bayerischen Rundfunk verbreiten heute alle dieselbe politisch korrekte, überwiegend rot-grüne Weltsicht. Die meisten Kollegen, die damit sympathisieren, sind nicht überzeugt, sondern nur angepasst. Intendanten, die auf schwarzem Ticket ins Amt aufgestiegen sind, folgen in der Ära Merkel dem Linksruck von Staat und Gesellschaft.
So kommt es, dass ein »schwarzer« ZDF-Intendant den zynischen linken Satiriker Böhmermann protegiert, fürstlich honoriert und ihm alles durchgehen lässt, während andere als »Nestbeschmutzer« das Nachsehen haben. Wer sich fügt, macht das Rennen um Sendeplätze. Der Gleichschritt der Medien hat Gleichschaltung nicht nötig. Sie geschieht wie von selbst.
Mitte des zweiten Jahrzehnts des Jahrhunderts sind die Leitmedien zum Pfarrheim mutiert und ein Fernsehformat wie Anne Wills Talkshow zur Kanzel, von der die Kanzlerin unwidersprochen predigen darf. Auch die »Qualitätspresse« hat es weitgehend aufgegeben, ihr Kerngeschäft zu betreiben und die Mächtigen zu kritisieren. Die sogenannte Vierte Gewalt ist im Mainstream abgetaucht. Emotionalisieren geht vor Reflektieren, die »richtige« Haltung zählt mehr als Distanz.
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Gesellschaftliche Konflikte werden in Deutschland mit Geld erstickt. Selbst die Industrie lässt sich planwirtschaftliche Eingriffe gefallen, solange Subventionen fließen. Die braven Bürger merken nicht, dass sie dafür bezahlen. Es wird noch lange dauern, bis der Wind dreht. Zunächst, 2013, bekommen nur die Freien Demokraten die Quittung für Merkels Regierungskunst. Nun ist wieder eine schwarz-rote Koalition am Werk und mit der nächsten Krise beschäftigt, dem ungezügelten Flüchtlingsstrom.
Merkel lässt im Sommer 2015 die Grenzen offen. Niemand denkt an die Aufnahmefähigkeit, an die Grenzen der Integration. Wieder ein deutscher Sonderweg. Die Kanzlerin reagiert auf den Kontrollverlust mit trotzigem Moralismus, sendet mit freundlichen Selfies eine Einladung in die Welt. Die Floskel der Stunde lautet Willkommenskultur. Die Inbrunst des Ausdrucks ist verlogen. Sie gilt in Wahrheit ja nicht den Willkommenen, sondern den Willkommenheißenden. Sie halten ihre Gefühle für maßgeblich und für vernünftige Politik.
Angela Merkels Popularität ist nicht der Lohn ihrer Gestaltungskraft. Ihr berühmter, angeblich naturwissenschaftlicher Pragmatismus ist eine geschickte Täuschung. »Jetzt sind sie halt da«: Nichts tut die Kanzlerin, außer vor Verhältnissen zu kapitulieren, die sie selbst zugelassen hat.
Tagebuch: »Der Willkommenskultur wird eine Verabschiedungskultur folgen, die sich gewaschen hat. Eine Spaltung, die der Demokratie schaden wird.« Als Merkel 2015 den Zustrom von Flüchtlingen unkontrolliert zulässt, setzt das ZDF eine Gala mit Kerner obendrauf. Ein Flüchtlingschor singt »Seid umschlungen Millionen!« Merkel instrumentalisiert die Gefallsucht der Medien, die komplexe Dinge ohnehin gern versimpelt und auf Emotionen setzt. Unter Merkels Leitung wird der offene Streit suspendiert. (,,,)
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Eine Folge von Merkels zweiten acht Jahren im Kanzleramt ist das Erstarken der Alternative für Deutschland. 2017 fährt Merkel das schlechteste Ergebnis für die Unionsparteien seit 1949 (32,9 Prozent) ein, bleibt aber mit Hilfe der ebenfalls geschwächten SPD am Ruder. Trotz Rekordsteuereinnahmen steigen Steuer- und Abgabenlasten in Merkels »großen« Koalitionen stärker als jemals zuvor. Die wachsenden Probleme wie der demografische Wandel werden ignoriert. Merkel verbreitet, so gut es geht, und es geht verdammt lange gut, selbstgefällige Behaglichkeit. Die Leute halten es für Führungsstärke, wenn sie in mütterlichem Ton erklärt, dass sie sich um nichts zu kümmern hätten. Das ist, auch wenn es kaum jemand zur Kenntnis nehmen will, eine schleichende Krise der Demokratie.
Die Parteien bekämpfen die Ursachen des Vertrauensverlusts nicht bei sich, sondern errichten lieber »Brandmauern«. Auch als Oppositionspartei soll die AfD aus dem Spiel gehalten werden. Die Bürger klammern sich an einen Sozialstaat, der immer mehr abgekoppelt wird von der Leistungskraft der Wirtschaft. Es wird am Fundament des Wohlstands gesägt, die Automobilindustrie mit blindem Eifer elektrifiziert, mit Bürokratie und höchsten Energiepreisen Wettbewerbsfähigkeit beschädigt.
Dazu kommt die Lebenslüge vom ewigen Frieden, für die nicht nur bereits 2011 die Wehrpflicht geopfert und die Berufsarmee bis zur Lächerlichkeit abgerüstet worden ist. Der Staat versäumt seine Kernaufgaben, mischt sich dafür zunehmend in den Alltag der Bürger ein, spielt sich als ihr Erzieher auf. Sie sollen essen, sprechen, heizen, fahren, nicht wie sie wollen, sondern wie es ihnen als Gewissenspflicht eingetrichtert wird.
