Aus der Mediathek gelöscht, Staatsanwälte ermitteln, das Kanzleramt antwortet auf eine Unterwerfungsgeste nicht, für die Kanzlerin ist Jan Böhmermann mal wieder nicht hilfreich, und der nimmt heute Abend sein Abo auf den Grimmepreis nicht entgegen. Was darf Satire?
Ein Naturrecht hat die Satire auf den ganzen Erdball. Denn die krasse Realität fordert sie geradezu heraus. Gelingt der Satire ein Volltreffer wie jüngst dem Satiriker Böhmermann in seinem Lied über Erdogan, den grausamen Sultan der türkischen Republik, regen sich sofort Leute wie Frau Merkel auf und distanzieren sich von dem Satiriker.
Wie es Tucholsky ins deutsche Fernsehen schafft
Fernsehmoderatorinnen formulieren salbungsvolle Sätze, Tucholskyzitate einschließlich. Sogar Staatsanwälte treten sogleich in Aktion, die Presse wirft die Frage auf: Muss Böhmermann das ZDF verlassen? Ist er noch zu halten? Man kann sich gut vorstellen, dass Leute wie Gauck oder Herr Kauder jetzt ernsthaft ein Stündchen ihrer Laufbahn – sagen wir bei einem feinen Tropfen – über die Grenzen der Satire nachdenken. Auch Gabriel und Frau Claudia Roth werden sich vermutlich kurz den Kopf zerbrechen darüber: Ging Böhmermann nicht doch zu weit? Ist Obszönität reine Geschmacksache? Sagen sie nicht auch in einem normalen Tatort schon immerzu überall ficken? „Fick dich selbst“. In diesem stinknormalen Kontext ist das Wort „Ziegenficker“ im Erdogan-Gedicht Jan Böhmermanns gut zu verstehen.
Kurz, wenn ganz normale Bürger sozusagen plötzlich über Satire reden und die Freiheiten dazu, dann ist das ein Sonntag für alle Satiriker der Republik und ein Trost für die von Erdogan eingesperrten und unterdrückten Journalisten. Dank, vielen Dank an Böhmermann, werden sie dort im türkischen Knast ein wenig jubeln …
Interessant daran ist auch, dass jedermann weiß, was dieser Erdogan verbricht, wie obszön er handelt, wie unerträglich seine Dummheit ist, jetzt aber, da einer wie Böhmermann die allgemeine Duckmäuserei und Verlogenheit gegenüber diesem Unmenschen so krass empfand, sein Leid in seinem Lied entbindend, wie man früher sagte, jetzt sind die Leute, auch die Journalisten und nationalen Würdenträger plötzlich platt, dass er diese Krassheit in seinem garstig‘ Lied, – übrigens sehr schön gesungen – , noch übertreiben, übertreffen muss, um den Gesetzen der poetischen Gerechtigkeit zu genügen.
Es ist nicht schön oder lustig, aber man darf es
Und Böhmermanns Vorstellungen vom Privatleben eines Unmenschen, wie Erdogan einer ist, – wie gesagt, jeder weiß es, – sind wirklich von der schändlichsten und sehr sehr bösen Art. Er scheut nicht vom Äußersten zurück und geht so mimetisch genau auf unsere niederste Sprachrealität. Das Gedicht spricht Klartext wie der Mistbauer, wie der Jungspunt oder der Maurer in der Mittagspause. Oder wie alle die, wie der Volksmund sagt: einmal die „Schnauze voll“ haben. Nicht sehr fein. Nein, schon sehr obszön. Der junge Sänger mit der süßen Schlägermütze berichtet ausdrücklich davon, dass der Text nicht von ihm ist, singt dann aber prompt diesen Erdogan als „dumme Sau“ an, der „Kinderpornos schaut“. Unsäglich tief schlendert das Gedicht unter der sog. Gürtellinie herum. Eben in den Kaldaunen eines Gewaltherrschers. Mit der poetischen Erlaubnis, die reale Obszönität zu toppen und zu zitieren.
Im Deutschen sagt man zu jedem, der einem nicht passt, gewöhnlich: „ein Arschloch“. Nicht fein, aber wahr, so rechtfertigt man das seit langem. Sogar die höchsten Staatsbeamten, ja sogar Chefärzte kennen und pflegen diesen Ausdruck oft mehrmals am Tag. Die Türken aber wollen sich beleidigt stellen, wenn Böhmermann ihren Häuptling mit einer obszönen Redensart charakterisiert? Wieso denn das? Böhmermann ist doch nicht Sarrazin, verehrte Deutschtürkinnen und Deutschtürken. Ein ganz anderes Thema, nicht zu verwechseln.
Fahrradweg statt Gosse
Natürlich, Böhmermann ist kein Snob, auch wenn er so aussehen mag, er gebraucht mit Wonne die niederste Art der Volkssprache, früher sagte man Gossenjargon dazu, (aber das Wort Gosse ist leider bereits ausgestorben. Es gibt keine Gosse mehr, nein: alles Fahrradwege heute.) Und in der Tat, wenn wir sehen, welchen Schmierencharakter dieser Erdogan abgibt, wenn er hier in Deutschland – als Gast nota bene – voll auf die ideologische Tube drückt und seine Deutschtürken hier in seinen schrecklichen Wahlkampf hinein hetzt – was traut man einem solchen unverschämten Typ in seinem Größenwahn nicht alles zu?
Böse Fantasien schweben dem empfindsamen Satiriker Böhmermann im Kopf herum, wenn er an Erdogans Auftreten denkt. Seine brave Frau steht mit Kopftuch sozusagen wie ein Dekorationsstück meistens neben ihm. Also da kann man schon kotzen müssen. Und wenn die Staatsanwälte jetzt diskutieren: aber sind das nicht Beleidigungen und Beschimpfungen, die unter dem Deckmantel eines sog, Gedichts die Würde des Menschen Erdogan verletzen? Erdogan als Mensch ja, das ist eben das Problem. Aber das kann ein Gericht nicht lösen, ein Gedicht hingegen wenigstens andeuten.
Die Staatsanwälte sollten freilich beachten, dass der Sänger des Schmählieds Jan Böhmermanns hier nicht im Namen oder Auftrag unseres Landes, des ZDF oder gar der Opposition den Menschen Erdogan ansingt, sondern allein den mörderischen Autokraten und Fanatiker meint. Keine einzige Beleidigung der Frisur oder dergleichen kommt vor. Das Gedicht ist rein subjektiv gehalten, es erhebt keinerlei Wahrheitsanspruch. Es erfindet Erdogan sozusagen privat und für die Freizeit und macht ihn so für den einfachen Bürger und modernen Proletarier sichtbarer, ja sehr gut vorstellbar.
Zwar singt der junge Sänger einzig im Auftrag Jan Böhmermanns, des satirischen Kopfes, der es in demselben nicht mehr aushielt, an sich zu halten und nun der Zumutung politischer Wirklichkeit krass respondiert und so das Krasse und die Verlogenheit, mit der unsere Funktionsträger dem Unhold ihr Händchen geben, erst recht deutlich macht. Die Journalisten im Knast der Türkei werden es Böhmermann danken, er hat sie getröstet, auch über ihre Enttäuschung mit der Frau Merkel hinweg, die die Opfer Erdogans, nämlich diese Gefangenen, und auch die terrorisierten und unterdrückten Kurden im Stich lässt, um mit dem politischen Ganoven demokratisch zu liebäugeln. Auch das ist immerhin eine unglaubliche Obszönität.
Unser Autor Wilhelm Setzer war Kabarettist, heute Literaturkritiker, Journalist, und Redenschreiber.
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