Gott wirbt um uns, aber er zwingt uns nie. Gott lässt und will uns frei. Unsere Freiheit ist darum der Grabkammer in Jerusalem wie einer Urquelle entsprungen. Hier hat Christus für immer die Tür zu einer neuen Dimension des menschlichen Daseins geöffnet, die keiner mehr schließen kann.
Das erste Ostern war kein Fest. Es waren zunächst noch Stunden eines katastrophalen Schocks, zumindest für die Jünger Jesu. Sie waren ratlos und erschüttert und saßen niedergeschlagen zusammen, als Maria aus Magdala sehr früh am Morgen die Apostel Petrus und Johannes in der Morgendämmerung alarmierte. Irgendetwas sei geschehen, sagte sie aufgeregt, als sie atemlos zu ihnen kam. Das Grab Christi sei leer, der Verschlussstein weggerollt. Das wollten die beiden sofort sehen. Sie liefen zum Felsengrab.
Johannes kam zuerst an, beugte sich zu dem niedrigen Eingang hinunter, blickte in die Kammer und sah im Dämmer das Leintuch da liegen. „Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein“, schreibt Johannes dann weiter. „Er sah die Leinenbinden da liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte. Es lag aber nicht bei dem Leinen, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.“ Inzwischen war die Sonne aufgegangen und warf vom Osten her ein erstes Licht in die Kammer. Da ging auch Johannes, der zuerst am Grab angekommen war, hinein und „sah und glaubte“, wie er lakonisch schreibt.
Das ist schon fast der ganze Bericht dieses Evangelisten über das zentrale Heilsereignis der Christenheit, über die Rückkehr des Gehenkten aus dem Reich der Toten, woran jedes Osterfest und jeder Sonntag seitdem erinnert. Die Tücher hingegen, die Johannes und Petrus am ersten Ostermorgen in dem ansonsten leeren Felsengrab vorfanden, in die der Ermordete gewickelt war und von denen Johannes bei dieser Gelegenheit vor allem sprach, haben überlebt und ergänzen seinen Bericht als höchst sprechende Bilddokumente, die heute noch davon berichten, dass die beiden den Toten hier plötzlich als Lebendigen erfuhren, der den ersten Namen Gottes in dieser Stunde für sie noch einmal ganz neu aussprach: „Ich bin, der ich bin.“ Das ist der Kern von Ostern. Seitdem wissen Christen zwar nicht, was sie nach dem Tod erwartet. Aber seitdem wissen sie, wer sie erwartet.
Denn dass es unsere Welt gibt und darüber verschiedene Sphären des Daseins, mit Göttern und anderen geistigen Wesen, das ist so gut wie allen Religionen gemein. Dass aber ein einziger Gott Himmel und Erde geschaffen haben soll, wie es im Judentum schon geglaubt wurde, also alle Universen und Milchstraßen, alle Ozeane und den Himalaya und alle Lebewesen, von den Elefantenherden Afrikas und der Katze des Nachbarn bis zu den Amöben und mikroskopisch winzigen Mikroben, dass dieser einzige Gott eines Tages die Eizelle einer unberührten jungen Jüdin befruchten würde, um in ihrem Leib als Mensch heranzureifen und durch ihren Geburtskanal in das Licht der Welt zu treten, das ist das Verrückteste, das jemals hätte ausgedacht werden können. Das ist Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth.
Dieses Eingreifen Gottes in seine Schöpfung ist der Urknall und das Fundament unseres Glaubens und sprengt jeden noch so genialen Erfinderverstand. Es ist die ultimative Selbstoffenbarung Gottes, dass er uns schließlich sein Gesicht gezeigt hat. Kein Dogma ist aufreizender. Und so wurde die Behauptung auch von Anfang an wahrgenommen und zurückgewiesen, zuerst in der jüdischen Welt. Selbst Maria konnte zunächst nicht daran glauben. „Bei Gott ist kein Ding unmöglich“, muss ihr deshalb der Engel ausdrücklich sagen, der ihr verkündete, dass sie ohne Zutun eines Mannes schwanger werden würde.
Nach seiner Mutter Maria wurde dieser Glaube der „Menschwerdung“ Gottes in Jesus für den Rest der Christenheit aber nur möglich und glaubhaft durch das reale Ereignis der Auferstehung in dieser Grabkammer in Jerusalem. Denn Ostern erinnert ja nicht an die raffinierte Reanimation eines am Kreuz erstickten Leichnams. Jesus von Nazareth war als Rebell und „König der Juden“ von den Römern gehenkt worden. Darum verpasste ein Legionär dem Gestorbenen am Kreuz noch einen Lanzenstich durchs Herz. Bei ihm wollte die Besatzungsmacht ganz sicher gehen, todsicher. Danach ließ sich bei Jesus nichts mehr reanimieren. Er war so tot, wie ein Mensch nur tot sein kann.
Es war eine Gottesrevolution. Eine Auferstehung am Ende aller Tage wurde damals auch in Teilen des Judentums erwartet, doch was in diesem Grab geschehen war, war eine Auferstehung mitten aus der alten Welt heraus in eine neue Welt hinein. In der Dunkelkammer dieses Grabes hatte Gott sich damit endlich als der ganz Andere erwiesen, anders als alle anderen Gottesbilder, die er hier selbst korrigierte. Wie zum Ausweis seiner Identität erschien Jesus den Aposteln nach Ostern deshalb auch mit seinen geheilten Wunden. Er war derselbe, der am Kreuz gehangen hatte.
