Wie man eine Pandemie bekämpft: Social Distancing

Der Coronavirus stellt Deutschland vor eine Herausforderung, die die Bundesrepublik so noch nicht gegenüberstand. Es sind rigorose Maßnahmen gefragt um die Ausbreitung zu verlangsamen.

imago Images/Lichtgut

„Wir müssen praktisch alle soziale Kontakte unterbinden, um die Zahl der Infizierten möglichst niedrig zu halten.“ Das sagt Patrick Larscheid, Amtsarzt von Berlin-Reinickendorf in einem Interview mit dem rbb Inforadio. Events mit 1000 oder 800 Teilnehmern abzusagen sei viel zu wenig. Kleinere Veranstaltungen mit engem Kontakt, zum Beispiel in Clubs und Bars, seien viel gefährlicher.

Es schließen erste Bundesländer Schulen, Banken und Betriebe, doch deutschlandweite, nationale Anordnungen gibt es nicht.

Doch es sollte sie geben. Ein Blick in die Zahlen zeigt warum.

Quelle: Our World in Data

Die obige Graphik beschreibt die weltweiten bekannten Fallzahlen. Was auffällt ist, dass die Fallentwicklung der roten Linie, welche China darstellt, bis zum Februar immer schneller, also exponentiell, ansteigt. Der Sprung am 17.02 erklärt sich mit einer Änderung der Zählung von Coronafällen. Die chinesische Linie flacht jedoch aufgrund der massiven Eindämmungsmaßnahmen der Regierung ab. Langfristig wird es wieder zu mehr Infektionen kommen und die Fallzahlen in China werden wieder steigen – Provinzen von der Größe von Hubei und Wuhan lassen sich nur begrenzt lange isolieren. Allerdings ist das Abflachen der Kurve ein massiver Erfolg für die chinesische Regierung, weil es bedeutet, dass die Neuinfektionen zumindest verlangsamt wurden. Denn das ist das Ziel aller Quarantäne-Maßnahmen bei einer Pandemie: Nicht die Ausbreitung eines Virus zu verhindern – das hilft nur bei einer Epidemie, – sondern sie zu verlangsamen. China ist das vorerst gelungen. Wie die gelbe Kurve zeigt, versagt dabei der Rest der Welt – oder zumindest ein Teil davon. Stattdessen scheint sich der Coronavirus außerhalb Chinas exponentiell auszubreiten.

Quelle: Our World in Data

Die Neu-Infektionen sind in China massiv zurück gegangen, befinden sich momentan nurnoch in einem zweistelligen Bereich. Im Rest der Welt steigen die Neu-Infektionen allerdings massiv.

Quelle: Our World in Data

Südkorea unternimmt schon seit Anfang der dortigen Epidemie massive Anstrengungen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Doch ein Infizierter, „Patient 31“ genannt, wurde nicht rechtzeitig unter Quarantäne gestellt und steckte als „super spreader“ mindestens 40 andere an: Die Quarantäne war somit wirkungslos.

Das langsame Abflachen der Kurve in Korea bezeugt jedoch, dass die Maßnahmen der dortigen Regierung trotzdem Wirkung zeigen. Anders ist es in Italien, wo massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens der Corona-Ausbreitung wenig entgegensetzten können. Andererseits beträgt das Serielle Intervall von Corona circa siebeneinhalb Tage (laut einer Studie aus Japan – eine andere weitaus kleinere Studie geht von vier Tagen aus). Das Serielle Intervall beschreibt, wie lange es dauert von dem Moment, in dem ein Patient Symptome zeigt, bis eine andere, von ihm angesteckte Person, ebenfalls Symptome zeigt. Es wird sich also erst in den kommenden Tagen zeigen, ob die italienischen Maßnahmen Wirkung zeigen und die Ausbreitung verlangsamt werden kann.

