Zydatiss zeigt sich optimistisch, dass die Cancel Culture noch aufgehalten werden kann. Selbstbewusstes Auftreten, Solidarität mit den entlassenen Personen, der Zusammenschluss zu Initiativen für die Meinungsfreiheit etc. könnten eine Wende bewirken.
Cancel Culture beschreibt die soziale oder berufliche Ausgrenzung derer, die die offiziell erlaubte „Wahrheit“ infrage stellen. Für Zydatiss ist dieser Begriff ein Glücksfall, denn nun „hat das Kind einen Namen“, so dass man das Problem endlich griffig benennen könne. Womöglich werde er in der Zukunft ähnlich abfällig als Epochenbezeichnung verwendet, wie heute „Biedermeier“.
Auf 184 Seiten wird in dem gelungenen Werk über das Meinungsklima speziell in Deutschland und allgemein im Westen referiert. Dem Leser bietet sich eine kompakte Einführung in das Thema. Dass das Buch gut und gerne auch die dreifache Länge haben könnte, zeigt nur, wie sehr Cancel Culture den heutigen Diskurs bestimmt!
Knapper Einstieg
Immer wieder warnen Journalisten davor, dass Rechtspopulisten die „Grenzen des Sagbaren“ überschreiten und bestätigen damit, dass sie bestimmte Dinge gern als unsagbar einstufen würden – so viel also zu ihren Beteuerungen, die Meinungsfreiheit werde nicht beschnitten.
Der Untertitel lautet „Demokratie in Gefahr“ und tatsächlich trifft diese Einschätzung zu. Deutschland sei noch eine Demokratie, stellt Zydatiss fest und fügt ein „gerade noch“ hinzu.
Und tatsächlich: Wenn man die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit seit 2010 gedanklich bis ins Jahr 2030 verlängert, bietet sich ein düsteres Zukunftsszenario.
Zustände wie in der Sowjetunion
Den Appell der Intellektuellen Salman Rushdie, Joanne K. Rowling, Noam Chomsky u.a. im „Harper’s Magazine“ kommentiert Zydatiss:
Entlassen für die falsche Meinung
Zu Beginn des Buches führt Zydatiss zahlreiche Personen auf, die für das Aussprechen der falschen Meinung berufliche Konsequenzen zu tragen hatten. Zu nennen wären hier beispielsweise Nobelpreisträger Tim Hunt, Softwareentwickler James Damore oder die Ökonomin Maya Forstater, die für das Ansprechen biologischer Unterschiede zwischen Mann und Frau gefeuert wurden. In Deutschland wurde Hans Joachim Mendig von der hessischen Filmförderung entlassen, weil er AfD-Chef Jörg Meuthen zum Essen getroffen hatte – ohne dass ihm selbst politische Verfehlungen vorgeworfen wurden.
Im Buch finden sich viele weitere Beispiele und die Liste ist bei weitem nicht vollständig. Aber zusätzliche Fälle wären auch gar nicht nötig gewesen, um das Problem zu verdeutlichen.
Und raus bist du!
Die soziale Isolation Andersdenkender wird nur klausuliert angesprochen. Erwähnt werden die beiden (verstorbenen) US-Bundesrichter Antonin Scalia und Ruth Bader Ginsburg, die trotz aller politischer Differenzen ein freundschaftliches Verhältnis pflegten. Dass dies heute eben kaum noch möglich ist, muss man selbst zwischen den Zeilen herauslesen.
Auch auf die politische Einseitigkeit in deutschen Redaktionsstuben und die Exzesse durch die Black-Lives-Matter-Bewegung nach dem Tod des Kriminellen George Floyd in den USA wird eingegangen. Kabarettisten wie Dieter Nuhr und Lisa Eckhart erfahren Ausgrenzung. Und im Namen des Antirassismus wurden schon mehrere islamkritische Vortragsredner wieder ausgeladen.
Niemand hat die Absicht …
In einem Kapitel werden die Verschleierungsversuche beschrieben, die eine Cancel Culture verleugnen wollen – denn auch Diktaturen bekunden stets, die Meinungsfreiheit zu achten.
In einem Kapitel über die geistigen Vordenker der Empörungskultur reisen wir mit Zydatiss in die Epoche der 68er. So hatte z.B. Herbert Marcuse für eine „extreme Aufhebung des Rechts der freien Rede und freien Versammlung“ ausgesprochen – jedenfalls für die, die diese Rechte für Rassismus und Kriegstreiberei missbrauchen wollten. Der autoritätskritische Slogan „Verbieten ist verboten!“ hat sich mittlerweile in sein Gegenteil verkehrt.
Auch Reaktionen auf den Wahlsieg Donald Trumps oder das Brexit-Votum werden zitiert. Dann zeigt sich, dass die Eliten nicht viel auf Volkes Wille geben. Den Austritt Großbritanniens aus der EU wollten viele britische Politiker rückgängig machen und aus den Beschreibungen der Trumpwähler lässt sich ableiten, dass mancher Intellektueller ihnen am liebsten das Wahlrecht entziehen würden.
