Auf den Malerklippen

Die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen hat in der kleinen Edition Buchhaus Loschwitz in der Reihe „Exil“ drei Bücher aufgelegt, mit denen sie die Aufmerksamkeit fernab des politischen Feldgeschreis auf die Texte der Schriftsteller lenken möchte – auf das, was Literatur ausmacht

Monika Maron warnt in dem Band „Krumme Gestalten. Vom Wind gebissen“, der Essays der Schriftstellerin aus drei Jahrzehnten versammelt: „Natürlich, Deutschland ist ein Rechtsstaat; darum werden Bücher nicht verboten und Schriftsteller nicht verhaftet. Aber jenseits des Gesetzes gibt es eine Deutungsmacht, die blindlings mit Verdächtigungen und Diffamierungen um sich werfen darf, sobald das, was sie als Wahrheit ausgibt, in Frage gestellt wird. Dann wird man in den Medien unversehens zum ‚neurechten Autor‘ oder zu jemandem, der ‚neurechtem Gedankengut nahesteht‘ oder dergleichen (…). Es gibt auch in einem Rechtsstaat Möglichkeiten, Menschen wegen unerwünschter Meinungen die Existenz zu erschweren oder sogar zu zerstören.“

Monika Marons nachdenkliche, kluge, lesenswerte Texte werden auf einmal zu einer Chronik der Veränderungen der jüngsten Jahre. Unaufgeregt verdeutlichen die Essays, wie Deutschland zu einem anderen Land wird. Der Lyriker und Romancier Jörg Bernig entdeckt bei seinen Streifzügen durch Sachsen, Schlesien, Böhmen, Ungarn, Serbien, Bosnien und Herzegowina Deutschland, genauer Ostdeutschland, als Teil Mitteleuropas. Die Sehnsucht in seinen Essays sollte man nicht mit Wehmut verwechseln, sondern als Wissen um das Unvergängliche: „Wenn die Kinder Mitteleuropas auf den Landkarten nach etwas Stabilem, (…) nach etwas Verlässlichem suchten, suchen und suchen werden, dann waren und sind sie gut beraten und werden es sein, wenn sie ihren Blick auf das Fließende, auf die Flüsse richten. Ah Donau, Ah Oder, Ah Weichsel, Memel, March, Elbe, Theiß, Isonzo!“

Jonglieren mit Worten: Auf der Suche nach den inneren Emigranten
Er erinnert uns daran, dass wir eine Herkunft besitzen. Aber Mitteleuropa gehört nicht nur der Vergangenheit an, sondern ist auch eine Zukunft, eine Zukunft, die Deutschland unter Merkel verspielt, weil es dem alten und jungen Mitteleuropa, zu dem es doch gehört, den Rücken kehrt und in Selbstbespiegelung erstarrt. Dass in der Reihe auch eine Erzählung von Uwe Tellkamp erscheint, lenkt nach den inszenierten Empörungen endlich wieder den Blick auf den Erzähler.

Die Malerei,
die Welt wahrnimmt und zugleich Welt erschafft,
wird zum Medium für die gesellschaftlichen Verwerfungen

Der Text „Das Atelier“ gehört zu einem Projekt, das aus den Romanen „Der Turm“, der bereits erschienen ist, und „Lava“, der im nächsten Jahr bei Suhrkamp publiziert wird, erwächst. Voraus ging eine Erzählung, die bereits den Titel „Der Schlaf in den Uhren“ führte, ein Titel, der an Marcel  Prousts Romanzyklus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ erinnert, aber auch an die bleierne Breschnew­Ära, die man als „Zeit ohne Uhren“ bezeichnete.

Als Zeit ohne Uhren ließen sich auch Merkels lange Jahre der Alternativlosigkeit benennen. „Eine Uhr hängt am Gebäude gegenüber, zeigt eine vergessene Zeit“, heißt es im Buch. Erzählte „Der Turm“ vom Ende der DDR, so befindet sich der Leser mit dem „Atelier“ in der Gegenwart, aber in einer Gegenwart als Anderwelt. Denn bereits der titelgebende Schauplatz der Handlung verweist auf einen Ort zwischen Realität und Fiktion, in dem aus Unwirklichem Wirkliches wird, indem die Wahrheit des Beobachteten, des Empfundenen und Erfahrenen zur eigenen Form findet – und eigene Form ist das, was man Wirklichkeit nennt.

