Wie Totalitarismus beginnt

Wer sich vor dem kommenden Faschismus warnen lassen will, findet reiche Auswahl. Um sich über die beschleunigte Drift in autoritäre Gesellschaften zu informieren, muss man nach Südamerika schauen – und von dort wieder zurück in den Westen – zu den Freunden der Demokratiefeinde.

Allen, die sich aus welcher Perspektive auch immer auf eine kommende Rechtsdiktatur vorbereiten möchten, steht eine kaum überschaubare Fülle an Büchern und Zeitschriftenartikeln zur Verfügung, dazu Filme eines im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gepflegten dystopischen Spezialgenres, die in einem Höckistan-Deutschland spielen. Auf dem Spiegel-Titelblatt vernichtete schon ab 2016 ff ein rasender Trump die Welt, wie wir sie kennen. In der aktuellen Ausgabe des Magazins mit dem scharfen Narrativblick übernimmt Trump die Rolle des Paten für den internationalen Faschismus.

Ein Pendant dazu, eine linksautoritäre oder linkstotalitäre Dystopie gibt es nicht. Nicht als Honecker -Roman („Er war nie weg“), nicht als ZDF-Fernsehspiel, nicht als illustrierte Geschichte aus der Erregungsspitze 1 in Hamburg über die heimlichen Stalins. Das könnte daran liegen, dass die Wegbeschreibung zu einer diktatorischen Welt der Progressiven die Phantasie der Buch-, Film- und Medienmacher einfach nicht angemessen herausfordert. Denn sie bräuchten in weiten Teilen einfach nur darzustellen, was ist. Und dazu müssten sie keine großen Exkursionen unternehmen. Das Material fänden sie auf ihrem ureigenen geistigen Terrain.

Nichts bedroht weltweit Bürgergesellschaften so stark wie neolinkes Machtstreben in verschiedenen Stadien: als Plan, Teilverwirklichung oder schon längst real existierende Praxis. Der kleine Überblick soll deshalb nicht in Deutschland beginnen, sondern in Ländern, die schon auf ein größeres Stück Fortschritt zurückblicken.

Wer kennt den Politiker, auf den folgende Beschreibung passt? Er schaffte es, seine Partei, hervorgegangen aus der alten politischen Kraft seines Landes, völlig auf seine Person zuzuschneiden; bezeichnete sich selbst schon in seiner ersten Wahlkampagne als Erlöser und verglich sich mit Jesus Christus. Als er eine Niederlage erlitt, weigerte er sich, das Wahlergebnis anzuerkennen, bezeichnete sich als „legitimen Präsidenten“ und reklamierte Wahlbetrug, allerdings ohne Beweise. Schließlich gewann er eine Wahl, wenn auch nur knapp. Die letzte Amtszeit seiner Präsidentschaft, nach der er nicht erneut kandidieren durfte, nutzte er dafür, ein System zu installieren, das es ihm erlaubt, seine Nachfolger nach Belieben zu steuern. Niemand zweifelt daran, dass er auch heute das Land souverän beherrscht. Die Rede ist von Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO, der Mexiko mit seiner Morena-Bewegung zu einer linken Diktatur umformte, obwohl es noch Oppositionsparteien und einige regierungsferne Medien gibt.

Zwar existiert kein unmittelbarer staatlicher Repressionsapparat, allerdings arrangierte sich Obrador mit den kriminellen Kartellen des Landes. Ihnen gegenüber betrieb er eine Politik der „Umarmung“. Während seiner Amtszeit kamen 186.000 Mexikaner durch paramilitärische Gruppen ums Leben – und es geht dabei nicht nur um Anteile am Drogenmarkt. Die Gewalt richtet sich beispielsweise auch gegen Journalisten, allein 2022 ermordeten Unbekannte – denn kaum eines dieser Verbrechen klärt die Justiz je auf – insgesamt 18 Medienvertreter. Zu Obradors Politikstil während seiner Präsidentschaft gehörte die regelmäßige Beschimpfung von kritischen Reportern. Ein direkter Zusammenhang zwischen seiner Verachtung für unliebsame Journalisten und deren plötzlichem Tod lässt sich selbstverständlich nicht nachweisen.

