Union: das Machtnetz aufknüpfen dauert

Die zentrifugalen Kräfte in der Union nehmen zu. Merkels Schwäche setzt sie frei. Ein quälend langsamer Prozess des Machtverlusts setzt ein.

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Die CSU-Fraktion im Erlanger Stadtrat schließt Stefan Rohmer aus, weil er eine Koalition mit der AfD als Möglichkeit ins Spiel brachte. Rohmer hatte dies zusammen mit zwei anderen vom Konservativen Aufbruch in Mittelfranken als Reaktion auf den CDU-Ministerpräsidenten Günther in Schleswig-Holstein und auf den CDU-Fraktionsvorsitzenden Senftleben in Brandenburg getan, die eine Koalition mit der Linkspartei erwogen.

Nach dem Betriebsunfall Merkels in der Unionsfraktion im Bundestag, dass nicht gewählt wurde, wen sie wollte, jetzt der nächste in Sachsen. Der gegen den Willen des Ministerpräsidenten Kretschmer zum Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion gewählte Christian Hartmann schließt im Gegensatz zu Kretschmer eine Koalition mit der AfD nicht aus.

Im bundesrepublikanischen Machtsystem ist der Bundeskanzler formal schwach. Er wird nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von den Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Also von den Koalitionsfraktionen. Und dort verliert er auch seine Macht: Egal ob Adenauer, Erhard, Brandt und Schmidt – sie verloren erst den Rückhalt in der Fraktion, dann die Macht. Häufig war es die FDP, die wie beim Übergang von Brandt auf Schmidt den Wechsel vollzog.  „Abgewählt“, gewissermaßen in offener Feldschlacht geschlagen, wurden Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Die anderen Kanzler erlitten die Erosion ihrer Macht, die sich in zunehmender Einsamkeit äußert und in der Schar der Parteifreunde, die Todfeinde sind.

Diesen Mechanismus muss man sich vor Augen halten, wenn man das Verhalten der Kanzler in Personalfragen, die ja Machtfragen sind, verstehen will: Sie versuchen möglichst viele Positionen mit ihren Getreuen zu besetzen, in der Partei, der Fraktion, selbst in Verbänden und Stiftungen. Je mehr Vertraute da in Positionen sitzen, umso fester das Netzwerk der Macht. Macht besteht darin, Posten und Pöstchen und Jobs in den Kästchen der Organisationsdiagramme zu vergeben.

Kanzler verlieren diese Macht nicht auf einmal, sondern schrittweise. Den ersten Machtverlust erlitt Merkel, weil es ihr nicht gelang, in der Konrad-Adenauer-Stiftung ihre Vertraute Annette Schavan als Vorsitzende zu etablieren. Zwar ist der frühere Bundestagsvizepräsident Norbert Lammert, der den Job für sich eroberte, nicht als Merkel-Kritiker aufgefallen. Aber er ist eben nicht Merkel-abhängig. Und wenn der Zeitpunkt kommt, wird er in der Reihe der Gegner stehen. Je weiter weg vom Zentrum, umso selbstständiger können solche Frondeure agieren; auch in Zeiten des Internets verschafft räumliche Distanz Freiheit von den Bücklingen der unmittelbaren Höflinge.

Das ist der Unterschied: Brinkhaus in Berlin will nichts anderes als Merkel, sagt er jedenfalls. Hartmann in Dresden will anders als Kretschmer, sagt er. Das kann er auch, die rebellischen Sachsen sind von Berlin aus schwer zu disziplinieren.

Die zentrifugalen Kräfte in der Union nehmen zu. Merkels Schwäche setzt sie frei. Allerdings: bis diese Kräfte voll wirken, dauert es. Das Netz der Macht wird langsam geknüpft. Es aufzuknüpfen dauert noch länger. Denn meist fehlt auch der charismatische Gegenspieler oder die Gegenspielerin. Es gilt die Regel: Ein Kanzlermörder wird nicht zum Kanzler gewählt. Erst muss sich in der Meute ein Mörder finden, der das schmutzige Geschäft erledigt, damit der neue Spitzenmann oder die Spitzenfrau als strahlender Held mit Tränen in den Augen und vor Freude mit roten Ohren am Grab die Siegesrede halten kann.

