Wir sind Grüne – bitte, bitte wählt uns trotzdem

In Thüringen hat die Habeck-Partei wenig Aussicht auf den Parlamentseinzug, in Sachsen muss sie bangen. Die ehemals Erfolgsverwöhnten versuchen es mit Betteln – und entgrünten Plakaten.

picture alliance/dpa | Hannes P Albert

„Das Land wird sich ändern, und zwar drastisch“, rief die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt im November 2015 in den Parteitagssaal, „und ich sage euch eins: ich freue mich darauf.“ Ihr Satz, den mittlerweile fast jeder von ihr kennt, fiel im sachsen-anhaltischen Halle. Die Grünen beherrschten damals mit ihrer Politik der offenen Grenzen die Schlagzeilen, sie schwammen auf einer Welle freundlicher Medienberichte und durften sich als wahre politische Führungsmacht fühlen, der die CDU-Kanzlerin folgte. Fünf Jahre später saßen sie in der Bundesregierung.

Das Land erlebte seitdem tatsächlich eine drastische Änderung in vielen Bereichen. Dazu gehört auch das rasante Welken der Grünen. Statt wie ehemals den Ton für fast alle anderen anzugeben, stehen sie kurz davor, bei der Landtagswahl in Göring-Eckardts Heimatland Thüringen am 1. September aus dem Landtag zu fliegen. Die jüngsten Umfragen taxieren sie gerade noch bei 3 Prozent. Nicht viel besser sieht es in Sachsen aus: dort hält sich die Partei zwar noch oberhalb der Fünfprozent-Hürde, aber nur knapp. Ein grüner Parlamentseinzug wäre dort schon ein großer Erfolg, in Thüringen dagegen ein Wunder. Das zwingt die Truppe mit dem Anspruch, ein ganzes Land umzukrempeln, zu einer ganz neuen Bescheidenheit nach dem Motto: „Wir sind Grüne, bitte wählt uns trotzdem“. In Thüringen versuchen es die Grünen, mit einem demütigenden Betteln um Wählerstimmen doch noch über die Fünfprozent-Hürde zu klettern. Die ausgegebene Losung dafür lautet: „Taktisch wählen, aber klug.“ Nach der Argumentation, die Göring-Eckardt und andere vortragen, würde der Wiedereinzug der Grünen in Erfurt eine „Blockademehrheit“ der AfD von einem Drittel der Sitze verhindern. Außerdem könnte dann die AfD nicht von der Aufteilung der rechnerischen Sitze profitieren, die unter den Landtagsfraktionen zusätzlich vergeben würden, wenn die Grünen scheitern.

— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) August 10, 2024

Mit dieser Argumentation führen die Grünen die Wähler gleich mehrfach in die Irre. Erstens gibt es gar keine „Blockademehrheit“ von einem Drittel der Sitze. Eine Verfassungsänderung ohne AfD wäre dann nicht mehr möglich. Nur: mit einer „Blockade“ hätte das nichts zu tun. Außerdem sieht die Forschungsgruppe Wahlen in einer Erhebung für das ZDF, durchgeführt vom 5. bis 8. August, die AfD in Thüringen bei 30 Prozent. Da nach der gleichen Umfrage insgesamt 10,5 Prozent der Stimmen auf Parteien entfallen, die an der Fünfprozent-Linie scheitern, bekäme die AfD in jedem Fall ein Drittel der Mandate in Thüringen – egal, ob es die Grünen einziehen oder nicht. Von Zusatzmandaten durch das Scheitern anderer Parteien profitieren außerdem alle Fraktionen, die in den Landtag kommen, nicht nur die AfD. Bemerkenswert wirkt, dass die Grünen in ihrer Kampagne weitgehend auf politische Inhalte verzichten, sondern nur noch um Stimmen mit dem Argument werben, die AfD dürfe nicht zu mächtig werden.