Gefährlich leben auch Gegner bestimmter Projekte, beispielsweise großer Windparks in bisher sehr traditionell geprägten Landschaften. Eine paramilitärische Truppe tötete 2020 in San Mateo del Mar 15 Menschen an einem Coronavirus-Checkpoint. Der Ort gilt als Hochburg von Oppositionellen, die gegen das riesige Windprojekt kämpfen. Seine Nachfolgerin Claudia Sheinbaum, Gewinnerin der Präsidentschaftswahl im Juli, suchte Obrador persönlich aus, der als Morena-Chef auch weiter die Inhalte der Politik zusammen mit seiner Entourage von Vertrauten bestimmt.

Trotzdem finden sich im deutschen Medienblock von ARD, ZDF, Spiegel und anderen kaum Artikel, die Mexiko als linke Fassadendemokratie beschreiben, als nur leicht kaschierten postmodernen Führerstaat. Der Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko Florian Huber charakterisiert den Machtapparat Obradors in einem Interview so: „Das politische Projekt Morena ist vor allem ein Projekt AMLOs gewesen, der es dank seines politischen Geschicks, Instinkts und charismatischen, pragmatisch-populistischen Politikstils auf Kurs hielt.“

Die Hauptaufgabe seiner Nachfolgerin, so der grüne Resident, bestehe darin, die „vierte Transformation voranzutreiben, in der breite Bevölkerungsschichten im Rahmen einer gerechteren Sozialpolitik von umfassenden Sozialprogrammen profitieren sollen“.

Der Zeit scheint vor allem berichtenswert, dass es sich bei Obradors Erbverwalterin Sheinbaum um die „erste Frau im Amt“ handelt, mit einer fast identischen Formulierung lobte das ZDF „die erste Präsidentin des Landes“. Natürlich käme Obrador niemals zusammen mit anderen Kandidaten auf einen Alarmtitel von Spiegel und Stern über das bevorstehende Ende der Demokratie.

Das würde schon daran scheitern, dass kaum jemand in Deutschland etwas mit dem Namen Obrador anfangen kann, gerade dank dieser Medien, die sich gleichzeitig jede erdenkliche Mühe gaben, Brasilliens damaligen Präsidenten Jair Bolsonaro als Rechtsextremisten, Faschisten, ja „Menschheitskiller“ (Tagesspiegel) zu porträtieren, gegen den, wie ein Journalist des Blattes es sich und den Lesern ausmalte, notfalls eine militärische Interventionstruppe in Marsch gesetzt werden müsste. In wohlmeinenden deutschen Medien gilt der linksautoritäre und wegen Korruption rechtskräftig verurteilte Präsident Brasiliens nach dem gleichen Selbstverständnis als demokratischer Erlöser. Dass der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs Brasiliens Alexandre de Moraes seine Position zur Bekämpfung der politischen Opposition nutzt, dringt genauso wenig durch die mediale Brandmauer Westeuropas gegen unpassende Nachrichten wie die allermeisten anderen Details aus längst etablierten modernen linken Diktaturen. Welcher deutscher Durchschnittskonsument der Öffentlich-Rechtlichen kann etwas mit dem Namen Daniel Ortega anfangen, der in den letzten Jahren als neosozialistischer Herrscher von Nicaragua fast alle lästigen Medien mit Gesetzen gegen Hass und Hetze und Fake News schließen und Journalisten ins Gefängnis werfen ließ?

Im Grad der Gewaltanwendung und in ihrer Diktaturausprägung unterscheidet sich die Linksdiktatur von Nicolás Maduro in Venezuela so deutlich von den verwandten Herrschaftsformen in Nicaragua und Mexiko, dass die angestammten deutschen Medien sich zumindest punktuell damit befassen, beispielsweise jetzt, da die abgewirtschaftete sozialistische Partei die Oppositionspolitikerin María Corina Machado mit absurden Anschuldigungen von der Wahl ausschloss, die Abstimmung brachial fälschte und ihre Schlägerbanden losschickte, die sogenannten chavistischen Kollektive, um Protestierende einzuschüchtern.

Innerhalb weniger Tage kamen bei den von Maduro angeordneten Übergriffen 24 Menschen ums Leben. Berichte über den Wahlbetrug finden sich also hier und da. Die Terminologie linkstotalitär oder linker Terror dagegen umlaufen die Öffentlich-Rechtlichen, Spiegel, Zeit und die Vertreter und Vertreterinnen der feministisch/wertegeleiteten Außenpolitik weiträumig. Und jenseits einer Wahlfälschung herrscht wieder weitgehend Schweigen über eine sozialistische Diktatur, die es schaffte, ein potentiell reiches Land in ein Armenhaus zu verwandeln, in dem nur Funktionäre und Regimegünstlinge gut und gerne leben, während bis heute sieben Millionen republikflüchtige Einwohner ihr Glück anderswo suchen – gut ein Viertel der Bevölkerung.

