Mit Walter Scheel geht einer der letzten Großen der Bonner Republik.
Sterben prominente Politiker, wird viel Unsinn geschrieben. Ich wundere mich immer wieder, was sich im Laufe der Zeit die Leute so zurecht legen.
Markus C. Schulte von Drach schreibt in der Süddeutschen: „In dieser Zeit entwickelte vor allem Scheel die ‚Freiburger Thesen‘, auf deren Grundlage die FDP 1971 die wirtschaftsliberale Ausrichtung ihres Parteiprogramms änderte hin zu einem Liberalismus, der stärker für Menschenwürde durch Selbstbestimmung und sogar eine Reform des Kapitalismus eintrat.“
Das hätte Sir Walter, wie wir ihn damals, Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger nannten, schmunzeln lassen. Die Freiburger Thesen haben im nachhinein viele Väter, Karl-Hermann Flach, Werner Maihofer, Martin Bangemann, Rolf Schroers und weniger Prominente. Scheel hat seine Hand über die Schöpfer gehalten, „entwickelt“ hat er die Thesen nie, die Ralf Dahrendorf zurecht eine nachträgliche Rechtfertigung der sozialliberalen Koalition nannte.
Woran kaum erinnert wird: Als die Genossen beim Misstrauensvotum gegen Willy Brandt schon aufgegeben hatten und im Bundestag die Köpfe hängen ließen, hielt Walter Scheel die fulminante Rede, welche die Entmutigten jubelnd beklatschten, weil sie ihnen wieder Mut einhauchte. Die Rede schrieb Karl-Hermann Flach und Scheel trug sie vor, ohne sie vor Beginn der Sitzung gesehen zu haben, und zwar so, als hätte er sie mit seinem Herzblut verfasst.
Woran sich noch manche am ehesten erinnern, ist der Walter Scheel, der „Hoch auf dem gelben Wagen“ sang: mit einer guten Stimme und der rheinischen Freude, die der Mann aus Solingen für mich immer verkörperte.
Im Krieg flog er zuletzt als Oberleutnant der Luftwaffe in der Mannschaft eines Nachtbombers. Auf dem Rückflug von England erwischte sie die englische Flak. Der kommandierende Major befahl aussteigen, als sie über Holland waren. Draußen goss es in Strömen. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie Scheel mit dem damals üblichen weißen Seidenschal der Flieger um den Hals seinem Vorgesetzten sagte: Aber, Herr Major, doch nicht bei diesem Wetter. Alles lachte, der Major meinte, na gut, versuchen wir es noch ein Stück und sie landeten trocken auf einem Feldflugplatz.
Dass er Außenminister wird, beschloss Walter Scheel 1966. Als der damalige Königsmacher der FDP, Vorsitzender im stärksten Landesverband NRW und dort Innenminister Willy Weyer einwandte, aber wenn es mit einer Koalition in Bonn 1969 klappt, wird das doch Erich Mende als Bundesvorsitzender. Worauf Scheel im VW-Käfer von Liselotte Funcke, in dem außer den drei nun schon Genannten noch Siegrfried Zoglmann auf der Fahrt von Bonn nach Düsseldorf saß, erwiderte: dann werde ich eben Vorsitzender. Tat es und wurde 1969 Außenminister.
Die Koalition mit der SPD hätte es 1969 nicht gegeben, wäre es nach dem damals starken Mann der FDP-Bundestagsfraktion gegangen, nach Hans-Dietrich Genscher. An ihm vorbei wurde Walter Scheel mit Willy Brandt einig, „wir machen das“.
Von Führung hatte Scheel eine klare Vorstellung. Stundenlang diskutierten die Mitglieder von Bundesvorstand und Bundestagsfraktion im Rheinhotel Dreesen in Bad Godesberg 1972, wer für die FDP ins Bundeskabinett gehen werde. Umstritten war Hans Friderichs, den Scheel als Bundeswirtschaftminister vorschlug, weil den die Sozialliberalen nicht wollten. Gegen Mittag nahm Scheel das Wort und sagte, ich habe die Presse geladen und bevor ich jetzt zu ihr gehe, bitte ich, Herrn Friderichs hereinzuholen. Bevor sich die Ansammlung noch von ihrem Schock erholte, trat der Kandidat ein, Scheel erhob sich und sprach: Herr Dr. Friderichs, ich freue mich, dass Sie unser Bundeswirtschaftsminister werden, ging raus und verkündete es der Presse.
Friderichs wurde ein sehr erfolgreicher Wirtschaftsminister, einer der wenigen FDP-Spitzenleute, der wirklich klar für Marktwirtschaft stand.
Als Willy Brandt 1974 zurücktrat, beschloss Scheel, Bundespräsident zu werden. Auch dieses mal fragte er keinen, hörte nicht auf Genscher, der das aus vielen Gründen nicht wollte. Als Genscher später selbst Außenminister war und von „liberaler Außenpolitik“ sprach, schrieb Scheel ihm ins Stammbuch: Liberale Außenpolitik gibt es nicht, nur deutsche Außenpolitik.
Mit Walter Scheel zog Modernität in die FDP ein, Weltläufigkeit und eine Leichtigkeit, die in der Sache keine Kompromisse kannte. Nach ihm kehrte der Mief zurück.
Farewell Sir Walter.
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