Vereitelter Anschlag: Verbindungen zur Hamburger Terrorzelle vom 11. September 2001

In Hamburg wurde ein islamistischer Anschlag verhindert. Ein mutmaßlicher Islamist wurde festgenommen. Die Spuren führen zum Hamburger Terror-Umfeld der Attentäter vom 11. September 2001, in dem auch der Vater des Festgenommenen aktiv war.

IMAGO / Chris Emil Janßen
In diesem Haus in der Marienstraße 54 in Hamburg-Harburg wohnten Mohammed Atta und andere Attentäter des 11. September 2001

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben, wie kürzlich erst bekannt wurde, im August einen mutmaßlich islamistischen Anschlag verhindert, der im Umfeld des großen Terroranschlags vom 11. September 2001 in den USA (9/11) steht. Am 26. August nahm die Polizei einen 20 Jahre alten Deutsch-Marokkaner, Abdurrahman C., fest. Der Hamburger Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich sagte dazu jetzt: „Wir haben es hier mit einem sehr, sehr ernsthaften Vorgang zu tun.“

Abdurrahman C. sei der Sohn eines den Hamburger Behörden seit langem bekannten Islamisten, teilte der Leiter der Staatsschutzabteilung im Landeskriminalamt (LKA), Claus Cortnumme, mit. Der marokkanische Vater ist ein Mitverantwortlicher der Al-Quds-Moschee gewesen, in der sich die Angehörigen der Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta und Mohammad Haydar Zammar vor den Anschlägen vom 11. September 2001 getroffen hatten. Nach bestätigten TE-Informationen handelt sich bei dem Vater um Hamid C., der damalige stellvertretende Vorsitzende der berüchtigten Al-Quds-Moschee. Hamid C. hatte nach TE-Informationen Verbindungen in die Dschihadisten-Szene, darunter zu vielen bekannten Salafisten. Der Vater lebt heute in Marokko. Zuvor betrieb er eine Firma zusammen mit weitern auffälligen Personen, die der Salafisten-Szene zugehörig sind und auch für den Verfassungsschutz nicht unbekannt waren. Einer dieser Firmen-Prokuristen war Jens R., der Vorsitzender des Vereins „Deutschsprachiger Islamkreis im Norden“ (DIIN) war und auch Sprecher in der damaligen Al-Quds-Moschee. Der Vater war zudem mit einem Mann befreundet, der zum engsten Umfeld der 9/11-Islamisten zählte, sowie heute als Imam in der Hamburger Taqwa-Moschee auftritt. Derselben Moschee, in der Abdurrahman C. regelmäßig betete. 

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Abdurrahman C. werden die versuchte Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und der versuchte Erwerb einer Kriegswaffe vorgeworfen. Bei einer Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht droht dem Beschuldigten eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Der Generalbundesanwalt habe den Fall noch nicht an sich gezogen, sagte Fröhlich. Seine Behörde erwarte in der kommenden Woche eine Entscheidung des Karlsruher Chefermittlers.

Vor zwanzig Jahren hatte sich in Hamburg eine islamistische Terrorzelle gebildet, aus der drei der vier Terror-Piloten vom 11. September kamen. Diese „Hamburger Terrorzelle“ wurde vor allem von dem Islamisten Mohammed Haydar Zammar zusammengeführt. Die Terroristen trafen sich damals in der Al-Quds-Moschee in Hamburg. Der Todespilot Mohammad Atta wurde zum engen Freund von Zammar. Atta steuerte das erste entführte Flugzeug am Morgen des 11. Septembers. 

Die Spuren des mutmaßlich geplanten Terroranschlags des zwanzigjährigen Abdurrahman C. führen nun genau zu diesem Hamburger Terror-Umfeld von 9/11. Als C. versuchte, eine Waffe und eine Handgranate im Darknet zu kaufen, geriet er an verdeckte Ermittler, die ihn bei einer inszenierten Übergabe festnahmen. Derzeit sitzt der mutmaßliche Islamist in Untersuchungshaft. Bei der Durchsuchung einer von C. genutzten Wohnung in Hamburg-Rahlstedt sind Chemikalien für den Bau eines Sprengsatzes gefunden worden, darunter: ein Kilogramm Kaliumnitrat, ein Kilogramm Schwefel und ein halbes Kilogramm Holzkohlestaub. Laut Polizei hätte eine solche Bombe „erhebliche oder sogar tödliche Verletzungen“ verursachen können. Intensiv habe Abdurrahman sich mit Propagandamaterial der islamistischen Terrormilizen Al-Shabab und Islamischer Staat (IS) auseinandergesetzt. „Der Fall ist in seiner Dimension bislang einzigartig, weil er eine Schnittstelle zwischen der alten und neuen Dschihadistenszene darstellt“, zitiert der Spiegel einen leitenden Sicherheitsbeamten.