Es bedarf des Schutzes vor Zensoren

Im „Atelier“ entstehen die Kunstwerke in einer Zwischenwelt, in einer Mischung aus Refugium und Werkstatt. Kritik, die das Kunstwerk zu früh trifft, wirkt wie Licht, das auf eine noch unfixierte Fotografie fällt. Kunst, aber auch Denken, schriftstellerisches Denken, erzählendes Denken, philosophisches Denken bedarf des Schutzes vor den Zensoren. Man hat als Ostdeutscher hierin nicht nur einige Erfahrung, sondern erlebt derzeit heftige Déjà­vus.

Krummen Gestalten an der Allerweltsecke
Ein Exil für Freiräume des Denkens und Träumens
Tellkamp selbst wirkt unsicher in der Gattungsbezeichnung des Textes, er nennt ihn erzählenden Essay oder essayistische Erzählung und umschreibt so dessen proteischen Charakter. In der Tat vereint er beides. Den äußeren Rahmen bildet zunächst der Besuch des Ich­-Erzählers Fabian Hoffmann im Atelier des weltberühmten Malers Martin Rahe, in dem unschwer Neo Rauch zu erkennen ist. Einmal spielt Tellkamp auch im Text mit dem Namen des Malers, wenn Fabian sinniert: „Die Farben sind rauch, das alte Wort für rauh, das sich in Rauchwaren erhalten hat. Rahes Farben können die Dinge bezeichnen, wie es sonst Umrisse tun, die Farbe gebiert die Dinge, nicht umgekehrt.“

Mehr und mehr drängen sich die Erinnerungen des Ich-Erzählers an seine intensiven Gespräche mit dem Maler Vogelstrom in seine Gedanken, geraten die Begegnungen zu einem Furioso der Betrachtung der gegenwärtigen Welt aus dem entrückten Raum des Ateliers. Das Hauptinteresse gilt der Malerei, den verschiedenen sächsischen Malerschulen der Moderne, begonnen mit dem Jugendstil unter Einbeziehung eines eindrücklichen Exkurses über die Romantik, Malerei aber in dem Sinne, wie der Maler die Welt sah.

Die Malerei, die Welt wahrnimmt und zugleich Welt erschafft, wird zum Medium für die gesellschaftlichen Verwerfungen, ohne jemals ins platt Tagespolitische zu stürzen. Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Verlust, Identität und Anpassungsdruck werden im Medium der Malerei in tiefer Weise erfahrbar. Essay und Erzählung spielen miteinander genau dort, wo historische Figuren erkundet und herangeholt werden, während Zeitgenossen fiktionalisiert sich in literarische Figuren verwandeln. Letztlich weiß man nicht, ob sich hinter Vogelstrom Johannes Heisig oder Hubertus Giebe verbirgt, wahrscheinlich keiner von beiden, denn Vogelstrom hat sich längst von seinen Vorbildern emanzipiert, ist eigene Figur geworden.

Denken und ideologischer Veitstanz

Die politischen Verwerfungen drängeln sich in die künstlerische Arbeit. „Er überlege, ob der Vesuv in anderer als rein geologischer Form ein Dresdner Vulkan sei und auch sein Herculaneum und Pompeji unter sich begraben habe; (…) mit Folgen für die ganze Republik, vielleicht der Vesuv von Dresden nur ein gerade offener Schlot, einer von vielen im ganzen scheinbar so beruhigten Land, doch anderswo womöglich das Dreckgebirge über den Schloten stärker, der Unmut als Magma weniger druckvoll, wer wisse das schon.“ „Lava“, so soll die Fortsetzung vom „Turm“ heißen, die nun in der Bundesrepublik, in unserer Gegenwart spielt.