Normalerweise berichten die deutschen Medien der richtigen Seite immer über Massaker an Indigenen, die einem Industrieprojekt im Weg stehen. Aber eben nicht, wenn es sich um einen Windpark in einem linksautoritären Land handelt. Flüchtlinge: ein noch größeres Thema, normalerweise jedenfalls. Aber nicht, wenn sie aus einem sozialistischen Musterstaat migrieren. Zu berichten gibt es erst wieder etwas, wenn sie versuchen, die US-Grenze zu überwinden, allerdings nur, solange Orange Man regierte und für den Fall, dass er demnächst wieder ins Amt kommt. Der Spiegel, das oben schon erwähnte Fachblatt für Faschismuserkennung, erklärte übrigens 2022 die Massenverarmung in Venezuela mit „Wildwestkapitalismus“, womit die Relotius-Kollegen Schwarzmärkte meinten, wie sie überall in dirigistischen Mangelwirtschaften entstehen.

Erst, als das selbst ein paar Lesern der Hamburger Weltbildillustrierten zu viel wurde, robbte sich die Redaktion ganz langsam der Realität entgegen, ohne sie ganz zu erreichen. Bei kaum einer Erwähnung der israelischen Regierung verzichten die oben umrissenen deutschen Medienschaffenden auf die Einordnung „rechtsradikal“, bei Viktor Orbán muss es mindestens „umstritten“ sein, bei Giorgia Meloni „postfaschistisch“, im Fall Trumps neuerdings vollundganzfaschistisch. Beim libertären Präsidenten Argentiniens Javier Milei reicht die Klaviatur von „Rechtspopulist Milei“ (Tagesschau) über „Rechtspopulist Milei“ (ZDF) und „Rechtspopulist Milei“ (Deutschlandfunk) bis zu „der Zerstörer“ (Spiegel). Brasiliens Lula heißt in den gleichen Medien „Hoffnungsträger“, Obrador bestenfalls „linksnational“, aber, siehe Heinrich-Böll-Stiftung, eben auch „pragmatisch“.

Ein Maduro kommt nur sporadisch vor. Eins vermeiden kluge Journalisten, Medienexperten und sonstige Sinnproduzenten allerdings von vornherein: jeden Hinweis auf die Verbindungen zwischen gut etablierten Linksdiktaturen anderswo und den entsprechenden Ideen unmittelbar vor beziehungsweise auch gerade hinter ihrer eigenen Haustür. Das beginnt bei der Linkspartei, die in Maduros Regime seit Jahren unerschütterlich ein Vorbild sieht, was Politiker der Grünen und der SPD bis hin zu manchen Vertretern der CDU wie Karin Prien nicht davon abhält, Bündnisse mit dieser Truppe einzugehen beziehungsweise als politische Option jenseits der Demarkationslinie zum Bösen zu empfehlen.

Zumindest etliche Vertreter der spanischen Linksfront Sumar fordern, Maduro trotz des offenen Betrugs als Wahlsieger anzuerkennen; Sumar wiederum stellt den Juniorpartner der sozialistischen Regierung Spaniens, was weder zu einer deutschen Empörungskampagne in den Medien noch zu einer Distanzierung der Schwesterpartei SPD führt. Würde sich Liebe zu Linksdiktaturen auf diese Sparte beschränken, müsste sich niemand besonders große Sorgen machen. Die sehr viel gefährlichere Entwicklung besteht darin, dass im Gegensatz zur Linkspartei wirklich mächtige Institutionen und Figuren Ideen vorantreiben, wie sie Ortega, Obrador und selbst Maduro längst praktizieren. Für diese Projekte wäre es sogar kontraproduktiv, einem Maduro offizielle Glückwünsche zu überbringen.

