1848: Die Frankfurter Paulskirche als „Sargnagel“ für Polens Freiheitsbestrebungen?

Aus der Sicht der Polen weckt 1848 negative Assoziationen, weil die "Paulskirche" nicht nur deren Interessen zuwiderlief, sondern die mühsam aufgebauten deutsch-polnischen Beziehungen zunichte machte.

IMAGO / BildFunkMV
Deutscher und polnischer Adler am Grenzübergang Ahlbeck

„Polen liegt zwischen Russland und Frankreich. Das noch vor Frankreich liegende Deutschland will ich nicht rechnen, weil ein großer Teil der Polen es ungerechterweise als einen breiten Sumpf ansah, den man schnell überspringen müsse, um nach dem gebenedeiten Lande zu gelangen, wo die Sitten am feinsten fabriziert werden“ – schrieb einst Heinrich Heine. Nun ja, ganz so trist, wie es der deutsche Dichterfürst beschrieb, war es damals nicht. Der Wahlfranzose Heine notierte diese Sätze im Jahr 1822, das eher als ein „Hoffnungsanker“ in der deutsch-polnischen Kulturgeschichte betrachtet werden kann. 

Es war der Beginn der polnischen Frühromantik, die durch Adam Mickiewiczs „Ballady i romanse“ [Balladen und Romanzen] eingeleitet wurde und ebenso auf die Inspirationen deutscher Lyriker zurückzuführen ist. Zugleich fanden die polnischen Freiheitsbestrebungen literarischen Niederschlag in der deutschsprachigen Dichtung. Es mag heute etwas eigenartig klingen, aber die gegenseitigen Beziehungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren gar nicht so schlecht, wie es uns derzeit einige Historiker einzureden suchen – trotz der 1772 besiegelten Teilungen Polens.

Es konnte im Übrigen nur schwerlich zu polnischen Anfeindungen gegenüber einem gesamten einheitlichen Deutschland als Besatzungsmacht kommen, wenn es dieses vor 1848 eigentlich nie gegeben hatte. Das alte Heilige Römische Reich war nie ein Nationalstaat gewesen, und hat sich dann ohnehin in Partikularstaaten aufgelöst. Nicht jeder Deutsche trug eine preußische Uniform, die im geteilten Polen ehedem für Furcht und Schrecken sorgte. Im Königreich Württemberg oder Großherzogtum Hessen brachte man den um ihre Freiheit ringenden Polen entsprechende Wertschätzung entgegen.

Die deutsche Nationalbewegung war – ebenso wie die polnische – von vornherein demokratisch ausgerichtet, was die gegenseitigen Sympathiebekundungen in den Jahren der napoleonischen Kriege erklärt. Doch auch noch nach dem Novemberaufstand von 1830/31, der bekanntlich gegen Russland gerichtet war, fand der polnische Unabhängigkeitskampf einen geradezu verherrlichenden Widerhall in der deutschen Literatur (z. B. bei Heinrich Laube). Viele in Russland verfolgte Polen wurden in den deutschen Herzogtümern aufgenommen. Dieses (paradoxerweise in Zeiten preußischer Fremdherrschaft) wohl fruchtbarste Kapitel in der Beziehungsgeschichte beider Länder erinnert nicht nur an den Polen-Enthusiasmus der republikanisch gesinnten deutschen Kulturschaffenden. Die Ereignisse in den polnischen Teilungsgebieten animierten überdies breite Teile der deutschen Bevölkerung zum Kampf für eine eigene demokratische Verfassung.

Nach dem Wiener Kongress von 1815 arbeiteten die Großmächte Preußen und Österreich bekanntermaßen rücksichtsvoll zusammen, gerade um die Machtansprüche der deutschen Nationalbewegung zu unterminieren. Als ein überaus geeignetes Instrument erwies sich dabei der Deutsche Bund, eine lose Vereinigung von 35 Staaten und 4 freien Städten, die von den beiden Imperien geleitet wurde und sich zum primären Ziel setzte, die Machtkonzentration eines anderen Nationalstaats in Mitteleuropa zu vereiteln. Bei der Durchführung der Unterdrückungsmaßnahmen von Presse, Literatur etc. tat sich Preußen übrigens ganz besonders hervor. 

Die Revolution von 1848 war folglich eine innerdeutsche, nationale Erhebung, die den Versuch darstellte, die Deutschlandregelung der Wiener „Kongressakte“ zu revidieren und den Deutschen Bund durch ein großdeutsches (oder kleindeutsches) Reich zu ersetzen. Diesem, wenn man so will, „ersten“ Deutschen Reich war es dann auch in der Tat vergönnt, ein knappes Jahr lang in der Gestalt der parlamentarischen Frankfurter „Paulskirchenversammlung“ zu existieren. Interessant: Der mit prominenten Kulturschaffenden gespickte „demokratische“ Teil des Parlaments plädierte für eine groß angelegte Offensive gegen Russland mit dem Ziel der Befreiung Polens.