Lava fließt langsam
Uwe Tellkamp und sein neuer Roman: Rätselraten um Erscheinungstermin
Die Verwandtschaft in Grundsituation und sogar Duktus der Erzählung mit einem anderen Text drängt sich überraschend auf – und zwar mit der „Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss, einem ebenfalls proteischen Text. Der erste Band der Trilogie beginnt mit der Beschreibung des Frieses des Pergamonaltars. Auch hier setzt sich der Ich-Erzähler im Gespräch mit zwei Freunden über die Kunst auseinander, über den notwendigen Widerstand gegen die Zumutungen der Gegenwart, der auch eine Frage der Ästhetik ist.

Auf den Malerklippen balancierend denkt Tellkamp über den Widerstand als Ästhetik nach, denn Ästhetik ist Widerstand gegen die Vereinnahmung, wenn sie denn wirklich Ästhetik ist, alles andere bleibt Staatskunst der Ingenieure der Seele. In einer Öffentlichkeit, in der Ideologien zum Veitstanz aufspielen, rührt Literatur an die vielfältigen Möglichkeiten des Denkens, des Gesprächs, des souveränen Spiels mit den Ebenen, in einem Wort, an das Menschliche des Menschen und hält die Welt offen. Wenn Friedrich Schiller einmal anmerkte: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, so erinnert er uns daran, dass jenes Spiel der Fiktionen und Gedanken zum kommunikativen Grundinventar einer menschlichen Gesellschaft gehört, sie sogar konstituiert und gleichzeitig bedingt.

Mit den ersten drei Bänden der Reihe ist es Susanne Dagen gelungen, ein Fest für Leser auszurichten und daran zu erinnern, dass Literatur zuallererst Kunst ist und Worte in einem literarischen Text keine politischen Mitteilungen sind, sondern Welten erschaffen.

Jörg Bernig, An der Allerweltsecke. Essays. 160 Seiten, 19,- €
Uwe Tellkamp, Das Atelier. 112 Seiten, 17,- €
Monika Maron, Krumme Gestalten, vom Wind gebissen. Essays aus drei Jahrzehnten. 112 Seiten, 17,- €.
Alle drei Bände erschienen in der Reihe Exil im Buchhaus Loschwitz und erhältlich bei uns im Shop.


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Kommentare ( 3 )

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Harry Charles
4 Jahre her

EINE BÜCHERVERBRENNUNG OHNE FLAMMEN… ist dennoch eine, sozusagen eine kalte Bücherverbrennung. Sie ist allerdings noch viel perfider als eine „heiße“. Und genau das erleben wir jetzt, vor allem über die letzten Jahre hinweg: durch das feige Kriechen der ehemals konservativen CDU vor dem linken Zeitgeist und dem damit verbundenen Verschwinden einer Opposition ist in diesem Land nichts weniger als eine Art linke Diktatur entstanden. Es ist keineswegs übertrieben, diese Bezeichnung zu verwenden. Politische Gegner sollen mithilfe einer linken Einheitsfront und gleichgeschalteter Medien mundtot gemacht werden. Der Marsch der 68-er durch die Institutionen und ihr Bündnis mit Stasi-Restbeständen entwickelt sich bei… Mehr

Onan der Barbar
4 Jahre her

„Die Farbe gebiert die Dinge, nicht umgekehrt.“
Welch großartiger Schlusssatz zu Merkels Pofiriato. Wirtschaft, Bildung, Gesellschaft, Verfassung zerstört durch Rücksturz in eine voraufklärerische Dunkelheit, und konsequenterweise wird das mittelalterliche Universalienproblem wieder hervorgeholt.
Oder soll das einfach nur eine Anspielung auf die Bekleidungsgewohnheiten unseres Bundeschamäleons sein?

Babylon
4 Jahre her

Auf den „Malerklippen“ Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift. Wie unwideruflich sind sie doch dahin, und unbarmherziger sind wir von ihnen getrennt als durch alle Entfernungen. Auch treten im Nachglanz die Bilder lockender hervor;wir denken an sie wie an den Körper einer toten Geliebten zurück, der tief in der Erde ruht, und der uns gleich einer Wüstenspiegelung in einer höheren und geistigeren Pracht erschauern läßt. Und immer wieder tasten wir in unseren durstigen Träumen dem Vergangenen nach. Dann will es uns erscheinen, als hätten wir das Maß des Lebens und… Mehr