Am 12. August 2024 verfasste der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton ein Schreiben an Elon Musk, in dem es zwei bemerkenswerte Punkte gab. Erstens sprach er darin Äußerungen auf X an, die sich auf die Unruhen in England nach dem Mord an drei Mädchen und den Stichattacken auf weitere acht Mädchen bezogen, zweitens das bevorstehende Gespräch zwischen Musk und Donald Trump auf X. Beides fällt schon formal nicht in die Zuständigkeit Bretons oder irgendeines anderen Eurokraten. Zweitens enthält Bretons Schreiben überhaupt keine konkreten Vorwürfe gegen die Plattform und ihren Besitzer, sondern nur die dumpfe Drohung, er, Breton, werde beide ganz genau beobachten. Ein von keinem Bürger gewählter Kommissar droht dem Eigner einer medialen Plattform mit Schritten, die er nicht detailliert nennt, die aber irgendetwas mit Bestrafung, Einschränkung, Zensur oder sogar Abschaltung zu tun haben. Das stellt ein Novum dar, sogar für EU-Bürger, die schon in den vergangenen Jahren das eine oder andere erleben durften, was sie vorher nie für möglich gehalten hätten.

Der italienische EU-Abgeordnete Sandro Gozi von „Renew Europe Now“ bekräftigte die Absicht: Sollte sich X nicht dem Reglement zur Bekämpfung von Hass unterwerfen, werde die EU das Netzwerk einschränken „oder auf dem Gebiet der EU vollständig demontieren“. Dem Breton-Brief ging eine breite Aktion im Psyops-Stil voraus, zu deren Pionieren Jan Philipp Albrecht gehörte, Chef der Böll-Stiftung, also der Organisation, deren Mitarbeiter Obrador als geschickt und pragmatisch lobt. Albrecht forderte – auf der Plattform des Leibhaftigen – X entweder mit EU-Vorgaben zu „regulieren“, also einzuschränken, oder auf dem Gebiet der Staatengemeinschaft ganz zu verbieten. Er prägte also die Formulierung schon einmal vor.

Der gleiche Albrecht, das nur als Fußnote, hält die Umfrageergebnisse seiner Partei im Osten nicht für die Folge der eigenen Politik, sondern von „Verhetzung“. Dazu läuft die entsprechende Begleitkampagne, beispielsweise bei den Hamburger Faschismusdetektoren sowie dem Betschwesterblatt Zeit.

Sollte die autoritäre Herrschaft kommen, wird sie ähnlich wie schon in den lateinamerikanischen Modellländern beklagen, der Staat sei schwach und müsse sich gegen übermächtige Medien, Oppositionelle und irgendwann auch gegen einzelne Kritiker verteidigen. Eine herausragende Rolle in der entsprechenden deutschen Sing-Along-Bewegung spielt ein Zeit-Redakteur, der nicht nur „Reguliert X“ fordert, sondern auch schon meinte, die Politik dürfe sich nicht übertrieben darum kümmern, was Bürger wünschen, sonst käme sie nie vorwärts. Dass Politik vorwärts zu undiskutierbaren Fernzielen schreiten muss, gilt für ihn als ausgemacht, weshalb er auch schon einmal riet: „Deckel drauf und einfach durchtransformieren“.

Journalisten, Funktionäre wie Albrecht und schließlich Apparatschiks wie Breton verschieben auf diese Weise das Overton-Fenster, also an der öffentlichen Vorstellung davon, zumindest in bestimmten Milieus, was in den Bereich des Akzeptablen fällt, obwohl es vor kurzem noch selbst dem einen oder anderen Wohlgesinnten etwas zu forsch vorkam – nämlich eine ganze Plattform ähnlich wie in China oder dem Iran abzuschalten. In Maduros Sozialismus steht das Overton-Fenster natürlich längst woanders. Als die Proteste in Venezuela gegen die Wahlfälschung losbrachen, legte er X in Venezuela erst einmal für 10 Tage lahm. Vielleicht auch für länger. In Caracas genügt dafür ein schlankes Dekret.

Um wieder nach Deutschland zurückzukommen: Bestimmte Medien sammeln schon Beispiele, was alles als Fake News gilt, sie tragen gewissermaßen zum offiziellen Begründungsschreiben bei. Das ZDF etwa hält eine von Musk auf X gesendete Parodie eines Werbefilms von Kamala Harris, die selbst ein Kretin als Parodie erkennt – und falls nicht, steht noch PARODY in Versalien dabei – für einen „gefälschten Clip“ und damit einen Regelbruch. Dieser Text dokumentiert diese Art der Argumentation, damit Sie wissen, wie schnell Sie und andere zu Kandidaten für Maßnahmen werden können, die umsichtige Leute gerade entwerfen. Für die Sache kann man ruhig einmal ein bisschen herumlügen, so der Spiegel, der behauptet, Musk hätte nicht darauf hingewiesen, dass es sich um eine Parodie handelt.

