VW: Lasst den Käfer im Dorf

Winterkorns Abgasdesaster, die hilflose Reaktion und sein Rücktritt sind das Eine. VW insgesamt an den Pranger zu stellen, ist unangebracht. Hier ein Beitrag zur Verteidigung des deutschen Ur-Autos und unseres Wesens.

Gut, wenn der Musterschüler mit dem Spickzettel erwischt wird oder der beste Freund mit der Freundin, die nicht seine ist. In beiden Fällen ist die Empörung besonders groß. So gesehen kann man einige der aktuellen Kommentare ein stückweit verstehen, die sich so furchtbar über „Unser“ Volkswagen und die geschönten Emissionswerte aufregen. Aber was zuviel ist, ist zuviel. Selbst dann, wenn man emotional involviert ist, was sehr viele Deutsche über ihr Innenverhältnis zur Marke sagen können.

Vom Käfer zum T-Modell: deutsche Karriere

Die Liebe zum Automobil ist deutsch. Nicht umsonst gibt es unzählige Literatur und Online-Auftritte, die diese gewachsene Zuneigung dokumentieren. Viele deutsche kleine und große Karrieren wurden und werden noch von aufsteigendem Besitzerstolz begleitet: Erst der alte Käfer der Eltern, später der Golf im Studium, dann der Passat Variant, wenn das erste Kind da ist und nach dem zweiten Kind ein Volkswagen T Modell. Und die Kinderlosen wechseln nach dem Studium oder der abgeschlossenen Berufsausbildung hin zu einem sportlichen Modell des Konzerns.

Das alles gilt noch einmal mehr, wenn man ein Kind der Region ist. Wenn man hineingeboren wurde in diese Vollversorgung des Autobauers. Vater im Betrieb aufgestiegen, für jedes Kind, so es die Eingangstest auch nur einigermaßen bestand, eine Ausbildung bei VW und später eine Tätigkeit mit allen Karrierechancen. Und wer partout nicht „bei Vati“ arbeiten wollte, weil die 1970/80/90er Jahre eben auch das waren: ein verkiffter Aufstand gegen das so genannte Establishment, dann landete man, wenn die Wogen der Jugend geglättet waren, Jahre später doch wieder bei Volkswagen, wenn man in Niedersachsen wohnt oder anderswo bei einem der vielen Zulieferer. Eben einfach nur ein Umweg hin zur natürlichen Bestimmung.

Nein, nein, dass ist durchaus nicht pathetisch, sondern Realität. 250 Kilometer rund um Wolfsburg fährt man eigentlich nur dann Ford oder Toyota, wenn man mit der Welt auf Kriegsfuß steht, wenn man mit der Gesellschaft hadert. Wenn man ein Nörgler und Provokateur ist. Und an den vielen anderen Standorten des Konzerns wird es nicht anders sein.

Die Enttäuschung ist also bei vielen auch eine über die brutalen Folgen dieses Fauxpas mitten aus der Familie heraus. In Niedersachsen naturgemäß noch einmal mehr als in Bayern. Diese norddeutsche Erschütterung ist also verständlich, geradezu normal, aber jetzt muss endlich die Umarmung folgen. Und ein stückweit eine Objektivierung dessen, was wirklich vorgefallen ist.

„Mr. Dax“, Dirk Müller – na klar, er hat ein Abo darauf! – spricht Klartext, noch dazu einen, der sich gewaschen hat, wenn er feststellt, das wir hier über „geschönte Abgaswerte reden und nicht etwa über funktionslose Airbags, versagende Bremssysteme, über die die Fahrer nicht rechtzeitig informiert wurden, oder wissentlich defekte Zündschlösser, die zu zahlreichen Todesfällen geführt haben. So der Fall bei anderen Autoherstellern. Es geht lediglich um geschönte Abgaswerte.“

Sind die Abgaswerte überhaupt einzuhalten?

Müller fragt weiter, ob wir „jemals die von den Autoherstellern aller Marken angegebenen Benzinverbrauchswerte im alltäglichen Gebrauch einhalten können?“ Hm, eher wohl nicht. Also hätte man schon hier Zeter und Mordio schreien müssen. Aber all das ist längst allgemein akzeptiert. Weltweit sogar. Denn irgendwie ist es dann ja doch möglich, diese ominös niedrigen Verbrauchswerte einzuhalten, notfalls mit Schritttempo auf der Autobahn.

