Der freiheitliche Rechtsstaat ist nicht vom »Populismus« bedroht

Kategorienfehler wie die Verwechslung von Regierungs- mit Staatskritik sind kein Versehen, sondern Teil einer Strategie der semantischen Umkodierung: Kritik an konkreten Mängeln und Fehlprogrammierungen aktueller Politik wird in Kritik an »der« Politik überhaupt umgedeutet. Von Till Kinzel

Gesinnungsprüfungen sind in einem freiheitlichen Rechtsstaat grundsätzlich problematisch. Der Zugriff des Staates auf die Gesinnungen seiner Bürger widerspricht dem Prinzip, daß allein Handlungen von Gesetz wegen reguliert werden dürfen – Gedanken und Gesinnungen dagegen sind frei. Da diese aber auch ihren Ausdruck in Meinungsäußerungen finden müssen, um nicht zu bloßer Privatheit verdammt zu sein, muß diese Meinungsäußerungsfreiheit ebenfalls als Grundrecht der Bürger vom Staat gewährleistet werden. Es kann nicht seine Aufgabe sein, durch Sprach- und Ideologiekontrolle selbst irgendeine Weltanschauung namens Zivilreligion verbindlich vorzuschreiben.

Das sollte sich von selbst verstehen. Doch dies ist keineswegs mehr der Fall. Zwar können Formen politischer Korrektheit sowohl von links als auch von rechts ungute Auswirkungen auf die Freiheit in der Republik haben. Gegenwärtig aber geht der Trend hin zu einer linksgestrickten Ideologie, die von seiten staatlicher Repräsentanten inklusive des Bundespräsidenten – und nun auch des Verfassungsschutzes – als offiziöse Interpretation von Demokratie durchgesetzt werden soll.

Es ist schon ein Zeichen der Zeit, wenn es einen als Leser erst einmal sehr überrascht, daß eine prägnante Analyse des – keineswegs isoliert operierenden – Verfassungsschutzes in dieser Sache in einem Buch ausgerechnet aus der Feder eines ehemaligen SPD-Politikers zu finden ist, denn gerade maßgebliche Vertreter dieser Partei verabschieden sich in letzter Zeit mit großen Schritten von ihren freiheitlichen Traditionen.

Der freiheitliche Rechtsstaat ist heute nicht in erster Linie, wenn überhaupt, vom »Populismus« bedroht – dieser ist vielmehr nur die Problemanzeige für Zustände, in denen ein ominöser »Zusammenhalt« die Austragung von notwendigen Konflikten unterbinden soll.

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Diese Staatsräson des Zusammenhalts bringt zweierlei mit sich: Erstens bedeutet sie heute die Restauration des Obrigkeitsstaats aus der Mitte des Establishments selbst. Opposition gegen die Politik der Regierung wird von dieser Obrigkeit in eine Feindseligkeit dem Staat gegenüber umgedeutet. Zweitens hat deshalb die Berufung auf den Zusammenhalt die scheinbar paradoxe Konsequenz, daß ihr innerstaatliche Feinderklärungen auf dem Fuße folgen. Diese brauchen hier nicht ausbuchstabiert zu werden, da sie sich in zahlreichen Wortmeldungen leicht nachweisen lassen.

Nun sind aber Kategorienfehler wie die Verwechslung von Regierungs- mit Staatskritik in solchen Äußerungen kein Versehen, sondern Teil einer Strategie der semantischen Umkodierung: Kritik an konkreten Mängeln und Fehlprogrammierungen aktueller Politik in den Bereichen Corona, Energie, Klima, Einwanderung und Krieg wird in Kritik an »der« Politik überhaupt umgedeutet. Der Zweck der Übung: die Ablenkung der Kritik an einem bestimmten Regierungshandeln oder -nichthandeln, hin zu einer Beschuldigung der Kritiker.

Das Problem, das Mathias Brodkorb mit seiner Analyse anspricht, ist tiefgehend und hat eine längere Vorgeschichte. Das demonstriert er anhand von sechs sehr unterschiedlichen Fallstudien, die sich alle als Beispiele einer prekär zu nennenden Entwicklung verstehen lassen. Denn auch wenn sich die Fälle nicht über einen Kamm scheren lassen, zeigen sie doch die Notwendigkeit, den Verfassungsschutz rechtlich zu kontrollieren.