Bis vor kurzem glaubten viele, es würde schon nicht so heiß gegessen, wie das Gebräu in den Laboren der neuen Totalitären vor sich hin kocht. Das heißt, einige glauben oder hoffen das vielleicht noch heute. So, wie auch etliche Bürger in der EU glaubten, die Briten, freiheitsgewohnt seit den Zeiten der Bill of Rights und der tendenziell autoritären Staatengemeinschaft auf dem Kontinent entsprungen, hätten es besser. So kann man sich irren. Das trifft vermutlich auch gerade für viele Bürger auf der Insel zu. Deren Premierminister prägte kürzlich die Formulierung „legal but harmful“ für Äußerungen im Netz, eine Wendung, die sehr nach der deutschen Überwachungszone „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ klingt.

Was das in der Praxis bedeuten kann, erlebte beispielsweise der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der auf Facebook schrieb, bei der algerischen Sportlerperson Imane Khelif handle es sich um einen Menschen mit männlichen Chromosomen und entsprechendem Hormonspiegel, also um keine biologische Frau. Facebook löschte nicht nur den betreffenden Eintrag Dawkins, sondern sein gesamtes Profil. Als harmful, aber schon nicht mehr legal gelten Meinungsäußerungen, wie sie nach dem Mord an drei Mädchen in Southport im Netz auftauchten. Manche Urheber mussten deshalb ins Gefängnis. Aber es geht eben nicht nur um Southport und die Folgen. Wer sich informieren möchte, wie stark die freie Rede im Königreich mittlerweile unter Druck steht, sollte sich dieses Video hier ansehen, gepostet von einer Person, dessen Plattform ein Thierry Breton am liebsten zerschlagen würde.

In Kanada existiert bereits ein Gesetz, das schon die Verfolgung von Personen erlaubt, die so genannte Hassverbrechen begehen könnten.

All das führt in Deutschland zwangsläufig zu der Debatte, ob die Bundesrepublik solchen internationalen Fortschritten nicht in gefährlicher Weise hinterherhinkt. Eine Mitarbeiterin der deutschen Plattform n-tv hält die Entwicklung in Kanada jedenfalls für vorbildlich. In ihrem Text heißt es: „Viele vergleichen das Gesetz mit George Orwells Roman ‚1984‘, wie die bekannte kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood oder Tesla-Chef Elon Musk. In dem Buch bestraft die Geheimpolizei ‚Gedankenverbrechen‘, also Gedanken, die dem Staat nicht passen. Noch bevor sie handeln können, werden potenzielle Kriminelle verhaftet. Zwischen dem berühmten Roman und dem kanadischen Gesetz gibt es aber höchstens minimale Parallelen. Die kanadische Regierung will tatsächlich Hassverbrechen zuvorkommen: ‚Wir müssen in der Lage sein, ein erwartetes Hassverbrechen zu verhindern‘.“

Anders als im 1984-Staat geht es also in Kanada und demnächst vielleicht auch in Deutschland nach Meinung der n-tv-Zuarbeiterin nur den Richtigen an den Kragen. Auch ein Daniel Ortega würde übrigens jederzeit bestätigen, dass er nur die Journalisten und sonstigen Kritiker ins Gefängnis werfen lässt, bei denen es zu seinem Bedauern unbedingt sein muss.

Bei den Überlegungen, Kommunikationskanäle der Bürger von Staats wegen zuzustopfen, bleibt es nicht. So etwas steht üblicherweise ganz am Anfang von großen Umgestaltungsmaßnahmen. Zu den, nun ja, intellektuellen Stars der neuen totalitären Bewegung gehört Hedwig Richter, Professorin an der Bundeswehruniversität München und Autorin unter anderem des Buchs „Demokratie und Revolution“, das sie zusammen mit dem stellvertretenden Zeit-Chefredakteur Bernd Ulrich verfasste.

