Man darf sich in einer Demokratie wünschen, dass die Mehrheit der Menschen, die zum Gesetzesgehorsam verpflichtet sind, die Wertintuitionen teilen, die den Gesetzen zugrunde liegen. Aber das kann nicht erzwungen oder zur Bürgerpflicht erhoben werden. Denn das wäre Verrat an der Freiheit, die es zu verteidigen gilt.
Was bedeutet der grassierende Moralismus für unser Selbstverständnis als säkularisierte Gesellschaft? Säkularismus meint ja nicht nur die Trennung von Staat und Religion, von Gesetzgebung und persönlicher Weltanschauung. Sondern damit ist auch die Erkenntnis verbunden, dass eine liberale Gesellschaft allen Mitgliedern eine gedanklich-moralische Sphäre der Freiheit garantieren muss. Das geht nicht ohne Trennung von Macht und Moral.
Gleichzeitig reden Politiker gern von «Wertegemeinschaft». Als wolle man uns in bewegten Zeiten mit harmonisierenden Werten und Ansichten beglücken. Der Mitte-Links-Block tut dies gewöhnlich mit einem merkwürdig missionarischen Relativismus, der zwar nichts wissen will von einer zivilisatorischen Überlegenheit des Westens, aber trotzdem danach strebt, möglichst viele in diesen Westen hineinzuerziehen.
Im bürgerlichen Mitte-Block dominiert inzwischen ein geglätteter Pragmatismus zwecks Machterhalt, verkauft als angebliche Vernunft der Mehrheit, während man im rechten Block von der Wiedergeburt einer patriotischen Gesinnungsgemeinschaft träumt – von einer Gemeinschaft, die auch als gedanklicher Grenzzaun gegen fremdländische Identitätsverwirrungen taugt.
Was ist davon zu halten? Was bedeutet der Versuch, politische Programme mit Verweis auf höhere Werte verbindlich ans Gewissen der Bürger zu binden und Alternativen als ethisch minderwertig abzukanzeln?
Medien als Mind Police
Auch die großen Medienhäuser in Deutschland oder der Schweiz ihren Teil zur Moralisierung bei. Gewiss ist die Rede von der «Lügenpresse» übertrieben und führt in den giftigen Nebel der Verschwörungstheorien. Trotzdem muss man feststellen, dass nicht wenige Medienschaffende, sei es beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder in der Presse, zur Publikumserziehung neigen. Statt für Meinungsfreiheit kämpfen sie gegen die «Hetze» und die «Hassrede» des politischen Gegners – Begriffe, die schnell Aufmerksamkeit erregen, auch wenn die Angemessenheit in Frage steht. Statt einen Pluralismus der Anschauungen zuzulassen, schüchtern sie lieber mit der Diskriminierungskeule ein und tragen so zur Mind Police bei – Seite an Seite mit Politikern und ausgewählten Gesinnungsgenossen.
Das Ziel eines solchen Mediensystems ist offenbar nicht mehr die Vermittlung umstrittener Sachverhalte im Wettbewerb der Interpretationen, sondern die moralische Erziehung des Publikums. Da kann es nicht überraschen, wenn die Glaubwürdigkeit der Institutionen leidet.
Verbündete der Trennung
Die Trennung zwischen Macht und Moral scheint heute immer weniger Verbündete zu haben. Sei es aufgrund eines Staates, der sich als Wertegemeinschaft versteht, oder aufgrund der Bürgertherapeutik einer humanistisch erleuchteten Elite.
Aber vielleicht gehört es auch einfach zum Wesen der Freiheit, dass ihre Verteidigung so anspruchsvoll ist. Denn der Einsatz für diese Freiheit schließt stets die Freiheit derer mit ein, die nicht einverstanden sind, die mich ärgern und abstoßen. Das bedeutet laufende – mitunter große – Toleranzzumutungen. Es bedeutet die tägliche Pflicht zur Selbstdisziplinierung.
Sisyphos-Arbeit
Natürlich darf man sich in einer Demokratie wünschen, dass die Mehrheit der Menschen, die zum Gesetzesgehorsam verpflichtet sind, die Wertintuitionen teilen, die den Gesetzen zugrunde liegen. Sonst haben jene Gesetze auf Dauer keinen Bestand. Aber diese Intuitionen zu teilen, kann nicht erzwungen oder zur Bürgerpflicht erhoben werden. Denn das wäre ein Verrat an der Freiheit, die es ja gerade zu verteidigen gilt.
