Familienunternehmen haben in Deutschland eine jahrhundertealte Tradition, sind Weltmarktführer und Hidden Champions. In Ihren Famliengeschichten verbindet sich Wirtschafts-, Kultur- und Weltgeschichte.
Auch Cologne hatte Anteil an dem Erfolg der Eau: Köln war eine alte, für die damalige Zeit bevölkerungsreiche Handelsstadt. Die Brüder Farina waren schon von Haus aus erfahrene Handelsherren, nicht zuletzt der geschäftstüchtige Johann Maria selbst. Ihr Haus gegenüber dem Jülichs-Platz im Zentrum von Köln war eine damals vornehme Geschäftsadresse, so wie es auch heute in vielen Städten Straßen gibt, in denen sich die Luxusgeschäfte konzentrieren. Die Farinas kannten ihre wohlhabende adelige und bürgerliche Kundschaft, die man heutzutage als Zielgruppe bezeichnen würde, genau. Auch dies trug zum Welterfolg von Farina bei. Von Kaiserin Maria Theresia, einer der frühesten prominenten Kundinnen, bis zu Prinzessin Diana reicht die Liste der weiblichen Kundschaft. Aber gerade Farina ist keineswegs ein Damenduft – diese Aufteilung der Märkte gab es damals noch nicht. Die Namen der Könige, Fürsten und prominenten Künstler, die Farina-Kunden waren, ist eine Art »Who is Who« Europas der vergangenen 300 Jahre.
Angesichts dieser weitverzweigten Kundschaft verkauften die Farinas natürlich nicht nur »im Laden« in ihrem Haus in der Obenmarspforten, wo sich heute noch der Stammsitz befindet, sondern sie betrieben auch ein umfangreiches Versandgeschäft mit den sogenannten Rosolien, länglichen grünen Glasflaschen, die man nicht stehend, sondern nur liegend transportieren konnte – am besten gleich ein halbes Dutzend in mit Samt ausgeschlagenen flachen Schatullen. Über all das führte Johann Maria Farina zeit seines Lebens gewissenhaft Buch.
Mit dessen Eroberung des Rheinlandes kam die bürgerliche Gewerbefreiheit. Damit wurde auch in Köln das Ende der mittelalterlichen Zunftordnung eingeläutet. Bisher war die Eau de Cologne Farinas durch das in verschlungener Schrift gestaltete Etikett mit der eindeutigen Adressangabe »gegenüber dem Jülichs-Platz« und durch die Versiegelung einigermaßen geschützt. Wer Eau de Cologne sagte, meinte ausschließlich Farinas Produkt.
Doch nun traten infolge der neuen Gewerbefreiheit zahllose Nachahmer und Plagiatoren auf den Plan. Sie imitierten nicht nur das Etikett. Da Farina ein in Italien häufiger Familienname war, kauften sie irgendwelchen Farinas, die mit der Kölner Handelsfamilie gar nichts zu tun hatten, deren Namensrechte ab und verkauften so ihre Nachahmerprodukte. Die Gewerbefreiheit war damals juristisches »Neuland«, es gab noch keinen Markenschutz, ähnlich wie heute im »Neuland« des Internets der Copyright-Schutz für geistiges Eigentum erneut erkämpft und durchgesetzt werden muss. (Was das heutige Copyright anbelangt, besteht immerhin bereits eine solide Rechtsbasis, aber es gibt bekanntlich starke gesellschaftliche Kräfte, die diesen Rechtsschutz unterlaufen wollen.) Gerade die auffallende Formulierung im Farina-Etikett »gegenüber …« wurde allseits plagiiert, um Authentizität vorzutäuschen. Es gab nun angebliche Farinas »gegenüber dem Albün-Platz«, »gegenüber dem Altenmarkt«, »gegenüber den Alexianern« et cetera.