Deshalb wartet beispielsweise Markus Söder in München und lässt Horst Seehofer in Berlin die Angriffe führen – die nur Seehofers Ruf ruinieren. Es dauert und wird weiter dauern. Die Frage ist: Wer ist der Nächste, der sich traut? Auch der oder die wird sich finden. Denn mit jedem Machtverlust wird das Risiko der Angreifer kleiner. Kritik wird billiger. Achten Sie auf die Kritiker der kommenden Tage … und Wochen.

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Kommentare ( 63 )

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Ostfale
6 Jahre her

Vor allem aber richtige Revolutionäre. Wann und wo fand hierzulande je eine Revolution statt? Na also.

Teufelskralle
6 Jahre her

Merkel ist dazu gezwungen, an der Macht festzuhalten. Verliert sie diese, verliert sie die politische Immunität. Diejenigen die schon lange den Eingriff des Staatsanwaltes für ihre Straftaten verlangen, haben dann die Wendehälse auf ihrer Seite, wie es sich jetzt schon mit der Wahl von Brinkhaus andeutet. Besonders die Wendehälse werden sich auf Merkel stürzen, weil sie damit ihre Teilhabe an dem jahrelangen merkelschen Unwesen kaschieren. Sie hat sich mit ihrer Sturheit in eine ausweglose Lage manövriert und wird wissen, dass sie nach dem Machtverlust in der Luft zerrissen wird. Sie kann nur noch auf die schützenden Hände derer hoffen, die… Mehr

A.N. Onym
6 Jahre her
Antworten an  Teufelskralle

So etwas nennt man auch „den Tiger reiten“. Genau dazu ist Merkel gezwungen. Doch es ist abzusehen, daß der sie nicht ewig tragen wird.

Gerro Medicus
6 Jahre her

Zitat: „Es gilt die Regel: Ein Kanzlermörder wird nicht zum Kanzler gewählt. “

Ist Merkel nicht das beste Gegenbeispiel?

Dieter Kief
6 Jahre her
Antworten an  Gerro Medicus

Ja, der FAZ-Artikel wg. Spenden.

Old-Man
6 Jahre her

Die ersten merken was Sache ist oder wird. Die Doppelmoral gerade in der Union ist ja selbst für einen Blinden greifbar! Die Bayernwahl macht den Anfang in der Nachdenkensphase in der CSU über mögliche Koalitionen,wobei es darauf ankommt,ob die Prozente der Grünen Schaumschlägerei der Medien sind,und die AfD nur künstlich nach unten gedrückt wird. Die freien Wähler müssen auch erst einmal die nötigen Punkte am Wahlabend machen,also abwarten und wundern. In Sachsen allerdings sieht das schon ganz anders aus,da wird die AfD wohl an die CDU herantreten und nicht umgekehrt,wobei auch das von den Prozenten abhängig sein wird,ob Kretschmer bleiben… Mehr

Lazar
6 Jahre her

Egal wie man zur AfD steht, aber sie haben bisherig soviel Druck ausgeübt das es langsam aber sicher zu Veränderungen bei den Altparteien führt. Das war extrem wichtig sonst hätte sich bis heute gar nichts getan. Falls die AfD es noch schaffen sollte die psychologische Grenze von 20% bis zum Jahresende zu knacken, dann dürfte der im Dezember anstehende CDU-Parteitag mit viel Spannung aufgeladen sein. Es wird spannend wieviel Minuten die Duracell-Klatschhasen diesmal ihre dumpfe Aktivität aufrecht erhalten um ihrer „alternativlosen Kaiserin“ zu huldigen.