Gegen das Christentum
Heutzutage wenden sich die meisten «progressiven» Bewegungen und Bürgerliche-Mitte-Parteien direkt oder indirekt gegen das Christentum. Direkt oder indirekt lehnen sie das christliche Menschenbild ab – insbesondere die daraus resultierenden moralischen Normen. Sie finden das Christentum als Religion entbehrlich und gehen nicht davon aus, dass Freiheit, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit sich dem christlichen Glauben verdanken, oder zumindest, dass sie diesen Glauben heutzutage noch nötig haben.
Für Christen wird es schwerer, öffentlich zu ihrem Glauben zu stehen, ohne die Karriere oder das soziale Ansehen zu gefährden.
Woher kommt die Überzeugung, das Christentum sei etwas Überholtes, Patriarchal-Repressives und Diskriminierendes? Woher kommt die Auffassung, dass das Verschwinden des Christentums für eine gute, moderne Gesellschaft nicht nur unproblematisch, sondern sogar notwendig ist? Dass es für Rechtsstaatlichkeit oder Nächstenliebe überhaupt keine Religion braucht? Woher kommt der technizistisch-ökonomische Fortschrittsglaube, der für die Postmoderne kennzeichnend ist und der meint, Gott nicht mehr nötig zu haben?
Menschenrechte gegen das Christentum
Viele Menschen scheinen heute davon überzeugt, dass die Menschenrechte nicht dank des Christentums entstanden wären, sondern gegen das Christentum. Genauer gesagt: Sie glauben, dass sich Menschenrechte und freie Gesellschaften irgendwie infolge einer allgemeinen Evolution der menschlichen Vernunft entwickelt hätten. Einer Evolution, die nach der Überwindung der Religion quasi von Natur aus zu einer besseren Welt geführt hätte. Ein bisschen so, wie sich das Wetter rein natürlichen Prozessen verdankt, ohne das Zutun eines Wettergottes.
Wobei die Frage, woher diese Ideale eigentlich genau kommen, in der Regel einfach mit der Aufklärung selbst beantwortet wird. Ähnlich wie beim Urknall, der sich ja bekanntlich auch selbst hervorgebracht hat.
Oder man denkt sich, gefragt nach den Wurzeln der Aufklärung, ungefähr Folgendes: «Der Mensch ist eben von Natur aus gut. Wenn man es zulässt, dass er seine Vernunft und seine Moral frei gebraucht, dann wird die Gesellschaft gut – ganz ohne Religion.»
Der freie Mensch und seine Vernunft – von Natur aus gut: Daran lässt sich wohl nur dann ernsthaft glauben, wenn man noch jung ist. Oder wenn man sich beim Blick in den Spiegel grundsätzlich schmeichelhaft begegnet, unter Ausblendung der eigenen Abgründe. Und vor allem: wenn man das 20. Jahrhundert ausblendet, das bekanntlich auf die französische und deutsche Aufklärung folgte. Das 20. Jahrhundert hat uns nicht das Licht von Vernunft und Fortschritt gebracht, sondern Kommunismus und Nationalsozialismus. Resultat: rund 150 Millionen Tote. Nach dieser Erschütterung der Zivilisation muss man schon viel Wunschdenken aufbringen, um von der guten Natur des Menschen zu sprechen.
Ohne Christentum keine Menschenrechte
Historisch ist es eine Tatsache, dass sich die Ideale der Aufklärung nicht aus sich selbst entwickelt haben, sondern aus Judentum und Christentum. Die Menschenrechte in der biblischen Gottesebenbildlichkeit des Menschen.
Dass jeder Mensch die gleiche Würde hat, König wie Bettler, Bürger wie Sklave, Frau wie Mann, Erwachsener wie Baby im Mutterbauch – diese Überzeugung hat es vor dem Auftauchen des Judentums in der Menschheitsgeschichte nicht gegeben. Und sie wäre undenkbar geblieben ohne die Offenbarung des biblischen Gottes. Sie war undenkbar im alten Orient. Sie war undenkbar in der griechischen wie in der römischen Antike.