„Linke Kapitalisten“
Die Linken geben ihre antikapitalistische Attitüde nur allzu gerne auf, wenn Großkonzerne ihre Botschaften in die Welt hinausposaunen. Eishersteller „Ben & Jerry’s“ fordert unter dem Motto „Kein Mensch ist illegal“ dazu auf, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. In den USA stellt das Unternehmen seinen Niedriglöhnern jedoch nur unbeheizte Scheunen als Wohnquartier zur Verfügung. „Starbucks“ hisst die Regenbogenflagge und muss sich keine Fragen gefallen lassen, warum es die Trinkgelder seiner Angestellten einbehält. „Amazon“ unterstützt Black Lives Matter und darf ungestraft die Lagerarbeiter auffordern, in Flaschen zu pinkeln, um Arbeitszeit einzusparen.
Der Westen verrät die Menschenrechte
Das Buch hätte hinzugewonnen, wenn die Selbstaufgabe des Westens stärker zum Tragen gekommen wäre. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird angesprochen – aber leider nicht, dass es mittlerweile Nachahmung in Diktaturen findet. Staaten wie Russland benennen das deutsche Zensurgesetz stolz als Vorbild und können darauf bauen, dass Deutschland in keiner moralischen Position ist, Protest zu erheben. Gerade Dissidenten in der Dritten Welt, die sich für Meinungsfreiheit einsetzen, können inzwischen nicht mehr auf das einst leuchtende Beispiel des Westens verweisen.
Leider fehlt auch eine ausführliche Analyse des Falles Thilo Sarrazin, den man als Startpunkt der Cancel Culture in Deutschland bezeichnen könnte. Genau aufzuzeigen, wie die Aussagen missliebiger Personen durch die Medien teils bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden, um sie „zum Abschuss freizugeben“, hätte das Buch noch lesenswerter gemacht.
Zydatiss zeigt sich optimistisch, dass die Cancel Culture noch aufgehalten werden kann. Selbstbewusstes Auftreten, Solidarität mit den entlassenen Personen, der Zusammenschluss zu Initiativen für die Meinungsfreiheit etc. könnten eine Wende bewirken.
Irreparabler Schaden
Ob es wirklich so einfach ist? Ein Blatt Papier lässt sich biegen und wieder gerade streichen. Ein Knick jedoch bleibt noch lange sichtbar. Wohl irgendwann nach 2015 wurde der „point of no return“ überschritten.
Angela Merkels Worte, es gäbe keine „Meinungsfreiheit zum Nulltarif“ unterstreichen, dass der Abbau demokratischer Werte nur mit ihrer Zustimmung erfolgen konnte.
Angenommen die erste Amtshandlung ihres Nachfolgers im Kanzleramt wäre es zu erklären, die Meinungsfreiheit sei wiederhergestellt. Würde jemand in einer sensiblen Position, wie es in einem Ministerium oder der Universität, der bislang seine wahre Haltung verbarg, offen reden, oder vermuten, dass dies nur ein Manöver sei, um die „Abweichler“ enttarnen und entfernen zu können?
Lukas Mihr ist Historiker und freier Journalist
Kolja Zydatiss, Cancel Culture. Demokratie in Gefahr. Solibro Verlag, 184 Seiten, 16,80 €.
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Wie absurd und einseitig die “ cancel culture Ideologie “ vor allem mit dem angeblichen Kulturraub inzwischen geworden ist, zeigen doch täglich neue Idiotien. Nur einige Beispiele. Eine Afroamerikanerin wollte einen weißen Studenten mit Rastazotteln am Betreten der Uni hindern, da er nicht das Recht hätte, sich schwarze Kultur ( Rastazotteln !!! ) anzueignen ( Video bei youtube selber gesehen ). In Oregon durften Weiße nicht mexikanische Gerichte an ihrem Stand verkaufen, das dürften nur Mexikaner. Das “ Gedicht “ einer Afroamerikanerin zur Amtseinführung von Biden durfte nicht von einer Weißen übersetzt werden, da sich diese angeblich nicht in die… Mehr
Dann sollte jeder Afroamerikaner, der sich die Haare glättet, auch in die Kritik geraten.
