Aldous Huxley: Brave New World – Schöne neue Welt

Sein erstes Buch veröffentlichte er 22-jährig, sein bekanntestes mit 38. Insgesamt siebenmal wurde er für den Nobelpreis vorgeschlagen. 1937 nach Kalifornien ausgewandert, nutzte er fast sein gesamtes Einkommen als Drehbuchautor, um Bedrängten des Nazi-Regimes die Flucht zu ermöglichen

Ganz so weit sind wir noch nicht. Noch wird der Nachwuchs nicht in Flaschen herangezogen. Und noch sind nicht ausnahmslos alle glücklich mit ihrem Schicksal. Noch leben wir nicht in der von Huxley im Jahr 1932 beschriebenen „brave new world“, in der Krankheit und Altern ausgerottet sind, die Menschen die Merkmale ihrer schnöden Biologie abgestreift haben, alle der Weisheit des großen Ford vertrauen und glücklich in ihrer jeweiligen Kollektividentität verharren, auch wenn die nicht jeweils L, B, T oder Q oder T heißt, sondern von Alpha bis Epsilon geht. Und doch kommt einem einiges irgendwie verdammt vertraut vor.

Die deutsche Übersetzung des Buchs erschien 1933 und geriet prompt auf die Liste der unerwünschten Bücher. Was hat die NSDAP an Huxleys Buch gestört? Dass das Dritte Reich die Versprechungen der schönen neuen Welt nicht würde halten können? Oder hatten die Missbilligenden das Buch so gelesen, wie es gar nicht gemeint war: als Dystopie, nicht als Utopie? Oder … weil die deutsche Mutter, deren Gebärbereitschaft unter Hitler ja gefordert war, die Geschichte als die einer Befreiung hätte verstehen können?

In der schönen neuen Welt sind die Frauen schwanger- und mutterschaftlos: Fertilität stört und ist unappetitlich. Neue Menschen werden in keimfreien Fabriken hergestellt. Lebend gebärende Mütter sind Schweinkram, ebenso Familie und „Daheim“. Das ist nichts weiter als ein düsteres, stinkendes Gefängnis, ein Karnickelbau, ein Misthaufen im Dampf der Emotionen, mit einem Mann, einer immer wieder schwangeren Frau und einer Brut Kinder. Eine Welt voller Väter, also voller Leid, und voller Mütter, also voller Perversionen, Wahn und Suizid. Und dann noch mit romantischer Liebe, die nur unglücklich macht.

„Who controls the past, controls the future.“
Eine Vision, die immer realer wird: »1984« von George Orwell
Dem neuen Menschen aber sollen Emotionen erspart bleiben – dafür hat er Sex, von Kindesbeinen an, mit ständig wechselnden Partnern: „Grundstufensex und Grundklassenbewusstsein“. Er darf, ja er muss shoppen, bis der Arzt kommt – und bei kleinen Anfällen von Unfrohsein gibt es die Droge „Soma“. Was ist schon Freiheit? „Die Freiheit, unfähig und unglücklich zu sein. Die Freiheit, ein Störfaktor zu sein.“

Noch sind für die Menschenproduktion weibliche Eier und männliche Samen vonnöten, doch die Embryos werden schon im frühesten Stadium für ihre künftige gesellschaftliche Rolle programmiert. Aus einem befruchteten Ei können bis zu 96 eineiige Zwillinge herangezogen werden, die zu Wesen heranwachsen, die ideal für die Verrichtung niedriger Tätigkeiten sind, wofür man keine Intelligenz braucht. Dennoch: Epsilons werden gebraucht und respektiert, sie sind mit ihrer Rolle zufrieden und glücklich.

Bücher und Natur meiden

Darauf kommt es an, aufs Glücklichsein, weshalb den nur wenig ranghöheren Deltas frühzeitig beigebracht wird, Bücher und Natur zu meiden, denn das verwirrt und mindert das Glücksgefühl. Nur die Alphas und Betas, die beiden höchsten Kasten, haben ein wenig mehr Spielraum. Allerdings wird nicht gern gesehen, wenn man Sex zu häufig mit der einen oder dem anderen hat.

