Der französische Kult-Autor Michel Houellebecq hat wieder „zugeschlagen“: Sein neuer, über 600 Seiten starker Roman »Vernichten« beschäftigt die Leser, die Feuilletons und die intellektuellen Communities der Welt. Wie macht er das? Von Alexander Pschera
300.000. Das ist die Startauflage des neuen Romans von Michel Houellebecq. Von den letzten Büchern des Autors wurden in Frankreich mehr als vier Millionen Exemplare verkauft. Das sind Regionen, in denen sich sonst nur Barbara Cartland, Steven King oder Rosamunde Pilcher bewegen – Autorinnen und Autoren, die manchmal unterhaltsame quick reads produzieren. Houellebecqs Romane hingegen verlangen konsequentes deep reading. Bei ihnen handelt es sich um Kunst.
Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Denn dass es sich um ein Phänomen handelt, steht außer Frage. Kein anderer ernst zu nehmender europäischer Autor erzielt vergleichbare Auflagen. Keinem anderen wird zu Lebzeiten eine solch prächtige Werkausgabe zuteil, wie sie Flammarion für Houellebecq herausgegeben hat. Kein anderer zieht so viel mediale Aufmerksamkeit auf sich wie jener schrullige Kettenraucher, der sich an keine der von den Medien aufgestellten Regeln hält.
Um die Frage nach dem Phänomen Houellebecq zu beantworten, reicht es nicht aus, nach einer einzigen Antwort zu suchen. Das Phänomen Houellebecq ist multikausal begründet. Verschiedene Aspekte greifen ineinander. Die drei wichtigsten lassen sich mit hinreichender Klarheit beschreiben.
Autoren hießen früher Dichter und Poeten. Ihr Blick reichte weiter als der des durchschnittlichen Menschen. Autoren galten als Propheten. Der poeta vates ist der gottbegnadete Seher, dessen Inspiration übermenschliche Züge annimmt. Er lässt uns Dinge sehen und ahnen, die dem gemeinen Auge nicht zugänglich sind. Homer, der blinde Dichter, ist das Urbild des poeta vates. In dieser Tradition stehen auch Klopstock, Rimbaud, Edgar Allen Poe, Hamann, Baudelaire und andere.
Schonungsloser Realismus
In diese Reihe reiht sich nun auch Houellebecq ein. Seine Romane haben prophetischen Charakter, weil sie die hyperrealistisch beobachteten Merkmale der Wirklichkeit zu einer voraussehenden Bilanz unserer Epoche verdichten: In der »Ausweitung der Kampfzone« thematisiert er den Konflikt von Ökonomie und Sexualität im Wirtschaftsliberalismus, in den »Elementarteilchen« den Untergang der Scholastik und den Triumph des Materialismus, eine These, die in »Plattform« fortgeschrieben wurde. In der »Möglichkeit einer Insel« wird der Transhumanismus vorhergesehen, in »Karte und Gebiet« zieht Houellebecq die Konsequenzen, die der Nihilismus auf die Kunstproduktion hat. »Unterwerfung« entwirft das Bild eines islamistisch geprägten Europas. »Serotonin« benennt die Depression als das Signum unseres Zeitalters, und »Vernichten« schließlich (ein Buch, dessen Titel korrekt übersetzt eher »Auslöschung« oder »Auslöschen« hätte heißen müssen, wenn das nicht von einem Werk eines anderen Dichter-Sehers, Thomas Bernhard, schon belegt worden wäre) fasst die Themen der vorhergehenden Romane in einer spektakulären Engführung als einen universalisierten Lebensekel des Protagonisten zusammen.
Ein episches Werk
In den mehr als zwanzig Jahren epischer Produktion ist es Houellebecq gelungen, sich den Status eines prophetischen Dichters zu erarbeiten, in dessen Emanationen wir das Schicksal unseres Zeitalters als ein dekadentes Fin de Siècle wiedererkennen. Die unglaubliche Konsequenz, mit der Houellebecq dieses niederschmetternde, an Hieronymus Bosch gemahnende Fresko durchgeführt hat, die innere Logik, mit der er seine Romane motivisch miteinander verzahnt, verleiht dem Ganzen seiner epischen Produktion eine von keinem lebenden Autor auch nur annähernd erreichte, nicht-hinterfragbare Härte.