Der erfolgreichste dieser Nachahmer war gleich zu Beginn 1797 ein in Köln in der »Klöckergasse« (Glockengasse) in »Speculations-Geschaeften« ausgewiesener Wilhelm Mühlens, der mit genau diesem Vorgehen ein »Franz Maria Farina, Glockengasse 4711« auf den Markt brachte – auch er mit dem Zusatz: »… gegenüber der Pferdepost«.
Im Zuge dieser plagiierenden »Verallgemeinerung« des Produkts wurde Eau de Cologne, wie bereits erwähnt, vom Markenbegriff der Farina zum Allgemeinbegriff für diese Gattung von Duftwässern.
Insgesamt zählte man im Lauf des 19. Jahrhunderts 114 solcher Nachahmer. 1875 war Johann Maria Farina (1808–1880) aus der vierten Generation Abgeordneter im Reichstag des erst vier Jahre zuvor von Bismarck begründeten Deutschen Reichs. Er hatte sich als Politiker schon seit Langem um einen gesetzlichen Markenschutz bemüht und wesentlich zum Inhalt und zur Verabschiedung des Markenschutzgesetzes 1874 beigetragen. Das Farina-Etikett wurde nun als erste gesetzlich geschützte Marke überhaupt eingetragen, und 1875 erreichte er, dass das Original-Farina-Etikett mit der geschwungenen Schrift nicht mehr nachgeahmt werden durfte. Später wurde Nachahmern auch die Verwendung des Namens Farina verboten, worauf all die vielen Etikettenschwindler vom Markt verschwanden.
Ein letzter Akt Parfum-Geschichte ergab sich durch den Ersten Weltkrieg. Erst jetzt, in den Zeiten des schäumenden Nationalismus, konnte ein Begriff wie Eau de Cologne aus der Sprache des französischen Erbfeindes im deutschen Wortschatz nicht mehr geduldet werden und wurde nun durch »Kölnisch Wasser« ersetzt. An so einem einfachen wie klaren Beispiel (es gibt noch andere) sieht man, dass die bis dahin bestehende europäische Kulturgemeinschaft tatsächlich im Ersten Weltkrieg, jener Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts, untergegangen ist, zumindest vorübergehend.
Der Zweite Weltkrieg brachte mit der Zerstörung Kölns auch die völlige Zerstörung der Produktionsstätte gegenüber dem Gülichplatz (wie der frühere Jülichs-Platz inzwischen genannt wurde), und auch das Stammhaus in der Obenmarspforten war eine Ruine, die erst wiederaufgebaut werden musste.
Die rote Tulpe im Etikett war erst 1924 im Anklang an das Siegelwachs der Rosolienflaschen als Markenzeichen eingeführt worden. Die einstmals sehr teure Tulpe wurde zum optischen Symbol für die blumige Duftschönheit von Farinas Eau de Cologne.
Gegenwärtiger Inhaber und geschäftsführender Gesellschafter ist Johann Maria Farina (*1958). Die Eau de Cologne von Farina ist das einzige in diesem Buch erwähnte Produkt, das – seit Neuestem – die Bezeichnung »immaterielles Weltkulturerbe« tragen darf. Hervorgehoben und geehrt werden dadurch »Kunst und Wissen um die Komposition von Düften«.
Auszug aus: Wolfgang Seidel, Die ältesten Familienunternehmen Deutschlands. FBV, 336 Seiten, 24,99 €.
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So ein hochinteressanter Artikel … vielen Dank. Ich habe immer ein Fläschchen „4711“ im Bad stehen, weil mich das wunderschöne Design an Omi und Kindheit erinnert. Außerdem mag ich den frischen Duft sehr … Ja, irgendwie begleitet mich Kölnisch Wasser schon mein ganzes Leben lang. Im Buch dreht es sich ja auch um Faber Castell und das Unternehmen Steiff. Ich schwöre auf Faber Castell Bleistifte …. und in meiner Wohnung leben natürlich Teddies von Steiff, welche ich niemals, wirklich niemals an Bahnhöfen durch die Luft werfen werde! Und schon bin ich gedanklich wieder bei Kanzlerin & Co., welche Deutschland weiter… Mehr