Diese Kontrolle ist bisher höchst unzureichend. So wurde teilweise erst nach langen Prozessen höchstrichterlich geklärt, daß der Verfassungsschutz über Jahre und Jahrzehnte Personen wie den Rechtsanwalt Rolf Gössner oder den Linken-Politiker Bodo Ramelow zu Unrecht beobachtet hatte. Dennoch wurden selbst den Gerichten wesentliche Unterlagen der Behörde nur in stark geschwärzter Form zugänglich gemacht. Das könnte auch sein Gutes haben, wie Brodkorb sarkastisch kommentiert: »Wer weiß, was sich in den Akten alles sonst noch gefunden und mögicherweise zur Delegitimierung des Rechtsstaates beigetragen hätte.« Diese Fälle liegen lange zurück und richteten sich gegen angebliche Gefahren von links.

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Aktueller sind die Fälle, die im rechten Bereich zu verorten sind, nämlich das Institut für Staatspolitik in Schnellroda, die AfD und der Politikwissenschaftler Martin Wagener, dem im Gefolge seiner kritischen Bücher über das Grenzregime und den Verfassungsschutz das weitere Wirken als Hochschullehrer versagt wurde.

Hier widmet sich Brodkorb den eigentlichen heißen Eisen, die daher die Testfälle darstellen, an denen sich der freiheitliche Charakter unserer Demokratie entscheidet. Brodkorb geht es hier gar nicht um eine eigene Bewertung der genannten Akteure. Aber er kann schlagend zeigen: Die verfassungsschützerische Hermeneutik operiert so massiv fehlerhaft und willkürlich, daß sie Verfassungsfeindlichkeit nicht belegen kann.

Wenn Brodkorb in seinem Buchtitel die Frage nach einer Gesinnungspolizei im Rechtsstaat aufwirft, so ist seine Schlußfolgerung deutlich genug: In einem Rechtsstaat hat eine solche Gesinnungspolizei, wie der gegenwärtige Verfassungsschutz sie repräsentiert, nichts verloren. Weil sie kein essentieller Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, sollte die Verfassungsschutzbehörde daher aufgelöst werden. Denn wenn sie, so muß man Brodkorbs Analyse weitertreiben, diese Rolle ausbaut, bereitet sie selbst einer totalitären Demokratie den Boden und wird zur Ideologiepolizei im Gesinnungsstaat.

Ein solcher aber könnte nicht mehr zu Recht die Loyalität seiner Staatsbürger erwarten. Wenn der gegenwärtige Chef des Inlandsgeheimdienstes, Thomas Haldenwang (CDU), sich gegen die Bezeichnung des Verfassungsschutzes als »Gesinnungspolizei« verwahrt, ist dies nicht sehr überzeugend. Einerseits sei es gut und richtig, daß in Deutschland Meinungsfreiheit herrscht. Andererseits aber sei sie kein Freibrief für Verfassungsfeinde, und selbst Meinungsäußerungen »unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität« könnten verfassungsschutzrechtlich von Belang sein (FAZ, 1. April 2024).

Mit dieser Doktrin hat sich der Verfassungsschutz jetzt schon in die Geschichte des Orwellianismus eingeschrieben.

Dr. Till Kinzel, geboren 1968 in Berlin, ist ein deutscher Historiker und Literaturwissenschaftler. Sein Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Ideologiepolizei im Gesinnungsstaat?“ in CATO. Magazin für neue Sachlichkeit (Ausgabe 4/2024). Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.


Mathias Brodkorb, Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik. Sechs Fallstudien. Zu Klampen Verlag, Hardcover mit Überzug, 250 Seiten, 25,00 €.


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Armin Reichert
3 Tage her

Die größte Bedrohung unserer Freiheit sind die CDU-Wähler. Weil das die linientreuen Trottel sind, die nichts raffen und den Status Quo erhalten.