Wer die aktuellen Debatten nach der Wahl verfolgt, hat den Eindruck: Griechenland gehört nicht zu Europa. Griechenland gehört eigentlich auf einen Felsen im Weltall, Krypton, von dem auch Superman stammt und der nur Superhelden beherbergt hat. Eine Laune der Götter hat Griechenland aber zwischen den östlichen Europa-Zipfel und Asien gequetscht – und die letzten Erderschaffungkrümel, die noch an den göttlichen Superheldenhänden klebten, wurden in die Ägäis gebröselt. Das ist das griechische Selbstbild, und ich weiß, wovon ich rede. Ziemlich genau.
Nicht ganz im hier und jetzt – und auch nicht mehr ganz im dort und dann. Immer irgendwie dazwischen. Fest steht jedoch: Daran sind andere Schuld. Das Land hat Jahrzehnte auf zu großem Fuss gelebt, hat mehr ausgegeben als erwirtschaftet. Hat Misswirtschaft betrieben. Auf jeden Fall: Die anderen sind Schuld. Als die anderen Menschen erst noch den aufrechten Gang üben mussten, hatten die Griechen bereits die Tunika erfunden und andächtig Sokrates und einem Aussteiger-Philosophen namens Diogenes aus der Tonne gelauscht. Heute haust jeder dritte in einer Tonne, findet das aber nicht nett – und daran sind? Richtig, die anderen Schuld. Diogenes ist vergessen, wenn´s konkret wird.
Nikos Xydakis, stellvertretender Minister für, man glaubt es nicht: zeigt auf Deutschland. „Die Deutschen bekommen unser Geld, nicht aber unsere Seele“, sagt er. Die Griechen hätten nie um Kredite gebettelt. Doch sie seien trotzdem gekommen, verbunden mit Sparprogrammen. Warum sie geflossen seien? Nur um die griechischen Banken und damit Europas Finanzinstitute zu retten. „Um Europas Banken zu helfen, hat Merkel Griechenland auf den Boden geworfen“. Es sind immer die anderen. Immer.
„Sag ein Wort, ganz gleich welches Wort, und ich sage Dir, dieses Wort ist griechischen Ursprungs.“ Dieser eine Satz, ausgesprochen vom Patriarchen Gus Portokalos im Überraschungshit „My Big Fat Greek Wedding“, der auf liebenswerte Weise die komplette Palette griechischer Stereotype behandelt, trägt sodann auch die ganze griechische Tragödie der Neuzeit in sich. Das Verharren und das Festhalten an vergangenen Tagen, an die helle hellenische Heldensage. Dem Ausruhen auf geschichtlichen Errungenschaften. Was haben die Griechen der Menschheit alles großes gebracht? „Philosophie, Astronomie und Demokratie“. Ja, danke. Das ist wirklich enorm. Wie wichtig und gut diese Erfindung insbesondere der Demokratie ist, zeigt sich gerade bei den jüngsten Experimenten im arabischen Raum, wo die Köpfe ganz unhellenisch purzeln. In Deutschland kommen wir mit dem, was uns als Demokratie geblieben ist, selbst Montag abends noch einigermassen durch den Straßenverkehr. Allerdings ist es derzeit gefährlich, diese Anerkennung für eine historische Leistung auszusprechen. Auch das könnte teuer werden.
Reparationszahlungen! Aus dem zweiten Weltkrieg. Wenn es keine Rufe nach Reparationszahlungen wären, wären es zweifellos Schreie nach Lizenzgebühren für Astronomie, Philosophie und Demokratie. Christoph Keese, übernehmen Sie!