Auf dem Weg zum Glück aller waren in der Vergangenheit Opfer nötig: Der Mensch alten Schlages und seine fatalen Sehnsüchte mussten ausgerottet werden. In London starben vor dem British Museum zweitausend Kulturfans im Senfgas, Anthraxbomben detonierten in den Prachtstraßen von Berlin und Paris. Museen wurden geschlossen, historische Denkmäler gesprengt und alle vor dem Stichtag veröffentlichten Bücher verbannt, streng nach dem Herrn und Meister: „History is bunk“ (Originalzitat von Henry Ford).

Doch das große Aufräumen ist lange her. Gewalt gibt es in der neuen Welt nicht mehr, dagegen sind alle Menschen konditioniert, denn welchen Grund gäbe es für Gewalt? Im Fall des Missfallens gibt es Soma, das „sämtliche Vorzüge des Christentums und des Alkohols“ aufweist – ohne deren Nachteile. Zur Entspannung gibt es Tanzabende in der Westminster Abbey und „Solidaritätsmessen“ genannte Orgien. Die Nebenfolgen des Alterns sind abgeschafft, der Tod ein sanftes Hinüberdämmern im Somarausch. Alles ist gut.

Schon deshalb sind Kunst und Wissenschaft verpönt, sie stehen dem Glück entgegen und sind nur einer kleinen Gruppe von Außenseitern erlaubt, Menschen, die sich ihrer Individualität zu sehr bewusst sind, um in die Gesellschaft zu passen. Ab mit ihnen auf ferne Inseln, denn, wer weiß, ihr Eigensinn könnte doch irgendwann noch einmal nützlich sein.

Manche Tiere sind gleicher als andere
Mit Orwell im Schweinsgalopp zurück in die Sowjetunion
Der neue Mensch ist kein Unmensch. Dem alten Menschen hat man ein Reservat gelassen, 560.000 Quadratkilometer, umgeben von einem Hochspannungszaun mit 60.000 Volt. Besucher dürfen rein, Insassen nicht raus. Hier lebt der Mensch in seiner ganzen Primitivität, wird geboren, stirbt, in einer Welt voller Ahnenkult, unter wilden Tieren und mit ansteckenden Krankheiten, in feindlicher Natur, ohne in den Somarausch entkommen zu können. Wilde, die man wie im Zoo besuchen und bestaunen kann.

Bei einem solchen Besuch begegnen Bernard und Lenina dem klassischen edlen Wilden – John, Sohn einer bei einem früheren Besuch zurückgelassenen Frau aus der neuen Welt. John, der Lesen, Schreiben und Sprechen mithilfe zurückgelassener Bücher von Shakespeare gelernt hat, wird als Trophäe in die neue Welt mitgenommen und ausgestellt. Dieser Clash of Cultures geht, wie man sich denken kann, nicht gut aus. Der Wilde versteht das schöne Leben nicht, er will keinen Komfort, keinen Sex ohne Liebe. Er will Gott und Dichtung, reale Gefahren und Freiheit. Er will Sünde. Und das Recht darauf, zu altern, zu erkranken, Schmerzen zu erleiden. Lieber erhängt er sich.

Kontrolle über Panikmache

Versteht so viel heroische Leidensfähigkeit noch einer in Zeiten wie diesen, in denen nur eines zu gelten scheint: Sicherheit und Gesundheit? Das wäre immerhin ein aktueller Bezug: Freiheit ist derzeit zu etwas Verzichtbarem geworden, zu etwas, was die Regierung wegnehmen und bei Wohlverhalten dosiert „gewähren“ kann. Das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Gewerbefreiheit, das Recht auf Unverletzlichkeit der Privatsphäre, Grundrechte also gegen den Eingriff des Staates, werden von einer „alternativlosen“ Regierung kassiert, ohne dass sich massenhafter Protest regt.

Panik kontrolliert die Menschen offenbar nicht weniger gut als Konditionierung im Kindesalter. Und nein, Gewalt ist da eher nicht im Spiel, Framing und Nudging, also Sprachpolitik und freundliche Überredung, reichen völlig aus, um Menschen gefügig zu machen.

Wider die Hysteriker
»Die Normalen halten den Laden am Laufen«
Statt über und für Freiheit zu streiten, wird gegen die schnöde Natur des Menschen gekämpft, ein Kampf gegen die Biologie, der in der schönen neuen Welt bereits gewonnen ist. Hierzulande wird noch geübt, doch Erfolge sind schon zu verzeichnen: Heterosexualität, heißt es, sei ein Konstrukt, die Zeugung eines Menschen aus männlichem Samen und weiblichem Ei also offenbar auch. Schweinkram eben! Es soll „woke“ Frauen geben, die sich bereits dazu bekennen, auf Kinder ihrer Klimaschädlichkeit wegen zu verzichten.