In allen Berichten der Auferstehung Christi sprechen die ersten Zeugen darum verhüllt von etwas, was bis dahin in unserer Erfahrungswelt nicht vorkommt. Sie sprachen von etwas Neuem, Einmaligen, zu deren Beschreibung ihnen eigentlich die Worte fehlten. Und von Anfang an wurden sie der Lüge bezichtigt. Ähnlich geht es bis heute weiter. Es war eine neue Dimension des Lebens und der Wirklichkeit, die seit damals nie wieder unwirklich wurde. Es war ganz und gar Jesus, der seinen Jüngern nach seiner Auferstehung vierzig Tage lang begegnete, und dennoch gehörte er offensichtlich einer anderen Wirklichkeit an, der Dimension des lebendigen Gottes, dem Reich des Todes für immer entzogen.
Die Grabtücher Christi hingegen, die wir erst heute wirklich zu lesen beginnen, erzählen etwas anderes! Sie tun dies mit einer Bilderschrift, die wir gerade zu entziffern lernen. Sie sagen schlicht, dass Jesus als Toter in diese Kammer gelegt worden ist und dass er sie als Lebendiger verlassen hat. Darum erzählen diese Tücher auch, dass sich der Allmächtige selbst am Kreuz ohnmächtig gemacht hat, in einer unvorstellbaren Selbstbeschränkung.
Er schlug nicht zurück, als die Menschen seinen Sohn schlugen. Gott schlägt nicht zurück. Er schlägt sich nur auf die Seite der Opfer und rettet sie vor dem ewigen Tod. Er ist nicht der Gott der Mächtigen. Die ihn schmähen, überlässt er sich selbst. Er ist bei den Geschmähten. All dies bestätigte Gott an Ostern. Seit damals muss kein Christ mehr fürchten, von einem Blitz erschlagen oder von einer Fatwa christlicher Schriftgelehrter zum Tode verurteilt zu werden, wenn er Gott lästert oder verhöhnt. Mehr als eine Auspeitschung, Dornenkrönung und Kreuzigung kann kein Mensch Gott jemals mehr antun. Er hat es geschehen lassen, als der allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde.
Die Auferstehung Christi ist darum auch die Geburtsstunde unserer Freiheit, zuerst und zuletzt Gott selbst gegenüber. Gott wirbt um uns, aber er zwingt uns nie. Gott lässt und will uns frei. Unsere Freiheit ist darum dieser Grabkammer wie einer Urquelle entsprungen. Hier hat Christus für immer die Tür zu einer neuen Dimension des Lebens und des menschlichen Daseins geöffnet, die seitdem keiner mehr schließen kann. Diese Überwindung des Todes war ein irreversibles und universales Ereignis, mit dem Jesus von Nazareth als Erster von allen „in die Weite Gottes eingetreten“ ist, wie Joseph Ratzinger es einmal genannt hat.
Es ist dieser Geist, der das Abendland immer neu begründet hat. Er war undenkbar in anderen Kulturen. Von innen und außen zog der Geist der österlichen Freiheit deshalb in jedem Jahrhundert auch enorme Widerstände an. Denn keine andere Kultur sonst hat jemals diesen Freiraum eröffnet und keine andere Kultur musste so sehr im Konflikt mit der schwierigen Freiheit immer neu errungen und bewahrt bleiben. (…)
Die Freiheit der Christenmenschen ist zur Sehnsucht aller geworden – auch jener, die von Ostern noch nie gehört haben oder gar nichts wissen oder die das Christentum leidenschaftlich hassen. Denn auch die Freiheit der Atheisten, furchtlos glauben zu dürfen, dass es Gott nicht gibt, und sich gefahrlos gegen ihn auflehnen zu können, verdankt sich der Selbstoffenbarung Gottes im Tod Jesu am Kreuz und seiner Auferstehung von den Toten am dritten Tag. Was wir ohne Auferstehung wären, hat Paulus deshalb schon vor 2000 Jahren bündig beantwortet. „Wenn Christus nicht auferweckt worden ist“, sagte er in seinem ersten Brief an die Korinther, „so ist unsere Predigt leer, leer auch euer Glaube.“ Dann wäre der Glaube der Christen ein Dreck. Der Glaube der Christen ist aber kein Dreck, er hat das Abendland geprägt und geformt. Ostern ist keine Legende.
Leicht gekürzter Auszug aus:
Paul Badde, Abendland. Die Geschichte einer Sehnsucht. Fe-Medienverlag, Hardcover mit Überzug, 464 Seiten, 17,80 €.
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In einem Punkt widerspreche ich dem Autor entschieden.
Ebenso wie der Sohn Gottes übernatürlich in der Jungfrau Maria gezeugt worden ist, so ist er auch aus ihr hervor gegangen. Der Geburtskanal blieb ungenutzt, die Jungfräulichkeit unbeschadet. Nur das menschliche Weibchen hat ein Hymen. Weil Gott unser Schöpfer ist, deswegen hat dieses Merkmal auch Bedeutung.
Nur wegen der Fortpflanzung gibt es zwei Geschlechter.
»…Universen und Milchstraßen, alle Ozeane und den Himalaya und alle Lebewesen, von den Elefantenherden Afrikas und der Katze des Nachbarn bis zu den Amöben und mikroskopisch winzigen Mikroben, daß dieser einzige Gott eines Tages die Eizelle einer unberührten jungen Jüdin befruchten würde, um in ihrem Leib als Mensch heranzureifen und durch ihren Geburtskanal in das Licht der Welt zu treten, das ist das Verrückteste, das jemals hätte ausgedacht werden können. Das ist Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth.« Angesichts von (gegenwärtig) 100 bis 400 Milliarden Sternen in unserer Galaxie und zirka einer Billion Galaxien im beobachtbaren Universum (2016) … …… Mehr