»Es ist so bequem, unmündig zu sein.« Das berühmte Kant-Zitat ist Leitmotiv einer schonungslosen Analyse des deutschen Untertanengeistes – für alle, die es sich nicht in der Dekadenz gemütlich machen wollen. Von Walter Krämer
Fast jeder kennt den Untertanen aus dem gleichnamigen Buch von Heinrich Mann: Dietrich Heßling, gehorsam aufblickend zum verehrten Kaiser, dem Symbol der allwissenden und fürsorglichen Macht. Was unterscheidet diesen dem eigenen Denken entwöhnten, sich kuschelig an die Obrigkeit anschmiegenden Befehlsempfänger von dem ideologiegläubigen Gutmenschen unserer Tage, der im vorauseilenden Gehorsam auch allein in einem ICE-Abteil die Coronamaske auflässt, weil das ja so vorgeschrieben ist? Erschreckend wenig, stellt man nach der Lektüre dieses äußerst bemerkenswerten Buches von Josef Kraus ernüchtert fest.
Als beider Urahn macht Josef Kraus den „teutschen Michel“ fest (erstmals belegt im Jahr 1541in den „Sprichwörtern“ von Sebastian Franck): „Er gilt als gutmütig, unbeholfen, einfältig, linkisch“. Und als gehorsamer Untertan der Obrigkeit. Als weiteres Glied in dieser unrühmlichen Ahnenkette identifiziert Kraus niemand anderen als Martin Luther; schon zu Lebzeiten war der große Reformator auch als „Fürsten-knecht“ bekannt. „Die Obrigkeit ist für Luther Gottes Dienerin, sie habe die Macht von Gott verliehen bekommen und man sei ihr Gehorsam schuldig.“ Gegen diese im Volkscharakter quasi aufgehenden Gestalten machen sich die von Kraus ebenfalls gewürdigten Freidenker und Aufklärer wie Immanuel Kant und Heinrich Heine eher als Außenseiter aus.
Bei unseren Nachbarn links der Rheins wäre das umgekehrt. Nicht ohne Grund ist Frankreich zu Heines zweiter Heimat geworden. Hier ist der aufmüpfige Bauer, der mit der Mistgabel auf den Gutsherrn losgeht und ihm zur Not auch mal den Kopf abschlägt, sozusagen der Normalfall und der devote Schleimer eine nationale Witzfigur. Auch die modernen Gelbwesten stehen in dieser Tradition. Einige 100 km weiter im Osten dagegen bemühen sich revoltierende Kommunisten nach dem Ersten Weltkrieg, wie Kraus genüsslich nacherzählt, bei ihrem Zug durch Berlin in Parks den Rasen nicht zu betreten und die ausgewiesenen Wege zu benutzen. Da hat sie dann die Polizei problemlos eingesammelt. Oder wie Lenin das so schön in Worte gefasst haben soll: »Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“
„Seit der 24. UN-Weltklimakonferenz vom Dezember 2018 in Katowice wird die damals fünfzehnjährige schwedische Schülerin Greta Thunberg zur Ikone hochgejubelt […] Die Ex-Kirchenobere Göring-Eckart erklärte Greta zur ‚Prophetin‘. Zum Palmsonntag 2019 verglich Berlins Erzbischof Heiner Koch Greta mit Jesus und dessen Einzug in Jerusalem. Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer meinte synchron, die jungen ‚Klimaschützer‘ seien ‚kreativ wie der Schöpfergott, geistreich wie der Heilige Geist und hellwach wie Jesus Christus‘.“
Ohne Heilsgestalt kein Untertan. Im dritten Teil des Buches wendet sich Kraus dann dem „Arsenal des Gefügigmachens“ zu. Davon kann jeder, der heute eine deutsche Universität besucht oder dort lehrt, einiges erzählen. Gibt es irgendeine deutsche Universität, wo in den letzten Jahren nicht missliebige Referenten auf Betreiben wichtiger akademischer Leistungsträger wie des Allgemeinen Studentenausschusses oder der Gleichstellungsbeauftragten wieder ausgeladen, Gastvorträge abgesagt oder Vorlesungen störungshalber abgebrochen wurden? Nicht wegen Mängeln in der wissenschaftlichen Substanz, nein, weil den immer gleichen Ideologen etwas an den Thesen nicht gefiel. Und wie die Dominosteine fielen die Universitätsverwaltungen und Rektorate reihenweise um.
Noch Anfang der 1970er führte die wiederholte Störung einer Vorlesung des liberalen Marktwirtschaftlers Wolfram Engels an der Uni Frankfurt dazu, dass alle Professoren der Wirtschaftsfakultät mit Rückendeckung des Rektorats für zwei Wochen ihre Vorlesungen einstellten. Dann war Ruhe; hätte nochmals ein Randalierer die Engels-Vorlesungen gestört, wäre er von der großen Mehrheit der lernwilligen Studenten windelweich geprügelt worden. Heute dagegen knickt das Rektorat der Uni Hamburg rückgratlos vor einer kleinen Gruppe gewaltbereiter Chaoten ein, die den Euro-Kritiker Bernd Lucke an seinen Vorlesungen zu hindern suchen. Statt sie einfach aus der Uni rauszuwerfen, wie es sich für Gegner des freien Meinungsaustausches gehört, wurde mit ihnen wie von gleich zu gleich verhandelt und wachsweich nach Kompromissen gesucht.