Der grassierende Puritanismus ist sexbesessen und verklemmt zugleich. Nun soll nicht mehr von Frauen gesprochen werden, sondern von „Menschen, die menstruieren“, weil den Frauen, die als Männer geboren wurden, die entsprechenden Vorrichtungen dafür fehlen. Worte wie Muttermilch kommen auf den Index, es soll von „Menschenmilch“ gesprochen werden, empfiehlt man in den Unikliniken von Sussex und Brighton, oder, besonders hübsch, von „Milch des stillenden Elternteils“. In Australien möchte ein „Gender Institute“, dass man statt Mutter „austragendes Elternteil“ und statt Vater „nicht gebärendes Elternteil“ sagt.

Bedeutet das jetzt die Abschaffung von Mann und Frau, weil man schließlich auf Personen Rücksicht nehmen sollte, die sich nicht „binär“ identifizieren? So weit ist es noch nicht, es gibt sie noch, die Heterosexuellen, die sich gegen ihre Abschaffung sträuben. Es sei denn, man verspräche ihnen Glück ohne Ende.

Der Roman von Huxley zeigt den Weg aus dem Dilemma. Der Verwirrung um Geschlechtsidentitäten wäre schnell ein Ende gesetzt, wenn man sich für die Menschenzüchtung in der Retorte entschiede – schon, um allen das Kinderkriegen zu ermöglichen, denen die Natur dies versagt hat. Nur edle Wilde träumen von Gefahr und Freiheit. Alle anderen ziehen Sicherheit und Impftermin vor.

Aldous Huxley, Schöne neue Welt. Ein Roman der Zukunft. Hörbuch, gelesen von Matthias Brandt, Der Hörverlag, 6 CDs, Laufzeit 8 Std., 19,99 €


Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>>

Unterstützung
oder

Kommentare ( 16 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

16 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Lizzard04
3 Jahre her

Prima Artikel, oder sollte ich „dringende Warnung“ sagen. Bei Betrachtung der Entwicklung der vergangenen zwei Jahre fragt man sich immer öfter, welche aus der Literatur bekannte Dystopie durch die Politik hier gerade „aufgeführt“ (umgesetzt) wird, ohne dass die Mehrheit der Leute merkt, was vorgeht, wie ihnen immer mehr Grundrechte vermutlich auf Dauer verweigert werden. Nach der Wahl werden neue Verbote den alten hinzugefügt. Das dürfte klar sein. Aber über 80 Prozent der Wahltrottel glauben noch immer denen, die sie schon seit Jahren belügen und betrügen (Stichwort Steuern und Abgaben und Transferunion). Es muss einem spei übel werden! Respekt an den… Mehr

Kassandra
3 Jahre her

Ja. Soma ist der neuen wef-Welt nicht von Nöten. https://de.technocracy.news/the-great-human-reset-merging-man-and-machine/
Das Buch ist allerdings von der Person Huxleys zu trennen! Und mit der Kandidatin wie mit der Vorgängerin in einen Satz zu pressen nicht genehmigt!
Denn die sind nur Rädchen im Getriebe. Austauschbar zudem.

Last edited 3 Jahre her by Kassandra
Kassandra
3 Jahre her

Ich glaube auch, dass das welche waren, die tatsächlich konsequent bis zum Ende denken konnten. Und sich das auch trauten, ohne den Blick vorher abzuwenden.

Ruediger
3 Jahre her

Was haben „1984“ und „Schöne neue Welt“ gemeinsam? Meiner Ansicht nach die Zerstörung der traditionellen Gesellschaft. Keine Familie, keine Religion, keine Wurzeln, kein Vaterland, keine Freundschaften, keine Tugenden, keine persönlichen Freiräume, kein Individualismus, Abschaffung von Verbundenheit in welcher Beziehung/Form auch immer. Dafür Ablenkung in Form von sofortiger Bedürfnisbefriedigung, Konsum, Sex und Drogen oder auf der anderen Seite permanente Überwachung durch Teleschirme, Mangelversorgung, Angstregime, den täglichen zwei Minuten Hass, Krieg, Geschichtsanpassung, das Denken einschränkende Neusprech. Und natürlich sind beide dystopische Gesellschaften hierarchisch gegliedert. so, und wir haben google und soziale netzwerke, smartphones, gendersprache und pc sprache, klimakatastrophe, pandemien und weitere weltuntergangsorgien,… Mehr