Werbung, Verkaufsstrategien, Mitbewerber – so ist das eben: die glücklichen Gesichter und die schlanken Figuren über der fettarmen Margarine finden sich real an keinem Frühstückstisch. Diese Halbfette schmeckt nicht einmal halb so gut, wie sie im TV-Spot bestrahlt wird. Aber so funktioniert eben freie Marktwirtschaft. So haben wir es uns ausgesucht, sonst würden wir uns nach der werbefreien DDR zurücksehnen. Tun aber die wenigsten. Heute muss, wenn’s zu bunt zugeht, die staatliche Peitsche dazwischen knallen und anschließend ist alles wieder gut.

Natürlich müssen die Wettbewerbsmechanismen kontrolliert werden. Aber sie dürfen, wie es der aktuelle Skandal immer mehr vermuten lässt, nicht zu einer fremdstaatlich durchgeführten Exekution eines ausländischen Mitbewerbers auf dem Markt werden. Dirk Müller liegt also völlig richtig, wenn er darauf verweist, das es ein krasses Missverhältnis ist, wenn die defekten Zündschlösser bei GM zu 174 Toten führten und mit einer Strafe von 900 Millionen US-Dollar geahndet wurden, man nun aber über 18 Milliarden US-Dollar Strafe wegen geschönter Abgaswerte einklagen will.

Nur in den USA? Nein, auch die deutsche Presse ist im kollektiven Blutrausch. Jeder setzt noch einen drauf. Und am Ende dreht dann einer völlig durch: Jakob Augstein in seiner jüngsten Kolumne auf SPON. Der zweifelhaft Linke hat nicht nur Blut geleckt, er muss es sogar literweise gesoffen haben, wenn er sich in Richtung Volkswagen zu solchen wahnwitzigen Eskalationskaskaden versteigt:

„Was sind das für Leute, die morgens zur Arbeit gehen, um das Recht zu brechen? Das ist kein Fehlverhalten Einzelner. Es ist das Vergehen eines Konzerns, dem die Maßstäbe abhandengekommen sind. Wenn das Verbrechen Teil des Berufs ist, dann darf man vom Berufsverbrechen sprechen. Und wenn die Kriminalität gut organisiert ist, dann darf man von organisierter Kriminalität sprechen.“

So ein Schwachsinn ist kaum entschuldbar. Für einen der meistgelesenen Online-Schreiber ist es der Offenbarungseid einer emotionsbesoffenen Verwirrtheit.

Noch dazu, wen man weiß, das gerade die aktuelle Asylsituation den nationalen Schulterschluss verlangt. Wir brauchen jetzt jeden Euro. Wir brauchen Menschen in Arbeit, Menschen, die Geld verdienen und Steuern bezahlen, die alles rund um die Krise – eine echte Krise übrigens! –  finanzieren helfen. Jetzt gilt es einfach „unseren“ Konzern mit fast allen Mitteln zu schützen. Gut, er war ein bisschen böse. Schwamm drüber! Schützen wir nun endlich, was uns lieb und teuer ist. Pflegen wir nun wieder gesund, was uns am Leben hält, was unsere Kühlschränke füllt und was uns erst diese weltweit bewunderte Willkommenskultur finanzieren hilft.

Notfalls müssen wir eben mögliche groteske Strafzahlungen in Milliardenhöhe mit den Kosten der Zuwanderung verrechnen. Dann müssen wir eben unsererseits mal in aller Deutlichkeit klarstellen, wen wir für den eigentlichen Verursacher der Kriegszustände und Verwerfungen im Nahen Osten halten. Dann muss der in der Volkswagen Krise von Augstein eingeforderte „starke Staat“ mal da Stärke zeigen, wo es wirklich weh tut: im Washington DC.  Dann bekommen wir am Ende möglicherweise sogar noch etwas raus. Irgendeine klagegeile US-Anwältskanzlei wird uns schon vorauseilend zur Hilfe eilen.

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