Das Problem

Das Coronavirus ist in Deutschland und hat schon mehrere tausend Menschen infiziert. Da ist die Frage, warum denn dann noch massive Quarantäne-Maßnahmen unternommen werden, durchaus gerechtfertigt. Doch die meisten Maßnahmen zielen nicht darauf ab, das Virus auf eine Region oder einen Landstrich einzudämmen. Es geht nun vor allen Dingen darum, die Ausbreitung des Corona zu verlangsamen und über einen möglichst langen Zeitraum zu verteilen. Dies entlastet das Gesundheitssystem und gibt den Krankenhäusern Zeit. Zeit die gebraucht wird, um Kapazitäten zu vergrößern, um Menschen kurieren zu lassen und damit existente Kapazitäten frei zu machen, und Zeit, um effektive Medikamente zu finden.

Ansonsten geschieht, was in Norditalien der Fall ist: Krankenhäuser sind überfüllt, für Notfälle, wie Herzinfarkte, ist kein Bett frei, Ärzte praktizieren die sogenannte Triage: Sie müssen sich entscheiden, wer eine Überlebenschance hat; wer  behandelt werden kann. Wenn die Krankenhausbetten knapp werden, die Beatmungsgeräte nicht reichen, dann sind das die Fragen, die beantwortet werden müssen. Die Bundesregierung wiegelt ab, es sei nicht so schlimm; anders sieht es allerdings der Präsident des Robert-Koch Instituts, Lothar Wieler, der in einem Gespräch mit der Tagesschau sagte, dass eine Situation wie in Italien, einschließlich der ärztlichen Triage auch in Deutschland nicht auszuschließen sei.

Das Virus zu verlangsamen, ist oberste Priorität

Laut Robert Koch Institut hat das Corona Virus eine Basisreproduktionszahl von 2,4 bis 3,3. Das bedeutet, dass jemand, der am Coronavirus erkrankt, im Schnitt 2,4 bis 3,3 andere Menschen ansteckt.

Quelle: Our World in Data

Diese Graphik zeigt die Zahl der Erkrankten bei verschiedenen Basisreproduktionszahlen und 7,5 Tagen Seriellem Intervall (vereinfacht: keine Gesundungen oder Tote, keine „superspreader“).

Die Krankenzahlen wachsen exponentiell. Für eine Pandemie-Bekämpfung muss die Basisreproduktionsrate so weit wie möglich gesenkt werden. Je geringer sie ist, desto langsamer werden die Menschen infiziert. Kann man die Reproduktionsrate unter 1 senken, so sinkt die Zahl der Erkrankten.

Selbst ein Senken der Neu-Ansteckungen auf zwei Personen (gelbe Linie) kann einen Unterschied von tausenden Infizierten machen.

Ein komplettes Eindämmen des Virus ist mittlerweile nicht mehr möglich ohne einen Impfstoff. Es wird zwar schon daran gearbeitet und es gehen Meldungen herum, dass dieser in einem bis zwei Jahren verfügbar sein könnte. Das steht allerdings im Gegensatz zu dem Krisenszenario der Bundesregierung von 2013 (TE berichtete hier). Dort wird davon ausgegangen, dass ein Impfstoff frühestens nach drei Jahren verfügbar ist. Da die Entwicklung eines Impfstoffes gegen ein bisher fast unbekanntes Virus kein leichtes Unterfangen ist, ein solcher Impfstoff auch getestet werden muss und die Herstellung eines solchen technisch schwierig ist – besonders in der Größenordnung, die für ein Impfen der deutschen Bevölkerung als Ganzes nötig ist – ist diese 3-Jahres Prognose wahrscheinlich noch optimistisch.

Ohne einen Impfstoff, und ohne die Möglichkeit, den Virus auf einzelne Regionen zu beschränken, werden sich also die Worte Angela Merkels, es würden sich gut 60 Prozent der deutschen Bevölkerung mit Corona infizieren, bewahrheiten.

Das bedeutet: Es geht nun nicht mehr darum, den Virus einzudämmen, sondern ihn zu verlangsamen und Risikogruppen zu isolieren, damit sie sich nicht anstecken. Schulschließungen, Heimarbeit und Firmenschließungen können zwar alle nur für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden, sie verlangsamen aber das Ausbreiten der Krankheit und verhindern eine Überforderung des Gesundheitssystems. Deswegen ergreifen auch viele Länder eben diese Vorkehrungen. Österreich, Frankreich, Dänemark, Polen und viele andere Länder schließen ihre Schulen; das öffentliche Leben wird eingeschränkt. Grenzen zum langsamen Deutschland werden geschlossen, die Bevölkerung zum Social Distancing aufgerufen. Social Distancing – das bedeutet, dass man sozialen Abstand nehmen soll. Nicht in Bars oder Clubs gehen, nicht andere Menschen umarmen, möglichst öffentliche Verkehrsmittel meiden. In Berlin hat man sich dazu durchgerungen, die Clubs zu schließen. Dies geschah jedoch erst, nachdem die Berliner Amtsärzte angedroht hatten, solche Schließungen wenn nötig selbst für jeden Stadtteil zu verordnen.