Aegnor
3 Jahre her

Ein schönes Buch. Mir ist als Schüler allerdings immer schwer gefallen zu erkennen, warum es eine Dystopie beschreibt. Ist doch schön – alle Menschen sind glücklich. Gab ja auch viele die Huxley unterstellten, er hätte in Wahrheit eine Utopie beschreiben wollen. Im Buch wie heute in der Realität ist es natürlich der Zwang zur Konformität der das Totalitäre ausmacht. Ich finde auch den Vergleich zu 1984 sehr interessant. Dort werden die Menschen unterdrückt indem man sie arm und unglücklich hält und selbst Unschuldige per Zufallsprinzip mit Gewalt beseitigt werden. Das halte ich langfristig für unrealistisch. Der Weg bei Huxley erscheint… Mehr

bkkopp
3 Jahre her

Sie haben die “ Bilderberger“ vergessen. Spahn will bestimmt nichts anderes als seine nicht unerheblichen Immobilienkredite bis zum Rentenalter getilgt zu haben – und dann mit einem inflationssicheren Jahreseinkommen von mehr als € 300 Tsd. die letzten 10-20 Jahre seines Lebens verbringen.

EinBuerger
3 Jahre her

Als ich das Buch in der Schule las, dachte ich, dass das eigentlich eine sehr schöne Welt zum Leben sei. Selbst wenn ich die Klos putzen müsste, wäre ich glücklich, weil mir ja die ganze Nacht über gesagt wird, wie gut es mir als Epsilon geht. Wenn Greta, Luise Neubauer und Co zufrieden und glücklich wären, würden sie nicht mit aller Kraft für oder gegen das Klima kämpfen. In Huxley’s Welt gäbe es kein FFF, kein BLM, kein „Enteignet irgendwen“, keine Linksgrünen und somit auch keinen linksgrünen Hass, keine Aktivisten. Ich glaube, wenn ich in diese Welt reingeboren wäre, würde… Mehr

Auswanderer
3 Jahre her

Gerade dachte ich, dass wir doch schon in der Welt der SciFi-Filme leben! Gutes Beispiel: Divergent, wo die Hexe zum Schluss Gott-sei-Dank das zeitliche durch Gewalt segnet! Da gab es auch verschiedene Klassen von Menschen! Und kurz danach meinte ich mal bei TE reinzuschauen und da kommt dieser Bericht! Passt!

Andreas aus E.
3 Jahre her

Manchmal denke ich, daß diese Autoren der Dystopien keine hellsichtigen Mahner gewesen sind, sondern so richtig fiese Misanthropen.
Warum?
Weil die rezenter Politikergeneration quasi Bedienungsanleitungen geschrieben haben.

Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Es gibt immer wieder Autoren, die ihrer Zeit voraus sind. Huxley gehört dazu, Orwell, Jules Verne, aber auch der Autor von „Matrix“. Hoffentlich nicht der von „Terminator“, hoffentlich nicht H.G. Wells, hoffentlich nicht Ray Bradbury, hoffentlich nicht Johannes mit seiner Offenbarung.

Nur eines ist sicher. Ganz viele Berufsschreiber im heutigen Deutschland sind ihrer Zeit weder voraus noch hinterher. Von den Autoren der FAZ über Robert Habeck bis zu den Drehbuchautoren des „Tatorts“.

KoelnerJeck
3 Jahre her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Bei „Matrix“ denke ich sodann an das Höhlengleichnis von Platon.

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  KoelnerJeck

Danke für den Vergleich. Ich bin gestern 2 Akademikern wieder begegnet, mit denen ich lange keinen Kontakt hatte. Glücklicherweise war noch jemand dabei, der das Gespräch führte, so dass ich nichts sagen musste. Überdeutlich wurde mir beim Beobachten des Gesprächs, wie gefangen diese Menschen im propagandistischen Gespinst sind, an das sie unbedingt und zweifellos glauben. Zarte Anregungen, über das hinaus zu denken, werden rigoros und mit großer Strenge abgewehrt. Beim Abschied sagte die eine, dass sie sich am schönen Sommerwetter freue aber auf weiteren Regen hoffe, da der Grundwasserspiegel unbedingt aufgefüllt werden müsse. Da fehlt doch jegliches Gottvertrauen – von… Mehr