Einige Stunden lang sah es so aus, als könnte die Türkei gerettet werden. Gerettet als ein Staat, der sich vor rund 100 Jahren mühsam auf den Weg heraus aus seinem Mittelalter in die europäische Neuzeit machte. Doch anders als in Ägypten war es schon zu spät.
Kaum etwas ist unpopulärer, als einer Machtübernahme durch das Militär das Wort zu reden. Das zeigt sich einmal mehr in den Reaktionen vor allem in Europa und den USA auf den Versuch von Teilen der türkischen Streitkräfte, das Land vor dem finalen Rückfall in die islamische Despotie zu retten. Doch gerade weil es unpopulär ist, wird sich dieser offenbar gescheiterte Versuch als vermutlich letzte Chance erweisen, die Türkei auf einem pro-westlichen, demokratischen Kurs zu halten. Denn das Militär setzte nicht an, einen demokratisch legitimierten Präsidenten zu beseitigen – es trat an mit dem Ziel, die untergehende Demokratie der Türkei vor der Diktatur zu retten, das islamisch geprägte Land vor dem absoluten Zugriff durch islamische Fundamentalisten zu bewahren.
Das ehedem einer laizistischen Türkei verpflichtete Militär, das den anti-islamischen Ideen des Staatsgründers Kemal Atatürk verpflichtet und das von Erdogan deshalb von Anbeginn seiner Machtübernahme als Hauptgegner erkannt worden war, wurde durch Schauprozesse enthauptet. Aus der weltlichen, türkischen Armee, die sich nach Westen in die europäische Moderne orientierte, sollte eine Neuauflage des islamisch-osmanischen Heeres werden, das bis weit in die Neuzeit vor allem die Aufgabe hatte, nicht-islamische Nachbarvölker zu überrennen und unbotmäßige Minderheiten zu unterdrücken. Aus dem kemalistischen Korrektiv osmanischer Sultansträume war längst schon ein Instrument der islamischen AKP geworden.
Mehrmals hatte das türkische Militär eingegriffen um die Zerstörung der laizistischen Republik Atatürks zu verhindern. Dieses Mal hatte es zu lange gewartet. Nach allem, was wir gegenwärtig wissen, ist der Versuch der Absetzung des Präsidialdespoten Erdogan gescheitert.
Die Rache des Despoten
Mit diesem Scheitern der Bewahrer eines demokratisch-laizistischen Staatswesens wird die Türkei nun in den Abgrund gehen. Erdogan, der Zeit seiner Machtausübung genau dieses Szenario einer Machtergreifung durch das Militär als die größte Gefahr für sein islamstaatliches Ziel begriffen hatte, wird nun den finalen Anlass haben, die ohnehin schon zur Präsidialdiktatur gewandelte Türkei in einen islamischen Sultansstaat zurück zu verwandeln.
Nicht nur die aufrührerischen Militärs werden – so sie nicht nach klassisch-osmanischem Muster nach ihrer Inhaftnahme „nie wieder gesehen“ werden – in Schauprozessen vorgeführt und für den Rest ihrer irdischen Existenz in irgendwelchen Kerkerlöchern versenkt werden. (Die Lynchjustiz des Mobs, den Erdogan rief, ist schon im Gange.)
Das längst von Erdogan gleichgeschaltete Rechtswesen wird sich in enger Kooperation mit dem türkischen Geheimdienst nicht schwer tun, zahlreiche Querverbindungen zwischen den Putschisten und der kemalistischen CHP zu entdecken – und das ohnehin schon nach der Diffamierung der kurdischen Abgeordneten stark dezimierte Parlament wird gern bereit sein, entweder ein Ermächtigungsgesetz zu erlassen oder den CHP-Abgeordneten nach dem bereits gegen die kurdische HDP erprobten Muster die Abgeordneten-Immunität entziehen.
Erdogans Diktatur ist nicht mehr aufzuhalten
Der Weg in die Erdogan-Diktatur wird nicht mehr aufzuhalten sein. Damit aber auch wird die Türkei zur ersten echten Diktatur, die heute noch unter dem Dach der NATO ihren Platz findet.
Doch auch hier sollte sich der Westen nichts vormachen. Längst schon hat Erdogan entschieden, dass sein Platz in der Welt an der Seite der Despoten wie Russlands Putin ist. Deshalb suchte er nicht nur jüngst den Ausgleich mit dem Russen, sondern begann sogar damit, auf seinen langjährigen Hassgegner Assad in Syrien zuzugehen. Nach wie vor lockt Erdogan die Vorstellung, sich aus dem zerfallenden Nachbarstaat eine dicke Scheibe heraus zu schneiden – und vor allem die kurdische Autonomie, die im Irak bereits Realität ist und in Syrien Realität werden könnte, mit allen Mitteln zu verhindern.