Der Titel lehnt sich nicht ganz zufällig an Lenins Schrift „Staat und Revolution“ an. Bei Richters und Ulrichs Werk, das lässt sich ohne jede Polemik sagen, handelt es sich um eine Anleitung zum Aufbau einer autoritären Gesellschaft, in der ‚Demokratie‘ als Chiffre für ‚es muss das Richtige durchgesetzt werden‘ steht. In der Welt des Verfasserduos sagt „die Politik“ den Bürgern, „was Sache ist“. Die sollten folgen und aufhören, sich an die alte Vorstellung zu klammern, Politiker müssten so etwas wie den Bürgerwillen berücksichtigen.

Richters und Ulrichs Anleitung findet inspirierte Leserinnen und Leser, beispielsweise diese hier:

Auch die SPD-Chefin Saskia Esken, die im Sommerinterview dazu aufrief, zu prüfen, „was im Osten gut war“, dürfte sich für die entsprechenden Ideen dazu begeistern, die dieses Mal hauptsächlich aus dem Nord- und Südwesten stammen.

Claudia Kemfert, gewissermaßen die Hedwig Richter für die Unterabteilung Wirtschaft und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, trommelt derweil dafür, „Wachstum zu verlernen“ ; eine zweifellos nützliche Vorbereitungsübung für kommende Zeiten, in denen staatliche Planer über Ressourcenverteilung wachen. In Venezuela darf die Bildungsübung wahrscheinlich als abgeschlossen gelten. Hierzulande müssen sich noch diverse Meinungsprägungskräfte ins Zeug legen. Etwa Ulrike „Kriegswirtschaft“ Herrmann, Dauergästin in Talkshows als Spezialistin für wirtschaftsfreies Klima.

Oder der WDR, der sein Publikum schon einmal zu dem Gedankenspiel animiert: Wie wäre es, wenn es für jede Branche nur noch einen einzigen Anbieter gäbe?

Die wichtigsten Stoßtrupps für den Versuch, westeuropäische Länder dorthin zu entwickeln, wo sich südamerikanische Halb- und Ganzdiktaturen schon befinden, stammen aus zwei Bereichen: dem akademischen Betrieb und dem Journalismus. Nirgendwo gibt es derzeit mehr Anhänger totalitärer Ideen. Bestimmte Politiker folgen bereitwillig. Aber sie empfangen diese Ideen eher, als dass sie sie selbst entwickeln würden. Natürlich hängen sie alle zusammen gegenüber ihren Vorbildstaaten noch zurück. Aber die Beispiele von Breton, Starmers Großbritannien und Kanada zeigen, wie rasant sie aufholen. Egal, ob Professoren, Journalisten oder Politiker: Man beurteilt Kräfte immer richtig, wenn man sie danach bewertet, was sie täten, wenn sie völlig freie Hand hätten. Die Antwort lautet: Dieses Milieu würde nicht zögern, auch in Deutschland oder am besten in der gesamten EU eine Diktatur zu errichten. Und das mit dem allerbesten Gewissen.

Es genügt ein Blick in die Runde, wer alles laut nach Zensur ruft. Für den ZDF-Funktionär Theo Koll beispielsweise versteht es sich von selbst, dass der Staat Plattformen beaufsichtigen und ihre Nutzer bevormunden muss. Seine ARD-Kollegin Annette Dittert spendet Breton ausdrücklich Beifall.

Ein ZDF-Humorsachbearbeiter verlangt die Bestrafung von Elon Musk. Jeder von ihnen fände unter einem Daniel Ortega und selbst unter Maduro ihr oder sein Auskommen. Wer als Politiker nicht Bürgerwünsche, sondern „Geschichte als Auftrag“ empfindet, landet ganz zwangsläufig bei diesem Denken.

Politik als Missionserfüllung, das erfordert es nun einmal, Hindernisse aus dem Weg zu räumen. So beginnt totalitäres Denken. Und dabei bleibt es nicht stehen. Zu dieser Entwicklung wird es keinen SpiegelTitel geben. Was generell für alle wichtigen gesellschaftlichen Themen gilt.