Hadrian17
6 Jahre her
Antworten an  Lazar

15 Minuten sind zu schlagen, wenn ich mich richtig erinnere … mein tipp: 18 Minuten

A.N. Onym
6 Jahre her
Antworten an  Lazar

„Falls die AfD es noch schaffen sollte die psychologische Grenze von 20% bis zum Jahresende zu knacken, dann dürfte der im Dezember anstehende CDU-Parteitag mit viel Spannung aufgeladen sein. “ Davor sind allerdings noch zwei Termine für Landtagswahlen zu überstehen, und zwar am 14. Oktober in Bayern und am 28. Oktober in Hessen. Der erste wird für sich genommen ein Paukenschlag werden. Auf den zweiten bin ich aber wirklich gespannt, steht doch der getreue Merkel-Paladin Bouffier zur Wahl. Dort wird die AfD noch besser abschneiden als in Bayer gegen die Regionalpartei CSU. DAS wird dann ein echter Donnerhall. Wie Merkel… Mehr

Ostfale
6 Jahre her
Antworten an  Lazar

Zitat: …Ein quälend langsamer Prozess des Machtverlusts setzt ein. Genau den werden diese „Duracell-Klatschhasen“ weg zu jubeln versuchen, nachdem sie ihre „alternativlose Kaiserin“ wieder auf den Schild gehoben haben.
Hoffnungen von kritisch denkfähigen Unionsmitgliedern und -sympathiesanten, es könne sich in ihrer Partei doch noch etwas zum Guten ändern, sind auf dem Holzwege. Merkel hat ihren Zerstörungsauftrag – und den realisiert sie auf Biegen und Brechen. Er ist langwierig und quälend, fürwahr, aber zuvörderst für dieses Land sowie besonders für Systemoppositionelle, jedoch ist nicht auszuschließen, daß sie vorher doch noch den Endsieg erlangt.

Amenophis
6 Jahre her

Um das merkelsche Netz der Macht zu entknüpfen respektive zu zerstören, wäre die Wahl in Bayern (und Hessen) ein entscheidender Faktor. Wie ich an anderer Stelle in diesem Forum schrieb, ging ich bisher davon aus, dass die Wähler in Bayern in einer Zwickmühle steckten. Verlöre die CSU zu stark – so meine damaligem und bisherige Annahme – würde dies die Kanzlerin so darstellen, dass dies der mangelnden Solidarität und dem Angriff auf deren (Willkommens-)Politik geschuldet sei. Nun nach den neuesten Wahlprognosen, die ein immenses erstarken der „Grünen“ vorhersagen, sehe ich dies anders. Auch im Kontext des gestrigen Fernsehduells zwischen Söder… Mehr

A.N. Onym
6 Jahre her
Antworten an  Amenophis

Was Söder angeht, so sind die Zeichen überdeutlich. Die Befehle aus dem BundeskanzlerInnenamt sind eindeutig und lauten „Koalition mit den Grünen“. Die werden schon fleißig von den Medien hochgeschrieben. Nun werden die tatsächlich etwas stärker werden als bei den letzten Wahlen, profitieren sie doch von der abschmierenden SPD und deren Wählerschaft. So stark wie von der Propaganda herbeigewünscht werden die Grünen aber nicht. Sollten die Verluste für die CSU noch herber werden als jetzt vorausgesagt, d.h., sollte die CSU unter 35 % oder gar unter 30 % einlaufen, dann werden sich die Mehrheitsverhältnisse für eine einfache CSU-Grüne-Koalition zu stark verschieben.… Mehr

Petra - Bremen
6 Jahre her
Antworten an  A.N. Onym

Hinzu kommt ja noch, dass bei einer Koalititon mit den Grünen und evtl. noch einer weiteren Partei die Unzufriedenheit der Bayern noch weiter steigen würde – und dann wäre bei Neuwahlen oder 2021 für die CSU sogar der Einzug in den Bundestag gefährdet, da die 5%Hürde evtl. nicht mehr geschafft wird.

Marc Hofmann
6 Jahre her

Wenn Brinkhaus jetzt nicht gegen Merkel antritt, dann war das ganze Affentheater mit der Abwahl von Kauder einfach nur eine weitere Verarschung der Konservativen Wähler und Menschen in Deutschland!