Schulen sind mittlerweile in den meisten Bundesländern geschlossen. Nach Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein, Bayern und dem Saarland nun auch in Nordrhein-Westfalen.

In Bayern wurden schon Veranstaltungen ab 100 Menschen untersagt, auch das Besuchsrecht in Kliniken und Pflege-Einrichtungen soll eingeschränkt werden. Harte Maßnahmen mit dem Ziel, die Schwachen, Kranken und Alten zu schützen. Jeder ist dazu aufgefordert sich selbst am Social Distancing zu beteiligen, besuche bei Risikogruppen zu vermeiden, vorsichtig zu sein. Die Bekämpfung einer Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 142 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

142 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Tomas Kuttich
4 Jahre her

„DER Coronavirus“ in der Titelzeile ist schon etwas peinlich, oder?

Fritz Goergen
4 Jahre her
Antworten an  Tomas Kuttich

Nach Duden geht der und das Virus.

AJMazurek
4 Jahre her

Ja, immer eine Armlänge (2 m) Abstand halten, wusste schon eine „Führungspersönlichkeit“ vor 5 Jahren … sonst hat man’s verdient …

fatherted
4 Jahre her

Gesunder Menschenverstand wäre gefragt….schon alleine, dass wochenlang und noch immer das Tragen von einfachen Gesichtsmasken (und ja…die kann man sich aus Küchenkrepp mit zwei Haushaltsgummis und einem Tacker selber basteln…dauert pro Maske nicht mal ne Minute und kostet nicht mal 2 Cent pro Maske) lächerlich gemacht wurde ist ein Skandal. Diese Masken hätten die Weiterverbreitung durch Tröpfchenübertragung der Infizierten weitgehend eingeschränkt…ich würde mal mind. 50% weniger unken….und das übertragen von Schmierinfektionen durch ins Gesicht greifen ebenso. Nur das Straßenbild wäre natürlich hässlich geworden….alle mit Maske…wie die Chinesen…geht ja gar nicht. Sogar die Schulen hätten weiter offen bleiben können. Die Kids… Mehr

Leon
4 Jahre her

Was hier gern mal übersehen wird: Die Pandemie bekämpfen ist das eine, die Wirtschaft – von der wir alle leben – nicht völlig abstürzen zu lassen, das andere. Die Schließung von Diskos und Clubs mit dem engen Kontakt vieler Leute halte ich für richtig, die Kontrolle von Einreisenden für sehr wichtig, aber etwa das zwangsweise Schließen etwa von Restaurants und Geschäften nicht. Natürlich kann auch da der Virus sich verbreiten, aber nicht so leicht. Und es geht ja ums Verlangsamen, mehr geht sowieso nicht.

Entenhuegel
4 Jahre her
Antworten an  Leon

Welche (gesundheitliche) Kontrolle der Einreisenden? Die fand heute im Frankfurter Flughafen bei Flügen aus China und Iran anscheinend bewusst nicht statt …

WernerT
4 Jahre her

Unter den gegebenen Umständen in Bayern und Frankreich Kommunalwahlen abzuhalten ist völlig unverantwortlich und macht die verantwortlichen Politiker unglaubwürdig. In die Kneipe darf man nicht mehr … aber ins Wahllokal ??? In Bayern sind ca. 10 Mio. Menschen zur Wahl aufgerufen – in Frankreich ca. 35 Mio. So kann man den Virus hervorragend verbreiten … Diese Überheblichkeit, Machtgeilheit und Verantwortungslosigkeit ist durch nichts zu übertreffen – man hätte die Wahlen verschieben müssen. In Polen läuft seit Wochen der Wahlkampf für die Präsidentenwahl. Duda hat als Erster seine Veranstaltungen abgesagt, weil er das Risiko für die Bürger nicht verantworten kann –… Mehr