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Kommentare ( 51 )

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BellaCiao
2 Monate her

Interessant stark sich die Politik von „Demokraten“ doch gleicht – Ganz wie bei uns:

»The Democrat party dismantled democracy to “save democracy.”«
(Robert F. Kennedy Jr.)

https://tinyurl.com/4bf7t93p

Last edited 2 Monate her by BellaCiao
Anti-Merkel
2 Monate her

„Ein Pendant dazu, eine linksautoritäre oder linkstotalitäre Dystopie gibt es nicht.“ — doch, gibt es und wird sogar bei den ÖR-Lügenmedien ausgestrahlt. Nennt sich dort „tagesschau“ oder „heute“…

FundamentalOpposition
2 Monate her

Das wichtige ist, dass man außerhalb der epistemischen Gemeinschaft der partikularen universalistischen Kollektivisten das Kind endlich beim Namen nennt – Sozialistische Diktatur, und aufhört die Illusionen eines von Andenauer, über Brandt bis Kohl, Schröder und Merkel von Strukturen, über Prozesse hin zu Norman ausgehölten politischen Organisationsform der Demokratie zu schaffeln, von der nicht mal mehr die Fassade über ist

Gerhard-66
2 Monate her

Herr Wendt, ich finde Ihren Artikel eigentlich sehr gut.. 🙂 Kompliment. 🙂 Sie haben aber in meinen Augen in diesem Spiel nur einen sehr määchtigen Spieler und Treiber dieser ganzen Show.. die Verwaltung, die Bürokratie.. stellt sich schon wie des öfteren.. gegen die Menschen die Sie bezahlen.. Was ist die Aufgabe einer Verwaltung bzw. Adminstration.. Zu Dienen oder zu Herrschen..? Ich habe deutlich mehr als 40 Jahre Produktion und Entwicklung auf dem Buckel.. War um die 00er rum.. mit dem aufkommen von SixSigma.. Motorola.. Riester Reformen Arbeistamt.. Als es sich drehte.. nicht mehr die Fronteinheiten wie Produktion und Entwicklung standen… Mehr

teanopos
2 Monate her
Antworten an  Gerhard-66

Ich kann Ihnen nur beipflichten. Ich komme ebenfalls aus dem technischem Umfeld, wir sind was technische Regularien angeht zum Glück noch etwas freier weil wir keine Massenware herstellen, aber auch wir merken immer mehr, dass wenn man „Norm X“ oder „Zertifikat Y“ nicht erfüllt ist, dass man bei den größeren Kunden(Konzerne) dann raus ist. In Asien hat man dagegen damit kein Problem. Da werden diese Papiere ohne reale Prüfung quasi gegenstandslos von billigen Leuten ausgefüllt und unterschrieben und ans Produkt geheftet. Einizges Kriterium in Asien: wenn das Produkt funktioniert gut, wenn nicht, dann eben nicht gut, und das Produkt geht… Mehr

Gerhard-66
2 Monate her
Antworten an  teanopos

Das Problem ist, das über diesen Weg viel rein gedreht wird. Meine Tochter kommt jetzt in die 6 Klasse Gymnasium (Glück der späten Vaterschaft). Was hängt in der Cafeteria fett an der Wand..?

Die 17 Ziele der UN..

Ich mache jetzt seit über 30 Jahren Systemtest, Systementwicklung und Systemdesing. Egal ob Chem, Gerätebau, Medizintechnik und Pharma oder IT..

Wenn ich 17 inkohärente Ziele lese.. weis ich was dabei rauskommt.. Murks.. absolut nichts anderes als Murks..

Und meine Tochter ist 12…

Gerhard-66
2 Monate her
Antworten an  teanopos

Oh man was habe ich an technischen Revolutionen mitgemacht, in vorderster Front als Systemtester und Developer..   In den 90igern DNA, Peptid, mRNA..   In den 00ern Client / Server..   Dieses SmartPhone Ding ging irgendwie an mir vorbei.. Bildschirm und Tastatur zu klein.. habe irgendwie keinen Bock mir die Finger zu brechen. 🙂   War einer der Beta’s als damals um die Jahrtausend Wende hier in Hamburg DSL ausgerollt wurde..   Und war ein Beta sowohl von Chapt als auch Bing.. als Sie anfingen dieses KI Ding auszurollen..   Habe mal recht lange in den 00ern für das Valley… Mehr

Gerhard-66
2 Monate her
Antworten an  teanopos

Was wollen die von mir..? Ich habe Abschlüsse in Chemie, Maschinenbau, Informatik.. bin mehr oder weniger international Anerkannt durch Zertifiziert in QM klassisch.. und PM.. Schwerpunkt IT.. habe ungefähr eine Handvoll staatlicher Zulassungen.. Schwerpunkt Umwelt.. Mein bester IQ-Test hat ne 147 rausgeworfen.. mein schlechtester.. war der, der Süddeutschen.. aber auch der hat noch eine 128ig rausgeworfen.. Das ich arbeite..? Für wenn oder was..? Die Wohnung ist bezahlt.. nebenbei mache ich irgendeine Kleinigkeit im Onlinehandel.. reicht zum Leben.. Ich bin in diesem Sinne.. „DownShiffting“ mit 51ig ausgestiegen (Ist bald ein Jahrzehnt her) .. Ich brauche nicht unbedingt ein 6-stelliges Jahresgehalt.. gehe… Mehr

Gerhard-66
2 Monate her
Antworten an  teanopos

Ich habe in meinen 6-7 Jahren als Freiberufler wesentlich mehr verdient als Angestellter die 25 Jahre davor..