Old-Man
6 Jahre her
Antworten an  Marc Hofmann

Wer die Worte von Ralf Brinkhaus unmittelbar nach seiner Wahl noch im Ohr hat,der ist gewarnt.
Brinkhaus ist nicht der Mann der Merkel erlegt,er hat andere Pläne.
Brinkhaus will nach Merkel und bei eventueller vorgezogener Wahl wohl ehr einen Ministerposten(Finanzen),aber nicht den Makel des „Kanzlermordes“ auf der Stirn tragen.
Es wird also eine ganze Weile dauern bis sich in Berlin irgend jemand findet,der Madam aus dem Stuhl stößt.
Genau so verhält es sich mit Seehofer und Söder,der Markus wartet ab,er hat ja Zeit,sein Amt behält er auch bei einer Wahlniederlage,denn dann ist ja der Horst Schuld!

Kevin Reimann
6 Jahre her

Gewohnheiten sind erst wie Spinnweben und dann wie Ketten. Die wenigsten Menschen sind in der Lage, aus Verhaltensmustern auszubrechen (insbesondere wenn sie vorher erfolgreich waren). Das Erkennen einer neuen Situation, die dieses Mal ganz anders verlaufen wird als ähnliche vorherige, erfordert flexibles Denken und Entschlussfreude. So mancher Unionspolitiker ist schon 2015 zur AfD gewechselt, andere hängen dem alten Motto an „Wir konnten schon alles mit dem deutschen Volk machen. Warum sollte es auch jetzt nicht wieder klappen. Besser Füsse stillhalten und Mutti zu jubeln.“ Da wird sich noch mancher komplett verkalkuliert haben.

Hadrian17
6 Jahre her

Tja,

der ob seines Wahlerfolges offensichtlich selbst höchst erschrockene neue FV hat nach unsäglichen Ergebenheitsadressen als Kein-Blatt-Papiertiger in der Abgeschiedenheit seiner ostwestfälischen Heimat nun doch einen Teil eines Reisszahns aufblitzen lassen:

https://www.welt.de/politik/deutschland/article181681620/Ralph-Brinkhaus-Neuer-Unionsfraktionschef-will-reden-nicht-anbiedern.html

Das kann den der in der eingespielten Politik des Anbiederns nach linksrot/grün Erfahrenen nicht recht sein.

Eine Rückholung der „Abtrünnigen“ würde die Partei in einer Weise verändern, die offenbar so nicht gewünscht ist.

Kracks … ein erster Riss im Zuckerguss. Warten wir ab, ob er an der Oberfläche bleibt.

Ein langwieriger Prozess wird das wohl auf jeden Fall … .

Rapsack
6 Jahre her

Oh, all diese Heilsversprechen! „Nur Ruhe, Merkel ist bald weg!“ So nen Quatsch! Die Wähler sehen immer klarer, was sie mit der CDU haben! Reden Sie mal mit den Jungen Leuten in der CDU. Das ist erschreckend was man da hört! Wir sind Volkspartei, wir können da jede Position vertreten! Diese Haltung der Beliebigkeit, ist das, was nun die CDU töten wird! Machtstrukturen hin oder her! Wenn es dort aufrechte Menschen gäbe, hätten sie längst die Reisleine von unten gezogen! Ob es die CDU nochmal schaft, eine Partei mit Werten zu werden, ist höchst fraglich, egal wer da an der… Mehr

Th.F.Brommelcamp
6 Jahre her
Antworten an  Rapsack

Die CDU wird sich mit den Grünen zusammen tun, wie es abtrünnige SPD Wähler es schon länger machen. Die CDU hat die Leichtigkeit der Beliebigkeit erfahren und wird nicht zurück gehen, da Medien links, Bildungssystem links und dadurch Wählerstrom auch links.
Ach ja, da hätten wir noch den Herrn Kubicki, der ist jederzeit bereit