Nach 1848 wandelte sich die Annäherung der deutschen und polnischen Nationalbewegung leider in ein Konkurrenzverhältnis. Trotz der vorherigen unverkennbaren Sympathien für die republikanisch-demokratischen Ambitionen Polens, stimmte die Paulskirchenversammlung nach langer Debatte schließlich für die Eingliederung der vor 1772 polnischen Gebiete in das künftige Deutschland. Die fruchtbare Begegnung zwischen Deutschen und Polen sollte also durch das Frankfurter Parlament einen jähen Abbruch erfahren. Die Präsidialmächte des Deutschen Bundes führten die bis dahin bereits sattsam bekannte Politik auf polnischem Gebiet fort. Die Erhebungen in Krakau (1846) und Posen (1848) machten dem deutschen Bürgertum bewusst, dass der polnische Widerstand nicht nur gegen Russland, sondern gleichfalls gegen Österreich und Preußen gerichtet war. Die deutsche Nationalversammlung verstieß mit der Eingliederung Polens nicht nur gegen ihre demokratischen Grundsätze, sondern stimmte ihrer strukturellen Abhängigkeit von Preußen zu. Der Ratschlag der Frankfurter Schriftstellerin Bettina von Arnim, die Fremdherrschaft über die polnischen Territorien aufzugeben, wurde von der preußischen Regierung verworfen. 

Die politische Dominanz über Posen und Großpolen konnte nun einzig mittels Staatsgewalt aufrechterhalten werden. Dies musste unweigerlich zu einem Paradigmenwechsel in der deutschen Ostpolitik führen: Eine zunächst demokratische Bewegung machte einer imperialen Platz. Nachdem Krakau 1846 seinen Status als Stadtrepublik verlor und man 1848 das halbwegs autonome Großherzogtum Posen zur Provinz herabstufte, sollte es noch beinah fünfzehn Jahre dauern, ehe sich erneut eine Erhebung Polens anbahnte. Es gab keinerlei „Sympathiebekundungen“ für die Polen mehr und dies mag auch deren internationale Isolation erklären, als sie 1863 im russischen Teilungsgebiet zu dem sog. Januaraufstand [pl. „powstanie styczniowe“] aufriefen. Auch dieser letzte polnische Befreiungsversuch aus dem Joch der russischen Fremdherrschaft endete mit einer Niederlage. Danach suchte der inzwischen zum preußischen Ministerpräsidenten ernannte Otto von Bismarck den Schulterschluss mit dem Zarenreich. 1866 wurde Posen – trotz unmissverständlichen Aufbegehrens polnischer Abgeordneter – in den Norddeutschen Bund eingegliedert.

Nach der 1871 erfolgten Reichsgründung sahen sich die auf preußischem Boden lebenden Polen weiterhin mit massiven Unterdrückungsmaßnahmen konfrontiert. Bismarck, mittlerweile Reichskanzler, setze einen „Kulturkampf“ in Gang mit frappierend antipolnischer Stoßrichtung. Nach 1886 und der im selben Jahr durchgebrachten Verabschiedung des „Reichsansiedlungsgesetzes“ wurden viele Deutsche rund um Posen angesiedelt, um die Polen auf ihrem eigenen Boden in den Status einer unbedeutenden Minderheit zu rücken. Im Jahr 1894 wurde dort der sog. Deutsche Ostmarkenverein gegründet, der die von Berlin aus gesteuerte Germanisierungspolitik mit besonderem „Fleiß und Eifer“ fortsetzte. Für viele Polen gehören diese Geschehnisse zu den „Früchten“ des Frankfurter Parlaments. Bundespräsident Steinmeier behauptete vor einigen Tagen, die Paulskirche habe noch nicht die nötige Wertschätzung bekommen, die sie vor dem Hintergrund ihrer Geschichte verdient. Stimmt das wirklich? Aus deutscher Sicht vielleicht schon.