Danke dir Andrea.. für die Änderungen in der Ecke.. aber für dich gehe ich nicht Anschaffen.. 🙂 .. Weswegen ich mich ASAP in den „Unruhestand“ begab..
Andrea, da kannst du noch soviel Ätschie Bätschie machen.. ..wie du willst.. für dich gehe ich nicht Anschaffen.. 🙂

DDRforever
2 Monate her

Ich habe vor sehr vielen Jahren einmal in einem Interview gesagt das sich die Bevölkerung noch einmal nach der DDR zurücksehnen wird. Angesichts der oben geschilderten Entwicklungen wird das eine Untertreibung sein.

IJ
2 Monate her

Was jedem klar sein sollte: Die Bedrohung der Demokratie kommt fast niemals von aussen bzw. von Randgruppen aus der Diaspora. Sie kommt nahezu immer aus dem Kreis der gegenwärtigen Machthaber, von Menschen, die nicht von der Macht lassen wollen. Dass sich diese Gestalten dann obendrein als Beschützer und Retter von Demokratie, Freiheit, Wohlstand und Frieden gerieren, zeigt lediglich ihren perfiden Charakter.

Ahnungslos
2 Monate her

Ein wirklich guter Artikel, allerdings hinterlässt er einen Knoten im Magen und macht Angst!!! Ein weiteres Beispiel zum Artikel: René Pfister vom Spiegel schrieb am 28.07.24 einen Artikel (hinter der Bezahlschranke) gegen den Ullstein Verlag, wegen dem Buch „Hillbilly-Elegie“ von J. D. Vance (Vizekandidat von Trump). Der Artikel ist in einem Ton geschrieben, dass man nur noch die Ohren anlegen kann! Einige Häppchen: – „Und seien sie nicht so dämlich, an überholte Konzepte wie die Unschuldsvermutung zu glauben. Seit wann interessiert sich auf X oder TikTok irgendjemand für Beweise. Es geht hier um ihren Ruf, nicht um die Wahrheit.“ –… Mehr

Last edited 2 Monate her by Ahnungslos
Zack
2 Monate her
Antworten an  Ahnungslos

Ja. Der Artikel macht Angst.
Und das zu recht!
Leider.

Schwabenwilli
2 Monate her

Lieber Herr Wendt, warum ist immer der Schäfer schuld wenn er seine Schafe bald hierhin bald dorthin, mithilfe seiner Hunde scheucht?
Warum nicht mal die völlig verblödeten Schafe dafür verantwortlich machen das die halt gerade da stehen wo sie grasen sollen.
Grüne Auen sind es eh nicht mehr.

gladius
2 Monate her

Naja, Herr Wendt, Sie haben die Dinge immer noch nicht bei ihrem richtigen Namen genannt. Wechseln Sie im aktuellen Spiegel- Cover die Personen aus wie angegeben, aber lassen Sie den Titel so stehen.

Ananda
2 Monate her

Hier in Deutschland wird immer deutlicher, dass die ganzen Kopfgespinste/Ideologien der Rot Grünen nicht funktionieren. Und je realer dieses komplette Scheitern wird um so rabiater werden die Machthaber und möchten den Bürger komplett ausschalten. Jede Korrektur des falschen Weges wird verneint damit die Nichtskönner, Absahner und Ausbeuter weiterhin absahnen und ausbeuten können. Kritik verboten. Das heißt die Maximal Katastrophe wird aus schamlosem Eigennutz bis zum kompletten Zusammenbruch weitergetrieben. Über die linken Unrechtssysteme der Welt wird bei uns geschwiegen. Wie kann heute im Zeitalter der Medien die „Welt“ so vor uns versteckt werden. Gleichzeitig werden wir mit erdachten „Narrativen“ konditioniert. Ein… Mehr