Die NATO-Mitgliedschaft wird für Erdogan nur noch so lange von Bedeutung sein, wie er sich ihrer im Kampf gegen Kurden und Syrer bedienen kann. Und diese Situation kann schon morgen vorbei sein. Wenn Erdogan nun beschließen sollte, zu Lasten von Kurden, Armeniern und Aserbaidschanern einen neuen Deal mit Putin einzugehen – dann ist nicht einmal mehr auszuschließen, dass die gesamte NATO-Logistik der Türkei in die Verfügung der Russen übergeht. Getreu nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ könnte Erdogan feststellen, dass seine Diktatur von Putin mehr gelitten wird als vom Westen. Und da dessen Touristen ohnehin schon scharenweise dem All-inclusive-Billigurlaub an der anatolischen Mittelmeerküste Adieu gesagt haben, könnten die Russen Erdogans letzter Notanker sein. Putin wird dazu bereit sein – wenn der Preis stimmt, den Erdogan von Diktator zu Diktator zu bezahlen bereit ist.
Die Farce der EU-Beitrittsverhandlungen
Und die EU-Beitrittsverhandlungen? Nun – machen wir uns nichts vor. Die werden längst schon von beiden Seiten nur noch als Farce betrachtet. Die EU-Vertreter wissen längst, dass sie keinem EU-Mitglied den Beitritt einer islamisch-diktatorischen Türkei zumuten können. Ein solcher Beitritt würde unmittelbar dafür Sorge tragen, dass die Länder von Finnland über Polen und Ungarn bis Bulgarien der Gemeinschaft den Rücken kehrten. Für Erdogan dienen die EU-Verhandlungen nur noch dem Ziel, seine finale Abkehr von den christlich geprägten Demokratievorstellungen propagandistisch begründen und für das eigene wirtschaftliche Versagen einen Schuldigen vorführen zu können.
Dieses wissend taten und tun beide Seiten dennoch pro forma immer noch so, als würden sie ernsthaft daran glauben, Erdogan sei mit seiner Türkei ein ernsthafter Anwärter für die EU. Dahinter steht auch der Druck aus den USA – denn die in außenpolitischen Fragen ein ums andere Mal den falschen Weg beschreitende US-Administration klammert sich in ihrer Verzweiflung, die Südostflanke der NATO beschädigt zu sehen, an den Islamdiktator vom Bosporus, wo doch mit Jordanien, Israel, den Kurden und selbst Ägypten Partner bereit stünden, die sich allemal den Vorstellungen der Aufklärung mehr verpflichtet fühlen als der Muslimbruder aus Ankara.
Das Schauspiel führt in den Geheimdienstsstaat
So werden der Westen und mit ihm die Welt nun die Betrachter eines Schauspieles werden können, das in shakespearescher Dramatik den Weg eines ehemals hoffnungsvollen Staates in den Abgrund zelebriert.
Schauprozesse, Intellektuellen- und Oppositionsverfolgung sowie ethnische Säuberungen inklusive werden auf dem Spielplan stehen. Alles, was in der Türkei noch an demokratische Errungenschaften erinnern mochte, wird es in wenigen Monaten nicht mehr geben.
Der Westen hat versagt, als er die Türkei in die Hände des Islamkämpfers gab. Er hat versagt, indem er diesen aus falschen Rücksichten ein fürs andere Mal seine Despotie widerspruchslos ausbauen ließ.
Wenn die „lame duck“ Obama und mit ihm die Führer der westlichen Welt nun das Hohelied auf eine angeblich demokratische, türkische Führung singen, dann streuen sie sich bereits damit Sand in die eigenen Augen. Denn demokratisch war bereits der zweite Wahlgang des vergangenen Jahres nicht mehr.
Die Türkei war schon damals auf dem Weg in den Geheimdienststaat, in dem innerer Terror dem Zweck diente, die Opposition zu stigmatisieren – und sie wird diesen Weg nun erst recht mit aller Konsequenz gehen. Das einstmals hoffnungsvoll in eine demokratische Zukunft schauende Land blickt in den Abgrund – und mit ihm der Westen, der die unvermeidbaren Folgen einer totalitär-diktatorischen Islamisierung des bislang wichtigsten Partners im Nahen Osten auf das Heftigste zu spüren bekommen wird.
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