Nicht nur der Islam steht vor einem gewaltigen Reformationsprozess. Ebenso Griechenland. Griechenland muss sich dringend aus diesem Phlegma der Vergangenheit befreien, den Anspruch auf etwaige Forderungen an andere (Wiedergutmachungen, Schuldenschnitt, Wachstumsprogramme, EU-Subventionen, Demokratieerfindungsabgabe) begraben, dies zu seinem eigenen Wohl, um wieder zukunftsfähig zu werden. Die Menschen müssen loslassen, um sich neu zu erfinden. Und das tun sie am besten, wenn sie auf sich gestellt sind. Respekt vor dem griechische Wähler, der für diesen, einen eigenen Weg stimmt. Denn der Euro hat dem Land nicht gut getan. Die Entscheidung über den Beitritt zur Eurozone hat nicht der griechische Nikos Papadopoulos getroffen. Ebenso wenig wie der deutsche Heinz Müller freudig-erregt der Aufgabe der D-Mark zugestimmt hat. Das waren Entscheidungen von „Eliten“, die sich angemasst haben, besser zu wissen, was andere wollen und brauchen.
Eine Elite, die sich gleich einer griechisch-dramatischen Göttersage im Labyrinth des Irrsins befindet. Anstatt dem Wollfaden der Vernunft zu folgen, wird die rollende Kugel im Kipp-Labyrinth gemütlich immer wieder und immer weiter vor jede neue Wand geprallt. Begleitet von einem Schwarm an Expertengruppen, die jeden neuen Weg mit möglichst vielen Wänden berechnen. Denn jede Wand bedeutet neue Arbeitsstellen, neue Einnahmequellen und ein Fortbestehen der Existenz. Es ist ja nicht das eigene Geld, das hier veruntreut wird. Kein Respekt also für die, für die Europa nur heißt: Fortsetzung der Bettelei mit anderen Mitteln. Denn darauf ist kein Staat zu bauen. Geschenktes Geld mach blind – so wie wir unreflektiert ein Stück Hüftsteak verspeisen. Weder kennt man das Tier, das sein Fleisch dafür gegeben hat, noch hat man es selbst erlegt, ausgeweidet und das große ganze gesehen, aus dem das Stück auf dem Teller heraus filetiert wurde. Schon gar nicht das Blut. Und den Schweiß, der mit Arbeit auch im digitalen Zeitalter noch verbunden ist.
Wem man das Geld zum Verplempern genommen hat, bleibt ebenso abstrakt – und damit köstlich.
Alle Hilfsmilliarden sind nicht bei Nikos und seiner Familie angekommen. Diese Unsummen sind immer schön weiter im Funktionär- und Banken-/Gläubigermoloch versumpft. Die diese üppigen Pfründe natürlich nur äußerst ungern zum Erliegen kommen lassen wollen. Da sind wir wieder beim Labyrinth. Auch in Brüssel hat man es sich da in der Mitte schön gemütlich gemacht, dort, wo es am wenigstens kippt. Es kommt eh nichts im Abendprogramm. Folglich beobachtet man gelangweilt wie ein fettes Kind, wie die Maus Griechenland die Hütte Europa auf Trab hält.
Es gibt tüchtige Griechen, die hart arbeiten. (allerdings sollen die allermeisten, von 6 Millionen ist die Rede, bereits in Deutschland, den USA und Großbritannien leben) Es gibt faule Deutsche, die dem Staat ungeniert auf der Tasche liegen. Und umgekehrt. Faule Griechen, die dem Staat auf der Tasche liegen und tüchtige Deutsche, die hart arbeiten.
Daraus folgt immer wieder nur ein Fazit: Bequemlichkeit kennt keine Grenzen und keine Nationalitäten.
Am Ende von „My big fat Greek Wedding“ kommt Gus Portokalos während der Rede zur Hochzeit seiner Tochter Toula mit einem „Xeno“, dem Amerikaner Ian Miller, zu dem folgenden Schluss:
„You know, the root of the word Miller is a Greek word. Miller come from the Greek word „milo,“ which is mean „apple“, so there you go. As many of you know, our name, Portokalos, is come from the Greek word „portokali,“ which mean „orange.“
So, okay? Here tonight, we have, ah, apple and orange. We all different, but in the end, we all fruit.“
Wir alle sind verschieden. Am Ende aber sind wir alle Früchte. Denen der Eurowurm schadet.
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