Das hatten wir ja schon einmal. Der vierte Teil des Buches identifiziert die „Akteure des Untertanengeistes“: die Kirchen, die völlig vergessen zu haben scheinen, warum sie existieren, die „Apportiermedien“ und die „Akklamationswissenschaften. “Allein die Frage, wer die Bundesregierung in Sachen Corona beriet, ist eine spannende Frage. Bis hin zum zweiten Lockdown im Winter 2020/2021 waren es durch die Bank Leute, die die Regierungsposition stützen.“
Abgerundet wird diese ernüchternde Diagnose des kollektiven deutschen Gemütszustandes durch einige praktische Therapievorschläge. Etwa endlich mal wieder liberale und konservative Stimmen und Gesichter im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen. Wenn man sich Umfragen vergegenwärtigt, wonach sich 92% aller Volontäre in diesen Anstalten dem rot-grünen Meinungsspektrum zurechnen, nur knapp 4% der CDU/CSU und weniger als 2% der FDP, dann wird es dafür allerhöchste Zeit. Liebe Rundfunkräte, wacht endlich aus eurem Tiefschlaf auf! Dann mehr Freiheit und Eigenverantwortung statt betreutes Älterwerden, mehr denken statt glauben und vor allem „Bildung! Bildung! Geschichte! Geschichte!“ So der Titel des 30. und letzten Kapitels dieses Buches.
Bei einem Autor wie Josef Kraus erübrigt sich die Feststellung, dass alle Thesen wohl recherchiert und das Ergebnis langen Nachdenkens und Beobachtens sind. Damit hebt er sich äußerst positiv von verschiedenen jungen und auch älteren Politikakteuren ab, die zu allem Überfluss auch noch Kanzler werden wollten. Wie viele Talkshows mag er dafür angesehen, wie viele Leitartikel gelesen, Studien konsultiert, wie viele Parteiprogramme durchgearbeitet haben? Die 36 Seiten Literatur und Quellen am Ende des Buches sind eine Goldgrube für alle, die noch tiefer in das Kultur- und Geistesleben unseres Landes eintauchen wollen. Wer wissen will, wie es dem Patienten Deutschland dieser Tage geht, findet keine bessere Beschreibung als dieses Buch von Josef Kraus.
Josef Kraus, Der deutsche Untertan. Vom Denken entwöhnt. LMV, aktualisierte Neuausgabe, Breitklappenbroschur, 360 Seiten, 20,00 €.
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..“der im vorauseilenden Gehorsam auch allein in einem ICE-Abteil die Coronamaske auflässt, weil das ja so vorgeschrieben ist?“ „Das verstehen Sie leider nicht…“ habe ich mir auch schon anhören müssen. Sonntag Seiffen Erzgebirge, zwei Geldautomaten im Vorraum einer Bank, Ein Schild davor: Nur eine Person (Schild von einer Frau verdeckt, nur mit Maske. Vor der Tür warte ich und vor mir ältere Dame mit Tochter, drinnen ein Kunde.. Der Kunde kommt heraus, Mutter und Tochter treten ein, ich schaue wegen zweiten Automaten. Daraufhin die Tochter: „Entschuldigen Sie bitte, ich muß meiner Mutter helfen und mit hinein.“ Erst jetzt sehe ich… Mehr
Meine ganz persönliche Sicht auf Deutschland und die Deutschen ist da wenig hoffnungsvoll. Betrachtet man die Geschichte, wird schnell klar, dass es in Deutschland nur ein äußerst kurzes Zeitfenster gab, in dem es demokratisch, freiheitlich und liberal zuging. Und dieses Zeitfenster ist längst wieder geschlossen. Richtig schlimm sind die Hotspots der Unis. Ein Sammelbecken an künftigen Selbstgerechten, Mitläufern, Diktatoren und Wirklichkeitsleugnern. Da ist es etwas wirklich gründlich schief gelaufen. Ich bin zumindest dankbar, dass ich einen Teil dieser freien Zeit miterleben durfte – die weitaus große Mehrheit wird nie mehr wissen, wie es war oder wie es sein könnte, ein… Mehr
Ich habe gerade die “Deutschstunde” von Siegfried Lenz wiedergelesen: Eine sehr erhellende Lektüre, über den braven deutschen Untertan, der in vorauseilendem Gehorsam seine “Pflicht” übererfüllt.
Was haben wir aus dieser Geschichte gelernt? Offensichtlich nichts!
Die Untertanen vom Schlage des Dorfpolizisten Jepsen “tun wieder nur ihre Pflicht” wie sie es damals auch getan haben.
Aktuell finde ich ja witzig: Man hat ein Recht auf irgendwas, aber die „Mehrheit“ stimmt ab, ob man es auch bekommt. Trifft schon länger und jetzt noch stärker die AfD im BRD-Parlament.