Es gibt noch mehr brisante Verbindungen: Die Wohnung, die C. zur Lagerung der Chemikalien nutzte, steht in einem direkten Zusammenhang zum Dschihadisten-Milieu. Der Hauptmieter, der dem 20-Jährigen sein Domizil zur Verfügung stellte, ist laut Spiegel-Informationen ein Neffe des erwähnten Dschihadisten Muhammad Haydar Zammar. Es wird davon ausgegangen, dass Zammar damals ein wichtiger al-Qaida-Rekrutierer gewesen ist. Nach eigenen Angaben hat er Organisatoren der Attentate miteinander bekannt gemacht.

Zammar hatte bereits in den Jahren 1998/99 Kontakte zu Ausbildungslagern der Al Qaida in Afghanistan gehabt und hatte als sogenannter Mujaheddin in Bosnien oder Tschetschenien gekämpft. 2001 wurde er auf einer Marokko-Reise von örtlichen Sicherheitsbehörden festgenommen und der CIA übergeben. Bis 2013 war er in Syrien inhaftiert, später schloss er sich der Terrororganisation IS an. Zuletzt saß er in einem kurdischen Gefängnis in Nordsyrien. In einem Spiegel-Interview 2018 sagte Zammar, dass er zurück nach Deutschland wolle, und bestritt, Mitwisser der 9/11-Terrorpläne gewesen zu sein. In Deutschland wartet ein Haftbefehl auf den bekannten Dschihadisten. Zammar hat eine Frau und sechs Kinder. 

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Die Familie von Abdurrahman C., der in Hamburg geboren wurde und in Deutschland aufwuchs, zog im Jahr 2016 nach Marokko, wo C. einen Schulabschluss machte. Im Herbst 2020 kehrte er zurück nach Deutschland und nahm an einem Studienkolleg in Wismar teil. Ein auf das Studium vorbereitendes Seminar hat er nicht bestanden. Zeugen hätten ihn den Angaben der Behörden zufolge als introvertierten Einzelgänger beschrieben, der regelmäßig die Moschee besuchte und nicht mit Frauen sprach. Nach Spiegel-informationen war C. dem Verfassungsschutz vor den Ermittlungen als „erweiterter Kontakt von Hamburger Islamisten“ bekannt, doch galt er nicht als „Protagonist“ der Szene. Der Vater von C. war seit Jahrzehnten als Gefährder eingestuft.

Lebt die Hamburger Terrorzelle von 9/11 weiter?

Aufgrund dieser Verbindungen stellt sich die Frage: Lebt die Hamburger Terror-Zelle von 9/11 in der nächsten Generation von Islamisten-Familien weiter? Abdurrahman C. war regelmäßiger Besucher der Al-Taqwa-Moschee, die in Hamburg an der Anzengruberstraße liegt. Die Moschee ist die Nachfolge der berüchtigten Al-Quds-Moschee. Bis auf diese Moschee hatte C. offenbar keine bekannten Anlaufpunkte in Hamburg. Allerdings hatte er Kontakte zu Protagonisten rund um die frühere Terrorzelle um Atta und teilweise zu Söhnen von deren Mitgliedern, die aktuell in Hamburg, aber alle nicht im Bezirk Harburg wohnen. Die Al-Taqwa-Moschee ist seit ihrer Eröffnung der Anlaufpunkt für die salafistische Szene in Hamburg gewesen. Immer wieder kam es zu Razzien in der Taqwa-Moschee.