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Kommentare ( 13 )

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stets_bemueht
1 Jahr her

Um den Text einzuordnen, Polen fordert mittlerweile über eine Billion Schadensersatz für den zweiten Weltkrieg und ist neben den USA und dem UK der Hauptkriegstreiber in der Ukraine. Dieser Text ist also ein ziemlich dünner Versuch, eine „gewachsene Schuld“ zu attestieren, um diese „Schuld“ dann politisch als auch finanziell zu melken. Allein schon das eingängliche Heine-Zitat zeigt die polnisch-französische Denkschule: Deutschland ist der Sumpf, den es zu überspringen gilt, es soll doch bitteschön auch genau das bleiben. Hoffnungsanker für deutsch-polnische Beziehungen? Nun, nur aus polnischer Sicht. Davon abgesehen herrschten damals die gleichen Denkanstriche wie heute, Polen sind aus russisch besetzten… Mehr

w.k.
1 Jahr her
Antworten an  stets_bemueht

Die größten Feinde Deutschlands, sind nicht in der Ferne zu suchen. Es sind und waren weder Polen noch Französen. Wie jetzt, sitzen die an unseren Tischen, in unseren Ämtern, es sind wir selbst. Alle zig Jahre gerät das Vergangene in die Vergessenheit und man widersteht nicht dem Versuch alles mit Hintern umzuschmeißen, was man aufgebaut hat. Im Schlepptau hinter einem infantilen Kaiser, einem verrückten Maler, oder hinter einer unansehnlichen, mittelmäßigen Jungkommunistin. Wenn man sich die Wahrheit gesteht, geht die Hoffnung auf eine Besserung nicht verloren.

stets_bemueht
1 Jahr her
Antworten an  w.k.

Bezug? „Deutschland will ich nicht rechnen, weil ein großer Teil der Polen es ungerechterweise als einen breiten Sumpf ansah,..“ Selbst Heine als Exilant in Frankreich bemerkte sehr deutlich, daß eine Mehrheit in Polen Deutschland abfällig gegenüberstand, auch wenn die formalen Beziehungen besser waren, als oft betont (laut Autor) Die Gründe, warum in der Paulskirche so entschieden wurde, wurden bereits unter mir ausreichend erläutert, das muss ich nicht wiederholen. Ich sage nur: heutzutage ist es auch nicht anders. Polen bekam die EU- Mitgliedschaft auf dem Silbertablett serviert, auch unter gütiger Mithilfe von Deutschland, forderte und bekam Extrastimmen im Parlament und die… Mehr

Alfons Kuchlbacher
1 Jahr her

Und man überlege, wie sich die Geschichte entwickelt hätte, wenn der 1866er Krieg anders ausgegangen wäre, die Dominanz des „Preußentums“ nicht gekommen wäre. Vielleicht hätte sich Europa so manche Katastrophe erspart. (siehe auch die schöne Alternativ-Geschichte „An den Feuern der Leyermark“ von Carl Amery)

stets_bemueht
1 Jahr her
Antworten an  Alfons Kuchlbacher

Wie die Sache ausgegangen wäre. lässt sich sehr schön an der Gegenwart erahnen. Die dt Flugindustrie wurde, obwohl größer, mit der frz fusioniert, Sitz des Unternehmens in Frankreich, und während in Deutschland zart vom europäischen Konzern gesäuselt wird, promoten die Franzosen ihren Konzern aus Toulouse. Dassault blieb natürlich rein frz und ist keine Bestandsmasse von Airbus. Obwohl der Leopard II weit verbreiteter ist als der Leclerc, sollen beide auf Augenöhe das MGCS bauen, Befürchtungen einer Dominanz Frankreichs werden laut. Hoechst wurde über den Umweg Aventis / Straßburg Richtung Paris verschifft, obwohl sie 90 einen Umsatz von 43 Mrd DM hatten,… Mehr

PrivyLeak
1 Jahr her
Antworten an  Alfons Kuchlbacher

Mal abgesehen davon, daß ich von solcher Spökenkiekerei eigentlich nichts halte: Was in einem Europa geschehen wäre, wo 5 Großmächte – UK, Frankreich, Österreich-Ungarn, Russland und das Osmanische Reich – dicht an dicht und bis an die Zähne bewaffnet einander belauerten und jederzeit bereit waren, dem Nachbarn eins überzuziehen und ein Stück Land zu rauben, das aufstrebende Preußen aber keine militärische Rolle gespielt hätte und in dem die in unterschiedlichen Geschwindigkeiten fortschreitende Industrialisierung zu dramatischen Verschiebungen in den militärischen Kräfteverhältnissen führte, war Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich absehbar: Das Osmanische Reich mußte aus der alten Pentarchie (ohne Preussen) ausscheiden und… Mehr

EinBuerger
1 Jahr her

Man sehe sich die Kurden an. Das Gebiet, in dem sie die Mehrheit sind/waren(?) ist nicht so klein. Auch ihre Gesamtzahl ist nicht so gering. Es würde für einen eigenen Staat reichen. Aber keiner seiner „Nachbarn“ Türkei, Syrien, Iran, Irak möchte einen unabhängigen kurdischen Staat haben. Gleiches galt für Polen bis 1914. Im Grunde hatte Polen Glück, dass es nach 1918 wieder auferstand. (Gut teilweise auch selbstverdient durch seinen Sieg gegen die Sowjets.) 1917/18 besiegte das Deutsche Reich Russland und der eine mächtige Nachbar Polens war geschwächt. Anschließend schlugen die Westmächte das Deutsche Reich und der andere mächtige Nachbar war… Mehr