Und sie bleibt bis heute chancenlos in der gesamten chinesischen Geschichte, so wie in der gesamten islamischen Welt. Bis zum heutigen Tag werden die Menschenrechte nur in jenen Gebieten der Erde anerkannt und vom Staat ernst genommen, wo Judentum oder Christentum eine wesentliche Rolle gespielt haben. Nicht in China, nicht in Nordkorea, nicht in muslimisch geprägten Staaten.
Leicht gekürzter Auszug aus:
Giuseppe Gracia, Die Utopia-Methode. Der neue Kulturkampf gegen Freiheit und Christentum. Fontis Verlag, Klappenbroschur, 96 Seiten 9,90 €.
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Das Christentum predigt ein hierarchisches Verständnis von menschlichen Gesellschaften, denn Gott steht immer an der Spitze. Ihre Darstellung zu den Menschenrechten ist so nicht haltbar. Es gibt außerchristliche Entwicklungen wie die Demokratie im antiken Griechenland, die ein Verständnis von der Teilhabe auf Augenhöhe entwickelte. Das ist die Basis dafür, dass Menschen keine Sklaven sind oder sein müssen, sondern dass friedliche Gesellschaften ihre Mitglieder einbinden und nicht überfordern dürfen, dass es Spielregeln gibt, an die sich alle halten müssen (was für einen Gott nicht in Frage käme). So gelangt man Stück für Stück zu einem Verständnis von unverzichtbaren Rechten, die Götter… Mehr
@Karl Schmitt.
Das mit der Demokratie im antiken Griechenland stimmt nmW. so nicht ganz. Nur die erwachsenen, ab 18(?), meist wehrfähigen, und/oder reichen Bürger durften „demokratisch“, und auch das nicht immer, zB. in Kriegszeiten, und das war recht oft, mitbestimmen. Teilweise wurde sogar durch das Los die Ämter bestimmt, und auch nicht in allen Stadtstaaten. Frauen, Heloten und Sklaven waren nmW. prinzipiell von der Mitbestimmung auf Augenhöhe befreit.
Der oberste Wert schlechthin ist die Freiheit des Einzelnen, des Bürgers, des Souveräns. Wer sie beschädigt, schadet dem Gemeinwesen.
Der Transhumanismus, der heute allen Mainstream-Themen zugrunde liegt, wendet sich ausdrücklich gegen die christlichen Werte, gegen unsere aufgeklärte Kultur und gegen Grund- und Menschenrechte. Da Sie das Dritte Reich erwähnen, möchte ich ein alltägliches, ebenfalls vorrangig geltendes Motto jener Zeit erinnern: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“. Das heutige Verlangen von Solidarität spiegelt daher eine von vielen überwunden geglaubte Periode der Geschichte wider. Ein ominöses, immer abstrakt und nicht überprüfbar bleibendes, von den Mächtigen und Einflussreichen moralisch begründetes Wohl des gesamten (sog.) Kollektivs steht über der persönlichen, jederzeit erleb- und beschreibbaren Freiheit und Menschenwürde und dem Wohlergehen jedes einzelnen Menschen. Es sind… Mehr
Zitat 1: „Gewiss ist die Rede von der «Lügenpresse» übertrieben und führt in den giftigen Nebel der Verschwörungstheorien. “ > Nun ja, mit Blick auf unsere „Qualitäts-“ und Relotiusmedien ist hier die Bezeichnung von Lügenpresse/-medien(inkl ARD/ZDF Staatsfunk + Dritter) sicherlich nicht zu 100% anwendbar. Denn -sarkastisch gesagt- sind ja zum Beispiel neben der Zeitangabe oder den Fußballergebnissen dann auch manche Nachrichten nicht gelogen. Dennoch bin ich der Meinung, dass hier die Bezeichnung Lügenpresse/-medien schon zu einem nicht grad geringen Teil zutrifft da zumindest für mich die LÜGE schon da und dann beginnt, wo der Hofberichterstatter/-moderator z.Bsp in seinen Artikel/Bericht irgendetwas… Mehr