Wie stark die Verzweiflung grüne Politiker umtreibt, zeigt auch der Versuch, die vom Bund geförderte Sanierung des Kyffhäuser-Denkmals wenige Tage vor der Wahl noch zum Antifa-Projekt umzuetikettieren. Die Koalition in Berlin, so verkündete der grüne Bundestagsfraktions-Vize Andreas Audretsch, stelle 10 Millionen Euro bereit, um zu verhindern, dass das Kyffhäuser-Denkmal zum „rechtsextremen Wallfahrtsort“ wird.

In Wirklichkeit fließen die 9,8 Millionen Euro im Rahmen des Bundesprogramms „KulturInvest“ vor allem für die Sanierung Denkmals, außerdem in ein „europäisches Bildungs- und Kulturzentrum“. Da es sich bei Berg und Denkmal um öffentlich zugängliche Orte handelt, stellt sich die Frage, wie Audretsch in Zukunft Rechtsextreme mit Einsatz der Euro-Millionen am Kommen hindern will – und vor allem, woran er in Zukunft die politischen Ansichten von Touristen erkennt.

In Sachsen konzentrieren sich die Grünen ganz darauf, wenigstens ihr Kernklientel in der Großstadt an die Urne zu bewegen. Am 30. August kommt Wirtschaftsminister Robert Habeck ins Dresdner Rundkino an der Prager Straße, um sich Fragen zu stellen, die – wie bei solchen Veranstaltungen üblich – vor allem von den eigenen Anhängern kommen dürften.

Bei ihrem flächendeckenden Kampf gegen das außerparlamentarische Schicksal versucht seine Partei ihr Glück mit einer Art politischer Mimikry: Auf manchen Plakaten fehlt plötzlich das wichtigste Erkennungsmerkmal, nämlich die grüne Grundfarbe. Stattdessen kommen manche Poster in ungewohntem Gelb daher.

Alexander Wendt

Auf anderen Plakaten fällt vor allem der Name des Bewerbers groß in Auge, der Parteiname steht gut verborgen ganz unten wie eine Fußnote.

In allen Äußerungen aus der grünen Partei kurz vor der Entscheidung im Osten findet sich eins allerdings garantiert nicht: die Frage, warum die ehemals vor Selbstbewusstsein strotzende politische Kraft um ihr nacktes Überleben kämpfen muss. Auch der Haustür-Wahlkampf, den Katrin Göring-Eckardt in Thüringen betreibt, scheint bisher wenig zu fruchten. Die „Süddeutsche“, die die Parlaments-Vizepräsidentin auf ihrer Leidenstour begleitete, notierte in ihrer Reportage: „Die Menschen pöbeln, zerreißen Flyer vor ihren Augen.“ Die Überschrift des Dramoletts: „Der Hass hinter den Haustüren“.

Damit entspricht das Münchner Blatt ziemlich genau der grünen Selbstwahrnehmung. Wenn nur noch drei oder in Sachsen geringfügig mehr als fünf Prozent der Wähler die Grünen im Parlament sehen wollen, dann liegt es an den Wählern. Und nicht an der Migrations- und Wirtschaftspolitik der Grünen, die im Osten Belastungsgrenzen sehr viel eher erreicht und überschritten hatte als in vielen westdeutschen Gegenden. Nicht daran, dass Göring-Eckardt als prominenteste Ost-Grüne sich wie wenige sonst als Lautsprecherin für die Corona-Impfpflicht betätigt hatte. Und auch nicht an ihrem Wunsch nach drastischer Gesellschaftsveränderung, der gerade im Osten nicht nur auf eine Ablehnung stößt, sondern auch eine heftigere Gegenreaktion hervorruft als vielerorts m Westen. Für den Fall, dass am 1. September auch die Bettelstimmenkampagne nicht reichen sollte, steht also die Erklärung schon fest: Schuld an der grünen Misere ist das Ressentiment der Ostdeutschen.

Aber vorher möchte man noch schnell ein paar Stimmen von ihnen.

Anzeige

Unterstützung
oder