Pulcher
4 Jahre her

Im ZDF heute-journal hat Claus Kleber gestern Abend mit hochgezogenen Augenbrauen kommentiert (berichtet wird schon lange nicht mehr), wie es Polen wagen kann, die Grenzen zu Deutschland zu schliessen. Ein Virologe ist ihm beigesprungen, wurde nix bringen, jetzt sei es eh zu spät. Ja. Jetzt ist es zu spät. Als es noch Sinn gemacht hätte, wurde der Virus als Erkältung verharmlost. Aber mit dieser Schönwetter Regierung war eine solche Entwicklung ja zu erwarten.

WernerT
4 Jahre her
Antworten an  Pulcher

Klaus Kleber hat sich bis auf die Knochen blamiert.
Sein Gesicht triefte vor Polenhaß und seine Häme war nicht zu überhören.

Jetzt macht D selbst die Grenzen zu Österreich, Schweiz und Frankreich zu.
siehe hier https://www.bz-berlin.de/deutschland/deutschland-schliesst-seine-grenzen

Solche „Journalisten“ haben an der Stelle absolut nichts verloren … ab in die Wüste.

Entenhuegel
4 Jahre her
Antworten an  Pulcher

Tu felix Polonia…
Ich würde an deren Stelle die Grenze zu Deutschland auch hermetisch dicht machen!

Stefan L.
4 Jahre her

Heute Wahl in Bayern:

Und ich fürchte, dass die Leute wieder genau die Politiker wählen, die für den ganzen Schlamassel verantwortlich sind.

Irgendwie ist den Deutschen nicht mehr zu helfen.

Enrico
4 Jahre her
Antworten an  Stefan L.

Nein, auch in Bayern wählen jetzt viele rigoros „anders“. Nämlich die Grünen. Kein weiterer Kommentar dazu. Ausser: Sie haben recht.

humerd
4 Jahre her

Es sind wären rigorose Maßnahmen gefragt um die Ausbreitung zu verlangsamen. Andere Länder machen ihre Grenzen dicht und lassen niemanden aus Deutschland mehr rein. Deutschland hält die Tore weiterhin sperrangelweit offen. Rein nach Deutschland kommen alle, raus aus Deutschland niemand mehr.
Seehofer labert wieder was von europäischer Lösung, wohl wissend, dass es diese nie geben wird. Glaubt im Lande noch irgendwer dieses Gefasel? Ich befürchte, das Corona Virus mit unserer Regentin wird der Dolchstoß Deutschlands.

Andreas aus Heidelberg
4 Jahre her

Da die angeführten Statistiken sich alle auf die Vergangenheit beziehen, hier noch eine Hochrechung. Wenn die durchschnittliche Ansteckungsrate in Deutschland so bleibt wie sie ist (15.3.2020 = 37 %), dann haben wir in 30 Tagen 56,3 Mio Infizierte. Im Hinblick auf dieses exponentielle Wachstum sollte man die Quarantäne-Maßnahmen wohl etwas intensivieren…

Dieter Kief
4 Jahre her

Andreas, die Kurve soll nicht so bleiben wie jetzt, sie soll -eh – flacher werden. Mal sehen.

Rick Sanchez
4 Jahre her

„Die Bekämpfung einer Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Die Deutsche Gesellschaft ist dermaßen tief gespalten, individualisiert, egoistisch, selbstverliebt und leider im Schnitt nicht sonderlich gebildet, im Prinzip verhält sich die breite Masse wie kleine Kinder. Wenn man ihnen nicht klipp und klar VERBIETET etwas zu tun, werden die Deutschen es tun, so unvernünftig das auch sein mag, vielleicht ja ein Grund für „unseren“ Regelungswahn oder das Problem, je nach Sichtweise. Was ich heute im Laden erlebt habe (große Baumarktkette) lässt sich nämlich rational nicht erklären, die Leute haben gekauft wie die bekloppten, aber eben typische Dinge aus einem Baumarkt, dem… Mehr