Unbehagen an der Freiheit plagt die Deutschen seit jeher. »Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee«: Dem Dogma des schwäbisch-preußischen Vordenkers Hegel sitzen die Deutschen immer noch auf, verwechseln Autorität mit Moral. Wer über Autorität verfügt, fühlt sich zum Missbrauch legitimiert. Gehorsam erscheint als sittlich gebotene Pflicht. Die Herrschaft selbsternannter Gutmenschen widerspricht dem Geist einer offenen Gesellschaft.
Nicht nur in den Augen von Klimaklebern und Fridays-for-Future-Aktivisten stehen »Klimaziele« höher als die Prinzipien der Demokratie. Das individuelle Glück wird moralisch delegitimiert. Die offene Gesellschaft gerät absurderweise im Namen der offenen Gesellschaft ins Wanken. (…)
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Ende 2021 ist die Ära Merkel zu Ende. Vizekanzler Olaf Scholz, SPD, kann den Amtsbonus auf sein Konto verbuchen, während die Unionsparteien ihren untauglichen Kandidaten Armin Laschet noch vor der Wahl selbst demontieren. Scholz setzt nicht die Richtlinien der Politik, sondern unterwirft sich, kaum gebremst von der FDP, einer mit geradezu religiöser Inbrunst betriebenen grünen Transformation. Die herrschende Ideologie beruht auf der Behauptung, Mutter Natur (Klima) und Vater Staat seien unantastbare, gleichsam göttliche Autoritäten, denen die Bürger ihren Lebensstil zu opfern hätten.
Die Abhängigkeit vom russischen Gas kommt erschwerend hinzu: Scholz ist im Februar 2022 kaum im Amt, als Putin die Ukraine überfällt. Das ändert fast alles. Kriegsangst treibt in Europa frische Blüten. Am selben Tag, dem 6. November 2024, an dem Donald Trump beinahe triumphal das Weiße Haus in Washington zurückerobert, zerbricht das Berliner Regierungsbündnis.
»Ampel-Aus« ist Wort des Jahres 2024. Während in den USA der Begriff der Stunde Disruption lautet, gilt in Deutschland nach wie vor der Traum vom Konsens aller »demokratischen Parteien« (die entscheiden, wer, obgleich demokratisch gewählt, nicht dazu gehört). Trotz Ampel-Aus regiert ein Teil der Ampel weiter mit. Doch der Wind dreht auch hierzulande: Die Sorgen der Wähler um die Wirtschaft rangieren mittlerweile weit vor den Sorgen ums Weltklima.
Kein Wunder, dass erst eine, dann noch eine andere Protestpartei Erfolge feiern. Die übrigen Parteien wollen vom eigenen Versagen ablenken, indem sie die Alternative für Deutschland als »undemokratisch« ausgrenzen. Darin sind sich alle einig, doch kann keine Brandmauer die politische Debatte ersetzen. (…)
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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, für den ich fast ein halbes Jahrhundert lang arbeitete, befremdet mich zunehmend. Gleichgültig ist er mir nicht. Ich neige weder zu Milde noch zu Fatalismus, bin weder zorniger Alter noch »Wutbürger«. Doch gesellt sich zur Skepsis Sarkasmus. Auch der kann so etwas wie Behaglichkeit schaffen – mitten im Untergang.
Karl Kraus: »Wenn ich totgeschwiegen werde, so will ich das Schweigen hörbar machen!« In Büchern und in Kolumnen melde ich mich nach wie vor zu Wort, jeden Samstag unter dem Titel »Herles fällt auf« bei »Tichys Einblick«, im gleichnamigen gedruckten Monatsblatt mit der Kolumne »Herrschaftszeiten!« und mit der Kolumne »Na Servus!« im »Sandwirt«, also in als »alternativ« bezeichneten Medien, die gegen den links-grünen Mainstream entstanden sind.
Dafür muss ich mir nun anhören, ich sei eine »ernstzunehmende Gefahr« für die Demokratie, werde unvermutet als »rechts« diffamiert, obwohl ich jede Form von Kollektivismus ablehne, einschließlich aller Spielarten von Nationalismus. Rechts war ich nie, als politisch »unzuverlässig« galt ich stets, und darauf lege ich weiterhin Wert. Mein Platz ist und bleibt zwischen den Stühlen. Mich meines eigenen Verstands ohne Anleitung anderer zu bedienen, halte ich für die unverzichtbare Voraussetzung meines Berufs.
Gekürzter Auszug aus:
Wolfgang Herles, Gemütlich war es nie. Erinnerungen eines Skeptikers. LMV, 392 Seiten, 25,00 €.
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Muss man eine bis zur Rente gedient habende „ZDF-Legende“ sein, um weiter von der Reform des ÖRR in den bestehenden Zuständen der Altparteienherrschaft zu träumen? Ich teile diesen Traum nicht. Die Propagandaanstalten gehören derartig eingedampft, dass Grundversorgung für 5 Euro pro Monat mit Nachrichten, Wetterbericht, Regionalinfos und ggfs. nötiger Katastrophenalarm übrig bleibt. Alles sonst kann sich gern am Markt gegen Beiträge nur der interessierten Zuschauer/Zahler betätigen. Ich hab nichts dagegen, wenn gute Inhalte gemacht und gezeigt werden (für das eine oder andere von ARTE würde ich sogar zahlen) aber ich hasse die Alimentierung von Meinungsmachern im Kleid des ÖRR und… Mehr