Hannibal ante portas
1 Jahr her

„Bundespräsident Steinmeier behauptete vor einigen Tagen, die Paulskirche habe noch nicht die nötige Wertschätzung bekommen, die sie vor dem Hintergrund ihrer Geschichte verdient.“ Jedes Regime sucht seine Traditionskette, um seinen Herrschaftsanspruch zu legitimieren. Gerade in Deutschland ist dies eigentlich ein unsinniges Unterfangen. Dafür sind die Brüche einfach viel zu stark. Nur als kleines Beispiel: der Herr Bundespräsident pickt sich für sein Narrativ allein den demokratischen Aspekt von 1848 heraus. den Nationalstaatlichen Teil (Einigkeit und Recht und Freiheit) der Bewegung wird geflissentlich unter den Teppich gekehrt: nur um einmal die territorialen Ansprüche eines 1848er Großdeutschlands ( ja, dieser Begriff wurde nicht… Mehr

PrivyLeak
1 Jahr her

Diese Sicht auf die Frankfurter Nationalversammlung ist sehr eigentümlich, offensichtlich geprägt von einer recht einseitigen, politisch motivierten polnischen Geschichtsschreibung, wenig getrübt durch die realpolitischen Realitäten des 19. Jahrhunderts und in Teilen schlicht falsch. Als Deutscher, der zu 50% von polnischen Preußen abstammt, erlaube ich mir hier eine andere Sicht der Dinge. So gab es ein von Herrn Osinski so genanntes „Reichsansiedlungsgesetz“ schlicht nicht. Er meint vermutlich das „Ansiedlungsgesetz“ von 1886 des Königreichs Preußens als Teil des Deutschen Reichs, dessen Intention aber nicht, wie Herr Osinski vermeint, die „Germanisierung“ der ehemals polnischen Teile Preußens war (in solchen Kategorien dachten die Preußen… Mehr

Digenis Akritas
1 Jahr her

Es gibt eine deutsche Geschichte und es gibt eine polnische Geschichte. Aber keine der jeweiligen Geschichtsschreibungen muss für die andere geschrieben oder gar umgeschrieben werden.
(P.S. Es gab sogar eine Polen-Begeisterung unter russischen Anarchisten, z.B. schwärmte Bakunin von einem freiheitlichen (anti-deutschen wie anti-zaristischen) Pan-Slawismus!)

PackAsPackCan
1 Jahr her

Die Offensive gegen Russland und die Befreiung Polens fanden dann im ersten Weltkrieg statt. Die deutschen und österreichischen Truppen trieben die Russen weit nach Osten zurück, Deutschland und Österreich unterstützten die Wiederherstellung des polnischen Staates, was sich aber innerhalb kürzester Zeit als schwerer Fehler erwies, den Deutschland schließlich mit dem Verlust eines Drittels seines Staatsgebietes bezahlte.

Max und Moritz
1 Jahr her

Ach so, in Posen lebten Deutsche erst seit Bismarck? Wäre mir neu. Aber egal. interessant ist, dass die antideutsche Rhetorik im Großen und Ganzen eigentlich nur von einer Seite kommt. Und zwar von der polnischen „Elite“. Das normale Volk hat mit diesem ganzen Antideutsch eigentlich nicht viel am Hut, ausser sie stammen aus der polnischen Bauernprovinz und hören Radio Maria. Es gibt keine Völker in Europa, welche mehr verbindet als die Deutschen und die Polen, was man schon allein am Anteil der deutsch-polnischen Ehen sieht, welcher den mit Abstand höchsten Anteil gemischter Ehen in Europa darstellt. Tja, das wussten Sie… Mehr

Andreas Koch
1 Jahr her

Interessanter Hintergrund. Bei den heutigen Polen dürften diese Hintergründe leider genauso unbekannt sein, wie bei den meisten Deutschen. Mir hilft es bei der Bewertung und Einordnung unserer Geschichte. So erscheint mir die Einschätzung von James Hawes („Die kürzeste Geschichte Deutschlands“) inzwischen plausibel, das alles Übel und Elend in der jüngeren deutschen Geschichte den „ostelbischen Junkern (preußische Großgrundbesitzer)“ zuzuschreiben ist und die das in römischer Tradition stehende „West-Germanien“ zu preußifizieren suchten. Auch der Eifer vom preußischen Berlin hat sich nicht geändert. Im 19. Jahrhundert Germanisierung und heute Entgermanisierung.