Er ist ein Naturalist von Gottes Gnaden, und das ist der zweite Aspekt des Phänomens Houellebecq. Wie das seherische, so hat auch das realistische Schreiben – das unerbittlich realistische Schreiben wohlgemerkt – kaum noch Anhänger unter den Gegenwartsautoren, die sich lieber in intellektuelle Konstruktionen oder ideologische Eskapaden flüchten. Realismus steht unter Kitsch-, ja unter Faschismusverdacht. Ein ästhetischer Idealismus dominiert die Szene, in dem das Bewusstsein das Sein bestimmen soll.
Nihilistischer Naturalismus
Und so konnte es passieren, dass uns erst Houellebecq wieder sehen lernte, indem er den erzählerischen Blick rücksichtslos auf die unappettitlichsten und beunruhigendsten Ereignisse des Lebens lenkte, wie es im Kino Lars von Trier tut. Man darf sich bei Houellebecq – wie übrigens auch bei Zola – nicht über die Abwesenheit von »Stil« als einer eigenständigen ästhetischen Qualität wundern oder diese ihm gar als Mangel vorwerfen. Diese Form sprachlicher Selbstverwirklichung interessiert Houellebecq nicht. Sie gehört nicht zu seinem Programm. Sprache ist genauso Materie wie das Leben selbst. Sprache ist sterblich geworden wie die Literatur. Sie hat keine Bedeutung mehr in einer Zeit, in der Messenger-Dienste und Emojis die Kommunikation bestimmen.
Eine schmerzende Sehnsucht
Bleibt der dritte Grund. Und mit diesem hat es nun eine ganz besondere Bewandtnis. Denn vielleicht – vielleicht! – ist es gar nicht die Lust am Untergang unserer materialistischen, digitalisierten, ent-individualisierten, sexbesessenen und zur Liebe komplett unfähigen Welt, die uns masochistisch an diesen Texten fesselt. Vielleicht ist es etwas ganz anderes, etwas diesem Zusammenbruch und diesem Niedergang vollständig Entgegengesetztes, das als ganz schwaches Licht in der Dunkelheit des Houellebecq’schen Universums leuchtet und sich kaum gegen die übermächtig scheinende Finsternis behaupten kann. Cécile, die Schwester des Protagonisten Paul Raison aus dem neuen Roman, ist eine praktizierende Katholikin, der es sogar gelingt, ihren eher skeptischen Bruder zur Weihnachtsmesse in die Dorfkirche im Beaujolais mitzunehmen.
Diese kleinen katholischen Motive gibt es in jedem der Romane Houellebecqs, und sie korrespondieren mit Aussagen, die er als Person gemacht hat. Er berichtete über wiederholte Versuche, zum Katholizismus zu konvertieren, die alle vergebens blieben. Er beklagt die Abwesenheit einer universalen und unangreifbaren Instanz, die im Besitz der Wahrheit ist. Und in einem Interview aus dem Jahr 2019 bekundete Houellebecq: »Zu den Zeiten, als der Islam verborgen war, wo es einen Islam im Keller gab, da lief alles gut. Jetzt machen die Muslime Probleme. Weil man ihnen sagt, sie könnten sichtbar sein. Um das zu regeln, wäre es besser, die katholische Religion würde stärker werden.«
Auf der Suche nach Ordnung, nach Moral?
Vielleicht war das pure Provokation, aber ich denke, eher nicht. Ohnehin greift der Versuch, Houellebecq als reinen agent provocateur abzukanzeln, viel zu kurz. Es handelt sich bei dieser Aussage vielmehr um den nachvollziehbaren Wunsch nach Sinn-Ordnung, nach Sortierung der Realien, nach Moral, ja nach Erlösung. Vielleicht sogar nach Erlösung von der Literatur selbst. Jedenfalls brennt tief in den Grüften der Houllebecq‘schen Untergangslandschaften eine Kerze, deren Schein immer wieder durch die düsteren Texturen hindurchleuchtet. Und möglicherweise ist dieser schwache Hoffnungspunkt das wirkliche Faszinosum seiner Romane.
