„Es ist Zeit, diesen Migranten-Wahnsinn zu beenden“, schreibt die Londoner Daily Mail. Damit gerät die EU in diesem Sommer in einen doppelten Streßtest. Den Griechenland-Stresstest der EU verhagelt ihr soeben der IWF, indem er die Fehler der Rettungspolitik gnadenlos offenlegt – tilt game over. Den Stresstest in der Migrantenfrage kann die EU ohne eine Änderung des Verhaltens ihrer Mitglieder nicht bestehen. Italien und Frankreich reichen den schwarzen Peter weiter, indem sie die Dublin-Regel sabotieren: Wie gelangen die Flüchtlinge, die in Italien oder Griechenland abladen, bis an den Ärmelkanal? Die mittel- und osteuropäischen Mitglieder wollen am liebsten mit Asylbewerbern, Flüchtlingen und anderen Zuwanderern gar nichts zu tun haben. In der Griechenlandfrage verläuft die Meinungslinie zwischen Nord und Süd, bei der Zuwanderung zwischen Ost und West. Und der dritte Stresstest kann wohl nicht mehr weit hinausgeschoben werden: der Euro. Die EU muss sich zu einer Smart Migration Mission aufraffen.
Tag für Tag durchbrechen Tausende Immigranten bei Calais die Sicherheitszäune und stürmen Nacht für Nacht den Kanal-Tunnel, um an Bord von Lastwagen zu kommen oder auf Züge aufzuspringen. Die Bewohner von Kent kommen auf den verstopften Straßen nirgendwo mehr hin. Familien müssen Ferienpläne auf dem Kontinent streichen. Die Wirtschaft von Kent büßt täglich 1,5 Millionen Einnahmen ein. Weitere Millionen Pfund kosten verlorene Lebensmittel-LKW-Ladungen wegen der Verunreinigung durch eingedrungene Migranten oder Lieferverspätung – höhere Lebensmittelpreise werden erwartet. Die öffentliche Meinung auf der britischen Insel neigt sich angesichts der täglichen Medienbilder in Richtung macht die Grenzen dicht. Die Forderung, den Tunnel nachts zu schließen, gibt es schon. Ihn ganz dicht zu machen, dieses Verlangen ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Die Daily Mail spricht für viele, wenn sie auf ihrer Frontseite fordert: SEND IN THE ARMY.
Der Dschungel bei Calais
Italien und Frankreich, die Spatzen pfeifen es von den Dächern, nehmen keine Fingerabdrücke von Migranten und unterlaufen damit die EU-Regel, wonach im Ankunftsland geprüft werden muss, wer in der EU bleiben darf. Beide Länder reichen den schwarzen Peter einfach weiter. Die französische Gendarmerie verfrachtet ein paar Dutzend Migranten am Stacheldrahtzaun auf Lastwagen, fährt sie ein paar Kilometer ins Landesinnere, von wo sie zu Fuß wieder ins Lager zurückkehren. So wie die nach Afrika zurückgebrachten Bootsflüchtlinge den nächsten Anlauf starten.
Das Migranten-Camp Sangatte in Calais gibt es seit 1999. Die Bilderstrecke der NZZ vermittelt einen Eindruck. Zurzeit harren dort um die 5.000 Menschen unter nicht akzeptablen Bedingungen aus, die bereit sind, ihr Leben beim Sprung auf Eisenbahn und LKWs zu riskieren. Unter sie mischen sich die Schleuser. Nicht wenige der Migranten wollen gar nicht durch ein Asylverfahren, sondern auf den Schwarzmarkt der illegalen Arbeit auf der Insel. Die Grenze zum Menschenhandel ist fließend. Das Camp heißt inzwischen The Jungle, der Dschungel. Jede Woche gibt es einen Toten. Für UKIP-Boss Nigel Farage ist es nur eine Frage der Zeit, bis in diesem Chaos auch britische Urlauber ihr Leben verlieren. LKW-Fahrer befürchten für sich dasselbe, einige wurden physisch bedroht. Die Fahrt durch den Tunnel haben manche Trucker auch schon verweigert.
Der Westbalkan braucht intelligente Antworten
Die meisten Migranten aus Afrika wollen nach Großbritannien, oft der Sprache wegen. Wer vom Balkan kommt, will nach Österreich, Deutschland und die Schweiz – dort gibt es Verwandte oder Bekannte. Das Auswärtige Amt setzt ein Video in den Ländern des Westbalkans ein, um die Leute von ihrem Weg nach Deutschland abzuhalten. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt den Film und sein Vorhaben positiv und macht aufmerksam: „In den Ursprungsländern wächst die Angst vor einem Exodus gut ausgebildeter Arbeitskräfte.“ Die Ströme vom Balkan schwanken stark, wie die Zahlen eines FAZ-Berichtes am Beispiel Kosovo zeigen: „Im ersten Halbjahr 2014 kamen monatlich nie mehr als tausend Asylbewerber aus der früheren serbischen Provinz. Im Januar 2015 waren es dann schon 13.860, im Februar 22.460. Danach gingen die Zahlen wieder genauso schnell zurück, zuletzt auf 1680 Anträge im Juni.“
Eine Smart Migration Mission der EU
Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sind in ihrem Status als berechtigte Asylbewerber weitgehend unumstritten. Dass praktisch alle von überall durch die Asyl-Tür wollen, liegt an den versperrten anderen Möglichkeiten, legal einzuwandern. Insofern ist nichts dringender als neue EU-Regeln und neue Wege für die legale Zuwanderung. Dass die Institutionen diese Notwendigkeit in kurzer Zeit stemmen, wird jeder, der aufmerksam zusieht, bezweifeln. Und doch bleiben nur Wege, die parallel sein müssen, nicht hintereinander:
- Polizeiliche Maßnahmen an den Außengrenzen der EU, die den Spagat zwischen wirksam und menschlich bestehen müssen.
- Aufklärung in den Herkunftsländern über die Möglichkeiten und Restriktionen des Zugangs in die EU, Vermittlung der in der EU gesuchten Fachkräfte.
- Quasi exterritoriale Container-Siedlungen in Nordafrika, welche die EU in Eigenregie betreibt und sichert, lassen sich bei den dortigen Machthabern „kaufen“.
- Gezielte wirtschaftliche Investitionen in Afrika wie auf dem Balkan: Errichtung von Industrie-Zonen zusammen mit EU-Unternehmen, Neubau und/oder Ausbau von Städten in und um solche Wirtschafts-Projekten.
Das ist nichts für die herkömmliche Entwicklungshilfe und andere mehr ausgelatschte als eingefahrene Trampelpfade. Dazu braucht es eine eigene Smart Mission der EU, eine ganz neuer Art. Jeder Euro, der hier investiert wird, spart drei in der Krisen- und Katastrophen-Verwaltung. Und ein solcher entschiedener Schritt jenseits aller EU-Prozeduren, die ewig dauern, kann der europäischen Idee mitten in all dem schrecklichen Durcheinander einen positiven Schwung versetzen. Eine Smart Mission dieser Art liegt im Interesse aller und entspräche den viel beschworenen gemeinsamen Werten. Wer weiß, was so ein Licht darüber hinaus bewirkt.
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