Ich finde Demokratie ja super. PR-mäßig optimal. Bei einer Diktatur kann man sagen: Dieser böse Diktator unterdrückt alle. In einer Demokratie mit Parteienkartell kann man das nicht sagen. Da geht es ganz demokratisch zu. Ich denke, da kann China noch was von uns lernen.
Ich habe in mancherlei Hinsicht ein distanziertes Verhältnis zur Mehrheit meiner Landsleute und sehe auch Züge, die sich möglicherweise bis in die unselige germanische „Gefolgschafts“-Tradition zurückverfolgen lassen. Man sollte dennoch Gerechtigkeit walten lassen und konstatieren, dass unsere Nachbarn längst nicht mehr dem Klischee der „aufmüpfigen“ Franzosen, der „anarchistischen“ Italiener oder der „charmant-korrupten“ Österreicher entsprechen. Das 2020 etablierte Corona-Regime hat zutagegebracht, dass die Masse in Europa bereitwillig auch die übergriffigsten Willkürakte des Politadels klaglos hinnimmt und sogar mit Eifer befolgt (ich bin regelmäßig in Italien und weiß, wovon ich rede – die Masse hat sich in Todesangst versetzen lassen und spurt,… Mehr
Wir schreiben hier Kommentare, hat sich denn je etwas geändert in Sachen Mißstände? Nein, der vermeintliche Staatsschutz liest sie mit und weiß dass von uns, die hier schreiben keine Gefahr ausgeht. Gewiss, etwas „Dampf“ wird hier schon abgelassen, aber eine echte Gefahr für das System sind wir nicht, in deren Augen. Und da wir in der Regel noch für unser Brot sorgen müssen und darum unsere Steuern pünktlich zu Zahlen, hätten wir auch gar keine Zeit für so einen Unfug, wie er auf Instagram unterwegs ist. Und ehrlich, wer von den Kommentaristen hier im Forum käme auf die Idee jemanden… Mehr
Irgendwie geht man hier noch immer davon aus, dass der arme Durchschnittsbürger es nur „nicht besser weiß“ und von uns erleuchtet werden müsste. Da muss ich sie enttäuschen. Der Durchschnittsbürger WILL es weder wissen noch glauben. Es ist so als ob man in Mittelalter Menschen erzählt, dass die Erde keine Scheibe ist und es anderen Planeten gibt: Selbst mit stichhaltigen Beweisen, verfrachten sie dich dennoch auf dem Scheiterhaufen. Der Durchschnittsbürger ist so verblödet im Deutschland, dass er nichts mehr kann außer essen, trinken, schlafen, arbeiten und spielen. Solche Leute sind geistig nicht in der Lage alles in Frage zu stellen,… Mehr
„Der Durchschnittsbürger ist so verblödet im Deutschland, dass er nichts mehr kann außer essen, trinken, schlafen, arbeiten und spielen. Solche Leute sind geistig nicht in der Lage alles in Frage zu stellen, weshalb sie auch oft wütend werden, wenn man sie drauf anspricht.“
Da helfen meistens die einfachsten Vergleiche oder Beispiele nicht, es sind geistige Gefangene ihrer Erziehung.
Die Zeit etwas tun zu können ist leider vorbei. Das Unheil wird seinen Lauf nehmen wie schon einmal und zu einem bitteren Finale führen, und die Folgen haben wir zu ertragen. Sie abzuwenden steht nicht in unserer Macht. Die Stimmen werden gezählt und nicht gewogen. Bei dem Bildungszustand, den Deutschland zur Zeit hat ist das eine schwere Hypothek. Die Bilanz sähe sicher noch viel schlechter aus, hätten wir nicht eine Auffrischung aus dem Reservoir des vorderen Orients mit Akademikern seit 2015 zu verzeichnen. Das lässt hoffen, finden Sie nicht?
Das mit der Bahnsteigkarte wird ebenso veschwinden wie die tatsache, dass es schon heute keine Untertanen mehr gibt.
Alle laufen nämlich entweder saturiert durch die Gegend oder lassen sich alimentieren.
Kein Wunder also, dass mich meine Nachbarschaft als Kinderhasser ansieht, wenn ich es mir verbitte, dass deren Kinder trotz Vorhandenseins eines sehr großen Spielplatzes in meinem Vorgarten spielen!
Da ist man sehr schnell mal Aussenseiter.
Vom Respekt und einem distinguiertem Lebensstil scheint man nichts mehr wissen zu wollen.
„… nur knapp 4% der CDU/CSU und weniger als 2% der FDP…“
was irrelevant ist, denn die beiden gehören ja auch längst zum rot-grünen Spektrum. Dem Verfasser dieses Artikels muss man selbst den Vorwurf machen, dass er es sich kuschelig macht, indem er sich in Erinnerungen vergräbt. Was nützt es, wenn die CDU mal eine konservative Partei war, es aber nicht mehr ist und auch wohl nie wieder sein kann!