Im Internet gibt sich die Taqwa-Moschee Hamburg bedeckt und hinterlässt absichtlich den falschen Eindruck, als würde sie gar nicht mehr existieren. Aufsehen möchte die berüchtigte Moschee wohl nicht erregen. In einer Antwort des  Hamburger Senats auf eine Anfrage der AfD (Oktober 2017) heißt es, dass die Taqwa-Moschee nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes Hamburgs gar nicht geschlossen sei: „Moscheen sind nahezu über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Lediglich die Taqwa-Moschee in Harburg ist als zentrale Anlaufstelle für Salafisten einzustufen. Nach Erkenntnissen des LfV Hamburg ist die Taqwa-Moschee nicht geschlossen.“ Im aktuellsten Verfassungsschutzbericht Hamburg wird festgehalten: „Der wichtigste Anlaufpunkt für die salafistische Szene in Hamburg ist nach wie vor die Taqwa-Moschee in Harburg. Sie wird auch von jihadistischen Salafisten aufgesucht. Die Moschee wird zudem auch außerhalb der öffentlichen Gebetsveranstaltungen frequentiert.“

Die Al-Taqwa Moschee ist als mögliche Anlaufstelle für militante Islamisten seit 2014 Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Man fragt sich, warum eine äußerst radikale Islamisten-Moschee zwar geschlossen wurde, aber ihre direkte Nachfolge-Moschee offen bleiben darf? Sowohl in der Taqwa-Moschee als auch in der Hamburger Masjid-El-Iman-Moschee sind – soweit bekannt – 40 Hamburger nach Syrien oder in den Irak aufgebrochen, um für die Terrororganisation IS zu kämpfen.

Der Fall von Abdurrahman C. zeigt nicht nur, wie eng verzahnt die islamistischen Ideologen von IS- und al-Qaida-Dschihadisten sind, sondern auch, dass Nachkommen die islamistischen Visionen ihrer Eltern oft fortführen.

Hinweise auf Mittäter existieren derzeit nicht. Am vergangenen Mittwoch durchsuchten Ermittler in mehreren Bundesländern 16 Wohnungen von Kontaktpersonen des Beschuldigten. Insgesamt 130 Ermittler seien im Einsatz gewesen. In den Wohnungen in Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg seien Handys, Tablets, Notebooks und Speichermedien sichergestellt worden. Die Auswertung laufe noch.

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Kommentare ( 11 )

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Axel Fachtan
3 Jahre her

Islamismus ist nur eine Gefahr für das Fußvolk. Nicht für die Regierenden. Die AfD nimmt den Regierenden Einnahmen weg und Plätze in den Parlamenten. Die Salafisten nicht. Die Salafisten sind keine Gefahr für die Regierenden. Deshalb muss der Geheimdienst sie auch nicht ernst nehmen und nicht ernsthaft bekämpfen. Weil die der Regierung kein einziges Mandat wegnehmen. Und wenn ein paar Leute auf der Straße von Anis Amri weggeknallt werden, was soll es ? Hans-Georg Maaßen gilt weiterhin als Saubermann, auch wenn es wahrscheinlich ist, dass auch er in der Sache versagt hat.Amri konnte im Juni verhaftet werden, und das wurde… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Axel Fachtan
Ralf Poehling
3 Jahre her
Antworten an  Axel Fachtan

Dass hier so einige Dinge eingerissen sind, liegt an der falschen Fokussierung und Kastration unserer deutschen Geheimdienste durch die politischen Entscheider. Mal geht es darum, den politischen Gegner kleinzuhalten um selbst sein Mandat zu behalten, mal geht es darum, aus dem selben Grund die eigenen Fehler zu vertuschen und oftmals geht es auch nur darum, die Geheimdienste von den wirklichen Problemen in diesem Land wegzulenken. Denn die wirklichen Probleme in diesem Land bringen Geld mit. Und Geld stinkt nicht. Zumindest nicht für Politiker. Für Mitarbeiter des Sicherheitsapparates, die es mit dem Schutz ihrer Schäfchen wirklich ernst meinen, gilt das jedoch… Mehr

