„Es ist eine Tatsache, dass die Lüge niemals so verlogen ist, als wenn sie der Wahrheit sehr nahekommt.“ G. K. Chesterton, der Erfinder der Pater-Brown-Geschichten, zeigt in einem brillanten Essay Thomas von Aquin nicht nur als großen Kirchenlehrer, sondern auch als Versöhner von Vernunft und Glauben. Von Paul Badde
Vor rund dreißig Jahren, also in prähistorischer Zeit, drückte mir ein Freund erstmals das Buch Chestertons über Thomas von Aquin mit seinen besten Empfehlungen in die Hand. Es sei ein Geniestreich aus dem 20. Jahrhundert über den genialen Giganten des 13. Jahrhunderts. Keiner habe die Geistesgröße des heiligen Thomas und seine stille Intensität besser erfasst als Chesterton. Ich müsse es dringend lesen, wenn ich etwas mehr über das Abenteuer des Unterscheidens erfahren möchte und über jene „eigenartige menschliche Liebhaberei des Denkens“. Wer möchte das nicht?
So steckte ich das Buch ein und habe es quasi in einem Rutsch gelesen in einem Intercity von München nach Frankfurt. Von Chesterton hatte ich bis dahin immer wieder sporadisch gehört und mir vor allem zwei unvergessliche Erkenntnisse gemerkt. Erstens: „Wer an nichts glaubt, glaubt an alles.“ Zweitens: „Häresien sind wild gewordene Teilwahrheiten.“
Dass ich nach 30 Jahren nicht mehr allzu viel von diesem Buch in Erinnerung hatte, sollte keinen wundern. Es war ein Feuerwerk. Es war kurzweilig, brillant und tief, all das, ja. Der Freund, dem ich es verdanke, schrieb mir jetzt, dass er sich vor allem daran erinnere, wie in diesem Buch erzählt wird, dass „ein Mitstudent Thomas angeboten habe, ihm Nachhilfe in Philosophie zu geben, weil er den Eindruck hatte, Thomas verstehe nichts. Thomas habe das angenommen, als aber sein Mitstudent mit einem Problem nicht mehr zurande gekommen sei, habe Thomas es ihm erklärt…
Mir hingegen sind zwei Szenen unvergesslich, wo der überaus sanfte Thomas zur Weißglut getrieben wurde, die ich hier jetzt noch einmal nachlese, um nichts durcheinanderzubringen. Das eine Mal war es am Anfang seiner Laufbahn, als seine adligen Brüder den sanften Riesen in ein Turmzimmer sperrten, um ihn von der Schnapsidee abzuhalten, Mönch und Gelehrter zu werden. Als sie seinen Entschluss damit nicht brechen konnten, schoben sie ihm auch noch eine verführerische Lebedame in das Verlies, um ihn über den Umweg der Unkeuschheit von seinen weltfremden Plänen abzubringen.
Er tat aber nichts weiter, als dass er hinter ihr zur Türe schritt und sie krachend ins Schloss warf. Mit wilder Feierlichkeit schmetterte er das glühende Scheit gegen die Tür, um dieser ein großes schwarzes Kreuz einzubrennen, drehte sich um und warf das Scheit ins Feuer zurück. Dann ließ er sich wieder auf dem Stuhl des unentwegten Forschers nieder, dem Lehrstuhl der Philosophie, dem verborgenen Thronsitz der Beschaulichkeit, um sich nie wieder von ihm zu erheben.“
Der zweite Fall, wo sich der „stumme Ochse“ wie ein wilder Stier gebärdete, war komplizierter. Das war in der letzten großen Auseinandersetzung im Leben des heiligen Thomas, mit Siger von Brabant, als dieser Häretiker in einer Debatte vor ihm aufstand und etwas sagte, „was so entsetzlich ähnlich und zugleich so entsetzlich verschieden“ von dem war, was Thomas selbst dazu sagte, dass Sie, verehrte Leser, dazu dieses ganze Buch lesen müssen, um mehr über das Wesen jeder Irrlehre zu erfassen, in der die Lüge und Unwahrheit immer fast ununterscheidbar neben der Wahrheit nisten, um den schwachen zweifelnden Menschen in ihren Abgrund zu reißen.
Kurz nach diesem letzten großen Streit verstummte der große Denker, weil er „Dinge gesehen“ hatte, vor denen alles, was er geschrieben habe, „wie Stroh erscheint“. Von Siger von Brabant ist nur Asche geblieben. Das „Stroh“ des heiligen Thomas aber brennt heute noch wie Zunder, mit dem Witz Chestertons als Brandbeschleuniger.
G.K. Chesterton, Thomas von Aquin. Der stumme Ochse. Edition Credo, Hardcover, Fadenheftung, Lesebändchen, 204 Seiten, 16,80
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Der Rezensent – ehemaliger Vatikankorrespondent der „Welt“ und Autor einiger großartiger Bücher über das Heilige Land und das (unser!) „Abendland“ – findet für das Duo Thomas und seinen Translator Chesterton eine wunderbare Kennzeichnung:
„Das „Stroh“ des heiligen Thomas aber brennt heute noch wie Zunder, mit dem Witz Chestertons als Brandbeschleuniger.“
Danke Paul Badde, das Buch ist schon bestellt!
„Dinge gesehen, vor denen alles Vorhergesehene wie Stroh erscheint.“ Ich vermute mal, dass dem heiligen Thomas etwas widererfahren ist, was im „ZEN“ Satori genannt wird, und als „große Erleuchtung“ nur unzureichend benannt wird. Unzureichend deshalb, weil „das Ding als sich“ im Kant´schen Sinn jenseits aber auch radikal diesseits, inmitten des Strudels von Erkenntnis sowohl immanent als auch transzendent, blitzhaft die Einheit von Sein und Nichts, den „Holzweg“ beschreiten lässt, der in einer „Lichtung“ endet, wo das Zureichende dem Unzureichenden begegnet. Heideggers Hütte im Schwarzwald brennt. „Sein und Zeit“ begegnen sich und glühen im Schwarzwälder Kirsch. Finales Prost.