Da weiße Kultur eine Kultur der Ausbeutung und Unterdrückung ist, dürfen die Verdammten dieser Erde sie sich zurück holen. Denn ohne Ausbeutung keine Kühlschränke. Nur wer zu dieser selbstkritischen Einsicht fähig ist, kann heute im ÖRR was werden. Selbst Schwul- bzw. Frau-Sein reicht da heutzutage nicht mehr…
Cancel Culture aufhalten: wikipedia meint, der Begriff sei negativ besetzt. Ich meine, dass der Begriff noch nicht mal vernünftig definiert ist. Wenn ich auf der online-Seite eines Leitmediums nach Cancel Culture suche, erscheint mit eindeutigem Bezug in der Überschrift „“Cancel Culture“: Ein Kampfbegriff erobert die US-Provinz“. In dem Artikel geht es um völlig harmlose und gerecht motivierte „Umbenennungen“. Eingeleitet wird der Artikel von einem Bild, das einen Mob beim „abreissen“ eines Denkmals zeigt. Der Artikel beschreibt ein Idyll. Der Begriff CC erscheint einmal in dem Satz“ Trump kritisiert das als „Cancel Culture“ – zu Deutsch etwa „Kultur des Auslöschens“ von… Mehr
Es fehlt die Angabe des Hauptgrundes für das Canceln: Um die Dysfunktionalität der eigenen Politik zu verdecken. Deswegen scheuen die Canceler auch den gemeinsamen Auftritt mit Kritikern in der Öffentlichkeit. Vor fünf Jahren gab es in den Talkshows wenigstens noch fünf gegen einen, heute gibt es nur noch fünf Stühle und eine Meinung. Das ist auch ein Zeichen, wie unsicher die Canceler sind.
Nein, die sind nicht unsicher, die haben schon weitestgehend gesiegt, fast alle unterworfen, daher können sie alle Talk-shows und Gremien mit ihresgleichen besetzen, so dass die Vernunft überhaupt keine Chance mehr hat. Die haben gesiegt, weil sie Zeitgenossen mehrheitlich zu dumm sind, zu lesen und zu hören, was die für einen shit von sich geben. Denken Sie an das Mittelalter und die Neuzeit bis ins vorletzte Jahrhundert hinein, an die Hexenverbrennungen, den überall verbreiteten fürchterlichen Aberglauben. Vergleichen Sie den damaligen Quatsch mit dem heutigen. Und die Jungen rennen diesen Propheten heute genauso nach wie den Kreuzzugsführern und sonstigen Heilsbringern. Nichts… Mehr
Das Buch gehört verboten, es ist wenig hilfreich und sollte rückgängiggemacht werden.
Hiermit übergebe ich die Schrift xyz den Flammen…
Zum letzten Absatz: Das wird Jahre dauern an Unis wieder was wie Wissenschaft zu etablieren. Eher Jahrzehnte.
Man müsste das ganze Bologna-Geschmeiß abwerfen, Profs und deren Eleven zu Erdbeerpfückern umschulen, runtergebrochen bis in Vorschule ernsthaft lehren, was natürlich scheitern muß, mangels Lehrern.
Es ist tatsächlich zum Verzweifeln, und leider gehöre ich allmählich auch zur Fraktion der Kulturpessimisten, Lage ist aussichtslos, Finis Germaniae 🙁
Sieferle hat „Finis Germania“ geschrieben und sich dann umgebracht. Wir müssen weiter kämpfen und auf ein Wunder hoffen. Stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn 2016 nicht viele mutige Landsleute sich hinter die AfD gestellt hätten. Dann wären jetzt 10 Millionen Muslime mehr im Land.
So weit kommt es noch, das Polinnen wie Stokowski oder die anderen Nieten in den Redaktionsstuben des SPIEGEL uns vorschreiben wollen, was wir sagen dürfen und was nicht. Was kommt als nächstes? Wahrscheinlich ernennt die Kanzlerin Merkel den Bertelsmann-Konzern zum Ministerium für Wahrheit.
Stokowski mault auch immer gegen den Kapitalismus. Komisch nur, dass ihre Eltern noch vorm Mauerfall vom kommunistischen Polen in die kapitalistische Bundesrepublik ausgewandert sind und nicht in die DDR.
Cancel culture – ein widerwärtiger Euphemismus, der auch nicht mit der netten Alliteration-Garnierung appetitlicher wird. Es bleibt eine Hetzjagd. Ekelhaft.
Ich verstehe Ihren Einwand nicht, zumal nicht klar ist, wie “ cancel culture “ zu verstehen / übersetzen ist. Nach meinen, natürlich begrenzten Englischkenntnissen, kann ich dies als Aufforderung “ schafft die Kultur ab “ oder als zusammengesetztes Hauptwort “ Abschaffungskultur “ auffassen. In beiden Fällen entspricht der Begriff doch der Wirklichkeit, man will bewußt die Kultur, das heißt die Zivilisation abschaffen, da sie maßgeblich von “ Weißen “ geprägt wurde.
Da liegen wir nicht weit auseinander.
In wilder ideologischer Wut stürzt man sich auf Kulturgüter und versucht sie zu eliminieren. Nicht mal besonders originell – damnatio memoriae gab es bereits im alten Griechenland.
Und ja, leider ist das die Wirklichkeit. Das ist ja das Ekelhafte.
Die, die canceln und ihre Claqueure in Medien und Politik werden dass sicher als culture verstehen.
Insofern ist der Begriff leider verharmlosend.