Paul Brusselmans
3 Jahre her

Mir fehlen die Worte zu diesem Land; ein Interesse gab es nie,, islamischen Terror zu verfolgen. Der Würzburger Mordanschlag folgt genau den ISIS-Anleitungen, der Hagener Anschlag, der geplante Anschlag mit der Rizinbombe, alles verdrängt, und nur durch ausländische Dienste vereitelt. Es passt ja nicht in das Narrativ der armen „Geflüchteten“ oder „Gläubign“. Nicht einmal die Geldwäscherichtlinie zur Terrorismusbekämpfung hat Finanzminister Scholz umgesetzt, und die Pariser Anschläge wären ohne die deutsche Fahrlässigkeit bei Rückkehrern und „Geflüchteten“ nicht passiert. Deutschland entwickelt sich zum Risiko…

Ralf Poehling
3 Jahre her

Zitat:“„Der Fall ist in seiner Dimension bislang einzigartig, weil er eine Schnittstelle zwischen der alten und neuen Dschihadistenszene darstellt“, zitiert der Spiegel einen leitenden Sicherheitsbeamten.“ Nicht ganz. Das Problem ist nicht plötzlich irgendwie wiederbelebt worden und nun wieder aufgeflammt, wie man vielleicht annehmen könnte, es war nie weg: Der Islam hat Zeit. Er denkt in Generationen. Gegen die westliche Welt läuft ein Krieg in Zeitlupe. Nur weil hier nicht dauernd etwas explodiert, bedeutet das nicht, dass nicht unentwegt an der Machtübernahme gearbeitet wird. Wenn der fundamental tickende Moslem im Feindesland gerade in Unterzahl und/oder nicht in Machtposition ist, schaltet er… Mehr

Beobachterin
3 Jahre her

Es würde mich sehr interessieren, ob amerikanische (ausländische) Geheimdienste an der Vereitelung des Anschlags beteiligt waren und in welchem Umfang. Es interessiert mich, weil deutschen Sicherheitsbehörden in der Vergangenheit nicht immer die leistungsfähigsten waren. (Siehe Anis Amri.)

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Beobachterin

Meistens werden dt. Behörden von den ausländischen Behörden zum Handeln gedrängt.
Der Kampf gegen „Rächts“ hat halt Priorität …

Manfred_Hbg
3 Jahre her

Zitat: „Als C. versuchte, eine Waffe und eine Handgranate im Darknet zu kaufen, geriet er an verdeckte Ermittler“ > Welch ein glücklicher Zufall das diese „Fachkraft“ an verdeckte Ermittler geriet. Allerdings ist es nur eine Frage der Zeit bis den verdeckten Ermittlern und den sonstigen Sicherheitsbehörden das Glück verläßt. Was solch eine Handgranate in zum Beispiel einen im Tunnel fahrenden U-Bahn-Waggon anrichtet wenn alle Sitzplätze besetzt sind und eine geworfene Handgranate während des Flugs in der Luft zerplatzt, möchte man sich nicht vorstellen(tödliche Splitterwirkung mind. bis 20+ Meter.) Warum sich diese bereichernde „Fachkraft“ bei den vorgefundenen Chemikalien aber auch noch… Mehr

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  Manfred_Hbg

Handgranate wirken in geschlossenen Räumen besonders mit ihrer Druckwelle, die die inneren Organe wie Lunge stark beschädigen. Habe ich jedenfalls so bei der NVA gelernt.

Deutscher
3 Jahre her

Aber nicht vergessen: Die größte Gefahr hat weiterhin von „Rechts“ zu drohen – auch, wenn die Zahlen des Verfassungsschutzberichtes Jahr für Jahr was Anderes belegen…. 😉

Last edited 3 Jahre her by Deutscher
U.M.
3 Jahre her

Es ist zwecklos nur ein Wort darüber zu verlieren. Unsere Politiker und alle Gutmenschen wollen davon nicht hören und wissen! Bis hier die ersten Autobomben explodieren und die ersten Selbstmordattentäter in einer großen „Kufr“ Ansammlung sich in die Luft sprengen. Dann war das natürlich, wie immer, nicht vorhersehbar und von psychisch Auffälligen durchgeführt. Das Ganze wurde natürlich von rechts provoziert deshalb konnten sie auch nicht anders.

Thorsten
3 Jahre her
Antworten an  U.M.

Das Problem sind weniger die Politiker als die Wähler. Siehe Ergebnis der BTW. Wer solche Figuren wählt, der braucht auch nicht mehr zu jammern …