Dieser Beitrag von Dr. Alexander Pschera erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.
Michel Houellebecq, Vernichten. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Stephan Kleiner und Bernd Wilczek. DuMont Literaturverlag. Hardcover mit Schutzumschlag, 624 Seiten, 28,00 €.
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Alles gelesen von ihm, ein veritabler Denker. Soeben das neue Buch bestellt, freue mich darauf.
Toll. Ich finde, alle guten Romane haben diese Hoffnungskerze irgendwo stehen. Das andere kann man vergessen. Aber dass Houllebecq keinen Stil habe, das finde ich falsch. Dieses Schmerzhaft-Sachliche an seiner Schreibe, das ist sein Stil.
„Jetzt machen die Muslime Probleme. Weil man ihnen sagt, sie könnten sichtbar sein. Um das zu regeln, wäre es besser, die katholische Religion würde stärker werden.« Nun, die Verhältnisse, die sind nicht so. Die einen missbrauchen Kinder in ihrer Obhut und vertuschen das, die anderen schinden Mädchen in Kinderehen für den demographischen Jihad. Was bleibt? Die einen draußen halten, die innen in den Senkel stellen. Wer die Augen nicht verschließt, der weiß, was zu tun ist. Seit langem. Denn bei Kindern hört jeglicher Spaß endgültig auf. Pas d’excuses. TE zu Houellebecq vom 26-1-22
Houellebecq ist ein gnadenloser Beobachter, der keine Tabus kennt, ein Aufklärer, der völlig ohne Angst und Beschwichtigungsgelaber die Dinge so hinrotzt, wie sie sind. Wer ist so viel Wahrheit noch gewohnt? Er ist in Voltaires Fußstapfen unterwegs, deshalb schätze ich ihn. Ein reinigendes Gewitter unter all den grünen Verlogenheitsfloskeln mit linkem Zuckerguß.
„Autorinnen und Autoren, die manchmal unterhaltsame quick reads produzieren. Houellebecqs Romane hingegen verlangen konsequentes deep reading. Bei ihnen handelt es sich um Kunst.“ Zuerst ist das silencing eventuell lärmender Kids zu beenden, indem man sie mit fast Food to go chillen lässt, bevor man zum Couch-rumflätzing übergeht, über den Router die Software des readers auf dem tablet updated und den content als e-Book vom Provider downloaded, es durch double click auf den homescreen platziert und die Beleuchtung des Smart Home dimmt und dann zum Deep Reading übergeht. Am besten auf einer Kunstledercouch, denn es handelt sich um Kunst. Sprache ist Kulturgut. „Autorinnen und… Mehr
„Jetzt machen die Muslime Probleme. Weil man ihnen sagt, sie könnten sichtbar sein. Um das zu regeln, wäre es besser, die katholische Religion würde stärker werden.« Nun, die Verhältnisse, die sind nicht so. Die einen miss brauchen Kinder in ihrer Obhut und vertuschen das, die anderen schinden Mädchen in Kinderehen für den demographischen Jihäd. Was bleibt? Die einen draußen halten, die innen in den Senkel stellen. Wer die Augen nicht verschließt, der weiß, was zu tun ist. Seit langem. Denn bei Kindern hört jeglicher Spaß endgültig auf. Pas d’excuses.
Ein Mann wie Houellebecq wäre von den kulturellen „Eliten“ hierzulande in den Boden gestampft worden. Wer im deutschen Kulturbetrieb überleben will, muss ein beflissener Nachplapperer grünlinker Dogmen sein. Das wird bei uns als große Kunst angesehen.
Man*Innen würden ihn in die rechte Ecke stellen, klar.