Jede Zeit hat ihre Erzählungen, erfolgreiche oder erfolglose Varianten von Kultur oder Zivilisation. Die „westliche“ Kultur geht auf die griechisch-römisch geprägte Antike zurück, nicht nur ästhetisch, auch und insbesondere rechtlich. Bürgerrechte, Besitz und Eigentum, Strafrecht etc. lassen sich mühelos über Jahrhunderte zurückverfolgen, egal welche Anpassungen an Gegenwart oder Zeitgeist erfolgten. Ab der römischen Kaiserzeit dominierte die Idee „Zentralgewalt“ und imperiales Denken eines absolutistischen Herrschers den ganzen Mittelmeerraum über Jahrhunderte, bis es zerfiel und (wieder) regionale „Könige“ ihre Teilgebiete regierten. Dieser Zustand dauert im Kern bis heute an, nach 1648 mehr oder weniger klar „Nation“ genannt und durch „Staatsgrenzen“ definiert. Die… Mehr
Der heutige Moralisierungs-Hype hat nichts mit Moral zu tun sondern (Schein)Moral ist das einzig anwendbare erpresserische Druckmittel, das mit dem Feigenblatt Demokratie verziert werden kann und die Leute dazu bringt, um den autoritären Staat und Freiheitsbeschneidungen förmlich zu betteln.
Egal welche Regierungsform oder Form des Zusammenlebens, es geht und ging letztendlich seit Menschengedenken immer schon um Wertegemeinschaften. Die Masse führt einen Obolus ab (Steuer etc.) und hofft, dass mit diesem Obolus der Regierende für Sicherheit, Versorgung, Recht und Gerechtigkeit sorgt. Eine Wertegemeinschaft gerät aus den Fugen, wenn der Regierende seinen Aufgaben nicht nachkommt. Dann entsteht Anarchie, Gewalt, Rechtsfreie Räume usw. mit allen damit verbundenen Folgen. Bis in den 90er war Deutschland bezüglich Funktionalität Wertegemeinschaft relativ erfolgreich und ausgeglichen. Spätestens mit Beginn Ära Fr. Merkel hat sich hier jedoch bei den Regierenden einiges verschoben (Gesetze, Regeln gelten nicht mehr für… Mehr
Die „Generation Rückfall“ ist am Werk.
Bisher bedeutete Wertegemeinschaft eine zivilisatorische Glanzleistung. Westlich, weiß initiiert – mit dem Vermögen, universalistisch das ganze Erdenrund ein erhebliches Stück weiter zu bringen. Es bedeutete unter anderem, dass Kritik ein konstruktiver Beitrag sein kann, und per se keine (mittelalterliche) Form persönlicher Herabwürdigung, aufgrund unreflektierten Dominanzstrebens, mehr zu sein braucht.
Man mochte meinen, dies sei ein „Selbstläufer“. Aber selbst an der Geburtsstätte dieser Erleuchtung, haben die linksgrünen (Moral-) Kräfte es verstanden, diesen Fortschritt den Gar auszumachen. „Richtig“ und „Falsch“ tanzen da, mittels der feindlichen Begriffsaneignung „Wertegemeinschaft“, nach genau derselben voraufgeklärten, einfältigen Melodie lustig weiter.
„Gewiss ist die Rede von der «Lügenpresse» übertrieben …“
Da bin ich bezgl. der meisten Presseprodukte und insbesondere des ÖRR anderer Ansicht. Man lügt nicht nur, wenn man nachweislich falsche Aussagen macht, sondern auch durch eine tendenzöse Auswahl der Meldungen und insbesondere durch das Verschweigen wichtiger Informationen („Lückenpresse“).
„…und führt in den giftigen Nebel der Verschwörungstheorien.“
Die Geltungsdauer vieler „Verschwörungstheorien“ beträgt unter ein Jahr, dann werden sie faktifiziert. Der neue Name: Maßnahme.
Richtig. Schon Kurt Tucholsky zitierte den Aphorismus: „Auch die halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge“. So gesehen, kann man durchaus bei den meisten Medien von „Lügenpresse“ sprechen, die sich ja völlig ungeniert selbst als „Gatekeeper“ bezeichnet.
Und wie formulierte es Friedrich Schiller in seiner Ode an die Freude?